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Integration von Muslimen
"Wir brauchen eine viel lebendigere Gemeinschaft"

Wenn der Islamverband Ditib dem Kölner Friedensmarsch gegen Terror im Namen des Islams fernbleibe, dann schade er sich selbst am meisten, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, im Dlf. Es reiche allerdings auch nicht, wenn nur Muslime sich vom Terror distanzieren sollten, "sondern das müssen wir alle zusammen tun".

Aydan Özoguz im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.06.2017
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD)
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) (Imago)
    Ann-Kathrin Büüsker: Distanzierung vom Islamismus - die soll am Samstag in großem Stil in Köln stattfinden. Liberale Kräfte haben zu einem Friedensmarsch aufgerufen. Diesem Aufruf haben sich viele angeschlossen, der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz etwa. Die Ditib, einer der größten deutschen Islamverbände, will aber nicht mitmachen. Darüber möchte ich mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung sprechen, Aydan Özoguz. Sie hat selbst den Aufruf zum Friedensmarsch mitunterzeichnet. Guten Morgen, Frau Özoguz!
    Aydan Özoguz: Guten Morgen, Frau Büüsker!
    Büüsker: Werden Sie am Samstag auch mitmarschieren?
    Özoguz: Ich habe den Veranstaltern, als sie mich gefragt haben, sofort zugesagt, die Veranstaltung zu unterstützen, mit ganzem Herzen dabei zu sein, aber ich bin am Samstag zu einer Tagung in Bayern eingeladen, und den Veranstaltern mochte ich nun auch nicht einfach vor den Kopf stoßen, dass ich nicht da bin. Also, mit dem Herzen bin ich in Köln, aber physisch werde ich aus Bayern sozusagen mit demonstrieren.
    "Nicht jeder wird dabei sein können"
    Büüsker: Finden Sie nicht, dass das ein bisschen politische Vereinnahmung so einer Veranstaltung ist, wenn man das unterschreibt, aber nicht vor Ort ist?
    Özoguz: Nein. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wirklich möglichst viele hier sagen, ich finde das richtig, wir machen hier einen Zusammenschluss, wir wollen, dass hier ein klares und großes Zeichen gesetzt wird. Natürlich wird nicht jeder dort hinfahren können sofort, aber trotzdem ist ja dieses Zeichen ganz wichtig, zu sagen, da machen sich einige wirklich diese große Mühe und wollen da auch klar machen, dass diese Distanzierung stattfindet, dass wir Schulter an Schulter gegen Gewalt einstehen, gegen Terror einstehen. Das ist auch ganz wichtig, glaube ich, dass man das dann auch sofort mitunterzeichnet. Aber wie gesagt, nicht jeder wird dann dabei sein können.
    "Gegen Terror distanzieren müssen wir alle zusammen"
    Büüsker: Warum ist es wichtig, dass sich gerade Muslime vom islamistischen Terror distanzieren?
    Özoguz: Das ist ja immer wieder diese Frage: Es ist auf der einen Seite richtig, dass die Terroristen ja im Namen quasi des Islam handeln, immer wieder diese Religion missbrauchen, sie vereinnahmen, und deswegen Muslime sich auch ein Stück wehren. Das haben sie übrigens auch in der Vergangenheit getan. Ich finde, so fair sollten wir schon sein. Auch die Moscheen haben ja immer wieder Mahnwachen gehalten, haben Extra-Predigten gemacht, haben versucht, Zeichen zu setzen. Aber auf der anderen Seite, glaube ich, reicht es nicht, wenn man quasi jedes Mal und immer wieder sagt, Muslime sollen sich gegen Terror distanzieren, sondern das müssen wir auch wiederum alle zusammen tun. Deswegen ist es so schön, dass an dieser Stelle sich Muslime aufgetan haben und sagen, wir rufen auf, aber wir rufen eben alle auf, hier wirklich gemeinsam zu stehen, ein gemeinsames Zeichen zu setzen. Es wird natürlich nicht reichen, wenn man jedes Mal, wenn etwas Schreckliches auf der Welt passiert, sagt, jetzt müssen Muslime sich distanzieren.
