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"Iran initiiert die Angriffe"

Der jüdische Publizist Rafael Seligmann hat das militärische Vorgehen Israels gegen die radikalislamische Hisbollah verteidigt. Hinter den Raketenangriffen aus dem Libanon stehe der Iran, sagte Seligmann. Da Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Vernichtung Israels angekündigt habe, müsse Israel parallel zu diplomatischen Bemühungen um Frieden die militärische Bedrohung seiner Städte ausschalten.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Es hat sie einmal gegeben, die Friedensbewegung in Israel. Immer wenn sich in der Regierung in Jerusalem die Vertreter eines harten Kurses durchsetzten, dann traten diejenigen auf den Plan, die auf Verständigung, auf einen friedlichen Ausgleich mit den arabischen Nachbarn drängten. Im September '82 waren es 400.000 Menschen, die in Tel Aviv für einen Abzug aus dem Libanon demonstrierten. Doch in der derzeitigen Krise ist von der Friedensbewegung nicht viel zu sehen. Im Gegenteil, die meisten Anhänger unterstützen den Kurs von Ministerpräsident Olmert. Darüber möchte ich sprechen mit dem deutsch-jüdischen Publizisten und Schriftsteller Rafael Seligmann. Guten Morgen!

    Rafael Seligmann: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Seligmann, Sie sind in Tel Aviv geboren. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die Eskalation der Lage im Nahen Osten?

    Seligmann: Ja, mit Entsetzen. Wie jeder human denkende Mensch kann man nur entsetzt sein, wenn man sieht, dass täglich Menschen sterben, dass Menschen mutwillig umgebracht werden. Da kann man nur entsetzt sein.

    Heckmann: Selbst die Mehrheit der israelischen Linken sagt und argumentiert, wer jetzt einen sofortigen Waffenstillstand fordert, stärke die Hisbollah. Also auch Organisationen wie "Frieden Jetzt", gegründet von Amos Oz, oder die ehemalige Anti-Kriegsgruppe "Vier Mütter" argumentieren so. Ist das der Konsens in der israelischen Gesellschaft?

    Seligmann: Ja, und das wäre auch der Konsens in Deutschland und in Russland und in vielen Ländern, die den Israelis jetzt unheimlich schlaue Ratschläge geben. Stellen Sie sich vor, in einer Stadt wie Hamburg schlagen Raketen ein, und da sind zivile Opfer eben keine so genannten Kolateralschäden - ein furchtbares Wort -, aber die sind beabsichtigt. Da werden Soldaten entführt und als Geiseln missbraucht. Da hört die theoretische Diskussion über Frieden jetzt auf, weil man einfach in einer existentiellen Bedrohung ist. Und vor allem wissen die Israelis, im Gegensatz zu vielen schlauen Theoretikern in Europa, wer dahinter steht. Das ist Iran. Iran liefert die ganzen Waffen, Iran initiiert die Angriffe, und Irans Präsident lässt überhaupt keinen Zweifel, was er will: Nämlich die Vernichtung Israels. Und er betreibt ein entsprechendes Atomprogramm, übrigens nicht nur er, sondern auch seine Vorgänger.

    Heckmann: Es geht um die Existenz Israels, sagen Sie, und das sagen viele Israelis dort vor Ort. Dennoch gibt es vereinzelte Demonstranten, die sich gegen die Art der Kriegsführung auch wenden. Die werden teilweise als Verräter beschimpft. Der Ton wird rauer, die Positionen werden extremer. Ist das ein Zeichen für eine Gesellschaft im Kriegszustand?

    Seligmann: Ja, selbstverständlich. Die Menschen wollen Frieden. Die Regierung ist mit einem Friedensprogramm angetreten, Sharon hat einen Rückzug durchgesetzt gegen große Widerstände. Die israelische Rechte hat gesagt, wenn wir uns aus Gaza zurückziehen werden, wird die Folge nicht Frieden, sondern neuer Krieg sein. Und eben das ist eingetroffen.

    Heckmann: Es bleibt trotzdem die Frage, Herr Seligmann, wie reagiert die israelische Regierung, der israelische Staat auf diese Herausforderung, auf diese Krise? Die Kritik der internationalen Gemeinschaft an dem nicht verhältnismäßigen Vorgehen ist da. Würden Sie das auch bezeichnen als kluge Ratschläge, die nicht gebraucht werden?

