Mittwoch, 24. April 2024

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IOC-Urteil zu Olympiaausschluss
"Es fehlen die deutlichen Signale aus Russland"

Im Zusammenhang mit dem Olympia-Ausschluss wegen Dopings vermisst Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletiv-Verbandes, ein Schuldbekenntnis der Russen. Es fehle das Signal aus Russland, "dass manzulässt, dass neutrale Instanzen jederzeit in das Land kommen können und unangemeldet Sportler untersuchen dürfen", sagte Kessing im Dlf.

Jürgen Kessing im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.12.2017
    Eine Frau hält eine russische Fahne vor dem IOC-Gebäude in Lausanne.
    Jürgen Kessing: "Das Grundmisstrauen ist einfach da, weil es wohl über Jahre und Jahrzehnte hinweg solche Systeme gab, egal ob nun in West oder Ost." (dpa-Bildfunk / AP / KEYSTONE / Christophe Bott)
    Christiane Kaess: Es war erwartet worden und dennoch war das ein Paukenschlag gestern Abend. Keine Athleten unter russischer Flagge bei den Olympischen Winterspielen 2018. Wegen Staatsdopings dürfen sie im Februar im südkoreanischen Pyeongchang nicht antreten. So lautet der Beschluss des Internationalen Olympischen Komitees. Aber er lässt russischen Athleten eine Möglichkeit offen.
    Darüber kann ich jetzt sprechen mit Jürgen Kessing. Er ist Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Guten Morgen, Herr Kessing.
    Jürgen Kessing: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Sind Sie zufrieden mit dem Urteil?
    Kessing: Vordergründig auf jeden Fall, denn es bestätigt ja auch unsere Forderung von Seiten des Leichtathletikverbandes, dass man dieses Staatsdoping einfach sanktionieren musste.
    Komplettausschluss nicht im Sinne der Sportler
    Kaess: Hätten Sie sich mehr gewünscht, einen Komplettausschluss?
    Kessing: Das wäre sicher nicht im Interesse der Sportler gewesen, denn es gibt sicher auch saubere Sportler. Und wir haben ja bei der Leichtathletik bei der Weltmeisterschaft dieses Jahr in London es gesehen: Es ist eine kleine Truppe unter neutraler Flagge angetreten, und das erwarten wir eigentlich auch in Pyeongchang.
    Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik Verbandes
    Jürgen Kessing: "Wir sind in einem ganz anderen System aufgewachsen" (dpa / Arne Dedert)
    Kaess: Sie waren ja mal selbst aktiver Leichtathlet. Wie hätten Sie sich denn gefühlt, wenn Sie unter neutraler Flagge bei Olympischen Spielen mitgemacht hätten?
    Kessing: Ich glaube, das ist schon ein bisschen merkwürdig. Es fehlt dann vermutlich das Heimatgefühl und auch das Teamgefühl. Und vor allen Dingen war der ist eigentlich zu erwarten, dass die Gruppe nicht allzu groß ist, und dann fehlt auch die innere Stärke eines solchen Teams.
    "Ein Grundmisstrauen ist einfach da"
    Kaess: Und wie fair ist das, wenn man als sauberer Athlet erst mal nachweisen muss, dass man nicht gedopt hat?
    Kessing: Ich denke, das ist der richtige Ansatz. Alles andere wäre nämlich nicht fair und man hat dann schon das Gefühl, dass man gegen Gegner antreten muss, die möglicherweise einen Vorteil haben, von denen man es zwar ahnt, aber es dann doch nicht nachweisen kann.
    Kaess: Es ist ja sowieso schwer nachzuweisen. Bleibt bei Ihnen ein Stück Misstrauen erhalten?
    Kessing: Die Situation ist natürlich so, dass ein Grundmisstrauen einfach da ist, weil es wohl über Jahre und Jahrzehnte hinweg solche Systeme gab, egal ob nun in West oder Ost. Und bis das wieder hergestellt ist, das Urvertrauen, das braucht, glaube ich, eine gewisse Zeit.
    Kaess: Was müsste denn da passieren? Ist das überhaupt möglich, das wiederherzustellen?
    Kessing: Ich denke, dass in vielen Sportarten, bei denen auch sehr viel Geld unterwegs ist, sehr hohe oder große Wirtschaftsinteressen vorhanden sind, dass da immer so ein Grundmisstrauen wahrscheinlich vorhanden ist, insbesondere wenn es dann plötzlich überragende Leistungen gibt von Sportlern, die vorher eher nicht so aufgefallen sind.
    "Die russische Seele ist verletzt und tief getroffen"
    Kaess: Herr Kessing, wir hören jetzt schon, dass der Druck in Russland auf die Athleten steigt. Die Winterspiele, die werden nicht im russischen Fernsehen übertragen. Es gibt Boykottforderungen an die Athleten. Was glauben Sie denn, werden überhaupt russische Athleten noch teilnehmen in Südkorea?
    Kessing: Ich denke, dass schon einzelne dabei sind, dass der Wunsch, sich mit anderen Athleten zu messen, und das unter der Voraussetzung der Chancengleichheit, einfach da ist. Aber man muss auch die russische Seele verstehen. Die ist natürlich durch ein solches Urteil verletzt und tief getroffen. Und dass dann eine Gegenreaktion erfolgt, ist durchaus natürlich.