    "Ditib schadet am meisten sich selbst"
    Büüsker: Die Ditib macht bei der Veranstaltung nicht mit, hat das unter anderem damit begründet, dass sie eine öffentliche Vereinnahmung und Instrumentalisierung fürchtet. Finden Sie das nachvollziehbar?
    Özoguz: Nein, ehrlich gesagt, das finde ich überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Und ich glaube auch, dass die Ditib sich am meisten selbst schadet, vor allen Dingen natürlich auch ihren eigenen Mitgliedern, die ja teilweise auch diesen Aufruf gut finden, und der sie auch selber, also der Vorstand immer wieder im Moment vor den Kopf stößt. Es ist hier ein gutes Zeichen, es ist eine gute Zeit, um zusammenzustehen, und ich verstehe überhaupt nicht, wie jetzt ein Verein wieder irgendwelche Argumente sucht, um zu sagen, wir sind nicht dabei. Das ist ja leider bei den Vereinen in der Vergangenheit immer wieder mal so gewesen. Jeder will dann sozusagen derjenige sein, der das initiiert hat. Aber hier wäre mal der richtige Zeitpunkt gewesen, zu sagen, wir schließen uns alle an und finden das ein gutes Zeichen. Das hätte der Ditib, glaube ich, sehr viel besser getan als die Haltung, die sie jetzt eingenommen hat.
    "Viele Verbände nie so richtig in Deutschland angekommen"
    Büüsker: Frau Özoguz, Lamya Kaddor hat in der vergangenen Woche bei uns im Programm erklärt, dass die Muslime an sich gespalten sind. Trägt die Ditib mit so einer Absage wie der, zu dieser Veranstaltung eben nicht zu kommen, zu dieser Spaltung bei?
    Özoguz: Naja, natürlich. Jetzt wird darüber diskutiert werden, also von außen, wie wir es jetzt quasi tun, aber ja auch weiter innerhalb des Verbands. Das könnte man sogar als eine Chance sehen, wenn man so will, denn wir wissen ja, dass wir da gar nicht auf guten Füßen stehen in Deutschland, dass viele Verbände auch, also beispielsweise Ditib, eigentlich ja nie so richtig dann in Deutschland angekommen ist, obwohl es die Mitglieder zum großen Teil längst sind, ich meine, viele sind hier geboren und groß geworden. Aber der Verband ist eben doch an vielen Stellen, und gerade im Vorstand dann doch eher an Ankara angedockt und versucht da, irgendwie auch ein Stück weit natürlich außenpolitisch einzuwirken. Und das ist etwas, wo wir uns alle ehrlich machen müssen. Wir haben das immer bequem hingenommen, die machen das schon, die finanzieren das, die tun das. Aber jetzt muss es eben in eine Richtung gehen, wo wir sagen, wir stellen uns in Deutschland so auf, dass Muslime hier in Moscheen, die eben aus Deutschland finanziert werden, mit Imamen, die in Deutschland ja auch größtenteils ihre Ausbildung machen können, dass die das hier wirklich lernen und gemeinsam debattieren können. Und ja, Ditib hat, glaube ich, an der Stelle auch nicht so ganz verstanden, dass sie in dieser letzten Diskussion ja immer mehr dieses Misstrauen auf sich gezogen haben, was wollen die eigentlich, wofür stehen sie eigentlich? Sie sind wirklich auch in so einer Umbruchsituation, und ich hoffe natürlich, dass das in die richtige Richtung dann am Ende sich entwickeln kann.
