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Irak
"Amerikaner haben damals nur Chaos angerichtet"

Die US-Intervention im Irak zwingt Barack Obama zu einem Kurswechsel. Die USA habe damit auch als Weltordnungsmacht, als zivilisatorisches Vorbild an Bedeutung verloren, sagte der Konfliktforscher Christian Hacke. Er forderte den Westen auf, eine "koordinierte Entwicklung im Rahmen der UN ins Auge fassen", wobei Hacke militärische Macht nicht ausschließe.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller | 09.08.2014
    Barack Obama bei der Pressekonferenz zum Irak
    Der US-Präsident sei hinsichtlich der Situation im Irak in einer außerordentlich schwierigen Situation, sagte der Konfliktforscher Christian Hacke im DLF. (dpa/picture-alliance/Olivier Douliery / Pool)
    Dirk Müller: Die USA und der Irak – unser Thema auch mit Politikwissenschaftler und dem internationalen Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Guten Tag!
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!
    "Obama ist in einer außerordentlich schwierigen Situation"
    Müller: Herr Hacke, egal, was Barack Obama macht – wird das falsch sein?
    Hacke: Ja, man könnte das fast so ausdrücken. Er ist in einer außerordentlich schwierigen Situation. Aber es zeigt sich, dass die außenpolitischen Pläne, besonders die Rückzugspläne nicht sich nach innenpolitischen Daten richten, sondern nach der Entwicklung selbst in der Region. Und hier zeigt sich, dass der Irak eben nicht befriedet ist, ganz im Gegenteil. Und das fordert nun die USA heraus und zwingt Obama, sagen wir mal, zu einem Kurswechsel vielleicht, der ist noch nicht vollständig, aber um 180 Grad. Und es zeigt sich eben auch vor allem Folgendes: dass die USA vielleicht als Weltordnungsmacht, als zivilisatorisches Vorbild und auch in anderen Rollen nicht völlig abgedankt haben, aber an Bedeutung verloren haben. Aber wenn es um militärische Macht geht, also um den Augenblick, wo es zur Entscheidung kommt, da müssen sie -. werden sie gefordert, werden sie geholt, und das haben wir im Moment auch, und das kann natürlich nur kurzfristig eine Linderung des Problems bringen, aber langfristig ist ganz anderes nötig.
    "Die Amerikaner dachten, sie hätten diese Situation beruhigt"
    Müller: Wussten Sie, Herr Hacke, das schon vor drei Jahren, dass der Abzug damals ein Fehler war?
    Hacke: Nein, das kann man, das kann man nicht wissen. Die Amerikaner dachten, sie hätten diese Situation beruhigt. Aber auch hier steckt was Grundsätzliches in der amerikanischen Interventionspolitik der letzten 20 Jahre: Schauen Sie, die USA haben Staaten angegriffen oder befreien wollen, wie immer man das jetzt ausdrücken mag. Aber sie haben sich niemals – weder in Afghanistan, noch in Irak, noch sonst wo – dann um das gekümmert, was langfristig Friedensordnung oder das Nation Building anbelangt in dieser bestimmten Nation. In diesem Sinne haben sie nicht mal das erreicht, was früher die großen Imperialmächte gemacht haben, die Länder besetzt haben, sicherlich auch brutal vorgegangen sind, aber sie haben dann die Verantwortung übernommen und für Ruhe und Ordnung gesorgt und natürlich auch zum Teil für zivilisatorischen Fortschritt. Also und die Amerikaner haben nicht einmal die klassischen Ordnungselemente von imperialer Politik, sondern sie hinterlassen einfach eine Region oder einen Staat nach innenpolitischen Erwägungen oder wenn sie glauben, der ist stabil, und damit haben sie im Namen eigentlich von Ordnung und Frieden eigentlich nur Chaos angerichtet. Das sehen wir von Afghanistan über Irak und in anderen Regionen auch.
    "Die demokratischen Hoffnungen des Arabischen Frühlings waren verfrüht"
    Müller: Nun würden, Herr Hacke, ja viele sagen - um das jetzt spitzfindig zu interpretieren, was Sie gesagt haben: Also die Zeit der Kolonien und der Kolonialmächte - Sie haben ja von imperialer Struktur gesprochen -, die sind vorbei. Aber Sie haben die Beispiele genannt, Afghanistan, Irak, immer wieder, auch Libyen können wir ja dazu nehmen.
    Hacke: Ja.
    Müller: Das hört sich ja fast so an, als müsste man, wenn man irgendwo reingeht und wenn man das so engagiert, in Anführung, tut, wie die Amerikaner das gemacht haben, nicht mit zehn Jahren vor Ort rechnen - haben wir in allen Ländern ja, in Afghanistan sind es schon 13, 14 -, man muss als 20, 30, 40 Jahre lang bleiben, so lange, bis die Berliner Mauer in Deutschland gefallen ist?
