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Internationaler Gipfel zur Atomsicherheit beginnt

Der Atomexperte Hans Blix erwartet von der Konferenz zur Atomsicherheit in Washington in erster Linie eine bessere Kontrolle von nuklearen Beständen. Die Teilnehmerländer müssten dafür Sorge tragen, dass spaltbares Material nicht in die falschen Hände gelange.

Hans Blix im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Ein Spezialist auf dem Gebiet der Nuklearsicherheit ist seit Jahrzehnten Hans Blix. Er ist ehemaliger schwedischer Außenminister, früherer Chef der Atomenergieorganisation und lange Jahre UN-Waffeninspektor im Irak gewesen. Wir erreichen ihn in Stockholm, guten Morgen, good morning, Mister Blix!

    Hans Blix: Good morning!

    Engels: Erwarten Sie nennenswerte Ergebnisse dieser Washingtoner Konferenz?

    Blix: Ich glaube, es wird Zusagen durch viele Staats- und Regierungschefs geben, wonach sie wirksamere Kontrollen in ihren Ländern zur Sicherung der nuklearen Bestände einführen wollen. Ich denke hier natürlich an hoch angereichertes Uran, an Plutonium, aber auch an Cäsium und Cobalt, Stoffe, die in Krankenhäusern oder in der Industrie verwendet werden, und die dazu ausreichen könnten, schmutzige Bomben herzustellen, also Bomben, die nur spaltbares Material in die Umwelt freisetzen, ohne selbst explosiv zu sein. Ich glaube also, dass dieser Gipfel dazu führen wird, eine Art große Bereinigungsaktion in der Welt durchzuführen, um solches Material, das in falsche Hände gelangen könnte, wegzusperren.

    Engels: Ist der internationale politische Wille ausreichend, um so ein Kontrollsystem umzusetzen?

    Blix: Darüber besteht hier überhaupt kein Meinungsstreit. Wir werden natürlich bei der großen Atomsperrkonferenz im Mai unterschiedliche Meinungen hören, aber es hat ja keine Regierung gegeben, die irgendwelche Terroristen unterstützen wollte, mindestens sagt es keine und ich glaube auch, dass wir keine Gründe haben anzunehmen, dass etwa Iran spaltbares Material in die Hände von Terroristen gelangen lassen wollte. Vielleicht könnte man sich mehr Sorgen hinsichtlich Nordkoreas machen, aber auch hier haben wir keine echten Belege für solche Vorwürfe.

    Engels: Wo liegen die praktischen Probleme, um vagabundierendes Nuklearmaterial zu kontrollieren?

    Blix: Nun, wir haben natürlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gesehen, dass die Kontrollen von spaltbarem Material sehr viel lockerer geworden sind; dann setzt auch dieser illegale Handel mit Nuklearmaterial ein. Ich habe das in meiner Zeit bei der IAEO in den 90er-Jahren gesehen, in Europa gab es überall solche Ganoven, die versuchten, irgendwelche kleinere Uran- oder sogar Plutoniummengen zu vertreiben. Es waren aber doch ganz überwiegend sehr kleine Mengen. Es gab auch bestimmte Täuschungsmanöver, dass man Dinge wie rotes Quecksilber, etwas, was es überhaupt nicht gibt, zu verkloppen versuchte. Aber es waren doch fast immer nur kleinere Mengen, manchmal auch Mengen im Kilogramm-Bereich, wenn man mit hochangereichertem Uran oder sogar mit Plutonium, das etwa aus sowjetischen Atom-U-Booten stammte, Handel zu treiben versuchte. Dieser Handel ist also weitergegangen, aber in fast allen Fällen handelte es sich um ganz geringe Mengen.

    Engels: US-Präsident Obama hält das Risiko von Nuklearwaffen in Terroristenhand für höher als einen Atomkrieg zwischen Staaten. Stimmen Sie zu?

    Blix: Hier wird doch manches aufgebauscht. Das ergibt natürlich immer knackige Schlagzeilen. Und sicher darf man sich hier nicht auf die faule Haut legen, aber für mich besteht ein riesiger Unterschied zwischen der Situation während des Kalten Krieges und heute. Damals gab es mehr als 50.000 Atomsprengköpfe, heute etwas über 20.000 und dank des Start-Abkommens geht diese Zahl weiterhin zurück. Damals, während des Kalten Krieges, gab es aber durchaus die Gefahr eines Atomkrieges, die Kubakrise war tatsächlich eine echte Bedrohung. Ich meine aber, eine der Segnungen dieses Prager Abkommens und des Start-Abkommens, die vor wenigen Tagen unterzeichnet worden sind, ist es eben, dass diese ernsthaften Abrüstungsbestrebungen jetzt wieder aufgenommen werden.

    Engels: Einige Experten sagen, eine Terrorattacke mit Nuklearmaterial ist nur eine Frage der Zeit. Wenn ich nach Ihren Ausführungen gehe, halten Sie das für zu pessimistisch?

