Mullahs im Iran
Die wackelige Macht des iranischen Regimes

Die iranische Staatsführung hält sich seit Jahren nur mit Repression an der Spitze des Landes. Der Druck auf das Regime um Ayatollah Chamenei ist groß, nicht erst seit den Angriffen Israels und der USA. Wohin steuert das Land?

    Proteste im Iran: Von hinten ist eine Frau zu sehen, sie trägt kein Kopftuch und reckt ihren Arm in die Höhe: Neben ihr brennt ein Feuer.
    Proteste der iranischen Demokratiebewegung im Oktober 2022: Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini kam es landesweit zu Demonstrationen gegen das Regime. (picture alliance / AP / Uncredited)
    Das iranische Regime steht schon länger massiv unter Druck. In den vergangenen Jahren kam es im Land wiederholt zu Protestwellen gegen die Staatsführung, zuletzt 2022 und 2023. Anlass war der Tod von Jina Mahsa Amini nach einer gewaltsamen Festnahme durch die iranischen Sittenwächter. Die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ war die bislang größte und längste Protestwelle seit Bestehen der Islamischen Republik.
    Einige wähnten bereits das Ende der Machthaber. Doch das Regime um den Obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei behauptet sich bis heute an der Spitze des Landes und setzt dafür massive Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ein. Seit den israelischen und US-amerikanischen Militäreinsätzen im Juni 2025 ist die politische Spitze weiter unter Druck. Wie viel Macht hat die iranische Führung noch?

    Inhalt

    Die Machthaber: Ayatollah Chamenei und die Revolutionsgarde

    Die Islamische Republik Iran gilt im Wesen als eine Art Lehrbuchbeispiel dafür, wie politische Macht religiös legitimiert wird. Das politische System des Landes basiert auf der Welāyat-e Faqīh, der Herrschaft des Rechtsgelehrten, auch Mullah genannt. Seit der Islamischen Revolution 1979, die zum Ende der iranischen Monarchie führte, steht der Geistliche Führer an der Spitze des Landes.
    Das ist seit 1989 der heute 86-jährige Ayatollah Ali Chamenei. Er ist qua Verfassung das Staatsoberhaupt und nicht nur geistlicher, sondern auch politischer und militärischer Führer. Er hat das letzte Wort in religiösen Fragen, gibt die Richtlinien der Politik vor, und ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und der Revolutionsgarden. Nach den Angriffen Israels und der USA hatten führende iranische Oppositionelle, wie der im Exil lebende Sohn des einstigen Schahs, Resa Pahlavi, und Marjam Radschawi von den Volksmudschaheddin, Chamenei zum Rücktritt aufgefordert.
    Allerdings ist fraglich, wie viel Macht Ayatollah Ali Chamenei tatsächlich hat. Es werde vermutet, sagt der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad, dass Chamenei seine militärische Entscheidungsgewalt zumindest teilweise an Kommandeure der Islamischen Revolutionsgarde abgegeben habe. Auch die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur betont die große militärische und wirtschaftliche Macht dieser Elitestreitkräfte und verweist auf ihre starke Rolle bei der Unterdrückung der Zivilgesellschaft.

    Die Kluft zwischen Staatsführung und Gesellschaft

    Die Revolutionsgarde gilt als mächtige Stütze der Staatsführung. Seit Jahren halten sich die iranischen Machthaber nur durch massive Unterdrückung und Gewalt an der Macht. Der Unmut in der Bevölkerung über die desolate wirtschaftliche und politische Situation im Land ist groß, sagt der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad im Januar 2025, gut ein halbes Jahr vor den Militäranschlägen Israels und der USA. Das Regime in Teheran sei marode, die Staatsführung gleiche einem „Kaiser ohne Kleider“.

