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Integration
Rotterdams "Marsch für die Einheit"

Vor zehn Jahren wurde der islamkritische Regisseur Theo van Gogh von einem Islamisten in Amsterdam regelrecht hingerichtet. Danach wuchs die Kluft zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern in den Niederlanden. Rotterdams Bürgermeister - selbst marokkanischer Abstammung - hat jetzt zu einem "Marsch der Einheit" aufgerufen.

Von Kerstin Schweighöfer | 30.10.2014
    Blick auf die Erasmusbrücke in Rotterdam
    Mehr als die Hälfte der Einwohner Rotterdams sind Immigranten. (dpa / Marco De Swart)
    "Wir sind zu alt zum Mitlaufen, wir sind schon 90! Aber die Initiative ist gut! Rotterdam hat sich so verändert - mehr als die Hälfte sind Immigranten! Da muss für Einheit gesorgt werden! "
    "Eine gute Sache! Immerhin leben in Rotterdam mehr als 170 verschiedene Nationalitäten, ich werde mitlaufen, der Laden muss zusammengehalten werden!"
    Rotterdamer Bürger über den "Mars voor Eenheid", den Marsch für Einheit. Vom Hauptbahnhof bis zum Rathaus. Mit einem "Manifest des Zusammenhaltens", das Bürgermeister Ahmed Aboutaleb überreicht werden soll. Hunderte von religiösen und gesellschaftlichen Organisationen haben zu diesem Marsch aufgerufen - jüdische, muslimische, christliche, humanistische, weiß Organisator Hendrik Verweel: "Wir wollen zeigen, dass wir in dieser Stadt eine Einheit bilden, auch wenn wir verschiedene Auffassungen haben und verschiedenen Religionen angehören. Miteinander, nicht gegeneinander."
    Die Idee entstand während der sogenannten Stadtdialoge im September, zu denen Bürgermeister Aboutaleb ins Rathaus geladen hatte. Um die wachsenden Spannungen und Ängste in der Stadt abzubauen, so der Bürgermeister, für die zunächst der Gaza-Konflikt und dann der IS-Terror gesorgt hatte:
    "Die Konflikte im Mittleren Osten drohen die Straßen von Rotterdam zu erreichen! Erst waren es jüdische Mitbürger, die sich nicht mehr mit Kippa nach draußen wagten. Nun haben viele Angst vor IS-Sympathisanten - erst recht, seitdem die niederländische Regierung beschlossen hat, sich am Kampf gegen den IS-Terror zu beteiligen."
    Aboutaleb macht sich große Sorgen um die Sicherheit und Stabilität seiner Stadt. Es brauche nur einen Verrückten, um eine Gesellschaft aus den Angeln zu heben, das habe das Attentat auf Theo van Gohg vor zehn Jahren gezeigt.
    Seitdem ist der Umgangston rauher geworden, die niederländischen Immigrations- und Integrationsgesetze gehören zu den strengsten Europas. Viele Immigranten sind dadurch inzwischen zwar gut eingebürgert, sprechen Nederlands, studieren, haben gute Jobs.
    Heute ist Assimilation statt Integration gefragt
    Aber die kulturelle Kluft zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern ist trotzdem nicht kleiner geworden. Han Entzinger, Professor für Integration und Migration an der Rotterdamer Erasmusuniversität:
    "Früher wurde von Immigranten erwartet, einen Job zu finden und sich anzupassen. Da reicht nicht mehr, jetzt wird von ihnen auch erwartet, ihre alte Identität aufzugeben und die niederländische anzunehmen. Assimilation statt Integration. Man hat sozusagen während des Wettkampfes die Spielregeln geändert und stellt nun höhere Forderungen."
    Mögliche Ursachen: Die Zahl der Immigranten und Asylbewerber nimmt in den Niederlanden nach Jahren des Rückgangs und der Stagnation wieder zu. Angst vor Überfremdung, weil sich das Straßenbild in Großtädten wie Amsterdam oder Rotterdam, wo die Zuwanderer inzwischen in der Mehrheit sind, weiter drastisch ändert.
    Dann das Problem der Radikalisierung. Das ist in den letzten Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden. 150 junge Niederländer sollen sich dem IS-Terror angeschlossen haben. 41 potenziellen IS-Sympathisanten wurde der Pass entzogen, damit sie nicht ausreisen können.
    Bürgermeister Aboutaleb, selbst Sohn marokkanischer Gastarbeiter, der mit 16 in die Niederlande kam, versuchte ihnen ins Gewissen zu reden:
    "Wer sich dem IS-Terror anschließt, verrät seine Eltern! Eltern, die sich krumm gearbeitet haben, um euch in diesem Land eine bessere Zukunft zu bieten. Verrat ist das, nichts andere als Verrat!"
    Aboutaleb hat die muslimische Gemeinschaft auch aufgerufen, sich öffentlich vom IS-Terror zu distanzieren. Ein umstrittener Appell, über den bislang lediglich diskutiert wird. Von Juden und Christen, so das Hauptargument der Gegner, würde man ja auch nicht fordern, das Verhalten fundamentalistischer Strömungen zu verurteilen.