Freitag, 19. April 2024

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Irak-Experte zu IS-Video
"Es gibt einige Hinweise im Video, dass es aktuell ist"

Das Video, das den mehrmals totgesagten IS-Anführer al-Baghdadi zeigt, sei echt, sagte der Irak-Experte Guido Steinberg im Dlf. Die Terrormiliz stehe nach dem Verlust ihrer Gebiete unter Druck. Mit den Anschlägen des Osterwochenendes habe sie bewiesen, dass sie weiter relevant sei.

Guido Steinberg im Gespräch mit Silvia Engels | 30.04.2019
Der selbsternannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi der Terrormiliz IS in einem Video vom 29.04.2019 (Screenshot)
Mit dem Video des totgesagten IS-Chefs Abu Bakr al-Baghdadi lege die Terrororganisation auch propagandistisch nach, sagte der Islamwissenschaftler Steinberg im Dlf (picture alliance / abaca / Balkis Press)
Silvia Engels: Internationale Themen füllen zurzeit den Terminkalender von Bundeskanzlerin Merkel aus. Gestern hatte sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Macron zu einer Balkan-Konferenz geladen; heute richtet sich ihr Blick auf den Mittleren Osten. Der irakische Ministerpräsident Mahdi ist zu Beratungen im Kanzleramt. Unter anderem dürfte es um die Frage gehen, ob und welche deutschen IS-Kämpfer und deren Angehörige nach Deutschland zurückkehren. Aber auch der Wiederaufbau steht generell im Blickpunkt.
Am Telefon ist Guido Steinberg, Irak-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik – ein Think Tank, der politische Akteure in Berlin zu außenpolitischen Fragen berät. Guten Tag, Herr Steinberg!
Guido Steinberg: Guten Tag, Frau Engels!
Engels: Ist der irakische Ministerpräsident heute vor allem in Berlin, um sich bereit zu erklären, im Irak Prozesse gegen deutsche IS-Kämpfer zu führen und so Angela Merkel bei einem unangenehmen Thema zu helfen?
Steinberg: Es wird sicherlich auch um viele andere Fragen gehen, vor allem um die Unterstützung Deutschlands für den Wiederaufbau des Irak. Aber die Frage des Umgangs mit deutschen IS-Kämpfern, die im Irak und in Syrien inhaftiert sind, die wird natürlich diskutiert werden. Die Iraker haben in den letzten Monaten mehrfach deutlich gemacht, dass dieses Thema ihnen doch sehr am Herzen liegt.
Engels: Kann der Irak im Gegenzug, wenn man möglicherweise Entgegenkommen beim Umgang mit IS-Kämpfern zeigt, stärker auf Wiederaufbauhilfe aus Deutschland hoffen?
Steinberg: Ich glaube, dass da die Bereitschaft der Bundesregierung ohnehin ausgeprägt ist. Wir sehen das ja durch die Präsenz des deutschen Militärs, durch die Präsenz der Ausbildungsmission dort. Das ist eine Mission, die durchaus mit politischen Risiken behaftet ist – vor allem deshalb, weil der iranische Einfluss im Irak so stark ist. Deswegen halte ich das ein Indiz dafür, dass die Deutschen, dass die Bundesregierung bereit ist, im Verhältnis zum Irak sehr weit zu gehen – ganz unabhängig davon, wie jetzt die Verhandlungen sich zu den IS-Kämpfern gestalten.
Politische Probleme im Irak bestehen weiter
Engels: Wie könnte man sich denn vorstellen, dass dieser Wiederaufbau im Irak tatsächlich massiv auch unterstützt wird?
Steinberg: Nun, finanziell mit Expertise, mit all dem, was die Bundesrepublik da traditionell zu bieten hat. Die Länder des Nahen Ostens, nicht nur der Irak, auch Syrien, die schauen natürlich besonders auf die Europäische Union, und das ist traditionell so. Gerade da sich nicht abzeichnet, dass Deutschland in Syrien irgendeine Rolle spielen wird, solange sich dort politisch nichts ändert, kann der Irak natürlich auf Hilfe hoffen.
Das Problem im Irak ist, dass sich an den politischen Problemen des Landes nichts verändert hat, und diese Probleme haben letzten Endes zum Aufstieg des IS und dann anschließend zur Zerstörung weiter Teile des Nordens und Nordwestens geführt, und ich glaube, dass das das Thema ist, was von deutscher Seite auch angesprochen werden wird: Wo sind denn eigentlich die politischen Veränderungen, die uns darauf hoffen lassen können, dass der IS nicht erneut erstarkt, dass er nicht aus dem Untergrund wieder zu einer Organisation wird, wie er das in den vergangenen Jahren war.
Irakische Justiz biete kein rechtsstaatliches Verfahren an
Engels: Die anhaltende politische Instabilität im Irak ist ein Thema. Beim Wiederaufbau geht es aber auch um Wirtschaft; aber es geht auch zum Beispiel um den Aufbau eines funktionierenden Justizwesens. Und damit kommen wir wieder zum Thema deutscher IS-Kämpfer. Nehmen wir an, dass dort Prozesse gegen sie stattfinden sollten, kann man dem Irak überhaupt deutsche Staatsbürger überantworten? Denn immerhin droht da ja die Todesstrafe.
