Christoph Schmitz: Eigentlich wollten die Amerikaner ja keinen militärischen Konflikt in Syrien austragen und lieber Assad und die ihm wohlgesonnen Russen davon überzeugen, dass die Zeit des Assad-Clans vorbei sei und der Präsident sich am besten ins Ausland davon machen sollte. Dann kamen die Massaker des Regimes und die USA verschärften den Ton gegenüber Moskau und drohen nun, notfalls ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats neue Wege zu suchen. Stimmen nach einer militärischen Intervention werden lauter. Völkerrechtliche Fragen tun sich da auf.
Den Völkerrechtler Knut Ipsen, Emeritus der Ruhr-Universität, in den 80er-Jahren Völkerrechtsberater bei der Genfer Konferenz über die Fortentwicklung des Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, ein Jahrzehnt lang Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, ihn, Knut Ipsen, habe ich gefragt: Wäre aus Sicht des Völkerrechts eine Intervention der Weltgemeinschaft in Syrien geboten?
Knut Ipsen: Nein, das wäre sie nicht. Das Völkerrecht hat sich bislang nicht so weit entwickelt, dass es eine Intervention – und zwar käme hier in Betracht die humanitäre Intervention – gestattet, ohne dass die Vereinten Nationen durch ihr hier zuständiges Organ, nämlich den Sicherheitsrat, beteiligt gewesen wäre.
Und auch die Weiterentwicklung dieser Überlegung zur humanitären Intervention, nämlich die sogenannte Schutzverantwortung, die von der UN eingesetzten Kommission erdacht worden ist, hat sich bisher nicht zu geltendem Völkerrecht entwickelt, sodass eine Begründung der militärischen Intervention aus der Charta der Vereinten Nationen als humanitäre Intervention oder aber Schutzverantwortung bisher nicht geltendes Völkerrecht wäre und mit Sicherheit auf Widerspruch stoßen wird.
Schmitz: Wie sollte denn die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn sie rechtlich nicht reagieren darf?
Ipsen: Es ist bisher Folgendes versucht worden: In dem ersten Artikel der UN-Charta wird ja der Frieden wie auch die Förderung und Beachtung der Menschenrechte gleichwertig als Schutzgut der Charta der Vereinten Nationen aufgeführt. Hieraus hat man zum Teil den Schluss gezogen, wenn Menschenrechte großformatig und massiv angegriffen werden, wie offensichtlich in Syrien der Fall, dann ergebe sich eine Situation, die vergleichbar ist der kollektiven Verteidigung, die für die Staaten auch ohne Einschreiten der UNO, also des Sicherheitsrates, gewährleistet ist.
Das heißt also, man würde dann argumentieren, ein solcher Angriff, der auf Menschenrechte erfolgt, ist ein Angriff auf ein hohes Schutzgut der Charta und gestattet deshalb die sogenannte kollektive Verteidigung, das heißt die Verteidigung durch eine Anzahl von Staaten. Sie erinnern sich vielleicht, dass im Kosovo-Fall ähnlich argumentiert worden ist. Das ist aber bisher eine Rechtsposition und noch nicht einhellig akzeptiertes Völkerrecht.
Schmitz: Aber angesichts der Massaker würden Sie potenten Staaten dazu raten, diesem Weg zu folgen?
Ipsen: Wenn ich als Völkerrechtler einen Rat geben sollte, wäre ich in der Lage zu sagen, das ist eine Argumentation, die bereits angewendet worden ist und die man auch im Fall Syrien wieder anwenden kann. Nur es gibt – das muss genauso betont werden – keine Pflicht zum Eingreifen. Eine Pflicht, in einer solchen Situation einzugreifen, ist aus dem bisher geltenden Völkerrecht nicht herzuleiten, so bedauerlich das ist.
Schmitz: Nun steht das Land vor einem Bürgerkrieg, vielleicht haben wir schon bürgerkriegsähnliche Zustände, in dem unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, in die man nicht sich einmischen sollte, weil keine Seite nur gut und nur böse ist, auch wenn Böses geschieht.
Ipsen: Ja, das ist völlig richtig. Aber genau dieser Situation hat die Charta der Vereinten Nationen nicht Rechnung getragen. Sie müssen sich vorstellen, dass diese Charta aus der Zeit stammt, als einige der führenden Mitglieder der Staatenwelt über koloniale Großreiche verfügten, die natürlich auch für interne Konflikte anfällig waren, und eine Möglichkeit, etwa solche Bewegungen, militärische Aufstandsbewegungen und dergleichen zu schützen, die wurde damals nicht in die Charta eingebaut.
Also wir müssen einfach summa summarum sagen, die Charta der Vereinten Nationen trägt solchen Lagen, wie wir sie vermehrt in jüngster Zeit haben, nicht hinreichend Rechnung – dadurch, dass man eben die Entscheidung über Krieg und Frieden sehr stark im Sicherheitsrat konzentriert hat.
Schmitz: Das heißt, an der Völkerrechtscharta müsste kräftig nachgearbeitet werden?
Ipsen: Eigentlich müsste da erheblich nachgearbeitet werden, das ist auch durchaus erkannt worden. Nur scheuen sich die Staaten wiederum, weil eine Mehrheit der Auffassung ist, wenn man irgendwo anfängt, an der Charta zu operieren, dann kommen eine Fülle von Problemen auf, die man lieber gar nicht antasten möchte. Ich nenne nur eins: die Bevorzugung von fünf sogenannten ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Das würde dann auch zur Diskussion gestellt und alles dieses möchte man nicht gerne in dem Zusammenhang dann mit auf den Prüfstand stellen.
