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Integration von Zuwanderern
"Das Ergebnis ist die AfD"

Den merkelschen Satz "Wir schaffen das" hält der ehemalige Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, für "Geplapper". Die Kanzlerin habe die Flüchtlingssituation im letzten Jahr nicht überblickt. "Sie hat dem Land einen erheblichen Schaden zugefügt", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk.

Heinz Buschkowsky im Gespräch mit Christoph Heinemann | 02.09.2016
    Der SPD-Politiker Heinz Buschkowsky war Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln.
    Der SPD-Politiker Heinz Buschkowsky war Bürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln. (picture alliance / dpa/ Erwin Elsner)
    Über eine Million Menschen völlig ungesteuert ins Land zu lassen, sei ein wenig komplizierter, als auf dem Münchner Hauptbahnhof Stofftiere zu verteilen. "Das beginnen nun alle zu begreifen", so Buschkowsky. Von der weitaus überwiegenden Zahl der Menschen wisse man nicht, wo sie herkomme, wie sie hießen oder wo sie hinwollten. In den nächsten fünf Jahren rechne man mit Kosten von 100 Milliarden. Angesichts solcher Fakten, "wird es einem ganz schwindlig", so Buschkowsky. Die Politik der Kanzlerin sei nicht weitsichtig gewesen. Angela Merkel habe die Situation im vorigen Jahr nicht überblickt und dem Land erheblichen Schaden zugefügt. Das Ergebnis davon sei die AfD. Die Partei werde am Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern locker die 20-Prozent-Hürde knacken, ist sich Buschkowsky sicher. "Wer das nicht als Alarmsignal begreift, ist ein ziemlicher Tropf."
    Zum Umgang mit Migranten sagte Buschkowsky, die Trennung von Kirche und Staat, die bei uns selbstverständlich sei, könnten viele Zuwanderer nicht nachvollziehen. "Sie definieren sich ja zu weiten Teilen nur aus Religion, sie können nicht begreifen, dass Religion bei uns völlig neben dem gesellschaftlichen Leben läuft", sagte Buschkowsky. Da müsse man deutlich sagen: "Wir leben hier so, übernimm das bitte. Integration heißt aufgehen, zu uns zugehören und nicht, bilde deine eigene Enklave und lebe wie zu Hause weiter. Das ist keine Integration." Man könne nicht den Wohlstand vom Westen haben wollen und gleichzeitig weiter hinter dem Mond leben. Die westliche Demokratie habe andere Werte herausgebildet, als sie im afghanischen Bergdorf heute noch gepflegt würden.
    Einen klaren Trennungsstrich forderte Buschkowsky auch in Sachen Moscheen. Dort wo die Salafisten zu Hause seien, werde keine Religion gepflegt, sondern gehe es um politische Einflussnahme. Islamismus sei keine Religion.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Ahmed Mansour beschäftigt sich mit Islamismus und Cem Özdemir ist Vorsitzender der Grünen. Beide fordern, dass die muslimischen Verbände bei der Integration endlich Partner und Teil der Lösung werden. Gegenwärtig seien sie eher Teil des Problems. Nachzulesen in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
    Mansour legte bei uns im Deutschlandfunk nach, kritisierte Moscheen und islamische Verbände in Deutschland, die, wie er sagte, Erdogan-Gegner rausschmeißen, eine Geschlechterapartheid betreiben und Opfer- und Feindbilder schaffen.
    Das ließ Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, gestern bei uns im Deutschlandfunk nicht auf sich sitzen:
    O-Ton Aiman Mazyek: "Die Moscheen sind weiterhin Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Die Moschee-Gemeinden - wir haben etwa über 2.000 in Deutschland - leisten eine ganze Menge in dem Bereich und können noch mehr leisten, das haben wir immer als Zentralrat gesagt, wenn wir den Kampf gegen Extremismus beispielsweise als gesamtgesellschaftlichen Ansatz fahren. Und wir haben erst im letzten Jahr, nach so vielen Jahren des Hinweises, dass wir da auch Unterstützung brauchen, erstmalig auch mit dem Bund zusammen ein Programm entwickelt, "Safer Spaces". Worum geht es dabei? ..., dass wir uns präventiv gegen religiös begründeten Extremismus einsetzen. Und wir wollen vor allen Dingen Jugendliche und Eltern dabei aktiv in die Arbeit einbinden."
