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Interstellare Kommunikation
Warten auf Kontakt zu fremder Intelligenz

Am 20. August 1977 schickte die NASA zusammen mit der Raumsonde Voyager 2 eine Datenplatte mit Grüßen, Musik und Bildern in den interstellaren Raum. Deren Inhalt richtet sich an intelligente außerirdische Wesen. Was wäre, wenn doch noch eine Antwort käme? Was würde das für unsere Zivilisation bedeuten?

Von Frieder Butzmann | 20.08.2017
    Die Raumsonde Voyager mit ihrer großen Parabolantenne und mehreren Auslegern für Instrumente und die Energieversorgung
    Die beiden Voyager-Sonden 1 und 2 hatten eine Datenplatte mit Grüßen, Musik und Bildern dabei. Eine Antwort steht noch aus. (NASA)
    Der Exosoziologe Douglas Vakoch behauptet, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten 35 Jahre Kontakt zu außerirdischen Intelligenzen finden werden. Ein Antwortschreiben aber ist unwahrscheinlich. Frieder Butzmann denkt in seinem Essay darüber nach, falls doch eine Nachricht käme: Werden wir sie entziffern können? Was bedeutet sie für unsere Zivilisation? Welche Sprache verstehen die da draußen, sollen wir überhaupt reagieren und womöglich schlafende Aliens wecken?
    Frieder Butzmann, geb. 1954, ist Komponist, Hörspielautor, 
Autor, Künstler und lebt in Berlin.

    Am 20. August 1977 startete von Cape Canaveral in Florida an der Spitze einer Titan-IIIE-Centaur-Rakete die Raumsonde Voyager 2. 16 Tage später, am 5. September, folgte ihre Schwestersonde Voyager 1. Beide sollten sie bis an den Rand unseres Planetensystems und weit darüber hinaus in den interstellaren Raum fahren - vorbei an Saturn, Jupiter und Neptun, deren Schwerkraftfelder man zur Beschleunigung der Raumschiffe ausnutzte.
    Doch nicht die bis heute von Astronomen und Ballistikern bewunderte Leistung der Wegführung der Raumschiffe führte dazu, dass die Sonden sich in unser historisch-kulturelles Gedächtnis eingeprägt haben. Es ist die den Raumschiffen jeweils beigegebene goldeloxierte kupferne Datenplatte mit Grußbotschaften in verschiedenen Sprachen, Musik und analog codierten Fotos von der Erde; in der Größe einer Langspielplatte.
    Promotion-Gag aus dem All
    Womöglich war die Datenplatte nur so etwas wie ein Promotion-Gag. Einerseits murrte der nordamerikanische Steuerzahler über die hohen Staatsausgaben für die NASA. Andererseits war in den Kinos gerade die galaktische Wunderwelt des ersten Star-Wars-Films zu sehen und Steven Spielbergs Begegnung der dritten Art, der die freundliche Ankunft von fremden Wesen auf unserer Erde thematisiert, es war der Kassenschlager der Saison.
    Drew Barrymore (l) als "Gertie" und der Außerirdische "E.T." in einer Szene des gleichnamigen Fantasy-Films von Steven Spielberg. Das kleine Schrumpelwesen von einem fernen Planeten wird aus Versehen von seiner Raumschiff-Besatzung auf der Erde zurückgelassen, freundet sich mit einer Kindergruppe an und stiftet heillose Verwirrung. Sein größter Wunsch, "nach Hause" zurückzukehren, geht nach einem Telefonat mit seinem Heimatplaneten in Erfüllung. "E.T." lief am 9. Dezember 1982 in den deutschen Kinos an und war so erfolgreich, daß er über zehn Jahre Platz eins der Liste der erfolgreichsten Filme anführte.
