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Irland
Das Leben auf der irischen Insel Inis Oirr

Inis Oirr ist die kleinste der Aran-Inseln an der Westküste von Irland. Und hier ist bis heute auch die irische Sprache erhalten geblieben - und auch so gibt es hier viel zu entdecken.

Von Harald Jüngst | 03.01.2016
    "Sinnliche Gedanken vergänglicher Leidenschaft werden ruhig, während der Ozean tönt. Sie tragen dich auf einen anderen Pfad zur heiligen Quelle alter Mythen und erdiger Götter. Danach trägt der wandernde Geist deine Seele entlang des Weges, wo die Wellen frohlocken und die Musik Größe zeigt. Die Zeit steht wieder still."
    So lobpreist die Inselpoetin Agnes Kenneally ihr Eiland "Inis Oirr" in englischer Sprache. Und so klingt die ähnliche Gefühlswelt, allerdings klar und direkt, beim Insulaner Caibheon Ó Conneely:
    "Für mich ist Inis Oirr einfach der schönste Ort auf dieser Welt!"
    Und Caibheon Ò Conneely fügt gleich hinzu:
    "100.000 mal Willkommen auf Inis Oirr!"
    Irisch vernahmen wir gerade von Caibheon Ò Conneely: Die archaische keltische Sprache Irlands, die bei den rund 280 Inselbewohnern immer noch umgangssprachlich allgegenwärtig ist. Der Name der Insel "Inis Oirr" ist ebenfalls irisch und bedeutet "Die östliche Insel". Von historisch sanktionierter sprachlicher Bevormundung berichtet Caibheon Ò Conneely:
    "Die Engländer versuchten, die irische Sprache zu eliminieren , indem sie diese zunächst aus den Schulen vertreiben wollten. Denn wenn man Irisch der Jugend verbietet, dann würde die Sprache aussterben. Alle Schüler hatten einen Holzstock, mit dem wurden sie geschlagen, wenn sie in der Schule Irisch sprachen. Jedes Mal bekamen sie dann vom Lehrer eine Kerbe in den Stock geschnitzt. Den mussten sie zu Hause vorzeigen. Dann gab es von den vor der Obrigkeit kuschenden Eltern noch eine Tracht Prügel obendrauf. Dieser Vollzug wurde per neu eingeritzter Kerbe seitens der Eltern an die Schule zurückgemeldet. Das war eine harte Zeit – und nur ein Versuch die irische Sprache zu töten. Es funktionierte aber nicht.
    Und es ist großartig, wie intakt unsere alte Sprache heute noch ist."
    Selbstverständlich wird auf Inis Oirr auch in Irisch gesungen, mit Stolz. Die Sängerin Lasairfhiona trägt die Lieder der Insel in ihrem Herzen und auch in die Welt .
    Sehr überschaubar ist die Insel Inis Oirr mit ihren nicht einmal zehn Quadratkilometern. Allerdings unüberschaubar sind diese Steinmauern, ein Labyrinth. Gleich eng verzahnter Schnittmusterlinien ziehen sie sich durch die Insel und unterteilen die sattgrünen Wiesen in unzählige Parzellen. Das Ganze wirkt wie ein gigantischer Flickenteppich. Caibheon Ò Conneely erzählt deren Geschichte:
    "Auf der Kalksteinfelsenfläche lagen diese Steine lose und ungeordnet.
    Die Menschen wollten dieses karstige Felsland einebnen und urbar machen. So wurden Flächen geschaffen, indem sie Unmengen von den Steinen mühsam und sorgfältig aufeinanderstapelten. Dann benötigten sie Erde. Sie brachten Sand und Seetang vom Meer und schaufelten diese in die neuen Flächen auf dem Fels. Auf diesem Boden bauten sie nun Kartoffeln und Gemüse an. All diese Steinmauern sind in hunderten von Jahren gebaut worden."
    Über 1000 Kilometer Steinmauern soll diese kleine Insel aufweisen. Akribische Rechner sprechen von mehr als zehn Millionen handgeschichteten Steinen, die nun Tausende dieser Felder von Blumenbeet- bis Fußballplatzgröße mit dem wenigen fruchtbaren Boden vor den windigen Launen des Atlantiks schützen. Und fast alle Felder haben einen Namen. Caibheon zählt einige auf.
    Inis Oirr hat keinen Polizisten, kennt weder Straßenverkehrsordnung noch TÜV. Daher verdienen sich so einige Rostlauben vom Festland hier ihr Gnadenbrot. Es gibt auch keinen Bürgermeister oder Inselrat. Und alle sind katholisch, auch Micheal Ò Haluen, das wandelnde Geschichtsbuch der Insel.
