Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Interview der Woche
Zollitsch: Tragweite von Missbrauchsfällen nicht geahnt

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hat Versäumnisse bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen eingeräumt. Im "Interview der Woche" sagte er, damals habe er sich nicht vorstellen können, dass so etwas in dieser Weise in der katholischen Kirche passiere. Heute würde er früher aktiv werden und stärker auf die Menschen zugehen.

Robert Zollitsch im Gespräch mit Matthias Gierth | 22.12.2013
    Der Freiburger Erzbischof und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch, links schimmert der Glanz einer Weihnachtskerze
    Zollitsch über die Wahl von Franziskus zum Papst: Ich spüre den Unterschied deutlich. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Matthias Gierth: Herr Erzbischof, 2013 wird als Jahr der katholischen Überraschungen vermutlich in die Geschichte eingehen. Benedikt XVI. tritt völlig überraschend zurück. Ein neuer Papst wird gewählt – und dann dieser Papst. Wenn Sie die katholische Kirche zu Beginn und zum Ende dieses Jahres miteinander vergleichen, worin liegt für Sie der größte Unterschied?
    Robert Zollitsch: Ich spüre den Unterschied deutlich. Wir sind in das Jahr hineingegangen so ein bisschen müde, hätte ich fast gesagt. Dann kam, wie Sie sagten, die erste große Überraschung, dass Papst Benedikt am Rosenmontag zurücktrat und wir da natürlich schon darüber verwundert waren, aber auch angenehm, weil ich sagte: Hier hat jemand gezeigt, dass er verantwortlich handelt. Dieses Amt stellt eine große Herausforderung dar, und wenn ich spüre, ich bin von meinen physischen Kräften nicht mehr in der Lage, es voll auszufüllen, dann ist es eine ehrliche Entscheidung, die hohen Respekt verdient. Natürlich waren wir dann gespannt: Wer wird der neue Papst werden? Und dann war die Überraschung riesengroß, dass ein Papst jetzt aus Lateinamerika kommt. Ein Papst, der nun auch von dieser Statur ist. Und Sie haben recht, es hat sich vieles verändert. Denn schon wie am Abend seiner Wahl der Papst sich auf die Menschen zubewegte, die Menschen um ihr Gebet für ihn bat, wie er dann eben sie segnete und sie einlud, gemeinsam den Weg des Glaubens weiter zu gehen, das war für uns schon ein deutliches Zeichen: Er will bei den Menschen sein, will mit den Menschen sein, geht auf die Menschen zu. Und die Zeichen, die er gesetzt hat, die bestätigen dies. Denken wir an seinen überraschenden Besuch auf Lampedusa. Denken wir an Gründonnerstag, an die Feier des Gottesdienstes in dem Gefängnis mit Jugendlichen. Denken wir jetzt aber auch, wenn er von Barmherzigkeit spricht, was das für ihn bedeutet. Und wir haben jetzt natürlich in diesem neuen Schreiben von ihm, diesem pastoralen Schreiben, Evangelii Gaudium, dann gespürt: Ja, er macht ernst damit. Er lädt uns ein, auf die Menschen zuzugehen, lädt uns ein auf die Armen zuzugehen – aber nicht nur die physisch und materiell Armen, sondern auch die Fragenden, Suchenden –, sie ernst zu nehmen und mit ihnen den entsprechenden Weg zu gehen. Und damit spüre ich: Das ist verstanden worden in der Welt. Und ich staune, wie positiv bis heute die Presse diese Dinge aufnimmt und wie gut die Menschen über ihn sprechen – mir sagte dieser Tage eine Religionslehrerin: Papst Franziskus macht es mir leicht, denn die Leute sind aufmerksam, sie sind aufgeschlossen, sie freuen sich über diesen Papst. Und das hat nicht nur der katholischen Kirche neuen Schwung gegeben.
    Gierth: Jetzt haben es die Aussagen, die Franziskus in diesem Lehrschreiben vorlegt, in sich: Relativierung des Papsttums, Lehrgewalt für die Bischofskonferenzen, eine Unterteilung der Lehre in zentrale und weniger wichtige Inhalte. Wie konnte es eigentlich geschehen, dass ein Kardinalskollegium aus überwiegend ja doch konservativen Kirchenführern einen Revolutionär wie Franziskus zum Papst gewählt hat?