    Drew Barrymore (l) als "Gertie" und der Außerirdische "E.T." in einer Szene des gleichnamigen Fantasy-Films von Steven Spielberg. (dpa picture alliance)
    Und wie sagte Barney Oliver, ein Master Mind aus Silicon Valley und Mitautor der Voyager-Datenplatte, genannt Plakette, so treffend, aber auch beschwörend: "Die Wahrscheinlichkeit, dass nur ein einziger Außerirdischer diese Plakette jemals zu Gesicht bekommt, geht gegen null. Doch sicher werden Milliarden von Erdbewohnern sie sehen. Ihre eigentliche Aufgabe ist es, den Menschen den zukünftigen Kontakt mit außerirdischen Intelligenzen zu einer freudigen Erwartung werden zu lassen."
    Bilder beflügelten die Fantasie
    Und vielleicht begann die Korrektur unserer aller Sicht auf das Universum von "vorwiegend lebensfeindlich" zu "höchstwahrscheinlich lebensfreundlich" tatsächlich mit den Voyager-Sonden. Beeindruckend sind bis heute die Bilder, die Voyager 1 und 2 von den Planeten Jupiter und Saturn zur Erde funkten. Die Oberfläche von Jupiter als ein mäanderndes animiertes Muster wie aus einer psychedelischen Hippie-Disco, die 100.000 Ringe um Saturn so fein ziseliert wie die Halskrause eines vornehmen spanischen Bürgers des 16. Jahrhunderts. Hinzu kamen Bilder der Jupiter- und Saturnmonde mit erstaunlich unterschiedlichen Erscheinungen. Man kannte davor ja nur den runden Steinmond unserer Erde.
    Diese Bilder beflügelten die Fantasie und finden ihre erste Erfüllung in den 1990er‑Jahren, als weitere Raumsonden feststellen, dass beispielsweise der Jupitermond Europa zwar äußerlich komplett von einer Eiswüste bedeckt ist, sich unter der Eisdecke aber ein Wasserozean mit handwarmen Temperaturen befindet. Lebensformen könnten sich dort durchaus entwickelt haben. Wir werden es womöglich eines Tages erfahren.
    Solcherlei Fantasien wurden in den letzten 20 Jahren immer weiter angeheizt, weil Raumsonden wie beispielsweise das bekannte Hubble‑Teleskop ferne Welten entdeckten: sogenannte Exoplaneten, die jenseits unseres Sonnensystems um andere Sterne kreisen.
    Tech-Branche im Silicon Valley investiert
    Und schon macht man sich auch auf die Reise zu solchen Exoplaneten. Allen voran Juri Borissowitsch Milner, ein russischer Multimilliardär im Silicon Valley. Unter dem Projektnamen "Breakthrough Starshot" will Milner in circa drei bis fünf Jahren einen Schwarm von Nano-Satelliten zum Proxima Centauri B schicken, einem vier Lichtjahre entfernten, aber nächstgelegenen erdähnlichen Exoplaneten. Unterstützt wird die Breakthrough‑Initiative von weiteren bekannten Akteuren der Tech-Branche in Silicon Valley, auch von dem britischen Astrophysiker Stephen Hawking und vom inzwischen 94 Jahre alten Freeman Dyson, Vordenker der Astrophysik und Mathematik.
    Juri Borissowitsch Milner bei der Time 100 Gala 2016 im Jazz at Lincoln Center in New York.
    Der russische Tech-Milliardär Juri Borissowitsch Milner will einen Schwarm von Nano-Satelliten zum Proxima Centauri B schicken. (imago / Future Image)
    Sie rechnen damit, dass die Menschheit zum ersten Mal Bilder von einem extrasolaren Planeten erhalten wird - nach einer circa 25-jährigen Reise, möglich gemacht durch Laserbeschuss von der Erde aus, der seinen Satelliten auf 60.000 Kilometer pro Sekunde beschleunigt, einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit. Wer weiß, was auf diesen Bildern zu sehen sein wird!
    Doch was geschieht, wenn sie anklopfen! - Sie, die Aliens, die Außerirdischen. Werden wir das Klopfen wahrnehmen? Wie wird es beschaffen sein, wie kommt es zu uns?
    Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir innerhalb der nächsten 35 Jahre Kontakt zu außerirdischen Intelligenzen finden, behauptet der amerikanische Exosoziologe Douglas Vakoch. Seine Wissenschaft widmet sich den Entstehungsbedingungen und möglichen Eigenschaften extraterrestrischer Zivilisationen.