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    Die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft hält er für „irreversibel“. Es gebe keine politischen Antworten des Regimes auf die großen Krisen des Landes, in dem die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt. Der Politologe sieht Iran am Beginn eines „langfristigen, revolutionären Prozesses“. Dessen Anfänge lägen in den Protesten von 2017 und 2018, als die unteren Klassen, die bis dato als „soziale Basis des Regimes“ angesehen worden seien, massenweise auf die Straße gingen und wirtschaftliche und politische Reformen forderten. Als Reaktion auf die Erhöhung von Benzinpreisen kam es im November 2019 erneut zu landesweiten Demonstrationen.
    Im Herbst 2022 entfachte der Tod der 22-jährigen kurdischstämmigen Iranerin Jina Mahsa Amini nach einer Festnahme durch die Sittenpolizei wegen eines angeblich falsch getragenen Kopftuchs erneut Massenproteste. Angeführt wurden die Demonstrationen von Frauen, die seit der Gründung der Islamischen Republik unterdrückt werden. Zunächst gingen vor allem junge Menschen auf die Straße, darunter viele Studierende. Doch immer größere Teile der Bevölkerung solidarisierten sich.
    Was als Protest gegen Polizeigewalt und die Moralvorstellungen des Mullah-Regimes begann, weitete sich aus: Die Demonstrationen richteten sich zunehmend gegen die Legitimation der Islamischen Republik, gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik und Korruption. Trotz des brutalen Vorgehens des Regimes gegen die Demonstranten, hielten die Proteste „erstaunlich lange“ an, sagt Fathollah-Nejad. Er wertet dies als Hinweis darauf, dass der Repressionsapparat des Regimes Risse bekommen habe.
    Auch Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur betont die große Unzufriedenheit im Land. Sie verweist auf Schätzungen, nach denen 80 bis 90 Prozent der Iranerinnen und Iraner das Regime ablehnen. Gleichzeitig warnt sie davor, die Macht der Staatsführung zu unterschätzen. Um die Gesellschaft zu unterdrücken, reichten zehn bis fünfzehn Prozent militärisch und wirtschaftlich starke Regimeanhänger aus, so Amirpur.

    Die EU und Irans Demokratiebewegung

    Dass sich das Regime trotz der Protestwellen in den vergangenen Jahren an der Macht halten konnte, dafür sei auch der Westen und vor allem Europa mitverantwortlich, sagt Fathollah-Nejad. Statt Druck aufzubauen, um der Demokratiebewegung zu helfen, habe der Westen weiter auf Verhandlungen mit dem Iran gesetzt und das Regime stabilisiert. Die Sanktionspakete der Europäischen Union im Herbst 2022 waren aus Sicht des Politologen zu milde. So sei etwa die iranische Oligarchie nicht sanktioniert worden, „weil man nicht wollte, dass der Iran diplomatische Kanäle verschließt“.
    Dabei habe Europa verkannt, wie destabilisierend die Islamische Republik Iran in der Region agiere und wie instabil das Regime im Innern sei. Europa und der Westen hätten das wirtschaftliche und politische Gewicht, das sie im Zuge des 2015 mit Teheran vereinbarten Atomdeals erlangten, nutzen müssen für weitere Verhandlungen über sicherheitspolitische Herausforderungen, etwa die Rolle des Iran im Nahen und Mittleren Osten. „Das ist das Hauptversäumnis gewesen“, sagt Fathollah-Nejad und fordert mehr Härte in der Iran-Politik und eine grundlegende Neuorientierung in Sachen Sanktionsmaßnahmen.
    Auch die Schauspielerin und Exil-Iranerin Elmira Rafizadeh hält die Sanktionen für unzureichend. Sie sagt, der Westen habe die Protestbewegung im Stich gelassen, statt die iranische Machtelite konsequent ökonomisch zu sanktionieren. Rafizadeh kritisiert etwa, dass weiterhin Geschäfte mit dem Mullah-Regime gemacht würden, die Mitglieder der Revolutionsgarden nicht auf den Terrorlisten ständen und ihre Banken weiterhin in Deutschland ihren Geschäften nachgehen könnten.

