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Irans Präsident Chatami droht mit Rücktritt

Elke Durak: Im Iran nimmt die Auseinandersetzung zwischen der Geistlichkeit und den Reformern an Schärfe und Dramatik zu. Gestern Abend – Sie haben es sicher gehört – hat Präsident Chatami mit Rücktritt und dem Rückzug der Reformer aus der Politik gedroht. Vorausgegangen ist der Streit für den Ausschuss für die Parlamentswahlen am 20. Februar. Der konservative Wächterrat hatte ja mehr als 40 Prozent der nominierten Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen, weil sie ihnen zu reformverdächtig sind. Die Antwort waren unter anderem Sitzstreiks, auch von Abgeordneten, die ebenfalls vom Ausschluss betroffen sind. Nun also droht der Präsident mit Rücktritt. Wohin steuert der Iran in diesen Tagen? Die Frage geht an Tschangiz Pahlevan. Er ist iranischer Kultur- und Politikwissenschaftler und nun am Telefon. Herr Pahlavan, welche Folgen könnte der Rücktritt des Präsidenten haben?

    Tschangiz Pahlavan: Ich würde erstens sagen, dass er nicht direkt mit dem Rücktritt gedroht hat. Er hat das eigentlich indirekt erklärt – und das unter dem Druck der Provinzgouverneure und mindestens zehn Ministern seines Kabinetts, die mit dem Rücktritt gedroht hatten, falls die nominierten Kandidaten oder die Kandidaten, die nominiert werden wollten, ausgeschlossen bleiben würden -, wir werden entweder zusammen uns zum Rücktritt entscheiden oder wir werden zusammen im Kabinett bleiben. Er hat indirekt angedeutet, es wäre besser, mindestens einen Teil der Kandidaten wieder zuzulassen. Da er auch gestern Vormittag mit der Führung Gespräche gehabt hat, nehme ich an, dass ihm vielleicht versprochen worden ist, dass ein Teil dieser Kandidaten wieder zugelassen wird.

    Durak: Ansonsten ist es aber eine klare Kampfansage an den so genannten Wächterrat. Welche Folgen hätte denn ein Rücktritt und ein Rückzug der Reformer aus der Politik für den Iran?

    Pahlavan: Ein Rücktritt, falls es dazu kommen sollte, was ich wirklich bezweifle, würde die jetzige politische Krise im Iran verschärfen und dann die Konservativen auch in eine Sackgasse bringen und führen. Ich glaube, dass die Konservativen das nicht wollen, und sie werden miteinander irgendeine Einigung erreichen, damit sie auch international diese Wahlen legitimieren können.

    Durak: Weshalb würde dies auch eine Niederlage für die Konservativen bedeuten?

    Pahlavan: Das wird die Legitimationsbasis des ganzen Regimes etwas schwächen und dann die Verhandlungen, die vielleicht in der nahen Zukunft mit Europa, der Europäischen Union und Amerika geführt werden sollten in Bezug auf Atomenergie, in Bezug auf den Handel und viele andere Fragen, sehr erschweren.

    Durak: Das wäre nach Außen. Wie sieht es nach Innen aus? Regiert da eigentlich der Wächterrat? Regiert die konservative Geistlichkeit?

    Pahlavan: Sie haben immer regiert, aber das Problem ist, dass die Unterstützung des Volkes nicht mehr gegeben ist, und sie sehen, dass nach drei Tagen Sitzstreik die Bevölkerung von Teheran nicht bereit ist, die Reformisten zu unterstützen, weil sie in den letzten acht Jahren überhaupt nichts für das Volk getan haben, und das wissen die konservativen Kräfte im Iran sehr gut, dass die Reformisten ihre Unterstützung im Volk verloren haben.

    Durak: Die Reformer haben die Unterstützung im Volk verloren, habe ich Sie richtig verstanden?

    Pahlavan: Ja, das habe ich gesagt. Das ist sehr wichtig, weil sie, seitdem sie an der Macht sind und in der Legislative sitzen, kein einziges Gesetz beschlossen haben, wodurch die Iraner, abgesehen von ihrer Religion, Sprache und ethnischer Zugehörigkeit, gleich behandelt werden können. Man glaubt unter der Bevölkerung, dass diese Reformisten jetzt, weil sie wiedergewählt werden wollen, diesen Sitzstreik unternommen haben, um eine Unterstützung und eine Mobilisierung für die Wahlen zu schaffen. Man ist verdächtig diesem Spiel gegenüber, weil man glaubt, man will das Volk mobilisieren, um eine gesteigerte Wahlteilnahme zu ermöglichen.

    Durak: Das würde ja bedeuten, allein der internationale Druck hält die Reformer irgendwie noch an der Macht im Iran.

    Pahlavan: Ja, das ist wahr. Der internationale Druck spielt im Moment eine bedeutende Rolle, weil die iranische Bevölkerung sich nicht an diesem Spiel interessiert zeigt. Man glaubt, dass das alles ein politisches Spiel ist und dass alles innerstrukturell läuft, das heißt zwischen zwei Kräften innerhalb des Regimes, und viele säkulare Kräfte im Lande, die eigentlich eine große Mehrheit bilden, von dem ganzen Spiel ausgeschlossen sind, und sie dürfen überhaupt nicht kandidieren, geschweige denn abgelehnt werden.

    Durak: Was sind das aber für Reformer, die das Volk nicht haben will?

    Pahlavan: Wenn Herr Chatami seit acht Jahren Präsident des Iran ist und immer Reformpläne verspricht, hat er wirklich Konkretes nicht getan, und deshalb genießt er nicht eine breite Unterstützung vom Volk. Das wissen die konservativen Kräfte, und sie wollen ihn mindestens von der Macht schieben, damit die konservativen Kräfte das Monopol der Macht wieder ausüben können und dann auch vielleicht wieder mit Amerika in Verhandlungen treten.

    Durak: Hat Herr Chatami nichts getan oder konnte er nichts tun, weil er die Macht nicht hatte?

    Pahlavan: Beides, muss ich sagen. Das, was er gestern gesagt hat, mit dem indirekten Rücktritt, wenn er das vor einem Jahr gesagt hätte, hätte er eine große Unterstützung genossen. Aber da es an der Schwelle der Wahlen ist, ist man eigentlich verdächtig, dass sie nur wieder im Parlament sitzen wollen, um an der Macht des jetzigen Regimes beteiligt zu sein und nicht sich um die eigentlichen Sachen Volkes zu kümmern. Das ist die psychische Situation im Iran im Moment.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.