    Suche nach außerirdischer Intelligenz
    Seit den 1960er‑Jahren gibt es SETI. SETI ist das Akronym zu Search for Extraterrestial Intelligence - Suche nach außerirdischer Intelligenz. Dahinter verbirgt sich eine große und dennoch sehr locker verbundene Gemeinschaft von hauptsächlich amerikanischen, aber auch europäischen, russischen und chinesischen Wissenschaftlern.
    Seit 1984 gibt es aber auch eine Institution SETI, eine NGO, jahrelang von der NASA finanziell unterstützt, dann von Firmen aus Silicon Valley, allen voran Hewlett Packard. Und tatsächlich horchen sie das Himmelszelt nach Radiowellen ab.
    SETI sucht unermüdlich im elektromagnetischen Chaos der kosmischen Hintergrundstrahlung auf verschiedensten Frequenzen.
    Zumeist mit dem 1963 erbauten hochempfindlichen Arecibo Observatory in Puerto Rico - einem der größten Radio-Teleskope der Welt mit einer Empfangsschüssel von 300 Meter Durchmesser.
    Das Projekt SETI@Home! flankiert diese Suche. Tausende interessierte Laien aus allen Winkeln der Erde bilden die Gemeinschaft SETI@Home, sie haben sich die Software SETI@home Astropulse auf ihre privaten Rechner geladen, stellen so dem SETI Projekt Rechenleistung zur Verfügung.
    Frage: Was hofft SETI zu finden? Antwort: eine Struktur! Ein Signal, das sich der reinen Zufälligkeit entzieht, hinter dem somit eine intelligente Absicht steht, eine höchst wahrscheinlich bewusst erstellte Botschaft: Eine Zahlenfolge, die nicht zufällig sein kann. Irgendetwas, das man kennt, erkennt! Wenn Außerirdische gerne Kontakt mit uns aufnehmen würden, dann würden sie klugerweise ein Leuchtfeuer in das Weltall senden. Vielleicht eine mathematische Reihe, die jeder kennt. Beispielsweise Primzahlen! Sendet man 3, 5, 7, 11, 13, ... dann würde jeder Amateurfunker sofort nachfragen: Hallo, wer sendet dies? Bitte melden!
    Botschaften von der Erde
    Doch es gibt assoziiert mit SETI auch METI: Messaging Extraterrestrial Intelligence - Botschaften an Außerirdische. Unmöglich, alle aufzuzählen, die seit den 1960er‑Jahren willentlich in den Himmel gestrahlt wurden. Die bekannteste ist wohl die Arecibo-Botschaft von 1974, benannt nach dem schon erwähnten Arecibo-Teleskop. Sie wurde in eine Region des Himmels gestrahlt, wo besonders viele Sterne und damit potenzielle Empfänger lokalisiert sind, zum Kugelsternhaufen M13 im Sternbild Herkules. Sie bestand aus Informationen über die Herkunft des Signals, über die Biologie des Menschen, die menschliche DNS und unser Sonnensystem - alles sehr spartanisch in grafischen Symbolen als farbige Muster gesendet.
    Publikumsträchtiger ist allerdings ein Projekt von 2008: A Message from Earth. Es wurde ausgesandt vom Evpatoria-Teleskop in der Ukraine an den erdähnlichen Exoplaneten Gliese 581c. Vorwiegend junge Menschen aus aller Welt luden Fotos, Zeichnungen, Texte auf eine Website, stellten sich als Erdbewohner selbst dar und sandten einen Gruß an den Exoplaneten und alle fremden Kulturen. Viereinhalb Stunden lang ist die Botschaft als Stream und wird erst im Jahre 2028 auf dem Exoplaneten zu empfangen sein. Erste Reaktionen sind also frühestens 2048 zu erwarten!
    Viele solcher Message-Projekte sind mittlerweile auf dem Weg zu irgendwelchen Winkeln des Weltalls. Sogar der deutsch-französische Fernsehsender Arte veranstaltete 2006 einen Themenabend und sendete mit dem Film "CosmicConnexion" an ein 45 Lichtjahre entferntes Doppelsternsystem - "das erste intergalaktische Fernsehprogramm für Erdlinge und Außerirdische".
