Donnerstag, 28. März 2024

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Internationale Politik 2017
"Es gibt eine Globalisierung der Krisen"

Der Politologe Volker Perthes mahnt, politische Krisen nicht isoliert zu betrachten. Es gebe keine einzelnen Krisen mehr, sondern zusammenhängende Krisenlandschaften, sagte er im Dlf. Er hält es für immer schwieriger, internationale Krisen zu lösen - vor allem seit etwa die USA zur Ideologie "mein Land zuerst" zurückgekehrt seien.

Volker Perthes im Gespräch mit Stefan Heinlein | 29.12.2017
    Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, im Jahr 2015
    Trumps Politik führe zu einer Verschiebung der geopolitischen Lage, sagte der Politologe Volker Perthes im Dlf (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    "Die Krise ist nicht mehr, was sie früher einmal war", meint Perthes. Die Kuba-Krise 1962 etwa habe einen klaren Anfang, ein klares Ende und bestimmte Akteure gehabt. Auch habe man sie genau lokalisieren können. Das sei heute nicht mehr so. So könne man etwa die Lage in Nordkorea nicht mehr analysieren, ohne die USA oder die amerikanisch-chinesischen Beziehungen miteinzubeziehen. Ähnlich sei es beim Krieg in Syrien: In dem Zusammenhang müssen man über europäische Außen- und Innenpolitik sprechen, die Migrationsfrage sowie die Beziehungen zu Russland.
    "Amerika alleine" statt "America first"
    US-Präsident Donald Trumps Agenda "America first" sei in der Praxis "Amerika alleine", sagte Perthes. "Allein gegen das Klimaregime, allein in der Iranfrage, allein in der Jerusalemfrage." Trump habe entweder nicht verstanden, dass es eine Globalisierung der Krisen gebe, meint Perthes - oder wenn doch, sei es ihm wahrscheinlich egal. "Im Wesentlichen ist seine Agenda innenpolitisch". Trump mache, was seiner Basis gefalle - nicht einmal, was ihr nutze. Er nehme durch die Aufkündigung von Handelsabkommen Schäden für sein Land in Kauf.
    Zudem führe Trumps Politik zu einer Verschiebung der geopolitischen Lage. Länder wie Südkorea und die Philipinnen seien verunsichert, ob sie sich noch auf die USA verlassen können. Deswegen wenden sie sich China zu.

    Das Interview in voller Länge:
    Stefan Heinlein: Auch 2017 war die Krise ein Dauerzustand der internationalen Politik. Flucht und Migration, die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, der Vormarsch der Populisten und die Renaissance der Nationalstaaten - komplexe Themen, oft vernetzt und nur schwierig zu lösen für die außenpolitischen Akteure. Statt einzelner Krisen haben wir es mehr und mehr mit zusammenhängenden Krisenlandschaften zu tun, so heißt es in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik, deren Direktor Volker Perthes ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Perthes!
    Volker Perthes: Guten Morgen, Herr Heinlein!
    Heinlein: Was ist eine zusammenhängende Krisenlandschaft?
    Perthes: Na ja, die Krise ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war, könnte man sagen. Erinnern Sie sich an die historischen Krisen, über die wir in der Uni vielleicht lernen, die Kuba-Krise, die dauerte 13 Tage, die hatte einen klaren Anfang, ein klares Ende und sie ließ sich genau lokalisieren und es war auch klar, wer die Akteure waren.
    Vergleichen Sie das mit der heutigen Atomkrise, der Nordkorea-Krise, die können wir gar nicht mehr analysieren, ohne den Zustand der USA und ihres Präsidenten in Betracht zu ziehen, ohne uns zu überlegen, was die amerikanisch-chinesischen Verhältnisse sind, ohne uns zu überlegen, ob vielleicht der amerikanische Präsident seine Verbündeten in Südkorea in Unruhe versetzt. Und diese Krise hat offensichtlich keinen klaren Anfang und kein [klares, Anm. d. Red.] Ende mehr, sondern zieht sich über mehrere amerikanische Präsidentenperioden hin.