    Zollitsch: Die Mehrheit der Kardinäle hat zweifellos gespürt, bei dieser Weltkirche von 1,2 Milliarden Katholiken, da muss Einiges geschehen. Diese Kirche kann nicht mehr so zentral von Rom aus verwaltet und regiert werden, wie das über Jahrzehnte hinweg versucht worden ist. Und deswegen sagt der Papst: Ja, der Papst muss nicht alles selber entscheiden, vieles können die Bischöfe entscheiden. Der Papst muss auch nicht die Verantwortung allein tragen, die sollen die Bischöfe mit wahrnehmen. Und er spricht auch davon, dass die Bischöfe an diesem Lehramt teilhaben, dass es eine kollegiale Seite ist. Damit greift er das, was das Zweite Vatikanische Konzil über das Bischofskollegium sagt, auf und zeigt: Ich möchte das auch nun in die Tat umsetzen. Und das ist für mich ein großartiges Zeichen und damit zugleich auch die Dezentralisierung oder – nennen wir es positiv – die Wertschätzung der Subsidiarität. Das heißt, was die kleinere Gemeinschaft machen kann, soll die größere ihr nicht abnehmen, sie soll sie eher dabei unterstützen.
    links: Papst Franziskus, rechts: Robert Zollitsch
    Empfang beim Papst Franziskus: "Einer, der erneuert" (picture alliance / dpa / Osservatore Romano)
    Gierth: Würden Sie ihn denn als revolutionär bezeichnen?
    Zollitsch: Es ist immer die Frage, was man unter revolutionär versteht. Er ist sicher einer, der erneuert, einer der auch Überraschungen für diese Kirche bringt. Insofern sind durchaus manche Gesichtspunkte dabei, die man gut verstanden, auch revolutionär nennen kann, denn es geht ja um die Erneuerung, da das Neue hervorzubringen. Und das tut er.
    Gierth: Sie haben die Ortskirchen angesprochen. Ihre Erzdiözese Freiburg hat ja kürzlich durch seelsorgerliche Leitlinien zur Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten für Aufsehen gesorgt. Der Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, hat Sie daraufhin aufgefordert, die Leitlinien zurückzunehmen und zu überarbeiten, denn es dürften nicht – so sagte er – Wege offiziell gutgeheißen werden, die der kirchlichen Lehre entgegen ständen. Kämpfen in Rom und vor Ort derzeit auch unterschiedliche Strömungen der Kirche gegeneinander? Auch wenn man den Papst hört und dann seinen Präfekten?
    Zollitsch: Diese Handreichung, die unser Seelsorgeamt erarbeitet hat, will eine Antwort geben auf die Situation der Menschen unserer Kirche, deren Ehe gescheitert ist und die eine neue Verbindung, eine eheliche Verbindung, eingegangen sind vor dem Standesamt. Und die große Frage ist: Wo ist ihr Ort in der Kirche? Etwa, wie arbeiten sie mit? Welche Aufgaben können sie wahrnehmen? Welche Funktionen kann man übertragen? Und bis hin, wie ist es mit ihrem Wunsch, die Sakramente der Eucharistie und der Buße auch zu empfangen? Wie gehen wir damit um? Das sind Anliegen, die wir haben. Und wir sagten: Ja, wir müssen mal überlegen, wie wir da eine gewisse gemeinsame Linie schaffen können – immer vorausgesetzt, dass die Ehe für uns ganz klar unauflöslich ist. Der Präfekt der Glaubenskongregation hat die Position dargelegt, die er bisher vertritt, und das ist sein gutes Recht. Aber wenn ich etwa an Kardinal Kasper denke, dann sagt er aber auch: Hier muss Einiges geschehen angesichts dessen, dass heute ein Drittel bis 40 Prozent der Ehen scheitern und sie dann eine neue Verbindung eingehen. Wir müssen schauen, wie die Situation da ist, wenn jemand gescheitert ist, Umkehr geleistet hat und wirklich sich neu orientieren will, auch Buße tut – gibt es für ihn auch einen neuen Weg in der Kirche? Und da meint Walter Kasper: Ja, wir müssen diesen Weg gehen. Insofern gibt es durchaus verschiedene Positionen auch in der Kurie. Und ich bin überzeugt, diese Positionen, die werden dann eingebracht werden, etwa jetzt in die außerordentliche Bischofssynode in Rom. Und die Fragen, die nun vom Sekretär der Bischofssynode auch jetzt an alle Gläubigen geschickt wurden, die fragen ja nach der Situation der Ehe, nach der Situation des Glaubens, nach denen, die nun vor der Ehe zusammenleben, nach denen, die nun geschieden sind und wieder verheiratet sind. Die wollen ja wissen, wie es damit steht. Das ist für mich ein gutes Zeichen. Da wird in unserer Kirche weltweit drüber gesprochen. Und ich bin froh, dass diese Frage einfach wirklich offen diskutiert wird und die Bischofssynode, so hoffe ich, eine entsprechende Antwort finden wird.