    Heinemann: Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime. - ausführlich mit Integration und auch mit Formen gescheiterter Integration beschäftigt sich seit Jahren (auch als Buchautor) Heinz Buschkowsky (SPD), der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Guten Morgen.
    Heinz Buschkowsky: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Buschkowsky, sind Moscheen, sind islamische Verbände Teil der Lösung oder Teil des Problems?
    Buschkowsky: Ja das kommt darauf an. Das ist ja kein geschlossener Block. Sie haben sunnitische Moscheen, Sie haben schiitische, Sie haben die Aleviten, Sie haben Moscheen, die sehr eng an die Muslimbrüder angekettet sind, also damit an die Hamas. Das kann man nicht pauschal beurteilen. Es mag sicherlich Moscheen geben, die sich gemäßigt auch in unsere Lebenswelt einbringen, aber es gibt auch Moscheen, in denen ein sehr konservativer Islam gepflegt und gepredigt wird.
    "Islamismus ist nun mal keine Religion"
    Heinemann: Sie haben - machen wir es konkret - Ihre Nachfolgerin in Neukölln, Franziska Giffey, kritisiert, weil sie die Dar-as-Salam-Moschee in Berlin besucht hat. Was hat sie daran gestört?
    Buschkowsky: Das ist eine Moschee, die in dem Ruf steht, etwa sehr enge Kontakte zu den Muslimbrüdern zu haben. Und wie gesagt: Die Muslimbrüder sind ja die Dachorganisation der Hamas. Das ist eine Terrororganisation, die jeden Tag tötet und Terrorakte vollbringt. Und sie hat dies verniedlicht, auch mit dem Hinweis, ach mein Gott, mit den Muslimbrüdern hat doch jeder Kontakt. Das finde ich falsch. Das ist eine Moschee, die in dem Ruf steht zu versuchen, den politischen Islam, den Islamismus hoffähig zu machen, und das sind für mich keine Dialogpartner. Frau Giffey sagt, dort sind jede Woche mindestens 500 Flüchtlinge aus Sammelunterkünften, und die kann man dort nicht alleine lassen, weil wir beobachten zunehmend, dass sehr fundamentalistische Moscheen ihre Fühler massiv in die Unterkünfte ausstrecken, um dort Gefolgschaft anzuwerben.
    Heinemann: Wie sollte der Staat mit solchen Moscheen umgehen?
    Buschkowsky: Dort, wo die Religion nur ein Deckmantel ist, wo es nur ein Vorwand ist für politische Aktivitäten - und Islamismus ist nun mal keine Religion, sondern eine politische Machtideologie; da geht es darum, in den Staat einzudringen, ihn zu unterwandern und letztendlich die Gesellschaft in die Richtung eines Gottesstaates zu kippen -, dort muss man einen klaren Trennungsstrich ziehen und sagen, ihr seid nicht unsere Gesprächspartner, mit euch wollen wir nichts zu tun haben. Und ich denke, da schützt auch nicht das Religionsprivileg im Grundgesetz. Dort, wo die Salafisten zuhause sind, dort wird nicht der Islam gepflegt, sondern da geht es um politische Einflussnahme.
    Heinemann: Der Trennungsstrich findet in der Regel nicht statt. Im Gegenteil: Es passiert meistens nicht. Verstehen Sie den Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger?