    "Mit Blick auf einzelne Krisen müssen wir gleichwohl ganzheitlich denken"
    Heinlein: Ist das also ein Phänomen, diese Vernetzung der Krisen, des vergangenen Jahres, eine Entwicklung, die jetzt kommen wird auch in Zukunft?
    Perthes: Na ja, es ist etwas länger als das vergangene Jahr. Sie konnten von der Globalisierung der Krisen sprechen hin zu integrierten Landschaften, durch die man sich noch durchmanövrieren kann, wo man bestimmte Landmarken sieht, also was ich gerade genannt habe, Atomkrise oder Atomprogramm in Nordkorea oder Krieg in Syrien. Aber wenn Sie über Krieg in Syrien reden und über die Möglichkeiten für Europäer, damit umzugehen, dann reden Sie über europäische Außenpolitik, über die Innenpolitik europäischer Staaten, über die Kapazitäten europäischer Staaten, mit Druck umzugehen, also mit gesellschaftlichem Druck, mit Migrationsdruck, über das Verhältnis zu Russland, über die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten, das Verhältnis zu Iran et cetera, et cetera. Und daran müssen wir uns gewöhnen, dass wir sozusagen mit Blick auf einzelne Krisen, die uns als solche erscheinen, gleichwohl ziemlich ganzheitlich denken müssen.
    Heinlein: Also alles hängt mit allem zusammen, Terror, Flucht und Migration, Themen, die eng zusammenhängen. Gibt es denn schon die Bereitschaft bei den politischen Akteuren für dieses vernetztes Denken, für das Denken, es gibt keine isolierten Lösungen für einzelne Phänomene, sondern man muss gemeinsam international zusammenarbeiten für die Lösung dieser Krisenlandschaften?
    Perthes: Die Bereitschaft gibt es schon, aber Bereitschaft heißt nicht immer gleich auch Fähigkeiten. Unsere Apparate sind versäult, wir haben ein Außenministerium, wir haben ein Verteidigungsministerium, wir haben ein Entwicklungsministerium, ein Finanzministerium. Man weiß sehr wohl, dass es hier eine ganz enge Koordination braucht, und hier reden wir nur über die nationale Ebene, nicht einmal die europäische oder die internationale. Aber in der Praxis ist es immer schwieriger.
    Und schwieriger ist es geworden - und das ist tatsächlich neu in diesem Jahr - durch das, was wir in den USA und auch in ein paar anderen Ländern erleben, die Rückkehr dieser Ideologie von "Mein Land zuerst", am deutlichsten halt ausgesprochen Anfang dieses Jahres vom amerikanischen Präsidenten in seiner Antrittsrede, jetzt kommt die Ära des "America first". In der Praxis hieß das - das haben wir jetzt ja nun ein Jahr beobachten können - ganz häufig "Amerika allein". Amerika allein gegen das Klima-Regime, Amerika allein in der Iranfrage, Amerika allein in der Jerusalemfrage und in vielen anderen Punkten eben auch.
    "Trump macht, was seiner Basis gefällt - nicht, was ihr nutzt"
    Heinlein: Hat Donald Trump also nicht verstanden, dass es diese globalen Krisenlandschaften, diese Globalisierung der Krisen gibt?
    Perthes: Ich glaube, er hat es tatsächlich nicht verstanden. Und wenn er es verstanden hätte, wäre es ihm wahrscheinlich egal, denn seine Agenda ist im Wesentlichen eine innenpolitische. Er macht, was seiner Basis gefällt. Ich will nicht mal sagen, er macht, was seiner Basis nutzt, sondern er macht, was bei seiner Basis gut ankommt. Und dafür nimmt er auch Schäden für das eigene Land in Kauf, wenn er zum Beispiel - was er gleich am Anfang des Jahres gemacht hat - die Mitgliedschaft der USA in der transpazifischen Partnerschaft, also in einem Freihandelsabkommen mit Japan, Südkorea und einer ganzen Reihe von anderen Staaten im ostasiatischen Raum aufkündigt. Das kommt erst mal gut an bei der Basis, weil sie gegen Freihandel sind, aber letztlich macht das die Waren teurer für ganz viele von den Menschen, die Trump gewählt haben in den USA.
