Archiv


Internationale Beobachter nach Israel?

Capellan: Kein Ende der Gewalt in Israel. Auch in der vergangenen Nacht kam es wieder zu Unruhen im Westjordanland, dabei wurde ein vierjähriger Junge angeschossen. Jürgen Möllemann war es, der in der vergangenen Woche mit seinem Vorschlag für Aufruhr sorgte, doch internationale Beobachter nach Israel zu schicken. Der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft hatte am Donnerstag in diesem Sender gesagt, das harte Vorgehen Israels gegenüber den Palästinensern müsse als Staatsterrorismus gebrandmarkt werden. Palästinenserpräsident Arafat wirbt ebenso dafür, unabhängige Vertreter der Vereinten Nationen oder auch der Europäischen Union ins Land zu lassen, Premier Ariel Scharon lehnt das strikt ab. Warum sperrt sich Israel? Darüber möchte ich jetzt mit dem früheren Berater von Scharons Vorgänger Ehud Barak sprechen. Ich begrüße am Telefon Roby Nathanson, heute Leiter des Instituts für Sozialforschung in Tel Aviv. Guten Morgen.

    Nathanson: Guten Morgen.

    Capellan: Herr Nathanson, würden Sie Scharon heute denn raten, internationale Beobachter ins Land zu lassen?

    Nathanson: Zunächst einmal: Internationale Beobachter in Israel oder im Nahen Osten sind kein Präzedenzfall. Es gibt solche Beobachter an der Nordgrenze mit Libanon, es gibt solche Beobachter im Friedensabkommen mit Syrien als auch mit Ägypten. Das heißt, das ist kein Fall, der hier nicht bekannt ist. Der Alptraum von Scharon - würde ich sagen - ist eine Kosovisierung des Konfliktes mit den Palästinensern, und das ist eigentlich die Essenz seiner Abneigung gegenüber internationaler Beobachter.

    Capellan: Was meinen Sie damit, was würde das bedeuten?

    Nathanson: Ich glaube, internationale Beobachter könnten schon eine positive Rolle hier spielen. Aber wenn es darum geht, Truppen zu schicken, die dann auch hier zu einem Entflechtungsabkommen zwischen Palästinensern und Israel sorgen könnten, das wäre für Scharon wirklich ein Alptraum.

    Capellan: Nun hat ja Shimon Peres, der Außenminister, zunächst sich für diese Entsendung dieser Beobachter ausgesprochen. Er ist dann zurückgepfiffen worden von Scharon. Ist die Koalition uneinig? Steht das Bündnis noch?

    Nathanson: An dieser Frage wird wahrscheinlich die Koalition nicht zusammenbrechen, obwohl im Endeffekt - wie ich glaube - internationale Beobachter kommen werden, hauptsächlich aus Amerika. Scharon war schon damit einverstanden, dass die CIA ihre Anwesenheit hier verstärkt. Es geht ja eigentlich darum, dass Scharon nicht die Gewaltanwendung von Arafat kontrollieren kann und Arafat auch nicht die Schritte der Israelis kontrollieren kann. Und deshalb wären solche internationalen Beobachter schon positiv. Die Regierung würde an den grundsätzlichen Fragen, weiterzuverhandeln mit den Palästinensern und worüber, dann eigentlich in eine Krise fallen. Und das könnte dann auch dazu führen, dass dann auch diese Regierung zusammenbricht.

    Capellan: Jetzt haben wir gerade Probleme mit der Leitung; ich hoffe, Sie können mich weiter verstehen . . .

    Nathanson: . . . bis jetzt ja.

    Capellan: Wann wären denn Ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen dafür gegeben, wirklich solche unabhängigen Vertreter der Vereinten Nationen ins Land zu lassen?

    Nathanson: Es ist zuerst die Frage, ob es unabhängige Vertreter der Vereinten Nationen sein sollen oder aus einzelnen Ländern, wie beispielsweise Amerika. Aber ich glaube, in den nächsten Tagen müsste die Zeit reif sein, um so was zuzulassen, und vor allen Dingen auf der Basis des Mitchellplans wieder . . .

    Capellan: . . . Herr Nathanson, ich muss Sie unterbrechen. Wir haben Probleme mit der Leitung. Ich würde vorschlagen, wir wählen noch mal kurz neu an.

    Capellan: So, ein neuer Versuch; ich hoffe, die Leitung nach Israel steht jetzt wieder. Herr Nathanson, noch einmal die Frage an Sie: Wann wären die Voraussetzungen gegeben, Beobachter nach Israel hineinzulassen?

    Nathanson: Ich glaube, von der Lage her betrachtet sind die Voraussetzungen schon bereits gegeben. Die Frage ist, ob natürlich der politische Wille her besteht, solche Vertreter hineinzulassen. Ich sehe eigentlich keine andere Alternative, um auf die Mitchellbasis wieder zu kommen, auf der jetzt wieder ein Weg gefunden werden kann, um in der Zukunft über eine politische Lösung zu verhandeln. Es muss dafür unbedingt die Gewaltanwendung wieder zurückgeschraubt werden. Dazu könnten internationale Vertreter natürlich eine Menge beitragen.

