Samstag, 11. Mai 2024

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ISAF-Soldaten bringen Schutz und Sicherheit

Reichel: Die Bilder der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamijan, sie gingen als Symbol für die Kunstfeindlichkeit des afghanischen Taliban-Regimes um die Welt. Die damaligen Herrscher vernichteten alles, was ihrer Meinung nach den Regeln des Islams widersprach. Bilder in Museen wurden zerschnitten, Musik überwiegend verboten, an Kino war gar nicht zu denken. Nach dem Ende der Taliban-Herrschaft galten dann die Bilder von Fernsehguckenden oder Fußballspielenden Afghanen in der westlichen Welt als Zeichen des Siegs und vor allem als Zeichen der Befreiung. Inzwischen geht es in den Berichten aus dem Land meistens um die Sicherheitslage und die Wahl einer funktionierenden Regierung, denn das sind die entscheidenden Voraussetzungen für Frieden, in dessen Schatten sich dann auch die Kultur auch entwickeln kann. Die Bundesregierung will bei der Befriedung noch stärker helfen als bisher. Nicht mehr nur in Kabul, sondern auch in Kundus will sie Soldaten stationieren. In der nächsten Woche soll der Kabinettsbeschluss den Bundestag passieren. Ich habe mit Almuth Wieland-Karimi gesprochen. Sie ist die Büroleiterin in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul und engagierte Mitarbeiterin in der Mediothek für Afghanistan. Meine erste Frage war, was sie und die Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet, von der Ausweitung des Bundeswehreinsatzes halten?

19.10.2003
    Wieland-Karimi: Grundsätzlich sind hier alle hoch erfreut über diese Nachricht aus Deutschland und freuen sich darüber, dass es nicht nur in Kabul Schutz und Sicherheit durch die ISAF-Soldaten geben wird, sondern auch in der Provinz. Das ist eine Forderung, die nicht nur die afghanische Regierung immer wieder in den Raum geworfen hat, sondern auch viele der internationalen Organisationen, die hier in Kabul arbeiten. Insofern ist es ein sehr positiver Schritt in die richtige Richtung.

    Reichel: Sie erwarten sich also eine konkrete Verbesserung?

    Wieland-Karimi: Es erwarten sich ja alle eine konkrete Verbesserung der Situation, aber natürlich gilt das erst mal für die Provinz Kundus, also für diese Region, die die Bundeswehrsoldaten übernehmen wird. Das heißt aber nicht, dass sich die Situation in anderen Regionen des Landes so schnell verbessern wird. In Kundus werden die deutschen Soldaten vor allen Dingen deshalb begrüßt, weil sie doch hier ein sehr gutes Image haben, wegen ihres Einsatzes in Kabul. Und man weiß, dass sie sich tatsächlich um die Sicherheit, auch um das Wohl der Leute bemühen und eben keine eigenen politischen Interessen verfolgen. Das ist sehr wichtig hier für die Bevölkerung.

    Reichel: Wie wichtig ist denn die Sicherheitslage auch für die Entwicklung der Kulturlandschaft in Afghanistan? Können Sie da vielleicht aus Ihren Erfahrungen in Kabul etwas zu sagen?

    Wieland-Karimi: Die Sicherheitslage ist natürlich eine Voraussetzung dafür, dass sich die Künstler, die Schauspieler, die Theatermacher und so weiter frei treffen können. Sofern die Sicherheit nicht gewährleistet ist, ist es natürlich sehr schwierig, weil besonders Kulturschaffende immer wieder ein Ziel sind von islamistischen Kräften. Insofern ist die Sicherheitslage sicherlich entscheidend für die Entwicklung der Kultur in diesem Land.

    Reichel: Das heißt, es gibt noch konkrete Übergriffe?

    Wieland-Karimi: Es gibt immer wieder Berichte von Übergriffe, zum Beispiel wenn Musiker bei Hochzeiten aufspielen, wenn es Rezitationen von Frauen gibt, von Poesie und Literatur, da gibt es immer wieder Nachrichten, dass es dort Überfälle gibt. Es sind auch einige Musiker hier vor ein paar Monaten in einem Ort nördlich von Kabul umgebracht worden während einer Hochzeit, und die Künstler haben insofern immer noch Angst.

    Reichel: Und diejenigen, die Kulturangebote wahrnehmen wollen, haben dann vermutlich auch Angst, noch so etwas wahrzunehmen, oder nicht?