Steinberg: Das halte ich auch für ein großes Problem. Wir haben das in den letzten Monaten schon beobachten müssen, dass die irakische Justiz kein rechtsstaatliches Verfahren anbietet. Es gibt einen großen Unterschied zwischen einheimischen und ausländischen Kämpfern. Einheimische Kämpfer werden routinemäßig gefoltert und dann auch zum Tode verurteilt und exekutiert. Bei den Ausländern sind die Iraker sehr viel vorsichtiger, insbesondere dann, wenn es um Europäer geht. Trotzdem: Die Verfahren sind nicht rechtsstaatlich. Und da auch die Todesstrafe droht, kann die Bundesrepublik in dieser Beziehung gar nicht mit den Irakern zusammenarbeiten.
Die Vorstellung, dass nun in Syrien inhaftierte Kämpfer in den Irak überstellt werden, mit deutscher Hilfe, ist aus meiner Sicht deshalb vollkommen irrig. Es kann nicht sein, dass Deutsche in den Irak überstellt werden, wenn ihnen dort die Todesstrafe droht.
"Es gibt einige Hinweise im Video, dass es aktuell ist"
Engels: Schauen wir noch auf ein anderes Thema, Herr Steinberg. Gestern sorgte ein vom IS verbreitetes Video für Furore. Darin offenbar zu sehen der mehrfach totgesagte IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Ist dieses Video echt und ist es aktuell?
Steinberg: Ja, aus meiner Sicht ist das Video echt. Der sogenannte Kalif, der redet und er zeigt sich insgesamt in einer doch recht schlechten Verfassung. Er wirkt körperlich, er wirkt aber auch sprachlich angeschlagen, und es gibt einige Hinweise im Video, dass es aktuell ist. Zum einen die Datierung des Videos, die in der Regel beim IS nicht falsch sind, und dann erwähnt Abu Bakr al-Baghdadi die Anschläge vom Ostersonntag in Sri Lanka, aber auch in Saudi-Arabien. Und er sagt ganz deutlich, dass diese Aktivitäten des IS weltweite Rache sind für die Niederlage in Syrien und den Verlust der letzten IS-Ortschaft Baghus. Das ist ein deutliches Anzeichen, dass dieses Video aus der letzten Woche stammt.
Ablauf der Ereignisse sei vom IS schon länger geplant
Engels: Macht Baghdadi damit auch direkt die künftige Strategie der Terrororganisation klar: Es geht nicht mehr um das Halten von Gebieten, sondern es geht um weltweiten Terror?
Steinberg: Ja, das sagt er uns ganz deutlich, und es scheint so zu sein, als hätte der IS den Ablauf der Ereignisse schon seit einigen Wochen geplant: Zunächst einmal Anschläge in Sri Lanka und in Saudi-Arabien – in Saudi-Arabien sind sie gescheitert – und dann folgt ein Video des IS-Kalifen. Die Organisation hat seit November 2014 weltweit vor allem in der islamischen Welt Ableger gegründet, die den Kampf für die geschwächte Zentrale im Irak und in Syrien übernehmen sollen. Die Ankündigung Baghdadis ist ganz klar, das geht auch aus vielen Stellen im Video hervor: Wir sind in der gesamten islamischen Welt und auch darüber hinaus präsent. Wir werden jetzt einen Untergrundkrieg führen. Da hat nur eine neue Runde im Kampf des IS gegen den Westen begonnen und es hat keine Niederlage gegeben, wie das beispielsweise US-Präsident Trump dargestellt hat.
"Was er bietet, ist so eine Art virtuelles Kalifat"
!!Baghdadi gilt als einer der meistgesuchten Menschen weltweit. Was für einen strategischen Nutzen hat der IS davon, ausgerechnet ihn jetzt wieder in die Öffentlichkeit zu bringen?
Steinberg: Ich denke, dass der IS massiv unter Druck ist. Im Irak und in Syrien hat er ja tatsächlich sein Territorium verloren. Dieses Territorium war aber für ihn ganz wichtig für die Rekrutierung seit 2014. Nur dadurch, dass er beanspruchen konnte, tatsächlich ein Staat unter der Führung eines Kalifen zu sein, hat er zehntausende junge Leute aus aller Welt in den Irak und nach Syrien gelockt. Jetzt muss er etwas anderes bieten, und das, was er bietet, ist so eine Art virtuelles Kalifat. Er steht unter Druck darzustellen, dass er weiterhin relevant ist. Das hat er mit den Anschlägen des Osterwochenendes getan. Und jetzt versucht er, noch einmal propagandistisch nachzulegen. Es ist allerdings auch ganz klar, dass der IS zumindest im Irak und in Syrien unter Druck ist. Das zeigt sich schon daran, dass man aus dem Video tatsächlich keine Rückschlüsse darauf ziehen kann, wo Baghdadi sich aufhält.
Engels: Wir müssen also weiter mit IS-Anschlägen einer gewaltigen Größenordnung rechnen?
Steinberg: Wir müssen zumindest mit IS-Anschlagsversuchen rechnen. Man muss ja bei Sri Lanka immer wieder sagen, dass das Land weitgehend ungeschützt war, weil die dortige Politik einen solchen Anschlag nicht erwartet hat. Alle anderen Zielländer, die rechnen mit solchen Anschlägen. Das hat sich beispielsweise in Saudi-Arabien gezeigt. Da hat auch am Ostersonntag ein Anschlag stattgefunden, der allerdings gescheitert ist. Letzten Endes wird es jetzt in dieser neuen Phase des Kampfes gegen den IS vor allem darum gehen, mögliche Zielländer, die vielleicht nicht so gut geschützt sind wie Saudi-Arabien oder Deutschland oder die USA, zu identifizieren, mit denen zusammenzuarbeiten, um dann ähnliche Anschläge wie in Sri Lanka verhindern zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.