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Irland und die Folgen des Brexit
Irland-Grenze wird zum Hauptproblem bei den Brexit-Verhandlungen

Die künftige EU-Außengrenze auf der irischen Insel ist zum größten Problem bei den Brexit-Verhandlungen geworden. Denn eigentlich müsste dort bald jeder LKW kontrolliert werden - schließlich verlässt Großbritannien mit der EU auch die Zollunion. Dieses Szenario wollen beide Seiten vermeiden - nicht zuletzt wegen des noch immer schwelenden Nordirland-Konflikts.

Von Martin Alioth | 04.12.2017
    Fahrzeuge passieren am 05.07.2016 die Mautstelle an der Autobahn M1 bei Drogheda, Irland.
    Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland (dpa / picture alliance / Rainer Kiebat)
    Dundalk war einst eine wichtige Industriestadt für Zigaretten, Alkohol, Schuhe und den Eisenbahnbau. Doch nach der künstlichen Teilung der Insel in den 1920er-Jahren setzte der Niedergang ein. Die irische Regierung in Dublin vernachlässigte die Grenzregion, ebenso wie die nordirische Regierung in Belfast die Nachbarstadt Newry vernachlässigte. Dann kam der akute Nordirlandkonflikt. Erst der Europäische Binnenmarkt und der nordirische Frieden von 1998 erlaubten die gänzliche Öffnung der Grenze; sie ist aus der Landschaft verschwunden.
    Der Steuerberater Paddy Malone ist seit vielen Jahren ein führendes Mitglied der Handelskammer von Dundalk. Malone spricht von zarten aber wachsenden Wirtschaftsbeziehungen. Über 20.000 Pendler überqueren die Grenze täglich. Doch der geplante Austritt der Briten aus Binnenmarkt und Zollunion lässt sich nicht vereinbaren mit dem Versprechen, die Grenze werde auch weiterhin unsichtbar bleiben: "Wenn es neue Zollschranken und Kontrollen gebe, kenne er keinen einzigen Lebensbereich, der davon nicht dramatisch in Mitleidenschaft gezogen würde, erläutern Malone. Nordirland stimmte im Juni 2016 gegen den Brexit, das Königreich als Ganzes dafür. Malone wurde damals gefragt, wer profitieren würde."
    Nur der Schmuggel dürfte aufblühen
    "Ich habe damals scherzhaft gesagt, die einzige Industrie, die aufblühen würde, wäre der Schmuggel, das sehe ich immer noch so."
    Der 61-Jährige spricht von Pilzen, Hühner- und Rindfleisch, die womöglich an diversen Grenzen aufgehalten würden, bevor sie London oder Paris erreichten. Er spricht von nordirischer Milch, die in der irischen Republik verarbeitet wird. Dann wird er politisch: Die britischen Konservativen hätten diese Grenze nie ernst genommen: "Nordirland hat immer darunter gelitten: was gut war für England, entpuppte sich oft als tödliche Medizin für die nordirische Wirtschaft."
    Sonderstatus für Nordirland unwahrscheinlich
    Die Beteuerungen aus London, der Warenverkehr könne elektronisch kontrolliert werden, sind von der EU verworfen worden. Und der irische Wunsch, Nordirland möge sämtliche Regeln der EU beibehalten, bedroht nach Ansicht der nordirischen Protestanten die Einheit des Königreichs. Malone preist die Rückendeckung durch die restliche EU: "Diese Solidarität beendet 800 Jahre, während derer Irland nicht einmal zweitklassig war, sondern nicht zur Kenntnis genommen wurde. Jetzt müssen die Briten mal zuhören."
    Die europäische Solidarität kam unmissverständlich am Freitagabend vom Ratspräsidenten der EU, Donald Tusk, anlässlich seines Besuchs in Dublin: "Wenn Irland mit den britischen Vorschlägen nicht zufrieden ist, dann ist es die EU auch nicht. Das ist für britische Politiker möglicherweise schwer zu verstehen."
    Irlands Regierungschef, Leo Varadkar, warnte, der Übergang zu Gesprächen über die Handelsbeziehungen nach dem britischen Austritt sei nicht gesichert. Die EU brauche konkrete und akzeptable britische Vorschläge zur irischen Grenze. Darüber herrsche unter allen Parteien Irlands Übereinstimmung.
    Mit zwei Vetos konfrontiert
    Das stimmt, aber die größte Protestantenpartei in Nordirland, die DUP, die gegenwärtig als Mehrheitsbeschafferin für die konservative Regierung im Unterhaus amtiert, lehnt einen Sonderstatus für Nordirland gegenüber der EU bedingungslos ab: "Wenn Nordirland zur Besänftigung Irlands und der EU anders behandelt wird als der Rest des Königreichs, sind unsere Stimmen im Unterhaus verloren", erklärte der Abgeordnete Sammy Wilson schroff.
    So ist die britische Regierung May an dieser entscheidenden Weggabelung ihrer Brexit-Verhandlungen gleich mit zwei Vetos konfrontiert, beide kommen von der Insel Irland, und sie drohen, jeglichen Fortschritt zu blockieren.