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IS-Ölverkauf
"Das Öl ist nur eine Finanz-Säule des IS"

Kauft die Türkei Öl vom IS? Russland behauptet das, Ankara weist den Vorwurf zurück. Die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut hält offizielle Ölgeschäfte der Türkei mit den Dschihadisten für eher unwahrscheinlich. Allerdings begünstige Ankara durch mangelhafte Grenzkontrollen den Ölschmuggel der Islamisten, sagte Scheller im Deutschlandfunk.

Bente Scheller im Gespräch mit Mario Dobovisek | 02.12.2015
    Man sieht eine Ölpumpe, im Hintergrund eines Schornstein zum Abfackeln mit einer Flamme.
    Ein Ölfeld im Nordosten Syriens im Herbst 2013. (AFP / Fabio Bucciarelli)
    Klare Beweise für die russischen Vorwürfe sieht Scheller nicht. Zwar sei der Ölverkauf eine der Haupteinnahmequellen des IS. Doch lasse sich nur schwer sagen, wohin das Öl genau verkauft werde. Sicher gehe ein Teil davon auch in die Türkei, meinte die Politikwissenschaftlerin. Doch handle es sich hier wohl eher um Schmuggel in private Hände. Scheller kritisierte, die Türkei kontrolliere ihre Grenzübergänge unterschiedlich scharf. Gerade in jenen Bereichen, die auf syrischer Seite vom IS kontrolliert würden, werde von türkischer Seite häufig weggeschaut.
    "Ölverkauf nicht die einzige Finanzierungssäule des IS"
    Das meiste Öl wird nach Einschätzung Schellers in Syrien selbst verkauft, da dort ein großer Bedarf herrsche. Der Ölverkauf sei aber keineswegs die einzige Einnahme-Säule der Terrormiliz. Sie finanziere sich auch aus Menschenhandel und Entführungen, aus Schutzgelderpressungen von Unternehmen und aus der Beschlagnahme von Gütern. Eine Zerstörung der Ölquellen in IS-Hand würde deshalb die grundsätzliche Finanzierung der Dschihadisten nicht in Frage stellen, meinte Scheller.
    Ein solches Vorgehen wäre nach Einschätzung der Politologin auch in anderer Hinsicht falsch. Die internationale Gemeinschaft müsse sich fragen: "Wollen wir eine größere Zerstörung der Infrastruktur?" Denn eine fehlende Ölproduktion wäre ein Hindernis für den Wiederaufbau nach einem Ende des Bürgerkriegs. Außerdem sei die syrische Bevölkerung bereits jetzt auf das Öl angewiesen, um heizen und ihre Fahrzeuge betanken zu können.

    Das vollständige Interview:
    Am Telefon begrüße ich Bente Scheller. Sie leitet das Büro der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut und beobachtet seit Jahren den Islamischen Staat. Guten Morgen, Frau Scheller.
    Bente Scheller: Guten Morgen.
    Dobovisek: EU-Staaten sollen das IS-Öl kaufen. Auch die Türkei profitiert angeblich vom Schmuggel, Frau Scheller. Wie wahrscheinlich ist das?
    Scheller: Sie sagen schon angeblich und wir haben auch bei allen anderen, die darüber sprechen, viele Worte, aber wenig Beweise gesehen. Es ist sicherlich eine der Haupteinnahmequellen des sogenannten Islamischen Staates, Öl zu verkaufen, aber welche Mengen jetzt genau wohin gehen, das kann man sehr schlecht sagen. Und hinzu kommt natürlich, wenn wir sagen, die Türkei kauft. Wir denken da an die Regierung der Türkei. Aber ich denke, dass im Wesentlichen der Schmuggel des Öls, der Verkauf des Öls über Grenzen hinweg in privater Hand liegt. Deswegen wissen wir am Ende nicht, wo es endet und können da allenfalls sagen, die Türkei hat ihre Grenzübergänge sehr unterschiedlich stark kontrolliert und, soweit wir von unseren Partnern an der türkisch-syrischen Grenze wissen, auch gerade bei den IS-kontrollierten Grenzübergängen immer wieder weggeguckt.