    Hacke: Wenn Sie so wollen, war es ein gewisser naiver Liberalismus, zu glauben, dass bei völlig anderen Kulturen und anderen politischen und historischen Zusammenhängen man dort einfach Demokratie hin exportieren kann. Und genauso stellt sich ja nun auch heraus im Zuge dieser Entwicklung jetzt von ISIS, dass eine Zusammenarbeit geboten ist, zum Beispiel mit dem Iran oder auch mit Herrschern wie Assad, der nun alles andere als angenehm ist, um es mal so auszudrücken. Es zeigt sich also, dass die demokratischen Hoffnungen des Arabischen Frühlings verfrüht waren und heutzutage sogar Stimmen stark werden, die sagen, man wünscht sich die Zeiten zurück, wo wenigstens Stabilität und Ordnung von Gaddafi über Mubarak bis Assad herrschte, weil dort eben säkulare, autoritäre Regime herrschten. Das war nicht angenehm, weiß Gott nicht, aber im Vergleich zu dem, was heute überall passiert von Libyen bis Syrien und Irak kommt man doch ins Zweifeln, kommt man doch schon ins Zweifeln, ob die langfristige, die Beurteilung, wie sie bisher vorgenommen worden ist des Arabischen Frühlings, nicht korrekturbedürftig ist.
    "USA diskutiert natürlich über eine mögliche Zusammenarbeit mit Assad in Syrien"
    Müller: Und die Bösen könnten demnach jetzt davon profitieren, dass es welche gibt, die noch schlimmer, noch böser sind?
    Hacke: Ganz genau. Aber heute sehen Sie schon, dass: In den USA, in Washington wird natürlich darüber diskutiert und zu Recht auch, inwieweit mit einer Zusammenarbeit mit Assad in Syrien halt eben ISIS zurückgedrängt werden könnte. Und ich würde mich nicht wundern, wenn heute schon ISIS und entsprechende Kämpfer ihr Augenmerk auf Afghanistan richten, denn dort steht ja zumindest ab Ende des Jahres auch einiges an, wenn dort der Westen und die USA sich zurückziehen, und dann könnte ganz Ähnliches entstehen wie im Irak. Also nicht nur heute das neue, so prognostizierte Afghanistan am Mittelmeer, was wir sehen, sondern auch ein Afghanistan im Ursprung, wie es sich seit den letzten 20 Jahren entwickelt hat, könnte ab nächstem Jahr eine neue Dynamik ins Negative entwickeln, wo im Vergleich die Taliban-Herrschaft noch fast gemütlich anzusehen ist.
    Hacke fordert gemeinsames Handeln gegenüber Fundamentalismus
    Müller: Sie haben als Politikwissenschaftler, Christian Hacke, ja über Jahrzehnte eben Konflikte beobachtet, analysiert, auch gar nicht beschränkt auf irgendwelche Jahrhunderte, sondern sehr, sehr viele Beispiele genommen. Jetzt haben wir ja sehr, sehr viele gehabt im 20. Jahrhundert, im 21. geht das weiter. Viele sagen ja jetzt, es ist jetzt so schlimm wie lange Zeit nicht mehr vorher mit diesen vielen regionalen Konflikten, trotz dieser Globalisierung oder wegen der Globalisierung. Könnte man denn jetzt auch zu dem Schluss kommen, vielleicht zu einem schnellen Schluss, dass jemand aus dem Westen im Nahen Osten gar nicht helfen kann?
    Hacke: Na ja, nun sind wir schon so mitten drin und haben uns auch schon so engagiert und auch im Negativen, dass wir uns so einfach nicht rausziehen können. Aber ich glaube, der Ansatzpunkt liegt woanders. Wir müssen überlegen, dass natürlich die UN eine Institution ist, die nach wie vor von Wichtigkeit sein kann für den Fall, dass sich die großen Mächte in der UN einigen auf eine bestimmte Strategie. Und hier sind die großen säkularen Mächte, wenn wir das mal so nehmen, die USA, die Europäische Union, Russland, China, aber auch andere Mächte wie die Türkei, der Iran gefordert nun zu einem gemeinsamen Handeln gegenüber einem Fundamentalismus, der sie alle in Zukunft bedrohen kann und der natürlich auch die Region selbst jetzt weiter, stärker bedrohen wird.
