Bettina Klein: Herr Lüders, was hat der Irak davon, wenn sich die ehemaligen Kriegs- und Antikriegsmächte wieder zusammentun?
Michael Lüders: Es ist natürlich eine politische Aufwertung für die irakische Regierung, die nunmehr die Möglichkeit hat, sich der internationalen Staatengemeinschaft als eine engagierte und tatkräftige Regierung zu präsentieren, und in der Tat muss man der irakischen Regierung wünschen, dass sie das Chaos im eigenen Land in den Griff bekommt, denn das ist Voraussetzung dafür, dass es im Irak weitergeht politisch und vor allem wirtschaftlich. Dennoch muss man ganz klar sagen, dass es zwei verschiedene Wirklichkeiten im Irak gibt. Das, was die irakische Regierung unternimmt, ist das eine, und das, was im Land selber geschieht, ist ein völlig Anderes, das von dieser Regierung nicht mehr kontrolliert wird. Diese Regierung ist auch in der eigenen Bevölkerung nicht sehr beliebt. Sie wird mit größter Skepsis gesehen, weil es ihr nicht gelingt, das Chaos, die Anarchie und die Gewalt zu kontrollieren, weil sie zu eng liiert ist mit der überwiegend kritisch gesehenen amerikanischen Besatzungsmacht und weil sie zunehmend als korrupt gilt. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass Millionenbeträge verschwunden sind im jeweiligen Einflussbereich verschiedener Minister, und das alles trägt nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu stärken, die ja gerade noch einmal ein halbes Jahr zur Verfügung hat, um eine neue Verfassung zu verabschieden, um dann Neuwahlen zu organisieren.
Klein: Weshalb trägt es denn dazu bei, Vertrauen in die irakische Regierung zu stärken einfach dadurch, dass ihr heute ein Forum in Brüssel gewährt wird?
Lüders: Es ist vor allem eine Vertrauensstärkung für die irakische Regierung selbst, die dadurch aufgewertet wird. Ich denke, dass diese Konferenz in Brüssel in erster Linie dazu beiträgt, zwischen Europäern und Amerikanern den Schulterschluss zu probieren. Der Irak ist ja immer noch ein Reizthema zwischen den Europäern und den Amerikanern, aber man bewegt sich aufeinander zu. Auf beiden Seiten des Atlantiks gibt es kein Interesse, wegen des Iraks die Gräben auch weiterhin vertieft zu lassen. Man möchte sich annähern, und das ist auch gut und richtig so, nur, wie gesagt, das, was wir in Brüssel beobachten, hat mit der Realität im Irak nur bedingt zu tun. Insbesondere der Vorwurf, dass vor allem Syrien und Iran wesentlich beitragen würden zur Destabilisierung im Irak selber, ist doch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Es gibt keinen Grund, den Regimes in Damaskus oder Teheran zu vertrauen, was den Irak anbelangt, aber die größte Zahl der Infiltrierten stammt aus Saudi-Arabien. Von Saudi-Arabien aus strömen radikale Islamisten in Richtung Irak, und auch Jordanien ist ein wichtiges Transitland. Da aber diese beiden Länder wichtige Verbündete des Westens sind, lässt man sie in der Kritik außen vor. Das ist ein bisschen problematisch, weil in der Region selber die Realität sich anders darstellt als in den Denkfabriken und in den politischen Zirkeln in Washington oder Europa.
Klein: Sicherheit, wirtschaftlicher Aufbau, politische Stabilisierung. In dieser Reihenfolge wurden die Ziele der Konferenz in Brüssel benannt. Sicherheit also an erster Stelle, und ohne die wird es auch keine normale Entwicklung geben können. Sie haben es gerade angedeutet, die täglichen mörderischen Anschläge zeugen davon, wie vergeblich man sich darum bemüht. Weshalb ist das aus Sicht der irakischen Regierung so schwer?
