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Internationaler Gerichtshof
Kroatien und Serbien klagen auf Völkermord

In Den Haag liegen derzeit Völkermord-Klagen aus Kroatien und Serbien vor. Kroatien klagt gegen die Ermordung von Landsleuten im Zuge der Belagerung Vukovars Anfang der 90er-Jahren. Die serbische Gegenklage richtet sich gegen eine Militäroperation der Kroaten im Jahr 1995. Sowohl in Belgrad als auch in Zagreb sind Experten allerdings skeptisch, was die Erfolgsaussichten angeht.

Von Stephan Ozsvath | 03.03.2014
    Die ersten Toten im Krieg zwischen Serbien und Kroatien gibt es im April 1991. Am Drehort von "Schatz im Silbersee", im Nationalpark Plitvicer Seen, schießen jetzt Soldaten aufeinander. Die Serben belagern Vukovar in Slawonien. Sie errichten um Knin einen serbischen Mini-Staat. In vier Jahren Krieg töten sie mehr als 10.000 Kroaten im Zuge sogenannter "ethnischer Säuberungen": Ein Krieg vor allem gegen die Zivilbevölkerung, so steht es in der 400-seitigen Anklage-Schrift.
    Kroatien klagt deshalb gegen Serbien auf Völkermord, fordert Entschädigung. Die kroatische Außenministerin Vesna Pusic sagt:
    "Es gab beiderseitige Wünsche und Anstrengungen, diese Frage auf andere Art zu lösen. Das hat leider nicht geklappt. Die Vorbedingungen sind nicht erfüllt. Nach wie vor steht die Frage der Vermissten auf der Tagesordnung."
    So verlangt Kroatien von Serbien Klarheit über das Schicksal von mehr als 1.600 Kroaten, die noch immer vermisst sind. Auf die kroatische Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof hatte Serbien vor vier Jahren mit einer Gegenklage reagiert. In deren Zentrum steht die sogenannte Operation "Sturm" – bei dieser Militäroperation erobern die Kroaten 1995 – mit US-Billigung – die von Serben besetzten Gebiete zurück. Sie vertreiben etwa 200.000 Serben, Hunderte töten sie dabei – die meisten sind Zivilisten, auch Serbien vermisst fast 2.000 Personen.
    Auf einem Video ist die Erschießung eines serbischen Zivilisten dokumentiert. Er hebt die Hände in die Höhe, wird kaltblütig erschossen.
    Der ehemalige kroatische Präsident Ivo Sanader, jetzt wegen Korruption im Gefängnis, sagte rückblickend über die Operation "Sturm".
    Die verantwortlichen Militärs – die Generäle Markac und Gotovina – wurden in Den Haag zuerst verurteilt, Ende 2012 dann freigesprochen. Nun liegen die wechselseitigen Völkermord-Klagen in Den Haag. Und sowohl in Belgrad als auch Zagreb sind Rechtsexperten skeptisch, ob die Klagen Erfolgsaussichten haben. Sasa Obradovic vertritt das Juristen-Team der Serben:
    "Was ich zuversichtlich sagen kann, ist dass Kroatien mit seiner Klage keinen Erfolg haben wird. Ich würde auch keinen übertriebenen Optimismus verbreiten, was unsere Gegenklage betrifft. Ziel unseres Rechtsteams ist es, dass die Verbrechen, die am serbischen Volk im Laufe des bewaffneten Konflikts in Kroatien und vor allem der Operation 'Oluja' (Sturm) begangen wurden, noch einmal vor der internationalen Fachöffentlichkeit präsentiert werden.Gerade wegen des Ausgangs des Verfahrens gegen Gotovina vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien."
    Doch dienen die wechselseitigen Klagen der Aufarbeitung der schrecklichen Vergangenheit? Schadet das Verfahren in Den Haag nicht gar einer Versöhnung? Kroatien ist mittlerweile EU-Mitglied, Serbien will es werden, hat den Kandidatenstatus. Der serbische Vizepremier Aleksandar Vucic gibt zu bedenken:
    "Wegen der kommenden Generationen ist es auf beiden Seiten eine Katharsis notwendig. Für uns Serben ist am wichtigsten, was wir in der Zukunft tun werden. Jeder wird dafür kämpfen, dass die Standpunkte, die in Klage und Gegenklage vertreten werden, der Wahrheit entsprechen. Ob das produktiv sein wird oder nicht. Ich fürchte: Keiner wird etwas davon haben."
    Eine Völkermord-Klage gegen Serbien ist schon gescheitert. Bosnien und Herzegowina unterlag – und das, obwohl das von Serben verübte Massaker von Srebrenica an 8.000 bosnischen Muslimen in Den Haag als Völkermord eingestuft worden war.