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Internationaler Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel

Rainer-Berthold Schossig: Morgen, am 23. August, ist internationaler Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel. Die UNESCO hat den Gedenktag auf dieses Datum gelegt, weil an diesem Tag 1791 der legendäre Sklavenaufstand in Santo Domingo ausbrach. Ein Anlass darüber zu reden für uns, ob es heute im Zeitalter der Globalisierung so etwas wie moderne Sklaven gebe. Die Ära des klassischen Sklavenhandels ist ja vorüber und auch der klassische Kolonialismus kam ja angeblich ohne Sklaverei aus. Frage an Shalini Randeria, Sie haben Soziologie und soziale Anthropologie in Neu Delhi, Oxford und Heidelberg studiert, waren am Wissenschaftskolleg in Berlin und jetzt lehren Sie an der Universität Zürich Ethnologie und Sie sagen, es haben sich der Sklaverei durchaus vergleichbare Strukturen erhalten, bis heute. Wie sehen die aus?

    Shalini Randeria: Also die moderne Sklaverei ist ein Terminus, worunter sehr viele unterschiedliche Formen von Unfreiheit subsumiert werden. Da muss man wirklich unterscheiden zwischen Unmündigkeit, zwischen Versklavung, reine ökonomische Ausbeutung, Arbeit unter menschlich unwürdigen Bedingungen, Leibeigenschaft. Das sind sehr, sehr viele unterschiedliche Phänomene, die zum Teil mit der traditionellen Definition von Sklaverei partielle Ähnlichkeiten haben. Wir reden da von Phänomenen, die so unterschiedlich sind, wie im Sudan zum Beispiel die Verschleppung von Frauen, von Mädchen, auch von Männern und Kindern von bewaffneten Gruppen, die dann tatsächlich verkauft werden. Die Frauen werden gezwungen, Kinder zu gebären für ihre Sklavenhalter. Unter diesem Begriff wird auch von Hausangestellten geredet, also junge Frauen aus Sri Lanka oder aus den Philippinen, die in den Golfstaaten für reiche Familien arbeiten, aber auch bei Diplomaten in Genf, in New York, in Paris unter ganz unwürdigen Bedingungen.

    Schossig: Wie kann das alles angehen? "Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden", heißt es 1948 in der Erklärung der Menschenrechte der UNO. Sklaverei, Sklavenhandel sind in allen Formen verboten. Sie haben sich immer wieder zum Thema modernen Sklavenhandel in der globalisierten Welt geäußert. Es gibt doch aber eine weltweite Ächtung der Sklaverei. Wie kann das angehen?

    Randeria: Zwei Sachen muss man da in Erinnerung rufen. Einmal die Tatsache, dass eins der Hauptprobleme, die hinter dieser Art von Menschenhandel, Frauen- oder Mädchenhandel, die dann zur Prostitution gezwungen werden, das finden wir im Moment in Osteuropa, in Zentraleuropa sehr oft, sogenannte billige Arbeitskräfte in Sex Shops oder diese Art von Hausangestelltendasein - das ist alles durch ein wirtschaftliches Gefälle zustande gekommen, das durch die Globalisierung verschärft wird.

    Schossig: Ein wirtschaftliches Gefälle, das uns in Europa, im Westen nützt und das wir vielleicht deswegen etwas nachsichtig betrachten oder eurozentristisch, ist das richtig?

    Randeria: Ja, aber ich weiß nicht, ob uns da - sage ich mal - nur eine Europa/Nicht-Europa Unterscheidung hilft. Dieser Mädchenhandel oder Frauenhandel, womit wir vorrangig in Deutschland dieses Thema verbinden hat natürlich sehr viel von unfreier Migration von Frauen aus Ost- und Zentraleuropa. Das ist ja ein Gefälle innerhalb Europas, das sehr, sehr stark ist. Auf der anderen Seite: Diese Hausangestelltenproblematik, die ich angesprochen habe, das sind junge Mädchen aus Südostasien, aus Sri Lanka, die auch zum Teil in den Golfstaaten arbeiten und insofern würde ich das nicht so sehr auf die Eurozentristik festmachen wollen, sondern vielmehr argumentieren: Es sind die Reichen in allen Ländern, die davon profitieren, dass es möglich ist, Menschen unter unwürdigen Bedingungen auszubeuten.

    Schossig: Man erinnert seitens der UNESCO an die Sklaverei und tut so, als sei das ein paar hundert Jahre vorbei.

    Randeria: Natürlich war die Abschaffung der Sklaverei damals sehr, sehr stark durch die Antisklavereibewegung, die man eigentlich als die erste transnationale zivilgesellschaftliche Koalition betrachten kann und als die erste erfolgreiche Koalition in diesem Fall betrachten kann zwischen zivilgesellschaftlichen Kräften in England und in Amerika. Denen soll man diesen Erfolg zuschreiben. Es waren sehr viele Frauen, die darin aktiv waren, die kirchliche Beteiligung war zentral und das heißt, diese formale Abschaffung der Sklaverei damals war auch nur möglich nicht nur, weil Regierungen unter öffentlichem Druck erst mal rechtlich zugestimmt haben, es abzuschaffen, sondern weil ein sehr, sehr großer öffentlicher Druck da war. Ich glaube einmal das wirtschaftliche Gefälle, das ich angesprochen habe, zweitens nützen uns die Gesetze allein wenig, wenn wir nicht in der Lage sind, deren tatsächliche Umsetzung zu überwachen.