Lüders: Es ist mittlerweile eine Situation eingetreten, die niemand mehr im Irak vollständig kontrollieren kann. Der Terror und der Widerstand speist sich aus mehreren Quellen. Das sind zum einen notorische Dschihad-Kämpfer, die im Irak die Entscheidungsschlacht mit den Vereinigten Staaten suchen. Es gibt aber vor allem die gestürzten Anhänger des Saddam-Regimes, die sich militärisch neu formiert haben, und mittlerweile gibt es immer mehr ein kriminelles Milieu, das sich mit den Widerständischen und Terroristen zusammentut, ohne dass klar wäre, was eigentlich ihre Ziele sind. So ist die einzige Industrie, die im Irak gegenwärtig wirklich floriert, die Entführungsindustrie. Es ist wirklich ein Business. Man kann dort in Büros in Bagdad sich helfen lassen, um entführte Kinder oder Verwandte wieder ausfindig zu machen, und gegen die Zahlung eines Lösegeldes kommen die dann wieder frei. Das alles ist natürlich ein Desaster für den Wiederaufbau. Hinzu kommt, dass immer mehr lokale Kriegsfürsten, die Warlords, ähnlich wie in Afghanistan in lokalen Bereichen die Macht übernehmen und ihr eigenes Regime errichten. Eine sehr chaotische Situation ist hier entstanden, die von niemandem mehr zu kontrollieren ist, auch nicht von der amerikanischen Armee, der es immer wieder gelingt, taktische Siege zu erzielen und in einigen Städten oder Regionen Widerstandskämpfer und Terroristen auszuschalten, aber dafür sprießen sie wie ein Pilz wieder an anderen Stellen aus dem Boden.
Klein: Wenn Sie sagen, das kann niemand mehr kontrollieren, das kann doch nicht bedeuten, dass wir resignieren müssen, sondern im Gegenteil: Sollte man auf Konferenzen wie die heutige den Anspruch formulieren, sich etwas einfallen zu lassen, wie man die Situation verändern kann?
Lüders: Genau so ist, und das ist eben die Eine-Million-Dollar-Frage, und wer diese Frage beantworten kann, dem ist die Sympathie der irakischen Regierung gewiss, und der wird sicherlich in der westlichen Welt großes Ansehen genießen. Aber die Realität ist, dass im Moment alle Beteiligten ratlos sind, die irakische Regierung, die Amerikaner, die Europäer sowieso. Niemand hat ein Patentrezept, und es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. Es wäre wahrscheinlich hilfreich, wenn die amerikanische Regierung einen Fahrplan benennen würde für den Abzug der eigenen Truppen aus dem Irak, denn das ist doch etwas, das vielen Irakern emotional sehr gegen den Strich geht, die Präsenz amerikanischer Soldaten, die ja zudem nicht helfen - jedenfalls bislang nicht -, diese Anarchie zu kontrollieren.
Klein: Wie beurteilen Sie die Rolle Europas, speziell Deutschlands? Wie kann die Unterstützung aussehen, die von hier aus ausgehen kann?
Lüders: Diese Unterstützung wird sich in engen Grenzen halten. Im Grunde genommen ist das, was die Europäer bislang tun, auch vernünftig. Man versucht, nicht mehr die Amerikaner zu behindern. Man versucht, aktive Entwicklungspolitik zu leisten, unter anderem die Ausbildung irakischer Soldaten und Sicherheitskräfte, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Jordanien vor allem erfolgt, aber das sind alles nur Tropfen auf dem heißen Stein. Solange die Situation insgesamt so instabil bleibt, können die Europäer eigentlich nur ohnmächtig verfolgen, wie sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft eine sehr schwierige Situation anbahnt.
Klein: Bis zum Herbst soll im Irak die Verfassung bestätigt sein. Welche Hürden müssen da in jedem Fall noch genommen werden?
Lüders: Vor allem geht es darum, dass sich die verschiedenen Partner innerhalb der irakischen Regierung, die einzelnen Ministerien überhaupt erst mal darauf verständigen, wie sie die Macht im Lande teilen wollen. Es ist ja schon über die Hälfte der Zeit vergangen, in der man eigentlich über eine neue Verfassung beraten wollte. Man hat noch nicht mal angefangen mit diesen Beratungen. Bisher ging es nur darum, sich irgendwie zu arrangieren und die vorhandenen Animositäten zwischen verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen zu überwinden. Also wie diese Aufgabe gelingen soll, bis Oktober eine neue Verfassung vorzulegen, das steht augenblicklich in den Sternen.
