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"Irgendwie werden die Politiker selbst zu Medien"

Im Internet gibt es bisweilen eine "lustige Verkehrung der Rollen", sagt Michael Maier, ehemaliger Chefredakteur des "Stern" und der "Netzeitung", der auch mal von Politiker über Twitter Neuigkeiten erfährt. Insgesamt sagen vielen Online-Auftritte mehr über Politiker aus, als diesen lieb sein kann, so Maier.

Michael Maier im Gespräch mit Gerwald Herter | 28.07.2009
    Gerwald Herter: Original und, na ja, da will man eigentlich nicht von Kopie sprechen. Das Obama-Wahlkampfteam hat es im letzten Jahr vorgemacht: Für Politiker und Parteien lohnt es sich, im Netz, also virtuell, auf Stimmenfang zu gehen. Der Erfolg gab Obama recht. Doch was haben die deutschen Parteien zwei Monate vor der Bundestagswahl zu bieten? Das will ich jetzt von Michael Maier wissen. Früher war er Chefredakteur bei der "Kärntner Kirchenzeitung", beim "Stern" und bei der "Netzeitung", er hat die Website "Bürgerinfo 09" konzipiert, dahinter steht die Bundeszentrale für politische Bildung. Viele Medien beteiligen sich, dazu gehört auch der Deutschlandfunk. Heute geht "Bürgerinfo 09" an den Start, guten Morgen, Herr Maier!

    Michael Maier: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Wie heftig tobt denn der Bundestagswahlkampf im Internet, Herr Maier?

    Maier: Nun, wenn man, so wie ich, viel Zeit in Amerika verbracht hat und den Obama-Wahlkampf verfolgt hat, dann ist man ja immer geneigt, Deutschland so ein bisschen kleinzureden und zu sagen, na ja, da kommen die Deutschen nie ran. Man muss sagen, wir waren, als wir die Seite konzipiert haben, echt überrascht, dass es hier schon sehr, sehr vieles gibt, natürlich nicht mit dem massiven Geldeinsatz, den die Amerikaner ja überall haben, aber es ist eine enorme Vielfalt festzustellen. Die Parteien machen mittlerweile von ihren eigenen Parteisendern auf Youtube bis hin zu Twitter wirklich so ziemlich alles, was zur Verfügung steht, und wenn man es einmal über eine gewisse Zeit beobachtet, ist es ziemlich virulent und eigentlich auch sehr spannend.

    Herter: Hat denn irgendeine deutsche Partei schon irgendetwas ins Netz gestellt, das Sie für preisverdächtig halten, weil es sich um eine so geniale Idee handelt?

    Maier: Ach, preisverdächtig - es hängt immer davon ab, welchen Preis man dafür vergeben will. Wenn man einmal einen Preis erfinden würde für Geistreichtum, dann würde ich da schon das eine oder andere sehen. Ich nenne da nur ein Beispiel, ohne da jetzt parteipolitische Präferenz herauslesen zu wollen, aber zum Beispiel die Twitter-Tätigkeit von Bütikofer von den Grünen ist wirklich außerordentlich amüsant, der bringt es wirklich fertig, jeden Tag vier, fünf Mal interessante Tweets hineinzustellen, aus denen man auch was lernen kann. Und das Lustige dabei ist: Irgendwie werden die Politiker selbst zu Medien. Ich zum Beispiel habe über den Twitter von Bütikofer von dem Tod von Walter Cronkite, dem amerikanischen Starjournalisten, erfahren, also, es ist eine ganz lustige Verkehrung der Rollen geradezu.

    Herter: Ist das das Rezept, das zieht - Unterhaltsames, Lustiges und nebenbei ein bisschen Politik?