    Auf der Suche nach der passenden Sprache
    Doch machen wir uns Gedanken: In der Archäologie werden unbekannte Sprachen und Schriften der Vergangenheit zumeist durch Vergleich mit bekannten Schriften bzw. aufgezeichneten Begriffen entziffert. Das berühmteste Beispiel ist der 1799 in Ägypten gefundene Stein von Rosetta, auch als Dreisprachenstein bekannt, in dem ein und derselbe Text in Griechisch, Demotisch und in Hieroglyphen festgehalten ist. Durch Vergleiche der drei Texte konnte man die Hieroglyphen, die bis dahin in Europa als allegorische Darstellungen im Rahmen okkulten Geheimwissens missgedeutet wurden, als phonetische Schriftzeichen ausmachen.
    Aufnahme des Rosetta-Steins im British Museum London.
    Der 1799 in Ägypten gefundene Stein von Rosetta ist auch als Dreisprachenstein bekannt: Ein und derselbe Text ist in Griechisch, Demotisch und in Hieroglyphen festgehalten. (dpa / epa / Trustees of the Britain Museum)
    In der von der NASA herausgegebenen umfangreichen Schrift Archaeology Anthropology and Interstellar Communication, in der es ausschließlich um interstellare Kommunikation und die Kontaktaufnahme mit außerirdischen Wesen geht, wird dieser Stein immer wieder als Stellvertreter für die Suche nach gemeinsamen Zeichen mit einer uns noch unbekannten Kultur an einem unbekannten Ort im Weltraum angeführt.
    Wenn wir als Menschheit Rufbotschaften ins All an eine außerirdische Kultur senden, muss so etwas wie ein Stein von Rosette als Grundlage der Kommunikation gesetzt sein.
    Mathematische Grundlagen zur interstellaren Kommunikation?
    Ausgehend von der - wenn auch umstrittenen - Annahme, dass Mathematik nicht nur ein irdisches Beschreibungssystem der Welt ist, sondern dass die Welt und der Kosmos sogar so funktionieren wie die Mathematik, sind mathematische und wissenschaftliche Grundlagen zur interstellaren Kommunikation der beste Stein von Rosette.
    Schon um 1820 schlug Karl Friedrich Gauß vor, ein den Satz des Pythagoras darstellendes Dreieck mitsamt den Quadraten über dessen Seiten auf riesigen Kornfeldern in der sibirischen Tundra anzupflanzen. So könnten außerirdische Beobachter der Erde von weitem sehen, dass hier intelligente Wesen wohnen.
    Also nahm man in den 1960ern - dem ersten Jahrzehnt der bemannten Raumfahrt - gern die alte Idee einer lingua cosmica auf.
    Der niederländische Mathematiker Hans Freudenthal betrieb schon vor 1960 die Konstruktion einer universellen Sprache mit Namen Lincos, die ganz auf mathematischer Basis, bis heute am Massachusetts Institute of Technology in Boston als Cosmic-OS weiter entwickelt wird.
    Bei all diesen universalen Sprachen wird beispielsweise davon ausgegangen, dass jedes intelligente Wesen im Kosmos einen Begriff von "eins" und von "zwei" hat. Wenn man die Zahl "eins" eindeutig durch ein abstraktes Symbol, einen Punkt/einen Strich darstellt, dann kann man die Zahl "zwei" damit als Doppelsymbol darstellen. Damit hat man auch gleich einen Begriff von Entwicklung, nämlich von "eins" zu "zwei" und man hat auch einen Begriff von "größer als" und "kleiner als".
    Das sind einfache mathematische Dinge. Freudenthal hat dies so weit entwickelt, dass Wahrheitswerte und sogar logische Aussagen übermittelt werden können.