Klein: Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Lüders: Es ist natürlich eine politische Aufwertung für die irakische Regierung, die nunmehr die Möglichkeit hat, sich der internationalen Staatengemeinschaft als eine engagierte und tatkräftige Regierung zu präsentieren, und in der Tat muss man der irakischen Regierung wünschen, dass sie das Chaos im eigenen Land in den Griff bekommt, denn das ist Voraussetzung dafür, dass es im Irak weitergeht politisch und vor allem wirtschaftlich. Dennoch muss man ganz klar sagen, dass es zwei verschiedene Wirklichkeiten im Irak gibt. Das, was die irakische Regierung unternimmt, ist das eine, und das, was im Land selber geschieht, ist ein völlig Anderes, das von dieser Regierung nicht mehr kontrolliert wird. Diese Regierung ist auch in der eigenen Bevölkerung nicht sehr beliebt. Sie wird mit größter Skepsis gesehen, weil es ihr nicht gelingt, das Chaos, die Anarchie und die Gewalt zu kontrollieren, weil sie zu eng liiert ist mit der überwiegend kritisch gesehenen amerikanischen Besatzungsmacht und weil sie zunehmend als korrupt gilt. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass Millionenbeträge verschwunden sind im jeweiligen Einflussbereich verschiedener Minister, und das alles trägt nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu stärken, die ja gerade noch einmal ein halbes Jahr zur Verfügung hat, um eine neue Verfassung zu verabschieden, um dann Neuwahlen zu organisieren.
Klein: Weshalb trägt es denn dazu bei, Vertrauen in die irakische Regierung zu stärken einfach dadurch, dass ihr heute ein Forum in Brüssel gewährt wird?
Lüders: Es ist vor allem eine Vertrauensstärkung für die irakische Regierung selbst, die dadurch aufgewertet wird. Ich denke, dass diese Konferenz in Brüssel in erster Linie dazu beiträgt, zwischen Europäern und Amerikanern den Schulterschluss zu probieren. Der Irak ist ja immer noch ein Reizthema zwischen den Europäern und den Amerikanern, aber man bewegt sich aufeinander zu. Auf beiden Seiten des Atlantiks gibt es kein Interesse, wegen des Iraks die Gräben auch weiterhin vertieft zu lassen. Man möchte sich annähern, und das ist auch gut und richtig so, nur, wie gesagt, das, was wir in Brüssel beobachten, hat mit der Realität im Irak nur bedingt zu tun. Insbesondere der Vorwurf, dass vor allem Syrien und Iran wesentlich beitragen würden zur Destabilisierung im Irak selber, ist doch mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Es gibt keinen Grund, den Regimes in Damaskus oder Teheran zu vertrauen, was den Irak anbelangt, aber die größte Zahl der Infiltrierten stammt aus Saudi-Arabien. Von Saudi-Arabien aus strömen radikale Islamisten in Richtung Irak, und auch Jordanien ist ein wichtiges Transitland. Da aber diese beiden Länder wichtige Verbündete des Westens sind, lässt man sie in der Kritik außen vor. Das ist ein bisschen problematisch, weil in der Region selber die Realität sich anders darstellt als in den Denkfabriken und in den politischen Zirkeln in Washington oder Europa.
Klein: Sicherheit, wirtschaftlicher Aufbau, politische Stabilisierung. In dieser Reihenfolge wurden die Ziele der Konferenz in Brüssel benannt. Sicherheit also an erster Stelle, und ohne die wird es auch keine normale Entwicklung geben können. Sie haben es gerade angedeutet, die täglichen mörderischen Anschläge zeugen davon, wie vergeblich man sich darum bemüht. Weshalb ist das aus Sicht der irakischen Regierung so schwer?