    Gierth: Aber wenn wir diesen Disput mit dem Präfekten der Glaubenskongregation noch einmal anschauen, haben Sie manchmal den Eindruck, der Wandel in Rom vollzieht sich zu schnell für bestimmte Kreise?
    Zollitsch: "Es gibt sicher Kreise, die natürlich mit dem neuen Stil des Papstes sich schwertun"
    Zollitsch: Es gibt sicher Kreise, die natürlich mit dem neuen Stil des Papstes sich schwertun. Die fühlen nun, dass ein Papst kommt, der einerseits nicht mehr in den Apostolischen Palast zieht, der viel einfacher sich kleidet und auch nicht mehr die berühmten Schuhe und all das trägt und der zugleich auf Nähe zu den Menschen setzt und wirklich ernsthaft von Barmherzigkeit spricht, wie ich den Menschen begegne. Das ist natürlich für das Denken mancher, die in anderer Weise in der Kurie aufgewachsen waren, fremd, vielleicht manchmal sogar schockierend. Und es ist klar, Papst Franziskus hat Zeichen gesetzt, aber Papst Franziskus muss auch handeln, denn er ist 77 Jahre alt und da wird ihm auch gar nicht mehr sehr viel Zeit gegeben sein. Und er spürt den Auftrag vom Vorkonklave, von den Kardinälen, die ihn gewählt haben, wirklich diesen Weg der Erneuerung der Kirche und auch der Kurie zu gehen.
    Gierth: Warum ist es eigentlich aus den Reihen der deutschen Bischöfe, mit Blick auf Evangelii Gaudium, doch verhältnismäßig ruhig geblieben? Eigentlich sind da ja, mit Blick auf die Stellung der Bischofskonferenzen, Steilvorlagen gemacht? Liegt das auch daran, dass mit Blick auf Ihr Ausscheiden aus dem Vorsitz in wenigen Wochen, so etwas wie ein Machtvakuum entsteht?
    Zollitsch: Einerseits haben wir bei der letzten Vollversammlung derart Papst Franziskus in den Mittelpunkt gestellt und uns an ihm orientiert, dass sich alle äußern, die ich kenne, spüre, die Leute freuen sich darüber. Und ich bin sehr froh und sehr dankbar über dieses neue päpstliche Schreiben. Vielleicht sind wir natürlich auch in einer Übergangssituation. Denn wenn im März ein neuer Vorsitzender gewählt wird, wird es natürlich auch einen Generationenwechsel bedeuten. Da ist natürlich auch eine gewisse Überlegung: Ja, wie geht dann der Weg der Kirche in Deutschland in die Zukunft? Wie gehen wir diesen Weg gemeinsam? Und das wollen wir natürlich auch vor der Wahl des neuen Vorsitzenden miteinander besprechen. Ich bin zuversichtlich, dass tatsächlich dieses Schreiben von den deutschen Bischöfen höchst offen aufgenommen wird, ja, mit großer Freude.
    Gierth: Das Schreiben hat auch deswegen für so viel Furore gesorgt, weil es scharf das herrschende Wirtschaftssystem kritisiert. Die FAZ hat das mit den Worten kommentiert – ich zitiere mal: "Derselbe Papst, der für den Freimut in der Kirche eine Lanze bricht, wie niemand vor ihm, schürt das traditionelle antifreiheitliche Ressentiment der Kirche gegenüber Wirtschaft und Staat wie kaum einer seiner Vorgänger." Wird die Sozialkritik des Lehrschreibens der wirtschaftlichen Realität auf dem Globus aus Ihrer Sicht wirklich gerecht?