    Irans Regionalpolitik und die Achse des Widerstands

    Auch aus geopolitischer Perspektive steht die Islamische Republik Iran unter Druck. Das Jahr 2024 sei eine „historische Zäsur“ gewesen, sagt Fathollah-Nejad. Der Konflikt mit Erzfeind Israel hat Irans Macht in der Region ins Wanken gebracht.
    Die von Iran angeführte, selbsternannte Achse des Widerstands gegen den israelischen Staat ist nach der Schwächung der pro-iranischen Milizen Hisbollah im Libanon, Huthi im Jemen und Hamas im Gazastreifen durch israelische Aktionen implodiert. Auch der Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat die iranische Führung geschwächt. Syrien war für das iranische Regime etwa für Waffenlieferungen an die Hisbollah von Bedeutung. Fathollah-Nejad sagt: „Die iranische Regionalpolitik liegt in Trümmern."

    Wie es im Iran weitergehen könnte

    Nach den Militäranschlägen ist die Islamische Republik Iran personell wie militärisch stark angeschlagen. Ranghohe Köpfe der Revolutionsgarde und der Streitkräfte wurden getötet, Infrastruktur zerstört. Die Angriffe Israels und der USA hätten das Regime und seinen Machtapparat „ins Mark getroffen“, sagt Fathollah-Nejad. Trotzdem versuche die iranische Führung weiter mit allen Mittel zu überleben. Dafür sei sie sogar bereit, im Weißen Haus zu verhandeln.
    Um mit den USA zu einer diplomatischen Vereinbarung zu gelangen, hält Fathollah-Nejad die Zusicherung Irans, sein Atomprogramm vollständig einzustampfen für „das absolute Minimum“. Das müsse unter Kontrolle der USA und der Internationalen Energiebehörde passieren. Dass das Regime im Gegenzug mit Sanktionslockerungen rechnen könne, sei unwahrscheinlich. Ein weiterer denkbarer Schritt wäre, dass auch das iranische ballistische Raketensystem zurückgefahren werden müsse.
    Auch der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani geht davon aus, dass das Regime seine Macht an der Spitze des Landes mit einem Abkommen mit den USA sichern wolle. Er warnt jedoch vor den langfristigen Folgen eines möglichen Deals. Dieser könne das iranische Regime sogar stärken, weil es dadurch international anerkannt würde, und die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung im Land zerstören, befürchtet Kermani. Auch für Israel sei langfristig nichts gewonnen. „So lange dieses Regime existiert wird es eine Bedrohung sein“, sagt Kermani. Zu allererst für das eigene Volk, aber auch für die gesamte Region und damit auch für Israel.
    Ähnlich bewertet die Islamwissenschaftlerin Amirpur die Lage im Land. Ein Regimewechsel sei nach den Angriffen Israels und der USA nicht wahrscheinlicher geworden. Im Gegenteil, die Demokratiebewegung habe einen großen Schaden genommen. Massenproteste gegen die iranische Führung seien unter den aktuellen Bedingungen nicht denkbar. Gleichzeitig gingen die Repressionen weiter. Zumal davon auszugehen sei, dass sich die iranische Führung nach einem Kriegsende an der eigenen Bevölkerung rächen werde. Sie glaube nicht, dass das Regime bereits so sehr geschwächt sei, dass es ohne Unterstützung von innenheraus gestürzt werden könne.
    Auch Kermani hält eine Befriedung der Region wie des Iran selbst nur durch eine Demokratisierung für möglich. Diese werde allerdings nicht durch „einige Luftschläge“ gelingen, sondern nur durch einen mittelfristigen Wandel. Kermani fordert, den ökonomischen Druck auf die iranische Führung zu erhöhen. Der Wunsch nach Veränderung im Land sei stark, das gelte es nun zu unterstützen.

    irs