    Mathematik in Kombination mit grafischer, symbolischer Darstellung
    Und damit sind wir zurück bei den Raumsonden Voyager 1 und 2, die 1977 mit Botschaften an intelligente extraterrestrische Lebewesen ins All geschickt worden sind. Denn diese Idee, durch Mathematik in Kombination mit wissenschaftlich grafischer, symbolischer Darstellung komplexere Informationen weiterzugeben, stand auch hinter den Darstellungen, die auf dem Cover der Voyager-Datenplatten eingeritzt sind.
    Für jeden Wissenschaftler symbolisiert ein Kreis mit einem Punkt in der Mitte Kraft seiner schematischen Gestalt das Bohrsche Atommodell. Und wer es als solches identifiziert, erkannt hat, - so die Annahme - wird auch die schematische Abstraktion, nämlich einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte, eindeutig als Wasserstoffatom identifizieren: 1 Proton im Kern und 1 Elektron auf der umgebenden Bahn. Da dieses Wasserstoffatom zweimal nebeneinander, quasi als Zwilling mit nur geringfügiger grafischer Unterschiedlichkeit in die Botschaft des Jahres 1977 eingeritzt ist, wird jeder extraterrestrische Wissenschaftler assoziativ die zwei Zustände des Wasserstoffatoms erkennen. Und: Ihm wird gleich die charakteristische Schwingfrequenz des Wasserstoffatoms bekannt sein mit einer Dauer von 0,7 milliardstel Sekunden.
    Diese Botschaft wird dem außerirdischen Betrachter aber nur dann nützlich, wenn er eine andere wissenschaftliche Annahme bzw. Erkenntnis nutzt: nämlich den Satz von Gottfried Wilhelm Leibniz, dass "jegliche Information, das heoßt jegliche Zahl in zwei Zuständen ausgedrückt werden kann". In unserer digitalen Welt sind diese beiden "Zustände" bekannt als Einsen und Nullen, durch die bekanntermaßen alles, was wir medial wahrnehmen, erstellt, übertragen und zusammengesetzt wird.
    Die lange Reihe von Querstrichen und Hochstrichen auf dem Cover der Datenplatte von Voyager 1 erinnert frappant an diesen Wechsel von zwei Zuständen, von Einsen und Nullen. Da es sich um die einfachste und grundlegendste Art handelt, eine Zahl darzustellen, ist stark zu hoffen bzw. anzunehmen, dass der hypothetische Außerirdische den Binärcode erkennt. Weiteres Entziffern der Cover-Angaben führt durch Nachdenken und Multiplizieren zu der Zeit, in der sich die Datenplatte einmal um ihre Achse dreht. Da der Datenplatte neben der gerade beschriebenen Metainformation auf dem Cover auch ein Abtastkopf, sprich eine Abtastnadel beigegeben wurde, ist nun alles technische Know-how um die Daten, die Bilder, die Töne zum Leben zu erwecken, vorhanden.
    Viel Glück!
    Bach und Beethoven neben Chuck Berry und Blind Willie Johnson
    Soviel zum Grundmuster einer interstellaren Erstbotschaft. Es demonstriert: Durch Daten aus gemeinsam bekannten Naturgesetzen und Mathematik in Kombination mit grafischen Darstellungen werden durch Aneinanderreihung von Datenklötzchen auf Datenstöckchen komplexere Informationen generiert.
    Die Rückseite der Himmelsscheibe von Nebra (l) und die Scheibe "Voyager Golden Record" betrachtet eine Besucherin in der Ausstellung "Codiert für die Ewigkeit" im Besucherzentrum Arche Nebra am Mittwoch (29.04.2009) in Wangen (Burgenlandkreis). Die Masterkopie der Himmelsscheibe steht erstmals neben der Kopie der "Voyager Golden Record", die im Original 1977 als Datenplatte mit US-Raumsonden ins All geschickt worden ist. 
    Eine Masterkopie der Datenplatte "Voyager Golden Record" (r.), die 1977 als Datenplatte mit US-Raumsonden ins All geschickt wurde - hier neben der Himmelsscheibe von Nebra (dpa-Zentralbild / Peter Endig)
    Doch schauen wir uns die Datenplatte selbst an. Deren größter Datensatz besteht aus 27 Musikstücken, deren Abspielzeit insgesamt 87 Minuten und 16 Sekunden beträgt.