    Zollitsch: Papst kritisiert nicht die Soziale Marktwirtschaft
    Zollitsch: Papst Franziskus spricht tatsächlich sehr viel Kritik an, an der Frage der Wirtschaft, wie er sie erlebt. Das ist aber die reine Marktwirtschaft, wie er sie in Brasilien oder in Argentinien erlebt hat. Er spricht nie von der Sozialen Marktwirtschaft, sondern er spricht von den Auswüchsen und von der Gefahr, dass die Wirtschaft über den Menschen bestimmt und nicht mehr der Mensch über die Wirtschaft. Und in der Gefahr sind wir natürlich auch in der Globalisierung, das muss man sehen. Und andererseits spricht er aber auch davon, dass den Regierungen, der Politik, Pflichten und Aufgaben zukommen, die Vorgaben zu machen haben, wie das bei uns in der Sozialen Marktwirtschaft geschieht. Und die Kritik am Kapitalismus und der reinen Marktwirtschaft, die ist fast in gleicher Schärfe zu finden bei Paul VI. Aber da ist die Kontinuität da und er macht uns darauf aufmerksam: Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen und wir müssen schauen, dass nicht die Wirtschaft beherrschend wird. Und das ist ja weltweit eine große Gefahr auch in der Globalisierung. Denn je stärker die Wirtschaft global handelt, desto stärker entzieht sie sich natürlich auch den nationalen Kontrollen, entzieht sich auch der Kontrolle der Europäischen Union. Und damit haben die immer die Möglichkeit, jeder Kontrolle fast aus dem Weg zu gehen, wenn sie weltweit agieren. Und das prangert der Papst an.
    Gierth: Der Papst fordert in diesem Zusammenhang ja eine arme Kirche für die Armen. Was bedeutet das für die Kirche in Deutschland? Braucht es nicht eine reich begüterte Kirche, damit sie Armen helfen kann?
    Zollitsch: Wir spüren den Respekt des Papstes vor den Armen, die er natürlich auch erlebt hat. Armut in sich ist ja nicht ein Wert – im Gegenteil, die Armut soll überwunden werden. Wir wollen den Armen helfen, dass sie aus der Armut herauskommen. Und darum darf ich sagen, wenn wir jetzt in Deutschland wirklich wirtschaftlich gut dastehen, müssen wir doch ehrlich zugeben, dann heißt es auch: Wir sind in der Lage, auch den Menschen, die Hilfe brauchen, zu helfen, etwa durch Adveniat. Wenn wir daran denken, was von Misereor auch an Entwicklungshilfe geleistet wird vor Ort oder wenn ich jetzt an Renovabis denke, wie Katholiken im Osten doch eigentlich von dem leben, was wir ihnen geben können, dann muss ich sagen: Wir haben in Deutschland den großen Vorteil, dass wir durch die Kirchensteuer einfach gesunde Finanzen haben und deswegen können wir das, etwa die Kollekte an Weihnachten, da verzichten all unsere Pfarrer auf den Klingelbeuten, auf die Kollekte und das geben wir für Lateinamerika. Es gibt eine Herausforderung zu Solidarität – etwas, was wir vielleicht gerade in einem reichen Land, in Deutschland, auch für unser Land noch selber intensiver kennenlernen und in die Praxis umsetzen sollten.
    Gierth: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Heute mit dem Erzbischof von Freiburg und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch.
    Herr Erzbischof, der Papst benennt als brennendes Thema auch neue Formen der Sklaverei, die unsere Gesellschaft hervorbringt. Die neuen Sklaven, sagt er, seien diejenigen, die wir jeden Tag umbrächten durch Arbeit in illegalen Fabriken oder im Netz der Prostitution. Die Große Koalition hat sich im Koalitionsvertrag gerade für eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes ausgesprochen. Reicht das? Andere Länder, wie Frankreich oder Schweden gehen deutlich weiter und verbieten Prostitution.