    Seligmann: Nein, man möchte natürlich helfen, nur die Frage ist, wie helfen Sie und wie reagiert ein Staat? Wie reagiert zum Beispiel Russland, wie reagiert England? Ich erinnere nur an den damals Anschlag auf die U-Bahn, als plötzlich ein Unbeteiligter erschossen wurde. Wie, was sind die tatsächlichen Alternativen? Natürlich ist es einfach, jeder vernünftige Mensch will in Frieden leben. Nur wenn die Gegenseite ganz klar sagt, wir wollen diesen Staat auslöschen, was tun sie dann? Natürlich strebt man parallel dazu Frieden an. Das Problem ist nur, dass Sie da bis jetzt keine Friedenstruppe mit einem robusten Mandat bekommen haben, die einen Gewaltangriff verhindern soll.

    Heckmann: Es hat in der Tat manchmal den Anschein, dass die Existenzbedrohung des Staates Israel hier in der westlichen Welt nicht angemessen berücksichtigt wird. Dennoch, Sie sehen keinen Anlass für Kritik an dem Vorgehen der israelischen Militärs?

    Seligmann: Sie legen mir da etwas in den Mund. Die Frage ist nur, sagen Sie mir eine Alternative. Ich meine, ich habe Sicherheitspolitik studiert, ich habe es unterrichtet, ich will Frieden, wie jeder vernünftige Mensch. Und das war ja das Ergebnis der israelischen Wahl. Das ist die Bestrebung der israelischen "Frieden Jetzt"-Bewegung. Aber hier zu sitzen und zu sagen, ja man sollte friedlicher reagieren - wie würde Deutschland reagieren, wenn jede Nacht Hunderte von Raketen in Wohngebieten einschlagen? Da kann man nur zwei Sachen tun: Diplomatisch versuchen, das zu lösen, und gleichzeitig militärisch die Bedrohung auszuschalten.

    Heckmann: Aber es ist die Frage, ob man so vorgehen muss, dass man die Zivilbevölkerung im Libanon derart in Mitleidenschaft zieht?

    Seligmann: Wenn Sie es genau ansehen, dann sehen Sie, es wird versucht, die Zivilbevölkerung zu schonen. Ich bin, schauen Sie, und jetzt kommen wir vielleicht zu einem Dilemma: Jeder Jude in Deutschland wird immer gefragt, sagen Sie, was machen Sie in Israel. Ich mache gar nichts in Israel. Also jeder wird praktisch von vornherein sozusagen als Sprecher Israels funktioniert oder projiziert. In Israel ist eine Regierung gewählt worden, demokratisch gewählt worden, und die versucht, Sicherheit für die Leute zu bringen. Und ich finde es teilweise hochinteressant, wenn sie einfach Leserbriefe in Deutschland lesen. Da dreht sich mir der Magen um, wenn plötzlich gesprochen wird von dem heiligen Buch der Juden, in dem steht, Aug um Aug, Zahn um Zahn. Dieses so genannte heilige Buch der Juden ist die Bibel, die ist für alle gültig. Und wenn hier unglaubliche, und in Europa, wenn beispielsweise in Norwegen der israelische Premierminister dargestellt wird, als KZ-Kommandant, der Palästinenser erschlägt - wie reagieren dann die Juden?

    Heckmann: Der Zentralrat der Juden in Deutschland bekommt seit Beginn der Kämpfe hunderte E-Mails antisemitischen und antiisraelischen Inhalts. Sie würden also auch sagen, dass antisemitische und antiisraelische Strömungen verstärkt werden, derzeit.

    Seligmann: Nein, ich sage nicht, dass sie verstärkt werden.

    Heckmann: Oder Zulauf bekommen?

    Seligmann: Sie kommen nur in einem bestimmten Klima besser zum Tragen. Ich kann Israel kritisieren, und das tue ich oft. Ich würde im konkreten Fall auch sagen, legt größere Anstrengung und schnellere Anstrengung auf diplomatische Lösungen. Wobei ich nicht sehe, wo das Ende sein wird. Es würde ja genügen, wenn das Existenzrecht aller Parteien anerkannt wird, dann haben Sie sofort Frieden, das ist die eine Sache. Aber was zum Tragen kommt teilweise in der Öffentlichkeit, sind antisemitische, latent antisemitische Gefühle, die schon da waren. Also ich kann Israel kritisieren, aber wenn ich sage, dass dieser Staat keine Existenzberechtigung hat, was teilweise immer wieder zu hören ist, dass dieser Staat ein Fremdkörper ist, dass dieser Staat nur Aggressionen hervorruft, wenn ich einseitig Israel kritisiere, dann frage ich mich, woher diese Kritik kommt. Wie gesagt, Kritik an der Politik ist eine Sache, Verweigerung des Existenzrechtes ist eine andere. Und da muss ich mich fragen, woher kommt diese Verweigerung?

    Heckmann: Über die Krise im Nahen Osten war das der Publizist und Schriftsteller Rafael Seligmann hier in den Informationen am Morgen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Seligmann: Ich danke auch.