    "Wir müssen uns noch mehr anstrengen"
    Büüsker: Frau Özoguz, wenn ich ganz kurz unterbrechen darf. Sie haben gerade etwas gesagt, was ich gern aufgreifen würde. Sie haben von deutschen Moscheen gesprochen und von in Deutschland ausgebildeten Imamen. Passiert das im Moment überhaupt in ausreichendem Maße, dass genügend Moscheen zur Verfügung gestellt werden, dass genügend Imame ausgebildet werden? Oder muss da mehr passieren?
    Özoguz: Ich glaube, eines haben wir ein Stück weit überwunden: Als ich mit Politik anfing vor gut 15 Jahren, da war es ja eher so, wenn jemand einen Antrag gestellt hat, eine Moschee zu bauen, dann war die allererste Frage, wie können wir das verhindern. Mittlerweile ist in den Kommunen ja eine andere Stimmung, und die Nachbarn und so wollen natürlich einbezogen werden. Das machen auch viele richtig mittlerweile, da wird gemeinsam geplant. Wo wir noch sehr in den Anfangsschuhen stecken, ist eben die Ausbildung zu Theologen. Wir haben noch im Jahr 2000 fast überhaupt gar keine islamische Theologie in Deutschland gehabt. Wie sollen dann hier Leute ausgebildet werden, auch Religionspädagogen ausgebildet werden? Wir haben jetzt verschiedene Standpunkte, wir haben verschiedene Universitäten, an denen das passiert. Aber das wird natürlich noch nicht reichen. Da müssen wir schon uns noch mehr anstrengen.
    "Zu den Moscheen viel stärkere Dialoge"
    Büüsker: Wenn Sie sagen, das wird nicht reichen, da müssen wir uns mehr anstrengen – in dieser Woche war in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen, dass gerade die Missionierungsbewegungen des Salafismus mit Blick auf Europa erheblich zunehmen. Was setzen Sie dem entgegen als Bundesregierung?
    Özoguz: Es ist richtig, es ist die dynamischste Bewegung, wie gesagt wird, gleichwohl ja auch trotzdem noch eine der Kleinsten. Man muss schon sehen, dass dort sehr viel passiert, dass man da auch gut überwachen muss, glaube ich. Denn wir merken ja, dass da auch die durchaus extremistischen Ideen teilweise herstammen. Von daher ist auf der einen Seite es ganz wichtig, dass wir insgesamt zu den Moscheen viel stärkere Dialoge haben, dass wir sehr deutlich machen, was wir erwarten, und, dass ist beispielsweise ja in einigen Bundesländern der Fall, die Verhandlungen führen auch mit Moscheen, dass sie sagen, wir möchten euch mal deutlich sagen, was wir erwarten, aber ihr sollt uns auch sagen, was ihr dann natürlich von uns erwartet. In Hamburg gibt es beispielsweise Verträge, wo man sich dann eben auch drauf berufen kann. Und ich glaube, das ist schon der richtige Weg, um natürlich auf der anderen Seite auch ganz deutlich sagen zu können, was wir politisch ablehnen. Der Staat kann sich nicht in theologische Dinge einmischen in dem Sinne, aber er kann natürlich sehr deutlich machen, hier ist unser Grundgesetz, und da habt ihr etwas überschritten, und das geht nicht.
    Büüsker: Müssen wir unter solchen Voraussetzungen als deutscher Staat vielleicht auch sagen, Moscheefinanzierung aus dem Ausland, das darf nicht mehr sein?
    Özoguz: Das wäre, glaube ich, erst mal so dahin gesagt, eine tolle Lösung, aber man muss mal deutlich machen, das betrifft nicht nur Moscheen, sondern sehr viele Religionsgemeinschaften in Deutschland. Und es ist nicht die einzige Lösung, denn ich habe auch ein bisschen die Sorge, dass, wenn Sie das jetzt heute so sagen und durchführen wollten, dann hätten beispielsweise viele Muslime überhaupt gar keine Anlaufstelle mehr. Denn wo sollen sie dann hin, wo sollen sie das mit einem Schlag alles ersetzen. Das macht die Situation eigentlich noch viel schlechter und gefährlicher, wenn Sie anfangen, sozusagen zu sagen, Hauptsache, man schafft das irgendwie ab und dann sollen die halt sehen, wo sie bleiben.