    Papst Gregor, den verehrt Micheal ganz besonders, denn der brachte die gregorianischen Gesänge in die Welt und die gelangten irgendwann auch nach Inis Oirr. Wenn Micheal erzählt, lädt so manche seiner Anekdoten zum Schmunzeln ein.
    "Vor 5 Jahren hatten wir einen sehr strengen Winter. Das ist hier sehr ungewöhnlich. Es gibt auf dieser Insel praktisch keinen Schnee oder Frost, weil dieser Kalkstein im Sommer soviel Wärme speichert, die er im Winter sozusagen als Heizkörper wieder abgibt. Damals allerdings hatten wir massig Schnee und total vereiste Straßen und Wege. Der Verkehr brach zusammen. Und genau neun Monate später wurden hier komischerweise acht Babys praktisch gleichzeitig geboren. Bei einer Einwohnerzahl von 280 schon sehr außergewöhnlich. Ich nenne diesen Nachwuchs einfach nur die Schneebabys."
    Auf der Insel konzentriert sich die Besiedlung auf gerade mal einen Quadratkilometer. Am Ortsrand in einem kleinen Cottage traf ich auf Annette Joyce und ihr Gewerbe.
    "Jeden Tag sammelt mein Mann frischen Seetang hier an der Küste, den wasche ich dann in kaltem Wasser. Und den Seetang gebe ich danach in die Badewanne und die fülle ich mit heißem Wasser. Das heiße Wasser färbt ihn in verschiedenen Grünschattierungen. Der Seetang wird weich und somit wird ein ganz besonderes Öl aus diesem Seetang gewonnen."
    Eine halbe Stunde währt so ein Seetangbad. Einheimische und auch Besucher vom Festland genießen diese Spezialbehandlung.
    "So entspannst du dich in der Wanne und gleichzeitig nährt und pflegt das Seetangöl deine Haut. Es ist voller Vitamine und Mineralien und wirkt sehr gut gegen Ekzeme, Schuppenflechte, Rheuma und Arthritis."
    Und dann gibt es da noch eine weitere markante Inselpersönlichkeit, eine riesige Attraktion, ein Star, - spricht weder Englisch noch Irisch und kommuniziert dennoch intensiv mit Einheimischen und Besuchern: Es ist Sandy, oder auch Mara genannt. Eine Delfindame. Sie schnattert, schmust, spielt und schwimmt häufig mit den Badegästen am Sandstrand.
    Ute Margreff aus Deutschland lebt auf Inis Oirr und erforscht das Leben dieser einzigartigen Meeressäuger.
    "Was ich gerne wissen möchte, ist, wer sind diese Delfine? Wie leben die überhaupt? Was machen die den ganzen Tag? Und wie ist deren Wahrnehmung von uns Menschen?"
    Sandy oder Mara lebt allein, anders als die meisten ihrer Artgenossen. Diese Solitärdelfine suchen die Nähe anderer Tierarten und die des Menschen. Seit 14 Jahren schon verbringt Ute Margreff jeden Tag bis zu sieben Stunden im kalten irischen Atlantik. Dabei hat sich eine sehr enge, freundschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Tier entwickelt.
    "Das Schöne ist, wenn man einem Delfin in seinem Lebenselement begegnet, dass man seinen eigenen Lebensraum verlässt. Und dann kann man seine menschliche Perspektive schon so ein bisschen beiseitelassen und mehr aus den Augen des Delfins herausschauen. Und erfahren und bestaunen, welche Unterwasserwelt und welche Lebewesen sich dort auftun."
    Die Delfinflüsterin bekommt von ihrem Delfin auch so manchen kulinarischen Tipp:
    "Der Delfin hat mir auch diese Algen gebracht. Manche von denen verwende ich als Salat, manchmal mahle ich sie sogar in der Kaffeemühle und tu mir die denn auf einen Smoothie drauf. Cheers !"
    Ute schmeckt es. Einmal im Jahr, mittlerweile zum 15. Mal, vermehrt sich die Einwohnerzahl der Insel um satte 50 Prozent. Denn dann fällt für eine Woche mehr als eine Hundertschaft von nationalen und internationalen Trommlern in die insulare Beschaulichkeit ein und intensiviert den dortigen Pulsschlag. Und das ist den Einheimischen sehr recht. Zum Einen spülen die Besucher dieser "Craiceann Bodhràn School" gern gesehene Euros in die drei Insel-Pubs und auch in die Bed&Breakfast-Unterkünfte. Zum Anderen bringen diese traditionellen Ziegenhaut- Holzrahmentrommler mit unzähligen Fiedlern, Flötisten und anderen Musikern außerordentlich viel Schwung nebst Partystimmung auf die Insel Inis Oirr. Und das ohne Sperrstunde – bis zum Morgengrauen.