Donnerstag, 28. März 2024

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IOC-Doping-Entscheidung
"Es verstößt gegen die eigene IOC-Charta"

Wenn man Staatdoping offensichtlich toleriere, dann verstoße das auch gegen die eigene IOC-Charta, die Begriffe wie Hochleistung, Freundschaft und Respekt betonen würde, sagte Michael Scharf, Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf, im Deutschlandfunk. Er glaube aber nicht, dass Russland das einzige Land sei, welches Staatsdoping betreibe.

Michael Scharf im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 25.07.2016
    Russlands Präsident Wladimir Putin posiert mit russischen Olympiasiegern in Sotschi 2014.
    Russlands Präsident Wladimir Putin posiert mit russischen Olympiasiegern in Sotschi 2014. (AFP - MIKHAIL KLIMENTYEV)
    Ann-Kathrin Büüsker: Elf Tage noch, so lange, bis in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele beginnen. Die ersten Sportlerinnen und Sportler, die sind schon da, auch welche aus dem russischen Team, denn die Leichtathleten, die dürfen zwar nicht starten, Sportler aus anderen Disziplinen aber schon. Die komplette russische Mannschaft wird nämlich nicht ausgeschlossen. Das hat das IOC gestern entschieden, trotz der Erkenntnis zu jahrelangem systematischen Staatsdoping.
    - Über die Entscheidung des IOC möchte ich jetzt mit Michael Scharf sprechen. Er ist Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf. Guten Tag, Herr Scharf!
    Michael Scharf: Schönen guten Tag!
    Büüsker: Herr Scharf, macht es sich das IOC da zu leicht, wenn es die Entscheidung an die Verbände weitergibt?
    Scharf: Es ist zumindest problematisch. Viele von den internationalen Verbänden haben Gremien, in denen auch, ich sage mal, Russen bedeutende Positionen haben. Das muss man sicherlich sehen.
    Das Zweite ist: Innerhalb von zwölf Tagen eine seriöse Entscheidung darüber zu fällen, ist, wie ich finde, schlecht möglich. Die Verbände, die heute schon entschieden haben, dass das alles gar kein Problem ist, sind sehr mutig, wie ich finde, haben aber dann auch nicht besonders stark geprüft. Und ich sage mal: Wenn ich intensiv prüfe, brauche ich mehr als zwölf Tage. Das haben ja auch die Entscheidungen der Leichtathletik gezeigt, die ja sich auch sehr schwergetan haben und sehr, sehr lange geprüft haben. Aber rückwirkend muss man jetzt auch noch mal Respekt zollen vor dem, was ...
    Büüsker: Herr Scharf, ich glaube, wir haben ein kleines Leitungsproblem. Wenn Sie Ihr Telefon vielleicht noch mal ein bisschen näher, die Sprechmuschel an den Mund herannehmen könnten? Dann verstehen wir Sie, glaube ich, etwas besser.
    Scharf: Jetzt besser?
    Büüsker: Ich schließe gleich meine nächste Frage an. Ist dem IOC das systematische Doping in Russland egal?
    Scharf: Zumindest hat das IOC diesen McLaren-Report wohl offensichtlich dann anders interpretiert, als er das ausgedrückt hat. Und hat eine, wie ich finde, sehr salomonische Entscheidung gefällt, die eine sehr russlandfreundliche Entscheidung war. Ich bin der Meinung: Nach den Beweisen, die dort vorliegen, geht es hier um systematisches Staatsdoping. Und da wäre nur eine einzige mögliche Reaktion aus meiner Sicht sinnvoll gewesen. Und das wäre der Ausschluss von Russland gewesen zumindest für diese Olympischen Spiele.
    Büüsker: Was bedeutet die Entscheidung des IOC jetzt für den Sport? Ist das das Zeichen, dass Doping eigentlich egal ist?
    Scharf: IOC muss Anstrengungen gegen Doping deutlich steigern
    Scharf: Das will ich nicht sagen, denn das wäre jetzt zu früh, um das so zu sagen. Fakt ist, dass das IOC in der Vergangenheit nicht genügend Initiativen im Bereich des Anti-Doping unternommen hat, trotz aller gegenteiligen Verlautbarungen. Die Gelder, die das IOC sicherlich zur Verfügung hat, sind auch nicht in genügendem Maße in ein Anti-Doping-Programm geflossen. Und da wird man jetzt sehen müssen, ob da eine Umorientierung stattfindet und man endlich begreift, dass dieses Thema Doping eigentlich das zentrale Thema für Fairness und Gerechtigkeit ist. Und dass das nicht geht, ohne dass das IOC dort erhebliche - und ich meine erheblich mehr als bisher - Anstrengungen unternimmt.