    Musikstücke? Was werden Aliens mit einem Streichquartettsatz von Beethoven oder einem Satz aus Johann Sebastian Bachs Brandenburgischen Konzerten anfangen können? Wird ihnen der Song Johnny B. Goode von und mit Chuck Berry etwas sagen? Wie werden die Peruanischen Hochzeitsgesänge oder das Spiritual von Blind Willie Johnson rezipiert werden?
    Man fragt sich, ob es überhaupt Sinn ergibt, den Außerirdischen solche Musik zu schicken. Diese Frage wurde auch dem Exosoziologen Douglas Vakoch gestellt, dessen Organisation METI die Kontaktaufnahme zum Extraterrestrischen zum Forschungsgegenstand erhob.
    Und der antwortete ebenso überraschend wie verblüffend einleuchtend: "Was könnten wir ihnen denn besseres senden, als das Wertvollste und Schönste was wir haben: unsere Musik!?"
    Es fällt schwer, dieser Aussage etwas zu entgegnen.
    Ein neuer, künstlerischer Ansatz
    Doch was werden die Aliens davon denken? Sie werden hoffentlich erst mal hinhören und nach dem Zweck dieses akustischen Reizes fragen. Den extraterrestrischen Hörern mit feineren Ohren wird womöglich auffallen, dass alle Werke eine bestimmte Anzahl von Schwingungsfrequenzen innerhalb der physikalischen Größe Oktave benutzen, nämlich 12 an der Zahl. Selbst wenn es dort draußen keine Idee von Musik als einer ästhetischen Wahrnehmung von Klängen jenseits der rein physikalischen Beschreibung gibt, so wird man ob dem Fehlen logischer oder mathematischer Notwendigkeit vielleicht dennoch eine immanente, strenge, Struktur aufwerfende Harmoniefolge feststellen. Die Menschen nennen so etwas Musik.
    Auf eine ungeahnte, gar seltsame, komisch-kosmische Weise könnte der Begriff der Musik als einer universellen Sprache einen neuen Sinn erhalten.
    Und tatsächlich scheint sich ein Paradigmenwechsel anzukündigen. Einige der Wissenschaftler im SETI Umfeld bringen jetzt anstelle von mathematischen Selbstverständlichkeiten und naturwissenschaftlichem Denken einen neuen, künstlerischen Ansatz ins Spiel. Dazu gehört Jon Lomberg, ein amerikanischer Wissenschaftsjournalist und "Space"‑Künstler, dessen Kunst sich von der Astronomie inspirieren lässt. Lomberg und der wissenschaftspolitische Berater der UNESCO Guillermo Lemarchand fordern, sich zunächst mit den universalen Gesetzen zu beschäftigen, statt in himmlischen Frequenzen herumzustochern. Dafür verwenden sie den Forschungsbegriff "Cognitive Universals", der von der Psychologie der "Cognitive Map" abgeleitet ist. Eine Cognitive Map ist dort gleichbedeutend mit dem im Kopf abgelegten Wissen, den Gedanken, Bildern und Erinnerungen, die unsere unmittelbare Umwelt repräsentieren, sie in ihrer Gesamtheit beschreiben.
    Die Welt als sich stetig verändernde Ganzheitlichkeit
    Jedes wahrnehmende und verarbeitende Lebewesen, Mensch, Tier, sogar Pflanze und nach diesen Auffassungen auch Außerirdischer, muss im Laufe seiner Evolution oder Kulturgeschichte Problemlösungen, das heißt eigene Techniken, Sichtweisen von Teilaspekten entwickeln: Cognitive Universals!
    Als ein Beispiel führen sie die Symmetrie an, so wörtlich: "Wir haben die radiale und die Achsensymmetrie, sowie andere ästhetische Prinzipien wie den Goldenen Schnitt untersucht und festgestellt, dass sie die Suche nach Variablen im kosmischen Heuhaufen etwas einschränken." Diese Gesetze sind so universell, dass sie auf die Form der Galaxien ebenso wie auf die Meeresschnecke Nautilus oder die Muster der Sahne in unserem umgerührten Kaffee zutreffen.
