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Investieren statt sparen

Man spreche nicht über die passende Medizin für einen kranken Patienten, sondern nur darüber, wer dessen Beerdigung bezahlt, kritisiert Garrelt Duin, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD. Er fordert Investitionsprogramme auf nationaler und europäischer Ebene statt weiterer Sparmaßnahmen.

Garrelt Duin im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren ein kleines Wirtschaftswunder erlebt. International gelten wir als wirtschaftlicher Musterschüler mit niedriger Arbeitslosigkeit und vergleichsweise soliden Staatsfinanzen und außerdem einem gesunden Wirtschaftswachstum. Heute Vormittag nun haben die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ihr Herbstgutachten vorgelegt und darin zeigt sich, dass diese Zeiten möglicherweise langsam ihrem Ende entgegengehen.
    Mitgehört hat Garrelt Duin, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Tag, Herr Duin.

    Garrelt Duin: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Duin, bleiben wir mal bei den Aussichten. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland bleibt niedrig, Deutschland entgeht auch im kommenden Jahr einer Rezession. Können wir dann zunächst mal festhalten, dass der wirtschaftspolitische Kurs der Bundesregierung stimmt?

    Duin: Na ja, wenn das Wachstum heruntergesetzt wird in der Prognose von deutlich über zweieinhalb Prozent auf deutlich unter ein Prozent, dann kann man ja nicht davon reden, dass alles richtig gemacht wird. Wir weisen schon seit einiger Zeit darauf hin, dass dieses Abbremsen der Konjunkturentwicklung in Deutschland auf uns zukommt. Und das ist ja nicht nur für Deutschland ein Problem, sondern könnte sich auch katastrophal auswirken für die EU insgesamt, weil Deutschland ja bisher Lokomotive war und wir die meisten Exporte in die EU haben. Deswegen ist das schon ein wirkliches Alarmzeichen. Man muss nicht schwarzmalen, aber man muss diesen Tatsachen schon ins Auge sehen.

    Armbrüster: Aber sind das tatsächlich Sachen, die man der Bundesregierung ankreiden kann? Um uns herum sind wir umgeben von Staaten, die ja auf eine Rezession zusteuern.

    Duin: Richtig! Deswegen muss man eben jetzt etwas tun, und auch die Wirtschaftsweisen haben mich da nicht zum ersten Mal enttäuscht, weil die Rezepte, die dort vorgeschlagen werden, meines Erachtens zu kurz greifen. Wenn wir, wie gerade gehört, Herrn Professor Holtemöller, dort ernst nehmen, dass jetzt die Mittel des EFSF zur Bankenrettung genutzt werden sollen, dass wir nichts anderes diskutieren, als dass weitere Sparprogramme gemacht werden müssen, dann ist das meines Erachtens viel zu kurz gegriffen, denn wir brauchen dringend Ideen, wie wir Investitionen auslösen können. Nur das Sparen allein wird weder Griechenland, noch andere Länder in der EU retten. Wir brauchen Investitionen, damit Wirtschaft auch wieder ans Laufen kommen kann. Dazu habe ich heute von den Wirtschaftsweisen und natürlich auch von der Bundesregierung nichts gehört.

    Armbrüster: Dann reden wir mal über Ihre Pläne. Wie sollen wir denn Investitionen auslösen in Deutschland?

    Duin: In Deutschland könnten wir eine ganze Menge tun. Das fängt an damit, dass wir sieben Milliarden an Subventionen, die der Staat jährlich ausgibt, einsparen könnten, indem wir endlich mal einen Mindestlohn in Deutschland einführen. Aber für die Unternehmen selbst wäre es eben auch wichtig, dass Investitionen in die Netze stattfinden, die Stromnetze müssen erneuert werden, die Verkehrsnetze, das Thema Telekommunikation-Breitband brennt jedem auf den Nägeln, dort passiert im Grunde nichts, wir laufen da der Zeit deutlich hinterher. Deswegen müssen wir eben nicht nur mehr sparen, sondern den Staat auch in die Lage versetzen, Investitionen auslösen zu können. Deswegen führt meines Erachtens kein Weg daran vorbei, dass man mit diesen Märchen von Steuersenkungen endlich auch in der Bundesregierung aufräumt und dass man das hinter sich lässt, dass man stattdessen wirklich auch einmal über die Einnahmesituation des Staates sprechen muss. Die SPD hat dazu Vorschläge vorgelegt. Wir brauchen zwei beziehungsweise drei Dinge mit diesem Geld, das der Staat zur Verfügung hat, nämlich Investitionen in Bildung, Investitionen in Infrastruktur und dann natürlich auch die Rückführung der Verschuldung. Aber nur die alleine bringt es eben nicht.