    Maier: Das würde ich nicht so trennen wollen. Erstens einmal muss es ja unterhaltsam sein. Wir reden immer von der Politikverdrossenheit, von der geringen Wahlbeteiligung. Ehrlich gestanden, ich finde das gut, dass es unterhaltsam ist. Zweitens ist es auch menschlich, und wenn man sich dann genau anschaut, zum Beispiel auch der SPD-Kampagnenchef Wasserhövel, auch er twittert, das ist schon wirklich interessant, dass man einen Blick hinter die Kulissen bekommt, was der den ganzen Tag macht, der stellt ja keine wirklichen Nebensächlichkeiten hinein, sondern man kann schon ein Gefühl dafür bekommen, wie ein solcher Wahlkampf läuft. Wenn man sich zum Beispiel die Youtube-Videos anschaut, die die einzelnen Abgeordneten machen, dann kann man sagen, ja, das hat nicht diesen Hochglanzcharakter, den ZDF-Sommerinterview oder ein Deutschlandfunk-Interview hat, natürlich nicht, aber es sind doch sehr authentische Wortmeldungen, die für meinen Geschmack mehr über die Politiker aussagen, als ihnen vielleicht lieb ist, aber auch doch etwas aussagen, was dem Wähler helfen kann bei der Beurteilung der Persönlichkeiten.

    Herter: Werden langweilige Kampagnen durch das Internet auch nicht besser?

    Maier: Das ist absolut richtig, aber ich glaube, die deutsche Politik ist insgesamt durch den Föderalismus, durch die vielen Parteien - auch das muss man ja, wenn man das mit Amerika vergleicht ... In Amerika war es ja ganz klar Obama gegen McCain, Schwarz gegen Weiß, Rot gegen Blau, das war eine ganz klare Polarisierung. In Deutschland fällt es schon viel schwerer, die Vielfalt zu erkennen, wenn Sie nur das linke Lager anschauen, und wenn man einmal die beiden Parteien gegeneinander stellt, die Sozialdemokraten und die Linke, da ist schon viel Spannung drinnen und wie ich meine auch legitimes Interesse von verschiedenen politischen Standpunkten.

    Herter: Was ist denn Ihre Prognose? Sind Wahlplakate, Kugelschreiber, Anstecker, Werbegeschenkestände am Marktplatz ein Auslaufmodell?

    Maier: Also ich, wenn Sie mich persönlich fragen, ich habe das immer für, ja, etwas überflüssig gehalten. Erstens, diese Kugelschreiber sind nach zwei Mal schreiben kaputt, aber auch insgesamt geht es doch um die Frage: Wie wollen wir eigentlich den 20-, 30-, 40-Jährigen Politik so schmackhaft machen, dass sie sagen, ja, das ist eine Sache, die uns angeht und nicht etwas, was irgendwo abläuft und mit ihnen nichts zu tun hat? Da kann das Internet wirklich etwas bewegen, vor allem, weil es eben die Interaktion ermöglicht, weil der ... Wenn Sie einmal schauen, was es doch in Deutschland auch schon an Blogs gibt, sei es im konservativen Lager, im liberalen Lager, bei den Linken, bei den Grünen, im ökologischen Bereich. Ich denke schon, dass das die Möglichkeit ist für Leute, sich auf einem höheren Niveau zu engagieren, als bloß jetzt den Kugelschreiber mal in Empfang zu nehmen und nur ein Ansprechpartner zu sein, ohne selbst eine Stimme zu haben.

    Herter: Diese Blogs haben Sie jetzt mehrmals erwähnt mit einem positiven Beispiel. Ich erinnere mich an eine Landsfrau von Ihnen, Frau Ferrero-Waldner, im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf hatte sie ein Internettagebuch ins Netz gestellt. Ich glaube, das ist nicht bei allen Menschen gut angekommen. Fallen Ihnen jetzt für Deutschland eher peinliche Beispiele ein von Blogs?

