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Internate kämpfen gegen Schülerschwund

Seit den im vergangenen Jahr ans Licht gekommenen Missbrauchsfällen in deutschen Internaten ist diese Schulform stark in Verruf geraten. Elite-Internate versuchen nun, mit finanziellen Zugeständnissen neue Schüler zu bekommen.

Von Susanne Lettenbauer | 14.06.2011
    "Ich hätte früher nie gedacht, dass ich auf ein Internat gehe, ich habe immer gesagt, nein, Internat ist nichts für mich. Als ich dann hier hergekommen bin, hat's mir aber so gefallen von Anfang an. Man ist da so reingewachsen, echt, man hat Freunde fürs Leben gefunden, das ist eine wichtige Voraussetzung, das alles zu schaffen."

    "Man sagt immer, man ist hier festgebunden, aber das stimmt nicht, wir sind doch alle alt genug, wir können ja tun und lassen eigentlich was wir wollen, trotzdem mit einer leichten Kontrolle. Wir haben zwar ein anderes Leben als die, die bei den Eltern wohnen, aber wir haben schon unsere Freiheiten und Erfahrungen, die wir außerhalb des Internates sammeln können."

    Mario und Ben wohnen seit vier Jahren in Urspring, einer Internatsschule bei Stuttgart. Mit Erfolg haben sie gerade ihr Abitur bestanden. Rund 260 Schüler lernen auf dem alten Klostergelände, von der Grundschule bis zur Oberstufe. Wanderer können über das Gelände laufen, Kunsthistoriker führen durch die mittelalterliche Klosterkirche. Transparenz heißt der Leitspruch, den Schulleiterin Ingrid Sund seit vergangenem Jahr gegenüber interessierten Eltern besonders betont:

    "Die Lehrer haben abgeschlossene Wohnungen, die Schülerbereiche sind getrennt, wir haben immer einen Hauptmentor und einen Nebenmentor, so dass die Schüler nicht abhängig sind von einer Person."

    In einem Neubau neben den alten Klostermauern lernen 20 Grundschüler die ersten Englischwörter. In Kürze soll ein Grundschulinternat das Angebot erweitern. Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder auch im Grundschulalter aufs Internat schicken, für Sund eine willkommene Profilierung:

    "Es gibt Bedarf und Nachfrage bei den Grundschülern. Die Eltern fragen: Warum gibt es nur eine Tagesheimschule. Deshalb bieten wir jetzt auch eine Internatsbetreuung an. Dazu müssen wir unser Konzept ein bischen umstellen."

    Profilierung heißt das Schlagwort, mit dem Internate wie Urspring Schüler anlocken und halten wollen. So wurde der hauseigene Sportunterricht auf Leistungssport umgestellt.

    In der hauseigenen Basketballhalle präsentiert Trainer Michael Spöcker stolz die Pokale der letzten Turniere. Im vergangenen Jahr holten die Urspringschüler vier deutsche Meistertitel. Wer Basketballprofi werden will, macht sein Abitur hier. Selbst britische Interessenten haben in Urspirng schon angeklopft, so die Schulleitung. Am fehlenden Geld der Eltern soll es dabei nicht scheitern:

    "Wir können im Moment 25 bis 30 Prozent der Schüler ein Stipendium geben. Da sind wir stolz drauf, dass uns das immer wieder gelingt. Also wenn wir ein Stipendium vergeben, dann bis zum Ende der Schulzeit."

    Mit dem Ende der Schulzeit können einige Schüler sogar einen Gesellenbrief vorzeigen. Eine Lehre als Schneider, Tischler oder Feinmechaniker gehört zum zusätzlichen Angebot. Damit sei Urspring auf dem richtigen Weg, sagt Harmut Ferenschild, Sprecher der 21 LEH-Internate. Man wolle endlich weg vom Elite-Image, betont er. Deshalb werben Internate immer häufiger Drittmittel für Stipendien ein:

    "Im Rahmen des Möglichen versuchen die Internate diese Engführung durch die Finanzen einfach aufzuweiten. Also mal abzusehen von diesen Leistungsstipendien gibt es durchaus Möglichkeiten mit Internaten auch zu verhandeln und zu sagen, hier ist eine Schmerzgrenze finanziell, die kann ich nicht überschreiten, kommen Sie mir doch finanziell entgegen. Das ist in Zeiten, in denen die Nachfrage bei Internaten nicht so glänzend ist, durchaus eine lohnenswerte Frage."

    Würden die Internate als Privatschulen vom Staat stärker unterstützt, wie es im Grundgesetz Artikel 7 verankert ist, könnten Eltern entlastet werden, so Ferenschild. Dieser Auseinandersetzung wird jedoch seit Jahren aus dem Weg gegangen. Dabei klopfen in Urspring nicht nur britische Schüler an, sondern auch Interessenten aus China. Trotzdem:

    "Wir müssen davon ausgehen, dass der Markt für Internate in den nächsten 10 bis 15 Jahren schwieriger wird, dass wir gezwungen sein werden, besser zu werden. Das ist ja auch ein Vorteil. Nachfrage im Auge zu behalten heißt ja auch, sich nach der Decke zu strecken und das geht im Bildungsbereich nur dadurch, dass man einfach gute Schule macht."