    Armbrüster: Nun muss die Bundesregierung allerdings auch eine Menge Geld bereitstellen für die Rettungsmaßnahmen im Euro-Raum. Auch darauf sind die Wirtschaftsforscher ja heute Morgen eingegangen und sie haben davor gewarnt, wir haben das gerade eben gehört, dass sich die Bundesrepublik gemeinsam mit Frankreich möglicherweise verhebt, wenn wir immer mehr Geld in den Euro-Rettungsschirm hineinpumpen. Ist das eine Gefahr, die Sie teilen, deren Ansicht Sie teilen?

    Duin: Wenn man das Geld nicht sinnvoll einsetzt, besteht diese Gefahr. Deswegen sage ich ja, wir brauchen auch auf der europäischen Ebene entsprechende Investitionsprogramme. Wir haben allein bei Griechenland zurzeit in der EU 15 Milliarden zur Verfügung, die noch nicht abgerufen worden sind. Stattdessen reden wir über Insolvenz, über Schuldenschnitt und Rekapitalisierung der Banken. Das kommt mir so vor, als wenn wir einen kranken Patienten haben und darüber reden, wer die Beerdigung bezahlt, anstatt ihm endlich mal die Medizin, die notwendig ist und die auch zur Verfügung steht, zu geben und zu verabreichen. Auch in diesen Ländern, in den Ländern, die zurzeit in Schwierigkeiten sind, Griechenland an der Spitze, Italien, Spanien aber in gleicher Weise, sind entsprechende Investitionen, um wirtschaftliches Wachstum zu generieren, doch dringend notwendig. Und nicht zuletzt: Beim Thema Privatisierung sind die Vorschläge, die von Jean-Claude Juncker bis hin zur Beratungsfirma von Roland Berger gemacht worden sind, nämlich eine europäische Treuhand auf die Beine zu stellen, bisher von der Bundesregierung völlig ignoriert worden. Hier geht Zeit verloren und man versucht, sich mit diesem Geld, Deutschland und Frankreich, ein paar andere, Zeit zu kaufen, aber sie verstreicht immer wieder, weil eben diese wirklich notwendigen Investitionsanstrengungen überhaupt nicht auf den Weg gebracht werden.

    Armbrüster: Geht die Zeit auch verloren, weil die politische Abstimmung in Europa zu schwierig ist?

    Duin: Man sieht ja jetzt gerade, dass wieder ein Gipfel verschoben worden ist, weil man sich nicht einig ist. Ich halte das für einen deutlichen Beweis dafür, dass auch die Kanzlerin einfach zu mutlos ist, zu schwach ist, um den Menschen wirklich reinen Wein einzuschenken und zu sagen, ja, wir haben eine Krise, wir wollen sie gemeinsam bewältigen, das kostet Geld, aber wir haben eben nicht mehr die Zeit, um darauf zu warten, dass in anderen Ländern die Schulden reduziert werden, sondern wir müssen jetzt selber etwas tun, nur das bringt uns aus dieser Krise heraus. Da würde ich mir sehr viel mehr Mut und Klarheit wünschen und nicht diese Salamitaktik, die wir jetzt seit eineinhalb Jahren durch diese Bundesregierung und viele andere europäische Regierungschefs erleben.

    Armbrüster: Deutschlands führende Wirtschaftsforscher haben heute Vormittag ihr Herbstgutachten vorgestellt. Wir haben darüber mit dem SPD-Wirtschaftspolitiker Garrelt Duin gesprochen. Besten Dank, Herr Duin, für das Gespräch und einen schönen Tag noch.

    Duin: Danke.

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