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Internationaler Strafgerichtshof
Chaotische Suche nach einem neuen Chefankläger

Beobachter sprachen von einem Meilenstein, als im Juli 2002 der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufgenommen hat. Doch viele Kriegsverbrecher konnte die Institution bislang nicht verurteilen. Nun lähmt die Suche nach einem neuen Chefankläger das "Weltgericht".

Von Kerstin Schweighöfer | 08.02.2021
Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Die Suche nach dem neuen Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs gestaltet sich schwierig (imago stock&people)
15. Juni 2012. Die aus Gambia stammende Juristin Fatou Bensouda legt den Eid ab und tritt als zweite Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes die Nachfolge an von Luis Moreno Ocampo, einem Argentinier.
Nach einer Afrikanerin und einem Lateinamerikaner wäre es jetzt eigentlich an Europa, den dritten Chefankläger zu stellen. Er hätte längst feststehen sollen, schon im vergangenen Oktober. Doch die 123 Vertragsstaaten, die den ICC, wie dieses Weltgericht kurz genannt wird, anerkennen und finanzieren, konnten sich bisher nicht auf einen Kandidaten einigen.

Überraschende Vorauswahl

Dabei war eigens ein neues Auswahlkomitee gegründet worden, um das Verfahren unkomplizierter verlaufen zu lassen. Dieses Komitee besteht aus 5 Botschaftern - jeweils einer aus den fünf Regionen, in die die Vertragsstaaten eingeteilt sind: Westeuropa, Osteuropa, Afrika, Asien und Pazifik, Lateinamerika und Karibik.
Die Botschafter haben mit Hilfe eines Expertenteams eine Liste mit 14 potenziellen Kandidaten aufgestellt. Aus diesen 14 Kandidaten wurden im letzten Sommer vier ausgewählt und den Vertragsstaaten präsentiert.
Strafe für Ugandas Rebellenführer - Ein gutes und durchdachtes Urteil
Dem Internationalen Strafgerichtshof wird immer wieder Schwerfälligkeit vorgeworfen, doch im Fall des ugandischen LRA-Kommendanten Dominic Ongwen hat sich die Gründlichkeit bewährt, kommentiert Bettina Rühl.
Was folgte, war ungläubiges Entsetzen: Denn unter den vier Ausgewählten befand sich kein einziger Routinier. Auch der haushohe Favorit fehlte: Serge Brammertz, einst Vize-Ankläger am ICC unter Moreno Ocampo und Chefankläger des Jugoslawientribunals.
Kurz vor der Bekanntgabe der vier Namen, im Juni 2020, hatte Brammertz das Auswahlverfahren bei einem Treffen mit Auslandskorrespondenten als extrem schwierig bezeichnet: "Soll der neue Chefankläger aus einem kleinen Land kommen oder einem großen, soll er eher ein Experte auf politischem Gebiet sein oder auf juristischem?"
Ein Kandidat, der allen Ansprüchen gerecht werde, gebe es wohl auf dem gesamten Planeten nicht. Und auch die Aufgabe, die ihn erwarte, sei extrem schwer, so Brammertz weiter:
"Wenn ein Auto kaputt geht, das wissen wir alle, reicht es nicht, einen neuen Fahrer hinter das Steuer zu setzen, um das Rennen zu gewinnen!"
Das kaputte Auto ist der ICC. Weil in den 19 Jahren seit seiner Gründung nur 17 Angeklagte vor die Richter geführt und nur neun verurteilt wurden. Und weil das interne Arbeitsklima von Angst und Misstrauen geprägt ist: Mitarbeiter klagen über hohen Stress und lähmende Bürokratie.
Das alles steht im Abschlussbericht einer externen Expertenkommission, der im vergangenen Herbst vorgelegt wurde. Geleitet wurde diese Kommission von Richard Goldstone. Der Südafrikaner war Anfang der 1990er Jahre der erste Chefankläger des Jugoslawientribunals: "Die wohl größte Herausforderung für den nächsten Chefankläger wird es sein, den Gerichtshof effizienter zu machen", so Goldstone.

Ruf nach Reform des Gerichtshofes

Das Auswahlkomitee hat inzwischen versucht, das Rennen wieder auf die ursprünglichen 14 Kandidaten zu erweitern. Es sind nur neun geworden, der Rest gab bekannt, nicht mehr zur Verfügung zu stehen - darunter auch Brammertz.
Aber auch aus diesen neun konnten sich die Vertragsstaaten bei ihrer Versammlung kurz vor Weihnachten nicht auf einen Kandidaten einigen. Obwohl sich unter den neun nun auch zwei Schwergewichte befinden: der Brite Karim Khan – er leitet das UN-Team, das Verbrechen der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak ahndet.
Und der Kanadier Robert Petit, ehemaliger Ankläger am Rote Khmer-Tribunal, das die Verantwortlichen für den Völkermord in Kambodscha zur Rechenschaft zu ziehen versuchte.