    Denken und Sprache der Menschen zwischen Mikro- und Makrokosmos offenbaren eine Wissenschaft, deren Zahlenreihen oder grafische Darstellungen der Teilaspekte von Naturkonstanten die Welt eher zerpflücken denn als ein Ganzes zugänglich machen.
    Ein Lebewesen, das sein Erkennen der Welt aus ganzheitlichem Wahrnehmen von Atmosphären, Oberflächen, Räumen, Zuständen beispielsweise aus Gerüchen gewinnt oder - ähnlich wie Fledermäuse - fast ausschließlich Schallechos zur räumlichen Abbildung der Umwelt einsetzt, wird die Welt als sich stetig verändernde Ganzheitlichkeit begreifen.
    Fibonacci-Reihe statt Satz des Pythagoras
    So schlägt Lemarchand vor, anstelle des Satzes des Pythagoras oder anstelle von Infos über die Schwingfrequenz des Wasserstoffatoms besser die ersten 13 Zahlen der Fibonacci-Reihe als binären Code in den Weltraum zu senden. Diese Zahlenreihe hat sowohl unter Mathematikern als auch unter Künstlern eine besondere Aussagekraft. Sie beschreibt - laienhaft gesagt - so etwas wie einen dreidimensionalen Goldenen Schnitt. In den Weltraum gesendet sollte sie neben der mathematischen Kompetenz auch die ästhetische Einsicht der menschlichen Wesen darstellen und sozusagen für sie "werben".
    Aufsicht auf einen Romanesco. 
    Auf der grünen Blumenkohlart "Romanesco" sind fraktalähnliche Strunkturen zu sehen. Sie bilden eine ineinander aufbauende Spirarale, vergleichbar mit einer sogenannten Fibonacci-Folge aus der Mathematik (dpa / Jan-Peter Kasper / Universität Jena)
    Auch wenn wir hier Immanuel Kant 1755 aus seinem Text Von den Bewohnern der Gestirne zitieren können: "Denn eins ist sicher, sie sind da draußen!", wollen wir zum Schluss realistisch sein. Der Kontakt mit außerirdischen Zivilisationen steht im Moment nicht wirklich an. Aus physikalischer und technischer Sicht ist der direkte Kontakt, das heißt das Eintreffen fremder Wesen aus einer anderen Region der Galaxis oder gar aus noch größeren Unweiten des Weltalls nach wie vor unvorstellbar.
    Wie könnten außerirdische Zivilisationen beschaffen sein?
    Und doch müssen wir bei allen Aspekten zur interstellaren Kommunikation in Betracht ziehen, dass es Lebensformen gibt, die völlig anders sind als wir. Was wäre beispielsweise, wenn es intelligente Wesen gäbe, die 1.000 oder mehr Jahre alt werden können. Deren Individuen könnten doch mal 100 Jahre dafür abzweigen, um auf der Erde vorbeizuschauen.
    Oder es gibt vielleicht eine Kultur auf einem Exoplaneten, die sich im Laufe ihrer Evolution entschlossen hat, Abkömmlinge ihrer Spezies als Spermien bzw. Embryos zu anderen Planeten zu schicken, um diese - für lange Zeit haltbar gemacht - eines Tages auch unsere irdische Biosphäre erreichen zu lassen.
    Nachdem man in den letzten Jahren immer wieder festgestellt hat, dass Meteore voll von organischen Verbindungen sind, bis hin zu komplexeren Molekülen und einfachen Aminosäuren, wird hin und wieder spekuliert, dass alles Leben im Weltall irgendwie miteinander verbunden sein könnte, dass die Evolution bei gleicher Ausgangsbasis in verschiedenen Umgebungen, sprich auf verschiedenen Planeten, analog zueinander verlaufen sein könnte. Eine Überlegung, die dafür spräche, dass der Außerirdische nicht per se völlig anders ist als wir, sondern uns ähnlich sein könnte.
