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"Irgendwann hat man genug von der Polarisierung"

Der Parteienforscher Jürgen Falter wertet die von Roland Koch (CDU) betriebene Polarisierung im hessischen Wahlkampf als Eigentor des Ministerpräsidenten. "Insgesamt, glaube ich, hat Roland Koch sich eher geschadet als genutzt mit diesem Wahlkampf", sagte Falter. Koch habe die Anhänger von Andrea Ypsilanti geradezu hinter die SPD-Herausforderin "geschweißt".

Moderation: Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: Zwei Landtagswahlen morgen, am gleichen Tag, deren Vorzeichen ungleicher nicht sein könnten. Während alle Welt zu glauben meint, in Niedersachsen bliebe alles beim Alten, liegt in Hessen ein Hauch von High Noon in der Luft. Meinungsforscher sehen die beiden Spitzenkandidaten von CDU und SPD gleichauf, doch am Ende wird nur einer getroffen vom Wählervotum im Staub liegen bleiben. Wir wollen fragen, was es bedeutet, wenn der eine oder die andere gewinnt. Die Frage geht an de Politikwissenschaftler Jürgen Falter, der jetzt für uns am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Falter!

    Jürgen Falter: Guten Morgen!

    Fischer: Ja, lassen Sie uns zunächst mal die Situation in Niedersachsen betrachten. Amtsinhaber Wulff will im Amt bleiben, das will Roland Koch in Hessen natürlich auch, aber in Hannover scheint das eher wahrscheinlich. Woran liegt das eigentlich?

    Falter: Es könnte einerseits am Wahlkampf liegen, den Christian Wulff ganz anders geführt hat als Roland Koch nämlich in einer eher präsidialen Art und Weise, ziemlich ruhig, zurückhaltend, ohne heftige, persönliche Attacken, auch ohne dass er allzu sehr auf das Gebiet der großen Bundespolitik gegangen wäre. Es liegt sicherlich aber auch an der Wettbewerbssituation in Niedersachsen, wo einfach sowohl programmatisch als auch von der Person her die Herausforderung nicht so groß ist, der sich Christian Wulff ausgesetzt sieht, anders als in Wiesbaden.

    Fischer: Ja, in Hessen sieht es anders aus, Sie sprechen es an, da spielt der Amtsinhaber Koch seine rhetorischen Stärken aus und besetzt dann ein Thema, das die Emotionen hochgehen lässt, er warnte vor ausländischen, kriminellen Jugendlichen. Trotzdem: Seine Herausforderin Ypsilanti von der SPD, die gewann mittlerweile an Sympathie hinzu. Hat denn Koch da vielleicht doch auf das falsche Pferd gesetzt?

    Falter: Möglicherweise, vielleicht ist auch eher die Art und Weise, wie Koch auf dieses Pferd gesetzt hat, ausschlaggebend dafür. Allerdings: Es ist nicht alles nur seine Schuld oder ihm zuzuschreiben, sondern es hat natürlich auch etwas mit dem Wahlkampf von Frau Ypsilanti selber zu tun. Sie hat etwas sehr Geschicktes gemacht, sie hat zunächst ein Programm entwickelt, das doch dezidiert eine Alternative darstellt zur jetzigen, hessischen Regierungspolitik, und zwar auf einem breiten Bereich von unterschiedlichen Politikfeldern, und andererseits hat sie es auf sich genommen - schon lange bevor der eigentliche Wahlkampf begonnen hat -, durch Hessen zu reisen, sozusagen auf jedem Marktplatz, in jeder Halle aufzutreten, sich bekannt zu machen. Das war unbedingt notwendig. Und da sie außerdem auch noch über die Medien positiv, sympathisch rüberkommt, konnte sie eigentlich nur Punkte gutmachen, und das hat sie auch getan. Und dann kam eben der polarisierende Wahlkampf von Roland Koch dazwischen, und in diesem Wahlkampf hat er es anscheinend hinbekommen, dass eben nicht nur Anhänger seiner eigenen Partei mobilisiert worden sind - und nicht so stark, wie er sich das wohl gedacht hat -, sondern vor allen Dingen auch die Anhänger der Gegenpartei, die Anhänger von Frau Ypsilanti, die scheint er geradezu hinter die Kandidatin geschweißt zu haben.

    Fischer: Haben die Hessen genug von der Polarisierung?

    Falter: Ja, irgendwann hat man genug von der Polarisierung, irgendwann möchte man auch Sachlichkeit haben, und ich glaube, bis in die Reihen der Anhänger von Roland Koch hinein war ein Unbehagen zu spüren, vielleicht weniger über die Themenwahl, die ist von den weitaus meisten als legitim angesehen worden, sondern über die Art und Weise, wie das Thema angegangen worden ist, wo doch die ein oder andere Einseitigkeit drin war, wo eben junge Ausländer und Kriminalität sehr in den Vordergrund gerückt worden sind - nicht Jugendkriminalität an sich beispielsweise -, wo eher mit Strafen argumentiert worden ist als mit der Verhinderung von solchen Straftaten. Also insgesamt, glaube ich, hat Roland Koch sich eher geschadet als genutzt mit diesem Wahlkampf.