Lüders: Es ist mittlerweile eine Situation eingetreten, die niemand mehr im Irak vollständig kontrollieren kann. Der Terror und der Widerstand speist sich aus mehreren Quellen. Das sind zum einen notorische Dschihad-Kämpfer, die im Irak die Entscheidungsschlacht mit den Vereinigten Staaten suchen. Es gibt aber vor allem die gestürzten Anhänger des Saddam-Regimes, die sich militärisch neu formiert haben, und mittlerweile gibt es immer mehr ein kriminelles Milieu, das sich mit den Widerständischen und Terroristen zusammentut, ohne dass klar wäre, was eigentlich ihre Ziele sind. So ist die einzige Industrie, die im Irak gegenwärtig wirklich floriert, die Entführungsindustrie. Es ist wirklich ein Business. Man kann dort in Büros in Bagdad sich helfen lassen, um entführte Kinder oder Verwandte wieder ausfindig zu machen, und gegen die Zahlung eines Lösegeldes kommen die dann wieder frei. Das alles ist natürlich ein Desaster für den Wiederaufbau. Hinzu kommt, dass immer mehr lokale Kriegsfürsten, die Warlords, ähnlich wie in Afghanistan in lokalen Bereichen die Macht übernehmen und ihr eigenes Regime errichten. Eine sehr chaotische Situation ist hier entstanden, die von niemandem mehr zu kontrollieren ist, auch nicht von der amerikanischen Armee, der es immer wieder gelingt, taktische Siege zu erzielen und in einigen Städten oder Regionen Widerstandskämpfer und Terroristen auszuschalten, aber dafür sprießen sie wie ein Pilz wieder an anderen Stellen aus dem Boden.
Klein: Wenn Sie sagen, das kann niemand mehr kontrollieren, das kann doch nicht bedeuten, dass wir resignieren müssen, sondern im Gegenteil: Sollte man auf Konferenzen wie die heutige den Anspruch formulieren, sich etwas einfallen zu lassen, wie man die Situation verändern kann?
Lüders: Genau so ist, und das ist eben die Eine-Million-Dollar-Frage, und wer diese Frage beantworten kann, dem ist die Sympathie der irakischen Regierung gewiss, und der wird sicherlich in der westlichen Welt großes Ansehen genießen. Aber die Realität ist, dass im Moment alle Beteiligten ratlos sind, die irakische Regierung, die Amerikaner, die Europäer sowieso. Niemand hat ein Patentrezept, und es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. Es wäre wahrscheinlich hilfreich, wenn die amerikanische Regierung einen Fahrplan benennen würde für den Abzug der eigenen Truppen aus dem Irak, denn das ist doch etwas, das vielen Irakern emotional sehr gegen den Strich geht, die Präsenz amerikanischer Soldaten, die ja zudem nicht helfen - jedenfalls bislang nicht -, diese Anarchie zu kontrollieren.
Klein: Wie beurteilen Sie die Rolle Europas, speziell Deutschlands? Wie kann die Unterstützung aussehen, die von hier aus ausgehen kann?
Lüders: Diese Unterstützung wird sich in engen Grenzen halten. Im Grunde genommen ist das, was die Europäer bislang tun, auch vernünftig. Man versucht, nicht mehr die Amerikaner zu behindern. Man versucht, aktive Entwicklungspolitik zu leisten, unter anderem die Ausbildung irakischer Soldaten und Sicherheitskräfte, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Jordanien vor allem erfolgt, aber das sind alles nur Tropfen auf dem heißen Stein. Solange die Situation insgesamt so instabil bleibt, können die Europäer eigentlich nur ohnmächtig verfolgen, wie sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft eine sehr schwierige Situation anbahnt.
Klein: Bis zum Herbst soll im Irak die Verfassung bestätigt sein. Welche Hürden müssen da in jedem Fall noch genommen werden?
Lüders: Vor allem geht es darum, dass sich die verschiedenen Partner innerhalb der irakischen Regierung, die einzelnen Ministerien überhaupt erst mal darauf verständigen, wie sie die Macht im Lande teilen wollen. Es ist ja schon über die Hälfte der Zeit vergangen, in der man eigentlich über eine neue Verfassung beraten wollte. Man hat noch nicht mal angefangen mit diesen Beratungen. Bisher ging es nur darum, sich irgendwie zu arrangieren und die vorhandenen Animositäten zwischen verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen zu überwinden. Also wie diese Aufgabe gelingen soll, bis Oktober eine neue Verfassung vorzulegen, das steht augenblicklich in den Sternen.
Klein: Vielen Dank für das Gespräch.