    Ich glaube, das ist das eine. Und hier wird die UN, die bisher eigentlich in einen Dornröschenschlaf verfallen war in den vergangenen Jahren, - hier muss eine Wende in New York passieren, und ich denke, hier wäre ein gemeinsamer Druck von den großen Mächten wichtig, und dazu natürlich auch - leider ist ISIS jetzt schon zu stark geworden, zu selbstständig, aber die Geldgeber, die in den Scheichtümern sitzen, zum Beispiel in Kuwait, auch hier muss angesetzt werden. Hier muss etwas versucht werden, um die Stärke von ISIS eben zu schwächen.
    "Wir sind nicht konsequent"
    Müller: Kuwait, Saudi-Arabien, das sind alles die Staaten, die jetzt mit wieder auf der Liste stehen, immer wieder auf diese fokussierte Liste geraten - und wir tun immer so, als seien die Saudis unsere besten Freunde.
    Hacke: Ja, das ist eben das Doppelspiel, auf der einen Seite die wirtschaftliche Kooperation und die Abhängigkeit und auch der Glaube, dass dort, so lange diese Herrscher an der Macht sind, der Fanatismus sich nicht durchsetzt. Da ist alles was dran. Und über lange Jahre und Jahrzehnte haben sich diese Scheichtümer ja dadurch freigekauft, ihre innere Stabilität, indem sie Al Kaida und dann die späteren Ableger unterstützt haben mit dem Augenzwinkern: Dann aber lasst uns selbst in Ruhe.
    Hacke fordert eine koordinierte Entwicklung im Rahmen der UN
    Müller: Also, das ist das Doppelspiel, das sagen Sie. Aber sind wir konsequent genug?
    Hacke: Ja, wir sind nicht konsequent und wir müssen auch feststellen, dass ISIS für uns scheinbar weit entfernt ist, aber ISIS ist auch schon hier. Wir haben den Anschlag auf die jüdische religiöse Einrichtung in Brüssel vor, glaube ich, sechs Wochen, zwei Monaten, war auch von ISIS. Und es sind immer mehr trainierte Kämpfer, die aus den westlichen Demokratien, auch aus Deutschland kommen.
    Und wir dürfen nicht vergessen, was in zweieinhalb Jahrzehnten an europäischen Fanatikern nach Afghanistan gereist ist. Das ist in zweieinhalb Jahren in Syrien passiert. Also ich bin sicher, dass ISIS einmal ihr Kalifat, in Anführungsstrichen, ausdehnen wird, die Grenzlosigkeit und die neuen Machthohlräume, die entstanden sind in Syrien und im Irak werden weiter ausgebaut. Dann sehe ich die Richtung nach Afghanistan ab Ende des Jahres, wo sie sich positionieren werden, und sie werden auch nach Westen stärker sich positionieren und natürlich auch mit Blick auf Westeuropa und die USA.
    Also es gibt keinen Grund, dass wir hier sagen: Das ist Distanz, das interessiert uns nicht. Es gibt das Humanitäre, was entsetzlich ist als Problem, wenn wir uns das anschauen jetzt, was ISIS anrichtet, aber auch wir selbst - wenn auch nicht in dieser Dimension - sollten uns stärker darum kümmern. Und ich finde die deutschen Reaktionen, hier zu sagen jetzt auf einmal, wie vom Außenminister oder auch von Herrn Gabriel, ja, ja, die Amerikaner, das ist gut, dass sie jetzt was tun mit Luftschlägen - das reicht nicht aus. Der Westen muss eine koordinierte Entwicklung ins Auge fassen im Rahmen der UN, sonst sind diese Dinge nicht zu stoppen.
    "Militärische Macht kann nicht ausgeschlossen werden"
    Müller: Sie haben jetzt vorhin gesagt, mehr Druck, gemeinsamer Druck.
    Hacke: Ja.
    Müller: Heißt das im Klartext ganz klar: mehr Gewalt?
    Hacke: Das heißt nicht unbedingt mehr Gewalt, aber es heißt zumindest erst mal Eindämmung. Das kann nur eine Mischung sein von Soft und Hard Power, um es mal auf Neudeutsch auszudrücken. Aber militärische Macht kann nicht ausgeschlossen werden. Und wir müssen überlegen, ob die UN schlagkräftig ist, in solchen Regionen für Ruhe und Ordnung zu sorgen, ohne dass sie stärker das militärische Moment berücksichtigt. Also Truppen dort mit UN-Mandat oder Schutztruppen, wie man es nennen will - wenn das bedacht wird, können die nicht nur rumlaufen und dann nach New York melden, da ist was los, sondern dann müssen sie auch theoretisch Handlungsfähigkeit haben. Das ist ein ganz schwieriges Terrain. Nur: Die augenblickliche Situation kann sich nicht so einfach kommentarlos und handlungsunfähig weiter entwickeln, wie der Westen sich zeigt.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der internationale Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Vielen Dank für das Gespräch!
    Hacke: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.