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Internetzensur in Russland
Enger Spielraum für Blogger und Journalisten

Die Medien und das Internet in Russland werden seit einigen Jahren immer härter kontrolliert. An ihre Grenzen stoßen die russischen Geheimdienste ausgerechnet bei den großen Datensammlern: Bei Google, Facebook und Twitter.

Von Silke Ballweg | 27.02.2018
    Ein großes Auge überwacht einen Mann am Schreibtisch.
    Wer im russischen Netz surft, ist leicht zu bespitzeln (imago / Ikon Images)
    Roman Sacharow hat den Kreml herausgefordert. In einer Art David gegen Goliath-Prozess reichte der Journalist 2006 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen Russland ein. Er wandte sich gegen die anlasslose Telefonüberwachung mithilfe des russischen Überwachungsprojektes SORM, dem "System für operative investigative Aktivitäten". Die Richter sprachen ihm 2015 Schadensersatz zu, sie sahen seine Privatsphäre verletzt.
    "Diese Entscheidung war sehr wichtig für mich, meine Unterstützer und ich, wir tranken Champagner und freuten uns. Das Gericht hatte klar gemacht, dass es eine strikte Trennung zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und der Privatsphäre des einzelnen geben müsse."
    Doch der Sieg blieb symbolisch. Noch am Tag des Urteils verabschiedete die russische Duma ein Gesetz, wonach Entscheidungen des Menschenrechtsgerichtshofs in Russland nicht automatisch angewandt werden müssen.
    "Jeder Bürger kann nun bespitzelt werden"
    In den vergangenen Jahren weiteten die Behörden die Überwachung auch auf das Internet aus, erklärt Irina Borogan, eine der bekanntesten Investigativ-Journalistinnen ihres Landes.
    "Im Zuge des Überwachungsprojekts SORM mussten die Internet- und Telekommunikationsanbieter sogenannte Black Boxes installieren. Und der russische Geheimdienst FSB hat Zugang zu diesen Black Boxes und kann die Daten der Nutzer abfangen und auswerten. Damit kann nun jeder Bürger bespitzelt werden."
    Ausspähen mit Grenzen
    Die Geheimdienste können sehen, welche Webseiten die User aufrufen, was sie posten, auch den Emailverkehr können sie abfangen. Allerdings, und das ist den russischen Behörden bislang ein Dorn im Auge: Zugang zu den Daten ausländischer Internetfirmen wie Google, Facebook oder Twitter haben sie nicht.
    "Die Informationen, die russische Internetnutzer bei Facebook oder Twitter oder anderen globalen Diensten posten, sind bislang noch sicher, weil sich die Server der Anbieter im Ausland befinden. Die russischen Geheimdienste können die Informationen zwar abfangen, aber sie können sie nicht auslesen, weil sie verschlüsselt sind."
    Seit Jahren versucht der Kreml, die Internetriesen per Gesetz zur Verlagerung ihrer Server nach Russland zu zwingen. Doch die haben sich bislang erfolgreich geweigert.
    Seit 2012 verschärfte Kontrollen im Internet
    Anders als in China, wo das Internet von Anfang an scharf kontrolliert wurde, war das Netz in Russland jahrelang relativ frei. Eine kreative und durchaus kritische Blogospähre entwickelte sich über die Jahre.
    Das aber änderte sich 2012. Nachdem russische Demonstranten vor allem über die sozialen Netzwerke große Anti-Putin-Proteste organisiert hatten, verschärften die Behörden mit einer Vielzahl von Gesetzen die Kontrollen im Internet, erklärt Artem Kosljuk:
    "2012 wurde ein sogenanntes Register eingeführt, eine Art schwarze Liste von Webseiten, die gesperrt werden müssen. Inhalte wie Kinderpornografie und Drogenhandel können seither blockiert werden, mithilfe weiterer Gesetze aber auch sogenannte extremistische Inhalte"
    Weit ausgelegter Extremismusbegriff
    Kosljuks Organisation Roskomswoboda dokumentiert das Ausmaß der Sperrungen. Über 100.000 Webseiten würden in dem Register geführt. Weil auch ganze Internetdomänen ins Visier der Zensoren kommen, schätzt er die Zahl der blockierten Seiten auf rund vier Millionen. Auch gegen einzelne Nutzer gehen die Behörden nun vor, sagt Irina Borogan.
    "Ein Mann wurde schon davor zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er beim russischen Netzwerk 'VKontakte' ein Bild von einer Zahnpastatube gepostet hatte, auf dem stand: Drück Russland aus dir raus. Das fanden die Gerichte extremistisch. Es geht vor allem darum, die Gesellschaft einzuschüchtern."
    Dennoch lässt sich das Internet nicht vollständig kontrollieren, meint Irina Borogan mit verschmitztem Lächeln. Sie nennt ein Beispiel aus dem Jahr 2014. Damals hätten offizielle Stellen wiederholt verneint, dass russische Soldaten auf der Krim stationiert worden seien. Ausgerechnet das Internet habe die Version immer unglaubwürdiger gemacht. Denn zahlreiche Soldaten posteten Fotos von sich mit ihren Einheiten. Im Hintergrund bestens zu erkennen: Landschaften und Details von Orten auf der Krim.