Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Investitionen in Klimaschutz werden Geld kosten"

Der Übergang ins Zeitalter der regenerativen Energien sei anspruchsvoll und nicht konfliktfrei, meint Katharina Reiche, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. Sie pocht dabei auf das Gemeinwohl - dazu gehörten Preisstabilität und Versorgungssicherheit.

Katharina Reiche im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.09.2010
    Jasper Barenberg: Ende des Monats soll es so weit sein: Dann will die Bundesregierung ihre Vorstellung davon auf den Tisch legen, wie die Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte aussehen soll. Sauber soll sie sein, zuverlässig und bezahlbar. Dabei setzt Schwarz-Gelb auch auf Atomkraft, streitet aber zugleich darüber, wie viel länger sie die Meiler am Netz lassen will. Bei der Entscheidung helfen soll ein wissenschaftliches Gutachten.

    Das liegt inzwischen vor, doch das Wirtschaftsministerium zieht daraus ganz andere Schlüsse als das Umweltministerium: Dort wird zu allem Überfluss jetzt auch noch Zweifel an der Expertise selber laut. Darüber wollen wir in den nächsten Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich die CDU-Politikerin Katharina Reiche, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. Einen schönen guten Morgen, Frau Reiche!

    Katharina Reiche: Guten Morgen!

    Barenberg: Diskreditiert das Gutachten den möglichen Umstieg auf eine Versorgung mit erneuerbarer Energie?

    Reiche: Überhaupt nicht. Das Gutachten bestätigt, dass wir auf einem guten Weg sind, unsere Energieversorgung langfristig auf erneuerbare Energien umzustellen, und dass somit das Ziel, was sich CDU, CSU und FDP gemeinsam im Koalitionsvertrag gesetzt haben, nämlich den Weg ins regenerative Zeitalter zu gehen, machbar ist. Das Gutachten gibt keine Prognosen, aber das Gutachten gibt Wegbeschreibungen, quasi einen Kompass, und dieser Kompass geht ganz klar davon aus, dass wir Regenerative ausbauen und dass wir auch unsere Klimaschutzziele einhalten können.

    Barenberg: Und dieses Gutachten beschreibt den Weg so, dass es bei der Gelegenheit gleich die Kosten, die auf private Haushalte zukommen, was den Klimaschutz angeht, viel zu hoch ansetzt?

    Reiche: Investitionen in Klimaschutz werden Geld kosten, das steht außer Frage. Was dagegenzusetzen ist, ist, dass wir damit unsere Abhängigkeit von Importen, beispielsweise von Öl und Gas, langfristig werden senken können. Schon jetzt kostet der Ausbau erneuerbarer Energien selbstverständlich Geld, das Erneuerbare-Energien-Gesetz macht ja über ein Umlagesystem den Auf- und Ausbau erneuerbarer Energien möglich. Was wir allerdings tatsächlich im Blick behalten müssen, ist, dass wir neben den Klimaschutzzielen auch andere Ziele nicht aus den Augen verlieren. Das eine ist eine möglichst hohe Preisstabilität – wir müssen in unserer Volkswirtschaft Wettbewerbsfähigkeit halten –, und das Dritte ist die Versorgungssicherheit, auch ein wichtiger Aspekt, wenn es um die Energieversorgung eines Industrielandes wie Deutschland geht.

    Barenberg: Nun hat die "Süddeutsche Zeitung" ja gestern von einer internen Einschätzung in Ihrem Ministerium berichtet und davon berichtet, dass dort Fehler und dass dort gerade Manipulationen diesen Wissenschaftlern bei den Gutachten vorgeworfen werden.

    Reiche: Für mich ist und für uns ist wichtig, dass uns die Szenarien eine Wegmarke geben und wir auf Grundlage, Basis dieser Szenarien politische Entscheidungen treffen. Noch einmal: Es ist keine Prognose, aber es gibt eine wissenschaftlich valide Grundlage. Dass Energiepolitik in der Bundesrepublik noch nie konfliktfrei war, das gehört mit dazu. Der Ausbau der Erneuerbaren ist sicherlich notwendig, war aber auch noch nie umstritten, aber umstritten sind auch andere Vorhaben wie im Bereich von Kohle-Investition oder der Kernenergie. Energiepolitik ist also nicht konfliktfrei, und Aufgabe der Politik ist es jetzt, eine volkswirtschaftlich vernünftige und am Gemeinwohl orientierte Lösung zu präsentieren und in ein Konzept zu gießen, was vor allem langfristige Sicherheit gibt.

