Ein Internet-Video zeigt Nadja R. in einem syrischen Lager. Die Frau, Anfang 30, ist Gefangene kurdischer Soldaten, die gegen den IS kämpfen. Sie sitzt auf dem Boden, eines ihrer beiden kleinen Kinder auf dem Schoß. Sie verließ Deutschland, um einen IS-Kämpfer zu heiraten und im Kalifat einen radikalen Islam zu leben. Nun, da ihr Traum vom "guten Leben" im Kalifat geplatzt ist, will sie wieder zurück. Ein Reporter der Wochenzeitung "Die Zeit" hat sie in dem Lager gefilmt. Sie richtet in dem Video das Wort direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel.
"Die Lage ist sehr schlimm, die ganzen Krankheiten. Bitte, ich brauch Ihre Hilfe, bitte helfen Sie uns. Ich möchte mit meinen beiden Kindern zurück nach Deutschland."
Nadja R. hat einen deutschen Pass. Das Auswärtige Amt hat konsularische Maßnahmen eingeleitet, um sie nach Deutschland zu holen. Ist Nadja R. eine Terroristin? Sie sagt: nein.
"Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Ich bin überhaupt nicht gefährlich."
Teil der Frankfurter Islamisten-Szene
Was sie dem "Zeit"-Reporter erzählt, deutet aber darauf hin, dass sie sich nicht vom radikalen Islam distanziert. Im Gegenteil. Sie findet, der IS sei nur deshalb in der Defensive, weil er nicht streng genug gewesen sei. Es habe IS-Führer gegeben, die hätten gegen Geld ihre eigenen Leute verraten. Vor ihrer Ausreise ins Kalifat lebte Nadja R. in Frankfurt am Main. Dort war sie Teil der Islamisten-Szene. Die Polizei geht davon aus, dass sie auch wieder dorthin zurückkehren wird. Ob sie sich dann einem Strafverfahren stellen muss, ist offen. Zu möglichen Ermittlungen gegen Nadja R. will die Staatsanwaltschaft Frankfurt keine Auskunft geben.
Wie umgehen mit den Rückkehrern? IS-Mitglieder haben Gegner gefoltert, versklavt, geköpft, bei lebendigem Leib verbrannt oder von Hausdächern geworfen. Nur wenige dieser Verbrechen werden voraussichtlich in Deutschland zur Anklage gebracht. Es ist schwierig, Taten nachzuweisen, die in einem Tausende Kilometer entfernten Bürgerkrieg begangen wurden.
Die Zentrale von VPN im Frankfurter Stadtteil Bockenheim. Das Violence Prevention Network wächst. Der Verein hat seinen Sitz in Berlin. Er betreibt in mehreren Bundesländern Beratungsstellen gegen Radikalisierung. Eine davon in Hessen, die das Land mit jährlich 1,2 Millionen Euro finanziert. Beschäftigt werden Pädagogen und islamische Theologen, die junge Menschen von ihrem Weg in die Gewalt abbringen sollen. Auch Rückkehrer. Kommt Nadja R. zurück, steht sein Team bereit, meint Thomas Mücke. Er ist Geschäftsführer von VPN.
"Für uns als Pädagogen sind das erst mal Fälle, wo wir nicht genau wissen, was auf uns zukommt. Wir wissen nicht genau, wie ist die Geschichte dort genau gewesen in den Kampfgebieten, was ist der Person auch vorzuhalten? Was an Straftaten, Verbrechen begangen worden ist. Wie stark ist sie ideologisiert? Sie war ja schon längere Zeit da gewesen. Der Unterschied zu früher ist, wir haben es mit Menschen zu tun, die nicht die erste Rückkehrerwelle darstellen, die vielleicht gesagt haben, das ist nicht das, was ich wollte, die abgehauen sind, die dem System den Rücken gekehrt haben, die Zweifel hatten. Sondern wir haben es mit Menschen zu tun, die längere Zeit in diesem System verankert gewesen sind."
Hoffnung auf Einsicht und Abkehr von radikaler Gewalt hat Grenzen
Und die stellen die Pädagogen vor eine ganz neue Herausforderung. Mücke spricht davon, dass man vernetzt arbeiten muss, mit den Fachleuten im Strafvollzug und Psychologen. Die Hoffnung auf Einsicht und Abkehr von radikaler Gewalt gehört zwar zu seiner Profession, sie kennt aber auch Grenzen.
"Es ist auch Realität, dass man nicht alle erreicht und nicht bei allen etwas verändert, und Pädagogen dürfen nicht für sich den Anspruch erheben zu glauben, dass man durch Angebote bei jedem Menschen die Veränderung auch herbeiführen wird. Letztendlich entscheidet sich die Person selber. Da führt kein Weg dran vorbei. Und es wird Menschen geben, die sich entscheiden, ich gehe meinen Weg wie bisher."
Solche Menschen könnten in den nächsten Jahren die Sicherheit in Deutschland gefährden. Stefan Goertz ist Sozialwissenschaftler an der Hochschule des Bundes in Lübeck und berät Sicherheitskräfte des Bundes. Ja, sagt er, es gibt den desillusionierten Kämpfer, der mit dem Jihad nichts mehr zu tun haben will. Aber es gibt auch andere.
"Ein Teil davon hat sehr wahrscheinlich paramilitärische Ausbildung an Waffen erhalten, Ausbildung mit Sprengstoff, Ausbildung in Taktiken im Bereich Orts- und Häuserkampf. Kann also sein, dass jetzt europäische und deutsche Jihadisten zurückkommen, die ein bisher unbekanntes terroristisches Ausbildungsniveau mitbringen."
Spezialkräfte der Polizei gefragt
Diesen Kämpfern können "herkömmlich" ausgebildete Polizisten wenig entgegensetzen. Allenfalls Spezialkräfte wie die GSG 9 der Bundespolizei könnten solche Jihadisten bei einem Terrorangriff stoppen.
Wissenschaftler Goertz spricht bei solchen Kämpfern von "appetitiver Aggression". Das bedeutet: Jemand der häufig durch Tötungen und exzessive Gewalt das Gefühl der Überlegenheit erlebt hat, wird sich wahrscheinlich durch neue Taten wieder in diesen Zustand versetzen wollen. Von ihnen kann eine große Gefahr für die Sicherheit ausgehen, meint Goertz.
"Es gibt sicher einen gewissen Anteil von Jihad-Rückkehrern, die traumatisiert sind, die psychiatrische Hilfe brauchen, und diese hoffentlich auch bekommen werden. Aber es gibt womöglich auch ein paar Dutzend, die eben appetitive Aggression mitbringen, die durchaus nicht traumatisiert sind, sondern weiterhin ihre Mission des Jihad durchführen wollen und diese Mission jetzt eben dann verlagern heraus aus Syrien, heraus aus dem Irak, zurück nach Europa."