    Zollitsch: Wir müssen ja klar sagen, auch bei uns gibt es die Ausnutzung von Arbeitern noch, etwa bei Leiharbeit, wo wir sagen, dass manche mit sehr kleinem Lohn leben müssen. Und wir spüren, dass die Gesetzgebung, die bei uns damals durch die grün-rote Koalition kam, die Prostitution bei uns erleichtert hat. Ja, sie hat sie fast hoffähig gemacht. Und da bin ich froh einerseits, dass die Koalitionsvereinbarung vorsieht, da nun genauer hinzuschauen. Ich meine, wir müssen noch schärfer dagegen vorgehen. Denn es geht hier vor allem darum, dass viele Frauen direkt oder indirekt zur Prostitution gezwungen werden. Wir sollten schärfer dagegen vorgehen, vor allem zum Schutz der Frauen, aber auch aus moralischen Gründen. Denn Prostitution ist immer etwas, was mit der Moral des Menschen nicht zusammenpasst.
    Symbolbild Prostitution
    Zollitsch fordert Vorgehen gegen illegale Prostitution (dpa / pa / Christians)
    Gierth: Also Sie wären für ein Verbot?
    Zollitsch: Ich wäre für eine eindeutige Verschärfung, ähnlich wie in Frankreich.
    Gierth: Wenn es um die Arbeit in illegalen Fabriken geht, ist ja auch der Verbraucher hierzulande angesprochen, dessen Wunsch nach Billigkleidung in den Entwicklungsländern zu verheerenden Arbeitsbedingungen führt. Müssten die Kirchen nicht viel lauter für einen Mentalitäts- und Bewusstseinswandel auch hier in Deutschland auftreten?
    Zollitsch: Sie sagen mit Recht, wir sind mit Schuld, wenn wir gerade diese Billigangebote nützen und sogar ausnützen. Wir weisen ja immer wieder darauf hin, etwa durch eigene Aktionen, auch mit Fairkauf und allen Elementen. Vielleicht haben Sie recht, wir melden uns vielleicht nicht scharf genug, aber wir sagen es immer wieder. Ich habe aber auch den Eindruck, solche Formen der Kritik werden auch in der Presse kaum aufgenommen, damit kann man keine Schlagzeilen machen.
    Gierth: Sie haben gerade die Vorzüge einer reichen Kirche gelobt im Einsatz für die Armen. Nach Meinung vieler Bürger in Deutschland ist die Kirche allerdings zu reich, wenn wir uns die Debatten der letzten Monate anschauen. Die Sensibilität für die Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Leben und Handeln einzelner kirchlicher Würdenträger, wie der Kirche als Ganze hat doch enorm zugenommen. Wie sehr hat Limburg und die Diskussion um die Unsummen, die dort verbaut worden sind, eigentlich der Glaubwürdigkeit der Kirche geschadet?
    Limburger Bau: "Eine Kommission eingesetzt"
    Zollitsch: Die Frage ist schon einerseits, was hat so ein Bau gekostet – darüber muss man in Ruhe sprechen. Und wie sind Entscheidungen gefallen – und das muss man auch klären. Und das tut auch diese Kommission, die ich eingesetzt habe. Und die öffentliche Diskussion hat sich natürlich jetzt darauf sehr konzentriert. Aber wie ich meine, auch wenig differenziert. Es ist ja schon die Frage: Was ist Besitz der Kirche? Wir können den Kölner Dom, wir können das Freiburger Münster nicht in Geld umsetzen. Und deswegen ist es wichtig, einerseits klar zu sagen: Was machen wir mit unserem Geld? Und die Haushaltspläne sämtlicher deutschen Diözesen, die werden offen gelegt. Aber es ist wichtig, das noch deutlicher sichtbar zu machen, wofür und wem all das dient. Dann wird man feststellen, man muss dann sehr, sehr differenzieren. Ja, wir sind in der glücklichen Lage, in Deutschland finanziell gesichert zu sein. Wir können viel helfen. Wir sind auch abgesichert. Im Unterschied zum Staat haben wir auch für die Altersvorsorge Sorge getroffen. Und wenn wir das auf einen Schlag weggeben würden, würden wir allen Schaden und niemandem nützen.