    Barenberg: Und bei den Verhandlungen darüber spielt die Kritik, die den internen Fachleuten nach anzubringen ist an dem Gutachten, die wird dann keine Rolle spielen?

    Reiche: Wir werden einen Diskurs haben, wir werden … an diesem Wochenende wird es ja die Ministerrunde zusammen mit der Bundeskanzlerin geben, in der nächsten Woche werden sich die Bundestagsfraktionen der Koalition damit, mit den Szenarien und mit Ergebnissen beschäftigen und ihre Vorstellungen mit einbringen. Wir werden dann ja auch in ein parlamentarisches Verfahren gehen, so wie es normal und üblich ist, und dass es innerhalb dieses Prozesses auch zu einem Meinungsaustausch, auch manchmal vielleicht zu einer stärkeren Pronuancierung eigener Ansichten kommt, das ist normal. Noch mal: Am Ende steht, dass wir es endlich schaffen, ein Energiekonzept zu präsentieren, das langfristige Investitionssicherheit gibt, das Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Preisstabilität vereint.

    Barenberg: Und das heißt dann eben auch, dass es laut Gutachten den wissenschaftlichen Beweis dafür gibt, dass wir noch viele Jahre lang auf Atomstrom angewiesen sein werden?

    Reiche: Die Szenarien zeigen erstens, ich wiederhole mich, der Weg ins regenerative Zeitalter ist möglich, zweitens, er sagt aber auch, dass wir eine Übergangszeit brauchen. Nehmen wir an, dass wir 2020 vielleicht tatsächlich schon 35 Prozent oder mehr regenerativen Strom im Netz haben werden, so heißt dies aber, dass 65 Prozent noch aus anderen Quellen gewonnen werden müssen. Das zeigt, dass der Übergang bis in ein regeneratives Zeitalter anspruchsvoll ist. Wir reden hier von der Transformation unserer gesamten Energieversorgung, dies ist nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Was wir aber tun müssen, sind jetzt die Weichen legen, zum Beispiel Netze ausbauen, denn ohne Netze bekomme ich regenerativen Strom nicht ins Netz und kann das fluktuierende Angebot auch nicht ausgleichen.

    Barenberg: Da wären aber noch zehn Jahre Zeit. Wofür brauchen wir dann also länger Atomstrom?

    Reiche: Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir 2020 bei idealerweise vielleicht 35 Prozent erneuerbarem Strom im Netz sind, das heißt, der restliche Strom muss ja auch noch gewonnen werden, und er sollte möglichst so gewonnen werden, dass wir sowohl die Verbraucher, aber auch Unternehmen nicht über Gebühr belasten. Wenn man fluktuierenden Strom ausgleichen will, braucht man zum Beispiel flexible Gaskraftwerke. Wir brauchen aber unter anderem auch für die Versorgung unter dem Stichpunkt Versorgungssicherheit effiziente Kohlekraftwerke, und wir brauchen eben auch die Kernenergie, die gerade hinsichtlich Preisstabilität und Klimaschutz einen Beitrag leisten kann.

    Barenberg: Wir brauchen keine längeren Atomlaufzeiten, sagt zum Beispiel das Bundesumweltamt, sagt zum Beispiel die Deutsche Energieagentur, sagt zum Beispiel der Umwelt- und Sachverständigenrat der Bundesregierung. Glaubt die Regierung, glauben Sie Ihren eigenen Beratern nicht?

    Reiche: Die Deutsche Energieagentur hat nachgewiesen, weil Sie die gerade zitieren, dass die Kraftwerkskapazitäten in Deutschland bald nicht mehr ausreichen, um die inländische Stromnachfrage zu decken. Sie kommt auch zu dem Ergebnis, dass ein Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke über den geplanten Zeitraum hinaus notwendig ist, um eine Stromlücke zu vermeiden. Ich finde, man muss aufpassen, dass man nicht Gutachten zitiert an den Stellen, wo es einem gerade passt. Noch einmal: Wir haben jetzt die Aufgabe, einen Gesamtplan zu entwickeln, der einem volkswirtschaftlichen, einem Gemeinwohlinteresse zugute kommt, und das Gemeinwohl liegt in stabilen Preisen, aber auch in Investitionen in Klimaschutz. Dass dies ein nicht spannungsfreies Verhältnis ist, habe ich deutlich gemacht, aber es ist notwendig, und wir werden hier zu guten Lösungen kommen.

    Barenberg: Sagt Katharina Reiche von der CDU, die parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium. Danke für das Gespräch!

    Reiche: Danke auch!