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Islam und Terror
Evangelische Pfarrer und ihre Auseinandersetzung mit Extremisten

Wo Toleranz aufhört und Naivität beginnt, ob man Islamismus beim Namen nennen darf und was Verfassungsfeinde bei Gedenkveranstaltungen zu suchen haben: Darüber gibt es eine Debatte in der Evangelischen Kirche. Zwei Pfarrer erläutern ihre Positionen.

Von Marie Wildermann | 07.02.2018
    Verschleierte Frauen auf einer Salafisten-Kundgebung in Offenbach
    Wenn Salafisten ihre Frauen zur Verschleierung zwingen: tolerieren oder ignorieren? (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    In seinem früheren Leben war Steffen Reiche Minister in Brandenburg. Er ist Theologe und SPD-Mitglied. Heute ist er Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Nikolassee.
    Zum Dialog mit Extremisten hat er eine klare Haltung: "Wir haben mit Menschen zu sprechen, auch wenn sie extremistische Positionen vertreten. Das haben mutige und gute Pfarrer auch immer gemacht, wie zum Beispiel Kurt Scharf, der auch mit RAF-Terroristen geredet hat. Das war seine Aufgabe. Das finde ich auch. Und da ist es mir egal, ob es roter oder brauner oder grüner Terror ist: Menschen bleiben Menschen. Und das gehört sozusagen zum Kernbestand unseres Glaubensbekenntnisses, dass wir doch zwischen Tat und Täter unterscheiden."
    Das Ziel eines Gesprächs mit Terroristen sei es, sie zur Umkehr zu bewegen - durch die Kraft der Argumente, sagt Steffen Reiche.
    "Grenze der Toleranz"
    Auch Andreas Goetze will mit Extremisten reden. Er ist landeskirchlicher Pfarrer für den interreligiösen Dialog in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, kurz EKBO.
    "Menschen, die selbst Terror befürworten, Menschen, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aussprechen, die antisemitisch unterwegs sind – da würde ich immer sagen, da gehe ich immer mit sehr viel Vorsicht ran und möglicherweise lässt sich im Gespräch herausfinden: Da ist die Grenze der Toleranz erreicht. Dann bin ich nicht mehr der Gesprächspartner. Das gehört auch dazu. In der Demokratie gehört es dazu, dass sie die Grenzen der Toleranz benennt. Und das stellt sich aber heraus durch Begegnung, nicht durch abstrakte Beschreibung."
    So sind beispielsweise Salafisten nicht automatisch verfassungsfeindlich. Auch wenn die meisten Anhänger dieser reaktionären Form des Islam die Demokratie ablehnen, die Welt in Gläubige und Ungläubige teilen und von ihren Frauen die Vollverschleierung fordern. Andreas Goetze:
    "Laut unserer Verfassung, auch laut Bundesverfassungsgericht, können Gruppen in unserem Land sogar leben, die die Verfassung ablehnen, solange sie nicht aktiv gegen sie arbeiten. Eine Glaubensrichtung oder bestimmte Glaubensüberzeugung allein genügt noch nicht, von unserer Verfassung her, eine Gruppe zu verbieten oder nicht zu verbieten, sondern ihre Aktivitäten sind dann das Entscheidende."
    Islamisten, Zeugen Jehovas, Piusbrüder
    Andreas Goetze, der Pfarrer für den interreligiösen Dialog, bejaht alle Formen des Islam in Deutschland, auch den wahabitischen, der im Herkunftsland Saudi-Arabien die Todesstrafe praktiziert für Muslime, die sich vom Glauben abwenden.