    Gierth: Aber sehen Sie noch irgendeinen Weg für Bischof Tebartz-van Elst zurück an die Spitze seines Bistums, angesichts dieses Vertrauensverlustes, der stattgefunden hat?
    Zollitsch: Ich habe ja nun mit Absprache mit Kardinal Lajolo, Absprache mit Bischof Tebartz-van Elst, mit dem Domdekan eine Kommission eingesetzt, die diese ganzen Fragen der Finanzen prüfen soll. Und jetzt, meine ich, ist es gut, einfach das Ergebnis der Kommission abzuwarten. Und dann werden wir prüfen und auch sehen.
    Gierth: Wann wird das sein?
    Zollitsch: Das wird im Laufe des Januars sein, denn die Kommission ist fest am Arbeiten.
    Gierth: Und dann dürfen die Gläubigen auch erwarten, dass eine zeitnahe Lösung erfolgt? Denn viele haben den Eindruck, dass hier doch auf Zeit gespielt wird.
    Zollitsch: Also im Blick auf die Arbeit der Kommission wird nicht auf Zeit gespielt. Als wir die Kommission eingesetzt haben, haben die sofort die Unterlagen sich angesehen, haben gesagt: Gut, das schaffen wir nicht mehr im Dezember, da brauchen wir noch mal eine Zeit im Januar. Und das muss man auch verstehen. Denn das sind auch Personen, die jetzt auch noch anderes zu tun haben als das. Und wir wollen ja auch Fachleute haben. In einem gebe ich Ihnen recht, es darf nie künstlich in die Länge gezogen werden. Aber solch wichtige Entscheidungen, die für eine Person wie den Bischof wichtig sind, für eine Diözese wichtig sind, die kann man natürlich auch nicht im Hauruck treffen. Und ich bedauere es, wenn zu viele schon meinen, jetzt genau zu wissen, wie das Ergebnis ist, bevor sie nun auch das gehört haben, was die Kommission erarbeitet hat.
    Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst zelebriert einen Gottesdienst
    Tebartz-van Elst: Kommission soll Finanzen in Limburg kontrollieren (picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
    Gierth: Aber das heißt auch, Sie schließen nicht aus, dass Tebartz-van Elst zurück an die Spitze seines Bistums kehrt?
    Zollitsch: Ich persönlich kann nicht sagen, wie das Ergebnis sein wird, denn das wird eben letztlich die Entscheidung des Papstes sein.
    Gierth: In Ihrem eigenen Bistum läuft die Suche nach einem Nachfolger. Auch andere Diözesen, wie Köln oder Passau werden neue Bischöfe bekommen. In diesem Zusammenhang ist vielerorts der Ruf nach einer Beteiligung der Laien an der Bischofswahl zu hören, so wie es ja auch die Kirchengeschichte über einige Zeit kannte. Wie stehen Sie einem solchen Ansinnen gegenüber?
    Zollitsch: Wir müssen ja gut überlegen, welche Wege man da gehen kann. Ich darf zwei Beispiele nennen. Bevor ich jetzt die Vorschläge für einen neuen Weihbischof gemacht habe, habe ich sämtliche Dekane, die Mitglieder des Priesterrates, des Diözesanrates, des Pastoralrates um Vorschläge gebeten. Weil mir das wichtig war, wie das Echo ist. Und ich habe auch dann erlebt, als der neue Weihbischof ernannt worden ist, er wurde in der Diözese überaus positiv aufgenommen. Und unser Domkapitel hat jetzt auch, bevor es sich eine Liste erstellte als Vorschlag für den neuen Erzbischof, natürlich auch die Umfrage gemacht in den Diözesen. Das Echo ist zurückgekommen, und das ist für mich auch sehr wichtig. Sodass wir durchaus eine breite Konsultationsmöglichkeit auch jetzt schon haben. Und wir haben in Deutschland, mit Ausnahme von Bayern, ja doch noch mal die große Möglichkeit, die Chance, dass die letzte Entscheidung, wer Bischof wird, dann durch das Domkapitel, das heißt vor Ort getroffen wird und nicht nur jetzt von Rom aus. Man kann darüber diskutieren natürlich, wie das in der früheren Kirche auch war, ob eine größere Beteiligung denkbar und möglich ist. Aber man kann in einem laufenden Verfahren – wie etwa in Köln – nicht davon ausgehen, dass man jetzt die ganzen Regeln und alles ändert. Denn solch eine Änderung wäre natürlich eine tief greifende Änderung gegenüber dem Kirchenrecht. Und Sie müssen sehen, dass das, was wir in Deutschland haben, eigentlich ein Zugeständnis schon an die Geschichte in Deutschland ist, weil sonst weltweit natürlich die Bischöfe von Rom ernannt werden.