    Büüsker: Aber welches Zeichen setzt man dann gegenüber den sauberen Sportlern? Ich als saubere Sportlerin würde mir ja denken, ist eigentlich egal, ich kann auch dopen.
    Scharf: Das ist eine logische Reaktion aus dem, was da jetzt beschlossen wurde, denn wie gesagt: Wenn man Staatsdoping offensichtlich toleriert, dann kann das ein Sportler sicherlich denken. Und es verstößt ja auch gegen die eigene IOC-Charta. Ich erwähne Begriffe wie Höchstleistung, Freundschaft, Respekt, die ja dort ganz oben auf der Karte stehen. Wie soll ich Respekt vor jemand haben, wie soll ich Freundschaft zu jemand entwickeln, der verdächtig ist des Dopings? Insofern verstößt das IOC gegen die eigenen olympischen Werte.
    Büüsker: Haben Sie ein bisschen die Sorge, dass vor diesem Hintergrund vielleicht doch das Publikum das Interesse am Sport verliert?
    Scharf: Das glaube ich eher weniger, weil jetzt muss man mal sehen, dass das Publikum ja auch seit Jahrzehnten der Sportart Fußball sehr, sehr gewogen ist. Und ich glaube, wenn man den olympischen Sport dort immer wieder mit dem Thema Doping in Verbindung bringt und Fußball nicht, dann ist man nicht ganz real.
    Büüsker: Das heißt, Sie gehen auch davon aus, dass im Fußball gedopt wird, und dann müssten wir auch weniger Fußball gucken?
    Scharf: Da wird am meisten Geld verdient. Da haben die meisten Leute Vorteile davon. Also warum soll dort das Thema Doping kein Thema sein?
    Büüsker: Bei der Tour de France, da hatten wir auch viele Doping-Fälle. Da haben die Zuschauerinnen und Zuschauer irgendwann das Interesse verloren.
    Scharf: IOC-Entscheidung schlechtes Signal für Whitleblower
    Scharf: Es ist eine mögliche Option. Ich würde mir das nicht für den olympischen Sport wünschen. Aber wenn man, ich sage mal, den Anti-Doping-Kampf nicht ernst nimmt - und die jetzige Entscheidung ist zumindest ein Indikator dafür, dass so was passieren könnte -, dann wird das Publikum das Interesse daran verlieren - vollkommen klar.
    Büüsker: Der Fall Stepanowa, dass ausgerechnet die, die das Doping aufgedeckt hat, die, die jetzt nicht in Rio starten darf. Was ist das für ein Zeichen?
    Scharf: Das ist zunächst einmal das eindeutige Zeichen, dass sich offensichtlich es nicht lohnt, als Sportler sich für einen fairen Sport einzusetzen und dort Sachen anzuzeigen, die nicht regulär gelaufen sind. Das ist zumindest das, was ich aus meinem Freundeskreis jetzt an Rückmeldungen bekommen habe. Dass die sagen, jetzt ausgerechnet diejenige, die sehr mutig war, wird da jetzt auch bestraft in dieser Form. Das ist sicherlich keine Ermutigung, dass es in Zukunft irgendwelche Whistleblower geben wird.
    Büüsker: Warum schadet das IOC dem eigenen Produkt?
    Scharf: Weil das IOC, ich sage mal, sportpolitisch in ein Weltkonstrukt eingebunden ist. Da würde ich den Rahmen schon etwas größer machen. Ich bin selber Jahrgang '61. Das heißt, ich habe die Olympischen Spiele 1980 mit dem Boykott damals gegen Russland erlebt. Die sind übrigens dafür ausgeschlossen worden, dass sie einen Afghanistan-Krieg begonnen haben, den andere Nationen danach auch begonnen haben. Also kann man auch eine Diskussion im sportpolitischen Bereich stellen, ist man jetzt nur einseitig gegen die Russen eingestellt. Diese Diskussion würde ich mitgehen, denn ich glaube nicht, dass die Russen das einzige Land sind, das Staatsdoping hat. Das zeigt aber auch wieder das Versäumnis des IOC, dass man da auch in andere Länder mal genauer reingucken muss. Insofern muss man das Ganze auch auf einem weiteren politischen Feld sehen.
    Büüsker: ... sagt Michael Scharf, Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf, zur Entscheidung des IOC, die Russen nicht grundsätzlich von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen. Herr Scharf, vielen Dank für das Gespräch hier im Deutschlandfunk.
    Scharf: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.