    Capellan: Das hieße also, möglicherweise müssen die Amerikaner größeren Druck ausüben, dass Scharon seine Position überdenkt, dass er diese Leute wirklich ins Land lässt?

    Nathanson: Auf jeden Fall. Es hängt sehr viel von den Amerikanern ab; das amerikanische Arrangement ist hier zu kritisieren. Die Tatsache, dass Powell, als er zuletzt in Israel war, die Dinge Scharon und Arafat alleine überlassen hat, war ein Fehler, wie ich glaube. Und das wird man jetzt versuchen - durch diese internationalen Vertreter - wieder gutzumachen.

    Capellan: Sie meinten eben, es müssen nicht unbedingt internationale Vertreter der Vereinten Nationen sein. Wer sollte nach Israel kommen?

    Nathanson: Ja, aus der Perspektive der Israelis natürlich - und von Scharon -: Je mehr Amerikaner hier beteiligt sind, um so besser - wenn es schon der Fall sein sollte, dass es internationale Vertreter gäbe. Die UNO hatte an Glaubwürdigkeit sehr stark verloren wegen der Südlibanon-Affäre, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass dann auch andere Länder Vertreter schicken, die nicht unbedingt UNO-Vertreter sind.

    Capellan: Was könnten denn diese Vertreter nun tatsächlich bewirken?

    Nathanson: Zunächst mal müssten sie den Waffenstillstand beobachten und auch dazu Stellung nehmen. Es gab ja Präzedenzfälle auch im Libanon, als es einen Waffenstillstand mit der Hizbollah gab, und auch dort gab es Zwischenfälle. Es ist ganz klar festzulegen, was die Ursachen dieser Zwischenfälle sind. Das würde die Gewaltanwendung unter Kontrolle bringen und wesentlich zurückschrauben, um dann die Basis zu schaffen, weiter verhandeln zu können.

    Capellan: Würden Sie denn sagen, dass die israelische Regierung mit den Angriffen auf Nablus wirklich zu wie gegangen ist? Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, es handele sich um Staatsterrorismus? Da gibt es ja Völkerrechtler, die sagen, Israel vollziehe Anklage, Verurteilung und Vollstreckung in einem - und das widerspräche natürlich auch internationalem Recht.

    Nathanson: Nun ja, die Gewaltanwendung führte wieder zur Gewaltanwendung, und wir befinden uns in einem Teufelskreis. Es geht ja auch darum, das Arafat keine Anstalten macht, um die Terroristen - und es sind potentielle Terroristen - in der Zukunft festzunehmen. Und von daher sieht sich dann die Armee Israels genötigt, frei zu handeln. Wie hat dann auch mehr Spielraum gewonnen gegenüber der politischen Entscheidungen. Und diese Fälle in Nablus und andere Zwischenfälle sind natürlich zu bedauern, aber sie sind ein Teil der hoffnungslosen Situation, in der wir uns jetzt befinden, aus der schnellstens auf politischem Weg herausgefunden werden muss.

    Capellan: Muss man denn nicht auf der anderen Seite befürchten, dass gerade diese Angriffe der Israelis Palästinenserpräsident Arafat immer mehr schwächen, denn die Hamas - die Radikalen - die gleiten ihm doch nun völlig aus den Händen.

    Nathanson: Ja, das ist aber schon vorher der Fall gewesen. Hier müsste Arafat energischer durchgreifen, um den Hamas unter Kontrolle zu bringen. In dem Augenblick, wo er diese potentiellen Hamas-Terroristen nicht festgenommen hat, hat er auch der israelischen Armee die Legitimierung gegeben, in dieser Form einzugreifen. Das ist eben eine tragische Situation, aus der man kaum rauskommen kann ohne eine internationale Intervention.

    Capellan: Sie glauben also, dass Arafat tatsächlich noch Möglichkeiten hätte, Einfluss auf die Hamas auszuüben?

    Nathanson: Auf jeden Fall, das ist auch in der Vergangenheit bewiesen worden. Natürlich - die Ultraradikalen, wie es sie auch auf beiden Seiten gibt, die kann man nicht hundertprozentig unter Kontrolle bringen, aber man geht schon in diesem Fall davon aus, dass Arafat ziemlich die Kontrolle über seine Leute hat. Nur kann er aus dieser Situation natürlich nicht herauskommen, ohne politische Dividende zu zeigen. Und darum geht es im Moment, dass auch durch die internationale Präsenz er zumindest sagen könnte: 'Hier, ich habe etwas erreicht, ich habe jetzt die internationale Gemeinschaft auf meiner Seite'. Und auf dieser Basis könnte man vielleicht erwarten, dass er seine Leute eher unter Kontrolle bringt.

    Capellan: Roby Nathanson war das, ehemaliger Berater des früheren israelischen Premierministers Ehud Barak, ein Gespräch mit Hindernissen. Ich danke trotzdem. Danke nach Israel. Auf Wiederhören.

    Nathanson: Auf Wiederhören.