    Öl ist eine wichtige Einnahme für den IS
    Dobovisek: Wir können nicht über Beweise sprechen, keine Fotos, keine Nachweise. Aber welche Hinweise liegen Ihnen vor?
    Scheller: Ich denke, da sollten wir als allererstes im Kopf haben, dass der Islamische Staat sehr interessiert daran ist, Einnahmen zu haben, und zwar ein ganz diverses Panorama von Einnahmen. Da ist Öl natürlich mit das einfachste. Sie kontrollieren Ölquellen und Gasfelder auf ihrem Gebiet und das ist natürlich ein Gut, was immer gebraucht wird. Ganz besonders aber wird es in Syrien selbst gebraucht und dort ist auch ein großer Handel. Der Großteil des Öls und des Gases, die gefördert werden, dürften auch im Lande selbst verbraucht werden.
    Dobovisek: Wie sieht dieser Handel aus in Syrien?
    Scheller: Wir kennen es von denjenigen, die in den von Rebellen kontrollierten Gegenden zum Beispiel unterwegs waren, dass die erzählen, an den Orten, an denen man Diesel kaufen kann, hat man die Wahl zwischen Diesel, der aus Regime-Gebieten kommt, und Diesel, der als anderer Diesel ausgewiesen ist, wo ganz klar ist, der kommt eben von ISIS. Da ist es, glaube ich, sogar am Preisunterschied dann zu erkennen. Auf jeden Fall aber sehen wir auch, dass einfach der Bedarf innerhalb Syriens sehr groß ist, und wir müssen aber auch darauf gucken, das Regime ist einer der Hauptabnehmer. Das ist ein Staat, der nicht auf Putins Liste stand, aber dahin funktioniert es natürlich sehr gut. Da muss man über keine Grenze und man weiß, man hat weniger Abnehmer.
    Dobovisek: Frau Scheller, welchen Stellenwert haben diese Öl- und auch Gasverkäufe für die Finanzierung des Islamischen Staates?
    Scheller: Es kursieren hier ganz unterschiedliche Zahlen. Wir hören von einer Million pro Tag, zwei Millionen pro Tag, die dadurch eingenommen werden, auch da, weil es überhaupt nicht klar ist, in welcher Menge das Öl abgesetzt wird, weil wir da nur auf die Erkenntnisse von Satellitenaufnahmen über die Anzahl von Tanklastwagen spekulieren können. Es ist natürlich nicht klar, was macht es tatsächlich aus. Es ist eine massive Säule, aber es ist beileibe nicht die Einzige, denn auch da ist ISIS sehr gut aufgestellt. Sie wollen so viele Finanzquellen wie möglich haben, um nicht abhängig zu sein. Das heißt, wenn wir uns jetzt darum kümmern, wie wir die Öleinnahmen von ISIS einhegen können, ist damit noch lange nicht die grundsätzliche Finanzierung der Organisation infrage gestellt.
    Der IS betreibt auch Menschenhandel
    Dobovisek: Auf welche Säulen baut denn der IS sein Finanzkonstrukt noch?
    Scheller: Wir haben es gesehen, Sie haben es auch erwähnt: Menschenhandel beziehungsweise Einnahmen durch Entführungen waren durchaus so eine Sache. Ganz wesentlich, wenngleich das in sehr kleinem Stil natürlich jeweils stattfindet, sind die Gelder, die auch aus der lokalen Bevölkerung erpresst werden. Das waren oft und lange Schutzgelder, die von Unternehmen genommen wurden. Da sehen wir sehr kleine Beträge jeweils fließen, aber in der Masse machen sie durchaus etwas aus, denn es leben ja sieben, acht Millionen in ISIS-kontrollierten Gegenden und da ist einiges zu holen. Auch konfiszierte Güter natürlich geben dem IS eine materielle Rücklage. Deswegen haben wir da schon mehrere.