    Blix: Ja, ich glaube, das ist zu pessimistisch. Das ist natürlich immer gut für eine Schlagzeile und manche schaffen es auch, solche Schlagzeilen zu erzielen, aber ich glaube, hier schießt man über das Ziel hinaus. Das bedeutet nicht, dass ich etwa kritisch gegenüber diesem Washingtoner Gipfeltreffen wäre, nein: Es ist gut, hier einen Riegel vorzuschieben oder das ein für alle Mal unmöglich zu machen. Wir wollen ja nicht, dass diese Materialien im Raum herumschwirren, man will ja auch nicht, dass irgendwelche Gifte sich in der Umwelt frei bewegen, und man muss ja auch diese Ganoven abschrecken, die vielleicht mit irgendeiner Kiste da am Bahnhof auftauchen und das dann auf sehr gesundheitsgefährdende Weise abstellen. Das hat durchaus auch einen Abschreckungseffekt auf diese Gangster, dass sie vielleicht Angst haben, sich selbst auch zu schädigen.

    Engels: Die Washingtoner Konferenz wird sich auch mit dem iranischen Nuklearprogramm befassen. Viele westliche Staaten verdächtigen die iranische Führung, an der Atombombe zu arbeiten. Wenn das stimmt, gibt es noch eine diplomatische Chance zu verhindern?

    Blix: Ja, ich glaube, es wäre absurd zu behaupten, dass die Diplomatie alle Möglichkeiten jetzt bereits ausgeschöpft hätte. Die Medien und auch einige Politiker schießen ja gerne über das Ziel hinaus und sagen, es bleibt jetzt nichts anderes mehr übrig außer der Bombe. Ich glaube, das ist eine irrige Ansicht. Obama hat mit seiner neuen Regierung einen sehr viel besseren Weg eingeschlagen: Er sagt, ja, wir sind bereit, hier direkt zu verhandeln und wir werden uns auch mit denen zusammensetzen. Die Iraner haben sich auch an den Verhandlungstisch gesetzt. Das ist doch, auch wenn es jetzt bereits zu einem Stillstand geführt hat, ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der Situation während der Bush-Regierung, als gesagt wurde, ja, es kann Verhandlungen geben, aber nur unter der Bedingung, dass Iran sofort sein Atomprogramm einstellt. Das war doch eine recht hochmütige und auch erniedrigende Haltung gegenüber den Iranern, denn die Iraner haben sich darauf nicht eingelassen. Immer noch ist die Situation schwierig: Es gibt bestimmte Verdachtsmomente, die darauf hinweisen, dass Iran tatsächlich an der Atombombe arbeiten könnte; dennoch wäre es verfehlt zu sagen, die Diplomatie hätte alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Es fehlen ja zum Beispiel noch zwei Elemente, die noch nicht gezogen worden sind: Erstens das Angebot diplomatischer Beziehungen, zweitens Sicherheitsgarantien. Beide diplomatischen Optionen sind auch gegenüber Nordkorea schon vorgebracht worden, auch wenn Nordkorea das nicht akzeptiert hat. In jedem Fall belegen diese beiden Möglichkeiten, dass es durchaus noch im Instrumentenkoffer der Diplomatie Möglichkeiten gibt. Eine weitere Option wäre die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten. Dafür wäre aber die Voraussetzung, dass die Atomanreicherungsanlagen eingestellt werden.

    Engels: Der israelische Premierminister Netanjahu wird aber nicht an der Konferenz teilnehmen. Wir das nicht von vornherein das Ergebnis schwächen, wird es also keinen atomwaffenfreien Nahen Osten geben?

    Blix: Ich glaube nicht, dass er vollständig von der Konferenz fernbleiben wird. Er wird wohl auf Gipfelebene nicht vertreten sein, aber stillschweigend doch da sein. Möglicherweise will er sich einfach nicht alle möglichen polemischen Vorwürfe vorhalten lassen und ist deswegen ferngeblieben. Es stimmt aber, dass Israel in der Tat häufig auch sehr militante kämpferische Töne angeschlagen hat, und sie haben ja auch mitunter schon mit Militärschlägen gegen ihre Nachbarn reagiert. So hat Israel 1981 im Irak ein Atomkraftwerk ausgeschaltet und im Jahr 2007 einen Standort in Syrien bombardiert. Das heißt, sie schließen es nicht vollständig aus, aber ein Ziel im Iran zu bombardieren, wäre doch eine sehr viel heiklere Option und wir hören auch in letzter Zeit aus Israel sehr viel weniger militaristische Töne und ganz sicher nicht aus den USA.

    Engels: Der frühere schwedische Außenminister und Chef der Atomenergieorganisation Hans Blix – Mister Blix, thank you for the interview!

    Blix: Your welcome!