    Kaess: Wie ist das mit dem anderen Druck, der Druck davor? Das Doping in dem Ausmaß, wie es in Russland stattgefunden hat, wie schwer ist es da für einen Athleten, sich dem zu entziehen?
    Kessing: Gott sei Dank kann ich das nicht nachvollziehen, weil wir in einem ganz anderen System aufgewachsen sind und leben dürfen.
    Kaess: Gut. Aber den Druck kennen Sie trotzdem, den Leistungsdruck.
    Kessing: Aber der Druck, der ist mit Sicherheit da, weil auch der Druck einfach da ist, erfolgreich zu sein. Denken Sie nur mal wenige Jahrzehnte zurück. Als noch Ost gegen West angetreten ist, war ja auch der Medaillenspiegel immer Ausdruck der Überlegenheit eines bestimmten Systems.
    Überraschende Dopingkontrolle bei den Handballerinnen
    Kaess: Es geht um systemisches Doping - so ist es genannt worden – in Russland. Glauben Sie denn, jetzt mit dieser Strafe wird das System gebrochen?
    Kessing: Da fehlt mir im Moment noch ein bisschen der Glaube und auch die deutlichen Signale aus Russland, dass man sich zunächst mal bekennt, dass man das getan hat und dass man jetzt ohne Probleme zulässt, dass neutrale Instanzen jederzeit in das Land kommen können und unangemeldet Sportler untersuchen dürfen, so wie es bei uns Gang und Gebe ist. Ich habe beispielsweise im Moment die Handballweltmeisterschaft der Damen bei uns und gestern ist überraschend die Dopingkontrolle aufgetaucht und das konnte vorher keiner ahnen. Das sind die Dinge, die in solchen Ländern, die sehr kontrolliert sind, natürlich nicht möglich sind im Moment.
    Kaess: Jetzt steht aber Russland da ganz besonders im Fokus und wenn wir mal in Ihren Bereich gucken, auch aus dem Internationalen Leichtathletikverband ist der russische schon ausgeschlossen. Verschiebt das aber letztendlich auch den Fokus ein bisschen weg davon, dass, wie Sie auch schon gesagt haben, überall gedopt wird?
    Kessing: Das denke ich nicht. Aber man muss ja einmal anfangen und die Leichtathleten und insbesondere der Deutsche Leichtathletikverband in Person meines Vorgängers Dr. Prokop war ja Vorreiter und hat lange dafür gekämpft, für einen sauberen Sport und für Chancengleichheit unter den Sportlern. Das wird ein Kampf sein, der nie aufhören wird.
    Nachweisen, dass ein solches System nicht mehr vorhanden ist
    Kaess: Aber was müsste passieren, damit zum Beispiel die Sperre gegen russische Leichtathleten wieder aufgehoben wird?
    Kessing: Dass Russland zunächst mal einräumt, dass es da nicht richtig sauber aufgestellt war und dass künftig objektiv und von außen nachvollziehbar nachgewiesen wird, dass ein solches System nicht mehr vorhanden ist.
    Kaess: Ist es für Sie eigentlich noch eine große Glaubwürdigkeit, die sich mit der Olympia-Bewegung oder überhaupt mit dem Leistungssport verbindet?
    Kessing: Ja, wir müssen da weiter dran arbeiten, und der Glaube stirbt ganz zum Schluss. Und ich möchte es nicht erleben, wie wir das schon mal in der Antike hatten, dass man Olympische Spiele dann nicht mehr durchgeführt hat, weil man diesen Manipulationsversuchen nicht mehr Herr wurde.
    Alle Sportarten müssen mitziehen - auch Fußball
    Kaess: Es gibt aber immer noch zahlreiche internationale Sportverbände, darunter auch der internationale Fußballverband, die diesbezüglich bis heute überhaupt nicht reagiert haben. Was muss da passieren?
    Kessing: Es ist für mich schon befremdlich, dass man sich eigentlich rechtfertigen muss, dass man gegen Doping ist, und diejenigen, die sich da zurückhalten, sich darüber nicht erklären müssen. Ich denke, da müssen alle Sportarten mitziehen. Und das Thema Fußball, das ist ja schon mehr Unterhaltung denn Sport, was da an Geld unterwegs ist und man überzogen wird von diesen Dingen.
    Man kann sich ja fast nicht dagegen wehren. Wenn Sie die Augen aufschlagen oder wach werden, hören Sie Fußball, und damit schlafen Sie fast ein. Da müssen die übrigen Sportarten auch schauen, dass sie da wieder mehr in den Fokus rücken, und ich glaube, es gibt viele gute und schöne Sportarten, die nachweisbar sauber sind. Das liegt dann aber auch an den Zuschauern und an den Menschen, dass man das auch gezielt unterstützt.
    Kaess: Hat der Fußball, wenn ich Sie richtig verstehe, da eine Sonderstellung? Denn in der Tat, wie Sie sagen, die Aufregung darüber, dass da nichts passiert, die hält sich ja äußerst in Grenzen.
    Kessing: Ja, klar, auch der Fußball. Wenn ich sehe, wie viele Athleten bei der Leichtathletik tagtäglich untersucht werden, das ist ein Vielfaches dessen, was zum Beispiel im Fußball untersucht wird.
    Kaess: Jürgen Kessing war das. Er ist Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Herr Kessing, danke für das Gespräch heute Morgen.
    Kessing: Gerne, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.