    Gierth: Eine Rückmeldung, die die Gläubigen ihren Diözesen in jüngster Zeit gegeben haben oder noch geben, sind die Ergebnisse der Online-Befragung zum Familienbild, zum Eheverständnis, zur Sexualitätslehre. Sie haben vorhin darauf angespielt. Die Ergebnisse, die jetzt offengelegt werden, zeigen, dass eine enorme Diskrepanz besteht zwischen der katholischen Lehrauffassung und dem, was auch Gläubige, die mitten im Leben der Kirche stehen in diesen Fragen denken. Ist das nicht auch eine gewisse – zugespitzt – Bankrotterklärung dafür, dass das ja ein Wesensbestandteil der kirchlichen Lehre war, mit der sie offensichtlich die Menschen überhaupt nicht mehr erreicht?
    Zollitsch: Wenn ich zunächst mit Papst Franziskus antworten darf, dann müssen wir auch an die Hierarchie der Wahrheiten denken. Das Zentrale ist mein Glaube an Jesus Christus, die Frage, was für mich Erlösung bedeutet, was für mich Gott bedeutet.
    Gierth: Aber der Eindruck war oft der andere bei den Gläubigen?
    Zollitsch: Ja. Ja, es war oft dann so, als würde die Moral das Erste sein, aber sie ist erst das Zweite. Erst die Folge des Ganzen und dann die Frage, wie sich das im Leben auch noch mal auswirkt. Und da ist vielleicht manchmal zu sehr die Moral verkündet worden und nicht zuerst, was Glaube bedeutet, das Geschenk des Glaubens, die Freude des Glaubens, von der Papst Franziskus spricht. Und dahinter sehe ich eine große Herausforderung, und das wird ein Stück weit bestätigt durch die Umfrage. Ja, wir müssen die Erfahrung machen, dass sich das bestätigt, was wir eigentlich gespürt haben, muss man auch sagen, das ist nichts Neues. Bestätigt, ja, etwa in der Frage der Sexualmoral/Sexualethik, sind viele Katholiken nicht auf der Linie, die das Lehramt vorgibt. Wir sind auch in der Frage nun, etwa was die Ehe angeht, wir spüren, dass heute der Großteil der jungen Leute, bevor sie auch eine Ehe eingehen, zusammenleben. Diese Realität müssen wir sehen oder wir sehen auch dann das Scheitern und aber auch die Sehnsucht nach einem Neuanfang, etwa in einer Wiederheirat. Und darum ist es jetzt wichtig, diese Realität nüchtern zur Kenntnis zu nehmen. Und es ist wichtig auch, dass die Bischofssynode sich zur Kenntnis dieser Realität stellt. Natürlich können wir nicht die Lehre der Kirche einfach der Realität anpassen, aber sie muss eine Antwort auf die Fragen der Menschen sein, auf die Fragen und dass wir sie leben. Und da gilt es tatsächlich neu zu überlegen, zu schauen, wie wir etwa die Lehre von Ehe und Familie, auch die Lehre der menschlichen Sexualität, die angesprochen ist, oder auch die Werte in der Gesellschaft sehen, wie wir die einfach neu auch verkünden können und auch schauen, was nun von diesen Elementen auch zum unveränderlichen Teil unserer katholischen Lehre zählt.
    Gierth: Wenn Sie zurückblicken auf Ihre eigene Zeit als Vorsitzender, so haben Sie zahlreiche Krisen der Kirche durchstehen und durchleben müssen, allem voran natürlich die Missbrauchskrise in Deutschland. Nun mag die Wahl von Franziskus neuen Schwung gebracht haben, das haben Sie gesagt, aber es ist doch nicht zu übersehen, dass die Bedeutung der Kirchen in Deutschland, in Europa doch eher abnimmt. Wie sehr belastet einen das am Ende eines Weges als Vorsitzender, als Bischof einer Diözese in herausgehobener Verantwortung?