    Buschkowsky: Ja, ich kann ihn verstehen. Ich begreife auch nicht, wie Politikerinnen und Politiker so blauäugig sein können und nicht begreifen, dass sie dort nur benutzt werden, benutzt werden, um gesellschaftliche Türen zu öffnen, um gesellschaftliche Akzeptanz herzustellen, und es geht eigentlich nur um die schönen Fotos, die gemacht werden, die dann bei Facebook eingestellt werden unter der Überschrift "Schaut: So böse sind wir doch gar nicht - wer alles zu unseren Freunden zählt". Ich halte das für extrem fahrlässig, weil man hier sich zum Steigbügelhalter macht.
    Heinemann: Werten solche Moscheen die Bemühungen der aufrichtigen Verbände, auch Moscheegemeinden ab, die sich wirklich um Integration bemühen?
    Buschkowsky: Ja natürlich, weil dort immer die Negativbeispiele entstehen, die dann natürlich auch gegen die Moscheegemeinden pauschal verwandt werden. Sie wissen: Eine faule Rosine verdirbt den ganzen Kuchen.
    "Das ist mit unserer Weltsicht nicht zu vereinbaren"
    Heinemann: Herr Buschkowsky, wie sollte man insgesamt mit Migranten umgehen, die Religion oder die Familientradition für wichtiger halten als die Werte und die Gesetze der Republik?
    Buschkowsky: Das ist ein Problem! Sie haben Menschen, die kommen aus einem völlig anderen Kulturkreis, mit einer völlig anderen Sozialisation. Die Trennung von Kirche und Staat, das was bei uns selbstverständlich ist, Glauben und Religion ist Jedermanns Privatsache. Ob er sie annimmt oder nicht, ist seine Sache. Deswegen ist er weder ein besserer noch ein schlechterer Mensch. Das können die Menschen gar nicht nachvollziehen, weil sie definieren sich ja zu weiten Teilen nur aus der Religion, nur aus ihren religiösen Ge- und Verboten und können das gar nicht begreifen, dass Religion bei uns völlig neben dem gesellschaftlichen Leben läuft und dass der Staat sogar Wert darauf legt und strikt darauf achtet, dass er sich neutral verhält. Das sind Menschen, die kommen mit ihren religiösen Werten und wollen sie hier weiter pflegen und sind baff erstaunt, dass das bei uns plötzlich nicht geht, dass die Tochter eine ganz andere Stellung hat, dass die Frau eine ganz andere Stellung hat und dass wir hier mit dem patriarchischen Gehorsamssystem, es gibt den Mann und weiter gibt es nichts, alle anderen sind ihm untertan und haben zu gehorchen, dass das bei uns hier nicht unsere Lebensart ist.
    Heinemann: Das kann man den Zuwanderern ja nicht vorwerfen, dass sie aus anderen Räumen mit anderen Werten kommen. Die Frage ist: Was muss passieren, damit sich das hier ändert? Was muss der Staat tun?
    Buschkowsky: Nein, man kann es Ihnen nicht vorwerfen. Aber die Frage ist, ob sie bereit sind, sich zu öffnen für andere Lebensweisen, für andere Sichtweisen. Das ist das Problem.
    Heinemann: Und konkret? Was, wenn nicht?
    Buschkowsky: Wir stoßen doch immer mehr an Probleme. Heute ist es die Frage der Kinderehen, über die wir diskutieren. Dann reden wir über die Verstümmelung von Frauen. Dann reden wir über das Schwimmen lernen von Kindern. Dann reden wir über das Baden gehen. Wir stoßen doch immer wieder auf grundlegende andere Sichtweisen und da muss man halt sagen: Wir leben hier so, Du bist zu uns gekommen, dann schau Dir an, wie das hier funktioniert, und übernimm das bitte. Integration heißt aufgehen, zu uns zu gehören, und Integration heißt nicht, nun bilde mal Deine kleine eigene Exklave und mache Dein Ding wie zuhause weiter. Das geht nicht, das ist keine Integration! Man kann nicht Wohlstand vom Westen haben wollen, aber weiter hinter dem Mond leben, mit den Menschenrechten, mit der Gleichheit jeder Lebensform und auch jeder Lebensorientierung. Denken Sie mal nur an die homosexuelle Debatte mit Islam-Kreisen. Das ist mit unserer Weltsicht nicht zu vereinbaren. Die westliche Demokratie hat andere Werte herausgebildet, als sie im Bergdorf von Afghanistan heute noch gepflegt wird.