    Maier: Peinliche Beispiele - es gibt sicher so herausragende Beispiele, die man erwähnen könnte, die aber weniger im Blogbereich sind als vielmehr in der Internetkommunikation. Eines der wirklich auffälligsten Beispiele ist eben der Abgeordnete Wiefelspütz, der auf der Webseite Abgeordnetenwatch, die wir auch auf "Bürgerinfo 09" immer abbilden, in heftigste Diskussionen mit seinen Wählern oder Nichtwählern eintritt. Dort würde ich sagen, ob das jetzt peinlich ist oder nicht, ist dahingestellt, das ist auf jeden Fall extrem emotional und jetzt könnte man sich sagen: Kann ein Abgeordneter wirklich so Klartext reden mit seinen Wählerinnen und Wählern? Ich würde sagen, wir klagen doch zu sehr über eine gewisse Sterilität oder Gleichförmigkeit der Politik. Ich finde das gut, wenn Politiker im Internet auch Kante zeigen, sich auch angreifbar machen, auch angegriffen werden und das auch aushalten. Das macht Politik letztlich viel realer und realistischer.

    Herter: Die von Ihnen konzipierte Website "Bürgerinfo 09" - ist das auch eine Geheimwaffe im Kampf gegen Politikmüdigkeit?

    Maier: Uns ging es vor allem darum, einmal zu schauen, was eigentlich alles im Netz sich schon abspielt und was sich abbildet. Zum Beispiel "StudiVZ" ist ein Bestandteil darin. Wir gehen mehrmals täglich in die verschiedenen Gruppen in "StudiVZ" und hören uns an, was die Leute da zu Politik diskutieren, und da muss ich sagen, auch dort wieder: Es ist erstaunlich, wie engagiert die jungen Leute bei der Sache sind und wenn da solche Themen, wie neulich von Westerwelle zum Thema Wehrpflicht oder überhaupt Militarismus aufgebracht werden, da ist schon ein ehrliches Interesse da, Diskussion. Wir haben da eigentlich gar nicht so sehr die Absicht gehabt, jetzt irgendjemanden zu motivieren oder nicht, sondern wir wollten eigentlich die große Unübersichtlichkeit, die im Internet ja herrscht und weshalb das Internet auch oft angegriffen wird, aufheben und sagen: Wir suchen heraus, was wirklich wichtig ist und bilden es ab, sodass die Leute sich unter Begleitung von Medien - Sie haben es erwähnt, der Deutschlandfunk ist dabei, die "Bild"-Zeitung ist dabei, die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt das, das ist schon ziemlich hochkarätig, was wir da versammelt haben -, und unter dieser Begleitung eigentlich so ein bisschen Ordnung hineinzubringen in das chaotische Internet.

    Herter: Sicher eine wichtige Aufgabe. Können Sie schon mit Klickzahlen aufwarten? Es gab ja bisher einen Probebetrieb.

    Maier: Das ist zu früh. Wir haben ja im Grunde wirklich erst die Seite vergangenen Donnerstag freigestellt und gestern die letzten Handgriffe angelegt, heute geht es los, die "Bild"-Zeitung ist übrigens auch mit an Bord, was ich für interessant finde, weil die großen, meinungsführenden Medien natürlich auch durch das Internet sehr herausgefordert werden. Wir werden also sehen, wie dieses Zusammenspiel "Bild"-Zeitung-Internet sich abbildet, das ist sicher eine spannende Geschichte, und ich gehe schon davon aus, dass die Seite auf großes Interesse stoßen wird, vor allem bei politisch Interessierten. Sie haben, das ist ganz klar, nirgends in Deutschland jetzt die Möglichkeit, einen derartig guten Überblick zu bekommen als bei "Bürgerinfo 09" über alles, was sich rund um die Wahl tut und im Internet stattfindet.

    Herter: Dann sollten wir die exakte Adresse noch mal erwähnen, es ist www.buergerinfo09.de, richtig?

    Maier: Richtig.

    Herter: Okay - wichtige Informationen zur Bundestagswahl auf dieser Website. Das war der österreichische Journalist Michael Maier im Deutschlandfunk-Interview. Danke schön!

    Maier: Vielen Dank!