    Debatte um Aufklärung des Missbrauchsskandals
    Zollitsch: Missbrauchsfälle haben Vertrauen zerstört (picture alliance / dpa)
    Zollitsch: Es ist durchaus ein Trend, den wir schon länger beobachten, dass der Einfluss der Kirche in Europa – nicht nur Deutschland – zurückgeht. Und etwa solche Erfahrungen, wie die Missbrauchserfahrung, die haben diesen Trend zweifellos verstärkt, weil da eine ganze Reihe von Menschen ihre Enttäuschung in der Kirche erlebt haben. Dass so etwas geschieht, das konnten wir alle nicht ahnen. Und wenn es in der Kirche passiert, ist es schlimmer. Das gibt es auch außerhalb der Kirche, all das. Aber wir müssen sagen: Ja, da haben wir ein Stück Vertrauen verloren und wir müssen jetzt schauen, wie wir das nun auch darstellen, damit umgehen. Ich persönlich bedauere das sehr, weil ich überzeugt bin, dass die christlichen Werte, die Europa geschaffen haben, von denen Europa lebt, die tragenden Werte sind, für die einzusetzen sich lohnt und die unserem Leben eine Perspektive geben in dieser Welt und über diese Welt hinaus. Und ich sehr bedauere, wenn Menschen dann an dem irre werden, wie wir das Ganze verkünden und wie wir leben. Das ist eine große Herausforderung. Und Sie wissen, dass ich auch gesagt habe: Ja, wir können die Herausforderung nicht einfach ... die Antwort vom Bischof allein geben, deswegen haben ich den Dialogprozess angeregt. Gemeinsam wollen wir schauen, wir wollen miteinander sprechen, aufeinander hören. Und was mich besonders gefreut hat, mein Glückwunsch zu meinem 75. Geburtstag von einem Mitbruder im Bischofsamt, der am Anfang sich schwertat und sagte: Was willst du mit dem Dialog? Er schrieb mir: Ich bin dir so dankbar, dass du diesen Dialog angestoßen hast.
    Gierth: Gibt es etwas aus der Zeit Ihres Bischofsseins, was Sie gerne rückgängig machen würden?
    Zollitsch: Rückblickend bei Missbrauchsfällen "noch früher aktiv werden"
    Zollitsch: Wenn ich heute zurückschaue, würde ich sagen, ich würde gerade im Blick auf die Missbrauchsfälle noch früher aktiv werden und noch stärker wirklich auf die Leute zugehen, weil ich damals die ganze Tragweite dessen nicht geahnt habe und mir es auch gar nicht vorstellen konnte, dass so etwas in der Weise in der Kirche passiert. Oder wenn ich jetzt an die Situation in Limburg denke, dann ist es auch so, vielleicht hätten wir noch früher tatsächlich mit mehr Nachdruck auf Limburg zugehen können und sagen: Wichtig ist die Transparenz.
    Gierth: Wie schwer wird es Ihnen persönlich fallen, von allem zu lassen? Gibt es so etwas wie die Droge der Macht auch für Bischöfe?
    Zollitsch: Ich wusste ja, als ich zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz gewählt worden bin, dass ich sechs Jahre habe und dass dann vom Alter her klar der Schnitt kommt. Und als ich zum Erzbischof gewählt wurde vor zehn Jahren, habe ich mich auch darauf eingestellt: Jetzt habe ich rund zehn Jahre und danach richte ich mich aus. Und ich habe es auch einvernehmlich dann mit Rom abgesprochen, dass dann im nächsten Jahr mein Nachfolger kommen wird. Und, da muss ich sagen, darauf stelle ich mich ein. Allerdings habe ich mir noch nicht genügend überlegt, was ich nachher alles tun werde, weil ich sage, ich werde meinem Nachfolger anbieten – soweit er es mag und ich es kann – einfach noch mitzuhelfen. Andererseits spüre ich aber auch, bei der Fülle der Termine und so, dass ich mich immer auch mit ein bisschen sehne, manches an Verantwortung und Macht abgeben zu können. Im Augenblick ist es nicht die Droge, die mich reizen würde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.