    Aber nein! Wir wissen nicht, wie diese Wesen beschaffen sind. Doch wir wissen, dass wir seit mehr als 100 Jahren elektromagnetische Wellen ins All schicken: Radio, Fernsehen, Funksignale, die im Umkreis von 100 Lichtjahren empfangen werden können. Falls die Behauptung, es existiere kein plausibles Argument dafür, dass wir als intelligente Wesen ein seltener Sonderfall im Weltall sind, stimmt - dann können wir mit einer im wahrsten Sinne des Wortes astronomisch hohen Anzahl an Mithörern und Mitsehern rechnen.
    Das erste Zusammentreffen soll geplant sein
    "Es ist zu spät, als dass wir uns im Universum verstecken könnten. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir uns darstellen", sagt der Exosoziologe Douglas Vakoch.
    In einem Vortrag bei der NASA, in dem es um die möglichen Folgen für die Menschheit nach einem Kontakt mit außerirdischen intelligenten Wesen ging, sagte der Anthropologe Ashley Montagu schon 1972: "Ich denke, wir sollten nicht einfach abwarten, bis der Kontakt geschieht; wir sollten uns bewusst darauf vorbereiten. Aus unserer Historie wissen wir, dass die Art und Weise, wie das erste Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen abläuft, stark den Charakter der darauf folgenden Beziehungen bestimmt."
    Und damit taucht die Frage auf: Wie werden wir reagieren, wenn intelligente Lebewesen uns gegenüber stehen, die völlig anders aussehen als wir, deren Absichten wir aufgrund fehlender Erfahrung überhaupt nicht einschätzen können, die uns aber im selben Augenblick durch ihr Verhalten und ihre Präsenz eine Reaktion abfordern.
    In unserem kulturellen Gedächtnis ist das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen mehr mit Konflikt, Konfrontation, Auseinandersetzung bis hin zum Krieg, denn mit Austausch, gegenseitiger Achtung und Voneinanderlernen verbunden. Man denke an die Begegnungen des weißen Mannes mit den Buschmännern im Südosten Afrikas, mit den Inkas oder Indianerstämmen Nordamerikas.
    Und so gibt es auch warnende Stimmen, die mit der Ankunft von uns möglicherweise überlegenen Wesen ein desaströses Szenario befürchten. Werden wir fähig sein, uns zu wehren, wenn die Aliens, wie in Dutzenden Science-Fiction-Filmen dargestellt, uns nicht freundlich gesinnt sind, sondern unseren Planeten lediglich als auszubeutende Ressource begreifen!?
    Beschäftigung mit interstellarer Kommunikation auch eine Chance der Selbstbetrachtung
    Doch welche Chancen tun sich auf, wenn diese Begegnung und die Zeit danach friedlich verläuft und von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet ist. Allein die Fragen, die gegenseitig gestellt werden könnten, übersteigen die Vorstellungskraft. Wie sehen ihre Wahrnehmungsorgane aus, was sehen, was hören diese Wesen von der Welt? Wie hat sich ihre Evolution entwickelt? In Darwinscher Weise oder ganz anders? Woraus ziehen sie Energie? Gibt es auf deren Heimatplaneten so etwas wie Religion, Gott? Kennen sie so etwas wie Krieg? Haben sie diesen womöglich im Laufe der Geschichte irgendwann ein für allemal überwunden? Oder ist die Aggression lebender Wesen eine universelle Notwendigkeit, ein Cognitive Universal?
    Auf jeden Fall wird der Mensch abermals sein Selbstbild als Mittelpunkt der Schöpfung verlieren. Und er wird sich nicht mehr als einsame Spitze einer durch Rationalität und Erkenntnismächtigkeit gekennzeichneten Evolution begreifen können, sondern muss sich mit anderen vergleichen.
    Zumindest ist somit die Beschäftigung mit interstellarer Kommunikation auch eine Chance der Selbstbetrachtung, zum Innehalten, zum Relativieren eigener Haltungen. Denn gewiss steht hinter all den beschriebenen Gedanken und Aktivitäten zur interstellaren Kommunikation vor allem die uralte Frage nach dem eigenen Sein.
    Aber doch auch die bange Frage: Ist da jemand da draußen? - Antworten Sie doch!