    Wieland-Karimi: Das ist zunächst etwas neues für alle Menschen hier, vor allen Dingen nach dem Bürgerkrieg der Mudschahedin seit 1992 und natürlich nach dem Taliban-Regime sind die meisten Leute einfach kulturhungrig, weil es solche Veranstaltungen nicht mehr hat geben können. Das heißt, also meine Erfahrung hier in Kabul, aber auch in den Provinzen ist, dass solche Angebote sehr stark wahrgenommen werden, verschiedenste Gruppen von Menschen dort hinkommen, aber alle immer noch ein wenig Angst haben, wenn sie diese Veranstaltungen besuchen. Vor allem Angst davor, dass extremistische Kräfte davon auch eine Nachricht bekommen haben könnten und eben dann auch bei einer solchen Veranstaltung erscheinen und Leute angreifen oder zumindestens einschüchtern.

    Reichel: Ziehen wir trotzdem einmal eine kleine Bilanz für die Hauptstadt Kabul vor allen Dingen erst einmal. Was gibt es denn überhaupt schon für Angebote, für Kunstszenen, die sich vielleicht schon ein bisschen entwickelt haben?

    Wieland-Karimi: Also, hier in Kabul ist es faszinierend, zu beobachten, dass es inzwischen mindestens einmal in der Woche, wenn nicht zweimal in der Woche verschiedenste Angebote gibt, von Konzerten, von Literaturrezitationen, Kinos sind wieder eröffnet, Theatermacher treffen sich hier. Und diese Veranstaltungen sind äußerst gut besucht. Und man kann schon in dieser Kulturszene von einer Art Aufbruchstimmung sprechen, wenn auch dieses Klima der Angst bei allen vorherrscht.

    Reichel: Das Goethe-Institut hat ja im vergangenen Monat ein Haus in Kabul eröffnet und es gibt zum Beispiel auch Ihre Mediothek für Afghanistan. Ist es mehr die Kunst oder die Kultur, die von außerhalb jetzt kommt, die auch dann die Afghanen begeistert, oder gibt es auch schon richtig Entwicklung von der eigenen Kultur und die Wahrnehmung eigener Künstler?

    Wieland-Karimi: Es gibt sehr viele Künstler, die die ganzen Kriegszeiten hier in Afghanistan waren und die jetzt froh sind, dass sie endlich wieder einen Raum haben, aufzutreten. Vor allem die traditionellen Musikgruppen und die Theatermacher, die haben das Land gar nicht verlassen. Es gibt also so etwas wie eine traditionelle Kulturszene hier in Afghanistan und die vermischt sich, wie ich finde, sehr positiv von aus dem Exil zurückkehrenden Künstlern oder von Leuten, die wenigstens für eine kurze Zeit mal nach Kabul kommen. Es gibt auch in diesem Bereich also wenig Berührungsängste. Man kann tatsächlich von einer Art Brückenbau zwischen der einheimischen Kultur und auch mit Künstlerszenen im Ausland sprechen.

    Reichel: Wie schwer fällt denn manchen Künstlern auch der Neuanfang? Ist das manchmal auch ein Problem so zusagend, nicht nur jetzt auf Grund der Angst, sondern auch wieder bestimmte Sachen anzuknüpfen? Sie sagen, es gibt eine breite Fläche, aber ich könnte mir doch vorstellen, dass, wenn jemand lange nicht gemalt hat oder lange nicht das malen oder sich ausdrücken konnte in Gedichten oder so, wie er wollte, dass es dann schon auch so eine kleine Schwelle gibt. Ist das ein Problem oder ist das wirklich so die Euphorie, die dann auch die Künstler für ihre Kunst auch wieder mobilisiert?

    Wieland-Karimi: Also, ich kann hier eher eine große Euphorie und einen riesigen Bildungshunger beobachten. Alle Angebote, die hier gemacht werden, in erster Linie natürlich erst einmal von internationalen Organisationen wie eben dem Goethe-Institut oder der Mediothek für Afghanistan, gibt es eine riesige Nachfrage und es gibt Tausende von Fragen. Und egal, welches Angebot auch gemacht wird, es ist immer schwierig, die Teilnehmer erst einmal auszuwählen, weil so großes Interesse ist. Am Anfang hat es sicherlich, Anfang des Jahres 2002, so eine kleine Schwelle gegeben. Die ist aber längst hier aufgehoben und es gibt einen riesigen Zustrom und eine riesige Nachfrage. Besonders unter jungen Leute, was ich sehr faszinierend finde, von denen man ja meinen könnte, dass sie sich erst einmal um die Basisdinge wie eine vernünftige Bildung, ein Studium und so weiter kümmern. Gerade die interessieren sich für diese Szene. Es gibt dort begabte Kalligraphen, es gibt dort Theatermacher, es gibt inzwischen mehrere Gruppen hier, die so Filmstudios aufgemacht haben. Das sind alles junge Leute in erster Linie.