    "Auch Muslime müssen eine ordentliche Stelle haben, wo sie beten können"
    Büüsker: Frau Özoguz, das ist dann aber ja im Moment eine fatale Situation in Deutschland. Wir haben jetzt ja auch durch die Flüchtlingsbewegung erheblich mehr muslimische Einwohner hier im Land. Wenn die nur in ausländische Moscheen gehen können, wie können wir die denn dann überhaupt versorgen, dass die ihren Glauben ausleben können, aber eben nicht zu Fundamentalisten gehen sollen?
    Özoguz: Wir arbeiten ja daran, Frau Büüsker. Aber ich meine, das Problem ist ja nicht eines, das wir seit heute haben, sondern seit Jahrzehnten, eigentlich schon seit dem Zweiten Weltkrieg, wenn Sie so wollen. Dass man eben gesagt hat, der Islam, das soll sich irgendwie alles selbst organisieren und selbst regeln, und wir gucken bequem zu, und das reicht dann schon. Ich sage mal, seit 15 Jahren mache ich selbst sehr vehement in dieser Debatte mit, und es ist ja gelungen, theologische Lehrstühle endlich mal einzurichten, auch Moscheebau zu genehmigen, aber eben auch sehr genau hinzugucken, diese Verträge auch mit Moscheevereinigungen zu machen. Wir haben die Deutsche Islamkonferenz, die sich natürlich in der nächsten Zeit sehr viel stärker noch einmal dem widmen muss, welchen Status haben eigentlich Religionsgemeinschaften bei uns, wo stehen sie, und an welcher Stelle müssen wir da natürlich auch selbst stärker investieren und deutlich machen, das gehört zu uns, das gehört zu Deutschland, und auch Muslime müssen eine ordentliche Stelle haben, wo sie hingehen und beten können.
    "Wir brauchen eine viel lebendigere Gemeinschaft"
    Büüsker: Nun gab es in den vergangenen Jahren viele Bestrebungen, den liberalen Islam zu fördern. Viele davon sind immer wieder im Sand verlaufen. Aus Ihrer Sicht: Ist der fundamentalistische Islam ein Problem in und für Deutschland?
    Özoguz: Ich sage mal, Extremismus, wenn Sie das jetzt damit meinen, ist immer ein Problem logischerweise, und da muss man auch immer genauer hingucken, und da muss man auch sehr eng sozusagen die Dinge begleiten und schnell auch Grenzen aufsetzen. Ich glaube, dass man hier das auch tut, also bis hin zu unseren Verfassungsschutzorganen, die ja doch sehr genau ein Auge darauf haben. Was aber eben nicht reicht, ist, das haben mir mal Polizisten gesagt, dass sie dann an manchen Stellen die einzigen waren, die dann in die Moscheen gehen und mit den Leuten reden, sondern natürlich brauchen wir da eine viel lebendigere Gemeinschaft auch des Drumherums. Und da haben wir in Deutschland sehr unterschiedliche Szenarien. An manchen Stellen sind die Kirchen, sind die jüdischen Gemeinden mit den Moscheen in einem sehr engen Kontakt. Ich habe im Kanzleramt solche Runden einberufen. Das ist sehr wichtig, dass der Austausch stattfindet, damit die Vereinigungen, die religiösen Vereinigungen gemeinsam auch sagen können, an der oder der Stelle wird es eng, oder da haben wir das Gefühl, da läuft etwas nicht in die richtige Richtung, und da sollten wir uns auch gemeinsam dann dagegenstellen.
    Büüsker: So die Position von Aydan Özoguz, SPD-Bundestagsabgeordnete und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Danke für das Gespräch, Frau Özoguz!
    Özoguz: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.