    Zerstörung von Ölquellen ist ein zweischneidiges Schwert
    Dobovisek: Nun will die internationale Gemeinschaft im Kampf gegen den Terror, im Kampf gegen den Islamischen Staat die Finanzquellen der IS-Kämpfer trockenlegen. Ist das bei dieser ja Diversifizierung, könnte man fast sagen, überhaupt möglich?
    Scheller: Ich denke, dass wir damit keinen entscheidenden Schlag gegen die Organisation führen können, denn sie hat die letzten Jahre nicht zuletzt damit verbracht, Pfründe anzuhäufen. Es ist nicht so, dass sie akut jeden Tag auf diese Einnahmen angewiesen wäre, dadurch, dass sie auf ihren Territorien oder durch potenzielle Expansion natürlich immer etwas hinzugewinnen können. Das ist auch wie gesagt nur ein Strang, von dem sie leben. Da kann man sicherlich ran, aber einerseits müssen wir uns fragen, wollen wir größere Zerstörung der Infrastruktur, weil das natürlich auch beim Wiederaufbau ein Hindernis ist, und innerhalb Syriens ist natürlich eine große Abhängigkeit der Zivilisten davon da, dass es Diesel gibt. Damit wird geheizt, damit sind sie unterwegs. Das ist ein zweischneidiges Schwert zu sagen, wenn wir uns jetzt ganz darauf konzentrieren und Ölflüsse aus ISIS-Quellen stoppen, dann hat das auch Konsequenzen für die lokale Bevölkerung und vor allen Dingen für den Wiederaufbau des Landes.
    "Ohne Bodentruppen wird man IS nicht zurückdrängen können"
    Dobovisek: Da kommen wir auch ganz schnell zu dem Punkt, der uns diese Woche ganz stark beschäftigt, nämlich der Kampf, der militärische Einsatz gegen den Islamischen Staat, an dem sich auch die Bundeswehr beteiligen soll. So will es jedenfalls die Bundesregierung. Am Freitag dazu dann die Abstimmung im Bundestag. Welchen Einfluss haben diese Militärschläge gegen den IS?
    Scheller: Wir haben sie ja jetzt schon eine ganze Weile beobachten können, die Luftschläge, und gesehen, sie haben ISIS geschwächt. Aber sie haben die Organisation territorial nicht sehr weit zurückdrängen können. Das ist eher marginal geblieben, was man da erreicht hat. Und es ist klar: Ohne Bodentruppen wird man dieses Phänomen nicht einhegen, nicht zurückdrängen können. Deswegen ist es eine Sache, sich dazu zu entschließen, dies jetzt zu tun, aber wir sollten uns vor Augen halten, dass das nicht das ist, was den Islamischen Staat letztlich in die Knie zwingen wird.
    Dobovisek: Was wäre das denn?
    Scheller: Wir brauchen Bodentruppen und wir haben natürlich auch gesehen, gerade 2013, 2014 zum Teil: Wir haben Kräfte am Boden, die in der Lage waren, ISIS die Stirn zu bieten, ISIS auch zurückzudrängen, und das waren eben Rebellen. Das war nicht das Assad-Regime, es waren keine regimenahen Truppen, denen das gelungen ist, sondern den Kräften, bei denen wir oft sagen, dass wir gar nicht so genau wissen, wen wir da eigentlich vor uns haben. Aber das sind natürlich Leute, die gezeigt haben, dass es ihnen möglich ist zu kämpfen, die in der unglücklichen Situation sind, derzeit gegen das Assad-Regime und ISIS kämpfen zu müssen, was sie schwächt. Wenn wir diese Kräfte für uns gewinnen können, wäre das gut.
    Dobovisek: Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.