    Reichel: Würden Sie denn die Hauptstadt Kabul schon so richtig als ein kleines Kulturzentrum bezeichnen?

    Wieland-Karimi: Ich würde es mal vorsichtiger formulieren, ein sich entwickelndes Kulturzentrum. Aber sicherlich muss man hinzufügen, dass Kabul immer noch eine Art Insel in diesem Land ist.

    Reichel: Wie sieht es denn in den Provinzen oder in den anderen Städten aus?

    Wieland-Karimi: Es sieht sehr unterschiedlich aus. Also, man kann nicht allgemein für die afghanischen Provinzen sprechen. Es gibt einige größere Städte, wie zum Beispiel Mazar-e Sharif im Norden und auch Kundus, wo ja die deutschen ISAF-Soldaten jetzt hingehen werden, wo eine relativ freie Kulturszene auch herrscht. Dort gibt es ganz bekannte Theatermacher, auch aus den achtziger Jahren, also aus der kommunistischen Zeit, die jetzt wieder an ihre Arbeit anknüpfen. Also dort ist es relativ offen. Es gibt aber auch sehr viel konservativere Städte, in denen das Angebot längst nicht so groß ist und sicherlich in den Provinzen auf dem Land ist es sehr eingeschränkt. Also, da beschränkt sich das kulturelle Leben auf ein wenig Musik bei einer Hochzeit oder eben auf den Familienkreis, wo Literatur vorgelesen wird oder Gedichte rezitiert werden. Man kann eigentlich in den Provinzen und auf dem Land noch nicht wieder von einer Kulturszene sprechen, aber man muss auch hinzusagen, dass Afghanistan zu einem der wenigsten entwickelten Länder schon vor dem Krieg gehört hat. Das heißt, auch in diesen Regionen hat es nie ein ausgeprägtes kulturelles Leben gegeben, sondern dort war man immer mehr mit den Dingen des täglichen Überlebens beschäftigt. Also, insofern ist die Entwicklung in den Städten sehr unterschiedlich und auf dem Land ist so eine Entwicklung eigentlich noch nicht zu beobachten.

    Reichel: Kann die Kultur auch ihren kleinen Beitrag leisten, um Frieden und Sicherheit zu schaffen?

    Wieland-Karimi: Aus meiner Sicht ist die Kultur ein ganz zentraler, integrierender Faktor für eine Gesellschaft. Das politische Umfeld ist natürlich auch sehr wichtig, man muss sich auf die verfassungsgebende Ratsversammlung, man muss sich auf die Wahlen vorbereiten, aber das ist ja immer eine Thema, was eben in der Vergangenheit auch sehr schwierig war. Während, die Kultur ist etwas, was eigentlich allen Menschen aufsteht, insofern ein gemeinsamer Faktor für alle, und es ist eben faszinierend, in solchen Kulturveranstaltungen zu beobachten, wie ehemalige Mudschahedin, also Widerstandkämpfer, neben ehemaligen Kommunisten und anderen friedlich in einer Kulturveranstaltung sitzen und sich Musik anhören, ein Theaterstück angucken. Also, das ist ein friedenstiftender Faktor für die ganze Gesellschaft und der ist einmal ein relativ, in Anführungsstrichen, neutraler Faktor für dieses Land.

    Reichel: Was haben Sie denn als letztes besucht, als Kulturveranstaltung in Kabul?

    Wieland-Karimi: Also, als letztes hatten wir hier unsere Büroeröffnung der SWS hier, und da war eine ganz faszinierende Sache, da hat auch eine traditionelle afghanische Musikgruppe gespielt, die ist hier sehr bekannt, und da sind auch viele der Ausländer, der Deutschen und so weiter, sind aufgesprungen und haben bei einem afghanischen Nationaltanz, der heißt Attan, mitgemacht, das war ein sehr spannendes Erlebnis. Das andere war eine Veranstaltung in der Mediothek für Afghanistan, wo zwei deutsche Jazzmusiker auch gemeinsam mit einer anderen traditionellen Gruppe gespielt haben und das war ein fantastisches Konzert. Da gibt es übrigens auch eine Aufnahme von. Also, das war wirklich faszinierend, das war so, wir haben das dann hinterher genannt eine Jam-Session in Kabul. Hätte ich nicht gedacht, dass ich das so schnell hier erleben würde.

    Reichel: Über Satellitentelefonsprachen wir mit Almuth Wieland-Karimi, Büroleiterin in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul und Mitarbeiterin der Mediothek für Afghanistan.