    Fischer: Ganz anders als sein Kollege Wulff in Niedersachsen, Sie haben das schon angesprochen, er pflegt einen eher präsidialen Stil, er ist der Landesvater. Muss man das in Niedersachsen so machen? Sind die Niedersachsen so von den Hessen verschieden, dass man in einem Wahlkampf ihnen die Themen anders präsentieren muss?

    Falter: Hessen war immer stärker parteipolitisch polarisiert. Das merken Sie ja bereits daran, dass die SPD Hessen-Süd immer schon eine dezidiert linke SPD war, dass Frau Ypsilanti beispielsweise zu den härtesten Kritikern der Agenda 2010 und Hartz-IV-Politik von Gerhard Schröder und Clement gehörte, dass sie eine der Ersten war, die in einer Initiative dagegen unterschrieben hatte - da hätte man auch fragen können, ob sie parteischädigend tätig ist, so wie das im Falle von Clement jetzt aufgekommen ist -, und dazu kommt noch, dass die hessische CDU innerhalb des Tableaus der Bundes-CDU ziemlich weit auf dem rechten Flügel, dem konservativen Flügel der CDU zu finden ist. Das merken Sie schon an Namen wie Alfred Dregger beispielsweise, wie Wallmann und anderen. Und Roland Koch gehört eben auch in diese Linie hinein.

    Fischer: Stichwort links, es gibt ja nun links von der SPD noch eine Partei, nämlich die Linken. Die stehen ja in beiden Landtagen dicht vor dem Einzug, wenn man den Umfragen glaubt. Wenn es in Wiesbaden knapp wird, wenn sie drin sind im Landtag, dann wohl auf Kosten der SPD und der Grünen. Was wäre denn dann die Folge?

    Falter: Die Folge wäre, dass keine der beiden möglichen, denkbaren, kleinen Koalitionen eine Mehrheit der Mandate erhalten würde, es würde selbst bei einem Vorsprung von Schwarz-Gelb mit ziemlicher Sicherheit nicht reichen, wenn man von den drei Umfragen, den letzten veröffentlichten Umfragen, die vom Ende der vergangenen Woche stammen, ausgeht. Und es würde aber auch nicht für Rot-Grün reichen, das heißt, es müsste irgendeine der anderen Koalitionsvarianten durchgeführt werden, und da wird es ungeheuer schwierig, weil einige bereits ganz klar ausgeschlossen worden sind von den politischen Protagonisten. Beispielsweise sagt Andrea Ypsilanti, eine Koalition mit der Linken kommt nicht in Frage, so dass also eine SPD-Grüne-Linkskoalition nicht realisiert werden kann.

    Fischer: Aber sie am Kabinettstisch zusammen mit Roland Koch in einer Großen Koalition, das mag sich auch niemand vorstellen.

    Falter: Mit Roland Koch, nein. Aber ich könnte mir auch schwer vorstellen, dass Roland Koch beispielsweise, sagen wir einmal, den stellvertretenden Ministerpräsidenten in einer Regierung Ypsilanti spielen würde. Da würde er doch lieber, wenn schon nicht in die Opposition, aber dann nach Berlin gehen, um dort vielleicht dann sein Glück in der Bundespolitik zu suchen, wo ja, glaube ich, ohnehin sein Ehrgeiz eigentlich hinreicht. Das wäre noch vorstellbar, dass es zu einer Großen Koalition kommt unter welcher Führung auch immer, aber nicht eben mit Koch und Ypsilanti in einer Regierung. Das setzt einige Fantasie voraus, wie das gut gehen soll.

    Fischer: Setzen wir mal voraus, Roland Koch gewinnt in Hessen. Er ist stellvertretender Parteivorsitzender der CDU, wird das seine Stellung gegenüber der Kanzlerin Frau Merkel verstärken?

    Falter: Wenn er wider Erwarten jetzt doch gewinnen sollte - und das ginge ja gegen die Umfrageerwartungen zumindest, und sehr viele scheinen sich auch schon damit abgefunden zu haben, dass es vielleicht doch nicht reichen wird für eine Regierung nur von FPD und CDU zusammen -, wenn das geschehen sollte, wird es seine Position klar stärken. Und es hätte noch eine weitere Konsequenz: Dann würde die CDU durchaus in Versuchung geführt werden, im Bundestagswahlkampf 2009 ebenfalls einen so dezidiert polarisierenden Wahlkampf zu führen, wie sie das in Hessen getan hat. Da würde eben dann auch stärker, sagen wir einmal, mit groben, verbalen Hämmern gearbeitet werden, als das in Niedersachsen der Fall ist.

    Fischer: Geht das nach Ihrer Einschätzung mit der jetzigen CDU-Vorsitzenden Merkel?

    Falter: Es würde nicht zu ihrer Person passen, das ist ein ganz entscheidender Einwand. Jeder Wahlkampf kann eigentlich nur so geführt werden, dass eine Übereinstimmung zwischen Wahlkampfstil und der Person, die diesen Wahlkampfstil praktiziert, herrscht, sonst wird einfach Unglaubwürdigkeit wahrgenommen werden, und das ist das Schlimmste, was Wahlkämpfern zustoßen kann.

    Fischer: Morgen werden in Hessen und in Niedersachsen neue Landtage gewählt. Über die bundespolitischen Auswirkungen habe ich vor der Sendung mit dem Politikwissenschaftler Jürgen Falter gesprochen.