    Heinlein: So, jetzt verstehen wir nichts mehr, Herr Perthes, irgendwas hat sich jetzt aufgehängt, wir hören es klappern und versuchen es gleich noch einmal wieder im neuen Gespräch.
    Perthes: Ich verstehe Sie noch gut, hallo?
    ((Unterbrechung))
    Heinlein: So, jetzt ist die Leitung wieder bereinigt. Noch einmal die Frage an Herrn Perthes: Welche Folgen hat es, wenn der Führer der globalen Welt diese Globalisierung der Krisen offenbar nicht versteht und auch nicht bereit ist oder in der Lage ist, globale Führungsverantwortung zu übernehmen?
    Perthes: Also erst mal schadet es seinem Land selbst, wenn er beispielsweise - da waren wir bei, als die Leitung auseinandergegangen ist - internationale Handelsabkommen kündigt, von denen auch die USA profitieren. Was aber wichtiger ist: Andere Staaten richten sich durchaus danach aus, was sie aus den USA an Signalen empfangen. Bleiben wir mal bei dem Beispiel, was wir schon genannt haben, Korea: Südkorea ist unsicher, ob es sich verlassen kann auf den langfristigen Schutz der USA. Das Gleiche gilt für andere Länder in der Nachbarschaft dort, also die Philippinen beispielsweise oder Vietnam. Und deshalb fangen die an, sich auszurichten an dem neuen großen Hegemonen in der Region, zu dem sich China entwickelt, dorthin bessere Beziehungen zu entwickeln oder sich auch anzupassen, sich einzureihen in die Politik, die China vorgibt. Das heißt, der Mangel an Verlässlichkeit der USA und ihres Präsidenten führt, egal was Trump sich an Politik überlegt, zu einem Verlust an Führungsfähigkeit der USA, zu allgemeiner Verunsicherung und zu einer weiteren Verschiebung oder beschleunigt die Verschiebung der tektonischen, geopolitischen Gewichte, wenn Sie so wollen.
    Trump unterminiert längerfristige Friedensregelungen in Nahost
    Heinlein: Ist das Thema Jerusalem, also diese einsame Entscheidung in Washington von Donald Trump ein Musterbeispiel dafür, dass sich da die Globalisierung zeigt, aber Donald Trump diese Verantwortung nicht versteht?
    Perthes: Ja, das ist vielleicht eins der wenigen Beispiele, wo wir wenig von Globalisierung, sondern von ziemlich klassischer Staatenpolitik reden. Donald Trump hat ja eine innenpolitische Basis, evangelikale Christen zum Beispiel, die die Entscheidung, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und Jerusalem ohne weitere Einschränkungen als Hauptstadt Israels anzuerkennen, gut finden. Er bekommt dafür den Applaus der israelischen Regierung und deshalb macht er es einfach, obwohl er damit langfristige oder längerfristige Friedensregelungen unterminiert, wie die gesamte internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen und nicht zuletzt auch die Umgebung Israels sie favorisieren würden.
    Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik als Deal mit den USA
    Heinlein: Unter dem Strich, Herr Perthes, wie sollte Deutschland, wie sollte Europa auf Donald Trump und seine Außenpolitik reagieren? Ist diese Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik, die ja zuletzt beschlossen wurde, die richtige Antwort?
    Perthes: Das ist die richtige Antwort und interessanterweise auch eine Art Deal, um in Trump Speach zu sprechen, mit den USA. Trump kann dann nämlich sagen, endlich haben die Europäer eingesehen, dass sie mehr für ihre eigene Verteidigung tun müssen, und deshalb kann ich es den Erwachsenen gewissermaßen in meiner Administration - also dem Verteidigungsminister und anderen - weiterhin erlauben, die Verpflichtungen zur NATO aufrechtzuerhalten und mit zum Schutz Europas weiterhin beizutragen.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik Volker Perthes. Herr Perthes, ich danke für das Gespräch und ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch, alles Gute für das kommende Jahr!
    Perthes: Das wünsche ich auch, wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.