Schmitz: … sagt Knut Ipsen zu völkerrechtlichen Fragen einer Intervention in Syrien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Den Völkerrechtler Knut Ipsen, Emeritus der Ruhr-Universität, in den 80er-Jahren Völkerrechtsberater bei der Genfer Konferenz über die Fortentwicklung des Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, ein Jahrzehnt lang Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, ihn, Knut Ipsen, habe ich gefragt: Wäre aus Sicht des Völkerrechts eine Intervention der Weltgemeinschaft in Syrien geboten?
Knut Ipsen: Nein, das wäre sie nicht. Das Völkerrecht hat sich bislang nicht so weit entwickelt, dass es eine Intervention – und zwar käme hier in Betracht die humanitäre Intervention – gestattet, ohne dass die Vereinten Nationen durch ihr hier zuständiges Organ, nämlich den Sicherheitsrat, beteiligt gewesen wäre.
Und auch die Weiterentwicklung dieser Überlegung zur humanitären Intervention, nämlich die sogenannte Schutzverantwortung, die von der UN eingesetzten Kommission erdacht worden ist, hat sich bisher nicht zu geltendem Völkerrecht entwickelt, sodass eine Begründung der militärischen Intervention aus der Charta der Vereinten Nationen als humanitäre Intervention oder aber Schutzverantwortung bisher nicht geltendes Völkerrecht wäre und mit Sicherheit auf Widerspruch stoßen wird.
Schmitz: Wie sollte denn die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn sie rechtlich nicht reagieren darf?
Ipsen: Es ist bisher Folgendes versucht worden: In dem ersten Artikel der UN-Charta wird ja der Frieden wie auch die Förderung und Beachtung der Menschenrechte gleichwertig als Schutzgut der Charta der Vereinten Nationen aufgeführt. Hieraus hat man zum Teil den Schluss gezogen, wenn Menschenrechte großformatig und massiv angegriffen werden, wie offensichtlich in Syrien der Fall, dann ergebe sich eine Situation, die vergleichbar ist der kollektiven Verteidigung, die für die Staaten auch ohne Einschreiten der UNO, also des Sicherheitsrates, gewährleistet ist.
Das heißt also, man würde dann argumentieren, ein solcher Angriff, der auf Menschenrechte erfolgt, ist ein Angriff auf ein hohes Schutzgut der Charta und gestattet deshalb die sogenannte kollektive Verteidigung, das heißt die Verteidigung durch eine Anzahl von Staaten. Sie erinnern sich vielleicht, dass im Kosovo-Fall ähnlich argumentiert worden ist. Das ist aber bisher eine Rechtsposition und noch nicht einhellig akzeptiertes Völkerrecht.
Schmitz: Aber angesichts der Massaker würden Sie potenten Staaten dazu raten, diesem Weg zu folgen?
Ipsen: Wenn ich als Völkerrechtler einen Rat geben sollte, wäre ich in der Lage zu sagen, das ist eine Argumentation, die bereits angewendet worden ist und die man auch im Fall Syrien wieder anwenden kann. Nur es gibt – das muss genauso betont werden – keine Pflicht zum Eingreifen. Eine Pflicht, in einer solchen Situation einzugreifen, ist aus dem bisher geltenden Völkerrecht nicht herzuleiten, so bedauerlich das ist.
Schmitz: Nun steht das Land vor einem Bürgerkrieg, vielleicht haben wir schon bürgerkriegsähnliche Zustände, in dem unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, in die man nicht sich einmischen sollte, weil keine Seite nur gut und nur böse ist, auch wenn Böses geschieht.
Ipsen: Ja, das ist völlig richtig. Aber genau dieser Situation hat die Charta der Vereinten Nationen nicht Rechnung getragen. Sie müssen sich vorstellen, dass diese Charta aus der Zeit stammt, als einige der führenden Mitglieder der Staatenwelt über koloniale Großreiche verfügten, die natürlich auch für interne Konflikte anfällig waren, und eine Möglichkeit, etwa solche Bewegungen, militärische Aufstandsbewegungen und dergleichen zu schützen, die wurde damals nicht in die Charta eingebaut.
Also wir müssen einfach summa summarum sagen, die Charta der Vereinten Nationen trägt solchen Lagen, wie wir sie vermehrt in jüngster Zeit haben, nicht hinreichend Rechnung – dadurch, dass man eben die Entscheidung über Krieg und Frieden sehr stark im Sicherheitsrat konzentriert hat.
Schmitz: Das heißt, an der Völkerrechtscharta müsste kräftig nachgearbeitet werden?
Ipsen: Eigentlich müsste da erheblich nachgearbeitet werden, das ist auch durchaus erkannt worden. Nur scheuen sich die Staaten wiederum, weil eine Mehrheit der Auffassung ist, wenn man irgendwo anfängt, an der Charta zu operieren, dann kommen eine Fülle von Problemen auf, die man lieber gar nicht antasten möchte. Ich nenne nur eins: die Bevorzugung von fünf sogenannten ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Das würde dann auch zur Diskussion gestellt und alles dieses möchte man nicht gerne in dem Zusammenhang dann mit auf den Prüfstand stellen.
Schmitz: … sagt Knut Ipsen zu völkerrechtlichen Fragen einer Intervention in Syrien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.