    "Wer Molis in bewohnte Gebäude schmeißt, ist ein potenzieller Mörder"
    Heinemann: Es gibt auf der einen Seite Gewalt- oder Straftaten von Ausländern. Es gibt aber genauso durchaus Gewalt- und Straftaten gegen Ausländer. Die brennenden Unterkünfte für Migranten sind ein Beispiel. Haben wir auch ein Integrationsproblem mit einem Teil der Inländer?
    Buschkowsky: Ja natürlich! Dummköpfe gibt es überall. Und wer Molis in bewohnte Gebäude schmeißt, ist ein potenzieller Mörder. Das ist mir völlig egal, mit welcher Begründung er oder sie das tun. Das kann ja nicht sein. Und dass plötzlich der braune Rand der Gesellschaft wieder beginnt zu blühen, das kann einen auch nicht fröhlich machen.
    Heinemann: Herr Buschkowsky, die AfD würde vermutlich ohne die Flüchtlingspolitik kaum noch eine Rolle spielen. Die SPD-Spitze hat jetzt den Stinkefinger als Mittel der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus entdeckt. Was sagen Sie dazu?
    Buschkowsky: Ich muss sagen, ich kann Sigmar Gabriel völlig verstehen. So wie er da angegangen worden ist, da kann man diesen Herrschaften nur ganz deutlich mal zeigen, was man von ihnen hält und was sie eigentlich für Blödmänner sind, Vollpfosten sozusagen. Ich finde nicht, dass Sigmar Gabriel sich da daneben benommen hat. Es war nicht sehr fein, aber auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil - Punkt um!
    Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Angela Merkels Satz "Wir schaffen das!" hören?
    Buschkowsky: Na ja, dass das wohl doch unter die Überschrift "Geplapper" einzuordnen ist. Wir wissen heute, dass das alles ein bisschen komplizierter ist, über eine Million Menschen aus anderen Kulturkreisen völlig ungesteuert ins Land zu lassen. Wir wissen von der weitaus überwiegenden Zahl nicht, wo sie herkommen, wie sie heißen, wo sie hin wollen, was sie vorhaben. Das ist schon schwierig. Man spricht heute von Kosten von 100 Milliarden in den nächsten fünf Jahren. Das sind ja alles Fakten, da wird einem nahezu schwindelig. Also das ist schon alles ein bisschen komplizierter, als auf dem Münchener Hauptbahnhof Stoff-Teddybären zu verteilen und das beginnen langsam alle zu begreifen. Wir werden etwa zehn Jahre brauchen, um die Hälfte derjenigen, die über die Grenzen gekommen sind, in den Arbeitsprozess zu integrieren, und dann noch mal 15 Jahre für weitere 25 Prozent. Da sind ein paar Sachen, an denen wir noch 20 bis 30 Jahre zu knabbern haben, und ich glaube, dass die Kanzlerin das im vorigen Jahr nicht überblickt hat. Das war keine sehr weitsichtige Politik. Ich würde sogar so weit gehen: Sie hat dem Land einen erheblichen Schaden zugefügt. Und die AfD ist das Ergebnis davon. Die AfD ist ja keine politische Bewegung. Die AfD ist ein Protestkulminationspunkt. Dort können die Menschen ihre Stimme abgeben, die unzufrieden sind. Und Sie werden sehen: Am Wochenende wird in Mecklenburg-Vorpommern, also dem Herkunftsland von Angela Merkel, die AfD locker die 20-Prozent-Hürde knacken. Und wer das nicht als ein Alarmsignal begreift, ja das ist dann schon ein ziemlicher Tropf.
    Heinemann: Heinz Buschkowsky (SPD), der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Buschkowsky: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.