    Schossig: Das ist interessant. Denn die Globalisierung ist einerseits natürlich diese Neuauflage des Kolonialismus als Turbokapitalismus, der ungeheure globale Ausbeutungsmöglichkeiten neu eröffnet, auf der anderen Seite ja aber auch nützlich ist im weltweiten Kampf gegen Menschenhandel wie Sie sagen, gegen Ausbeutung von Arbeits- und Sexsklaven. Das gab es ja alles früher auch - vielleicht in anderen Maßstäben - aber konnte früher gar nicht so global wahrgenommen, auch angeprangert und bekämpft werden wie heute.

    Randeria: Das ist ganz wichtig. Deswegen habe ich auch gesagt, dass man die Globalisierung von beiden Seiten sehen kann. Sowohl von der Seite denjenigen Kräften, die es ermöglichen, Versklavung in der ein oder anderen Form zu betreiben, aber auch von der Seite derer, die versuchen dagegen zu protestieren und auch versuchen, diese Missstände zu ändern. Aber eins, was mir bei diesen Themen immer wieder auffällt ist, wir haben wirklich eine mangelnde Globalisierung, was unser Unrechtsbewusstsein anbelangt.

    Schossig: Zum Schluss noch mal das speziell deutsche Unrechtsbewusstsein, Frau Randeria. Sie sind Inderin, Sie sind in den USA geboren, haben einen Außenblick auf dieses Land. Deutschland gilt ja als ein spezielles Land, es hat wenig Kolonien gehabt und auch nur sehr kurz, es kam als Nation für den Kolonialismus zu spät. Wie sieht das heute aus? Kann Deutschland von sich sagen, dass es eher ein Land ist, in dem diese Problematik genauer und auch strenger gesehen wird als in anderen Ländern?

    Randeria: Das glaube ich nicht. Ich glaube sogar manchmal, wenn ich die wissenschaftlichen Debatten und die öffentlichen Debatten zu diesen Themen in Amerika oder England betrachte, dann kann man sagen - wie paradox es klingt - ironischerweise ist es doch von Vorteil, dass diese Länder Kolonialmächte waren. Dadurch haben sie eine besondere Sensibilität in der Öffentlichkeit für diese Art von Themen wie Kolonialismus, Neokolonialismus. Die Deutschen waschen sehr schnell ihre Hände in Unschuld und sagen: "Damit hatten wir nichts zu tun." Das deutsche Unrechtsbewusstsein ist sehr, sehr stark nur auf die Naziherrschaft konzentriert und dadurch, denke ich, ist es in Deutschland etwas schwieriger, ein öffentliches Unrechtsbewusstsein zu diesem Thema hinzubekommen. Wie Sie merken, also dieser Herero-Aufstand, an dem Deutschland unmittelbar beteiligt war in Südwestafrika, das ist auch in diesem Jahr der Jahrestag...

    Schossig:... vor hundert Jahren ...

    Randeria:... und das ist verhältnismäßig wenig in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen worden.

    Schossig: "Moderne Sklavenarbeit", Frau Randeria, nützt dieser Begriff überhaupt heute bei der von Ihnen angedeuteten Vielfalt der Ausbeutungen und Ausbeutungsmöglichkeiten und -formen. Könnte man vielleicht eher sagen, dass es im Grunde auf die Verwirklichung des Rechtes auf ein eigenes, auf ein selbstbestimmtes Leben ankommt, um Schluss zu machen mit allen Formen dessen, was man Sklaverei nennt? Was wäre zu tun, um dies weltweit durchzusetzen?

    Randeria: Ich glaube, man muss es wirklich in den einzelnen Fällen angucken. Man muss etwas anderes tun, um die Verschleppung von Menschen im Sudan zu stoppen, als die Problematik mit Mädchen- und Frauenhandel in Osteuropa in den Griff zu bekommen. Aber generell kann man glaube ich sagen, dass man vier Schritte ins Auge fassen könnte: Die rechtliche Seite ist schon angesprochen worden, also noch strengere Gesetze, dann müssen diese aber unter einem sehr starken öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Druck überwacht werden, deren Umsetzung muss immer wieder begleitet werden. Dann kommt der letzte Punkt, das wäre tatsächlich ob man nicht sagt: "Wir als Konsumenten sind auch schuld daran, dass diese Art von unwürdigen Arbeitsbedingungen möglich gemacht werden.", ob man nicht Waren boykottiert von Firmen. Eine alte Strategie eigentlich, die damals auch von der Antisklavereibewegung sehr erfolgreich genutzt wurde.

    Schossig: Formen globaler Sklaverei heute und ihre Verdrängung. Das war ein Blick auf den morgigen internationalen Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel. Die US-Inderin Shalini Randeria, sie ist seit dem Jahr 2000 Comissioner der NGO-Dachorganisation World Forum Globalisation.