    "Der wahabitische Islam ist genauso wie andere politische Gruppierungen, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen oder die einen anderen Hintergrund haben, zu beobachten. Das könnte ich von Zeugen Jehovas sagen, die ein theokratisches Modell haben, das nicht demokratisch ist. Ich könnte es von den Piusbrüdern sagen. Ich könnte es von rechtsextremen und linksextremen Gruppen sagen, die sind nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, ja. Sie gehören beobachtet, ja. Und insofern: Die Menschen sind ein Teil von Deutschland. Die Ideologien müssen wir auch angehen und da eine Grenze der Toleranz setzen. Aber dafür stehen die Gesetze, dafür steht die Polizei - und das ist dann in Ordnung, dass sie entsprechend eingreifen."
    Soweit die Theorie. Brisant wird es immer, wenn es um die Praxis geht.
    Beispielsweise um das Gedenken für die Opfer des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung für die Terroropfer sprach unter anderen ein Vertreter der "Neuköllner Begegnungsstätte", der Dar-as-Salam-Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Pfarrer Andreas Goetze:
    "Die Neuköllner Begegnungsstätte steht im Verfassungsschutzbericht, ja. Es ist auch legitim und nötig, dass der Verfassu ngsschutz beobachtet, es ist aber nicht berechtigt, aufgrund dieser Hintergründe sofort einen Generalverdacht auszusprechen, sondern zu gucken, wer arbeitet da und wer arbeitet wie."
    Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus
    Dass ausgerechnet ein Mitarbeiter dieser Moschee, der Jugendseelsorger Mohamed Matar, der nach seiner Ausbildung nicht in den Berliner Polizeidienst übernommen wurde, auf der Gedenkfeier für die Terroropfer sprach, ist für Steffen Reiche unerträglich. Der Pfarrer der Kirchengemeinde in Berlin-Nikolassee:
    "Wenn der Verfassungsschutz jemanden beobachtet – und das ist der Verfassungsschutz eines Rechtsstaates – wenn der einen Muslim beobachtet – und der beobachtet doch nicht zwei Millionen Muslime – und wenn der eine Moschee beobachtet – und der beobachtet doch nicht 2000 Moscheen –, dann gebietet es der Verstand und die Achtung vor dem Rechtsstaat, dass man einen solchen Mann, eine solche Moschee dann nicht, wenn es islamistischer Terroropfer zu gedenken gilt, mit aufs Podium holt. Das ist Verhöhnung der Opfer."
    "Verhöhnung der Opfer" - so kommentierten einige Opfer-Initiativen auch jene Gedenktafel, auf der lediglich "Terroranschlag" zu lesen ist, und nicht "islamistischer Terroranschlag". Andreas Goetze, Pfarrer für den interreligiösen Dialog, findet das dennoch richtig.
    "Ich denke, in unserer aktuellen Situation ist die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus nicht im Bewusstsein vieler Menschen. Und es ist wichtig, eine Religion insgesamt nicht in Haftung zu nehmen für Positionen oder Anschläge, die Einzelne daraus tun. Das entlastet diese Religionsgemeinschaft nicht, sich kritisch den Fragen zu Gewalt und so zu stellen, wie jede andere auch. Aber diese Unterscheidung zumindest in den Diskurs einzubringen, das ist in der aktuellen Situation wichtig. Und sie ist aktuell nicht gegeben, dass Menschen unterscheiden können oder nicht so stark unterscheiden können."
    Terrorismus beim Namen nennen
    "Und das sind eben die doppelten Standards, die man nicht zulassen darf", meint Steffen Reiche und ergänzt, rechtsextremistischer Terror werde als solcher benannt. Und zwar zu Recht. Wer das im Fall islamistischen Terrors unterlasse, setze ein verheerendes Signal.
    "Wenn die Verantwortlichen in Gesellschaft, in Kirchen, im Staat, in Regierungen nicht mehr klar beim Namen nennen, was wir nicht tolerieren dürfen, dann fördert das Pegida und AfD. Weil dann nämlich Menschen anfangen zu sagen: Wenn die, die Verantwortung tragen in unserm Land, das nicht mehr machen, dann müssen wir es machen. Und dann passiert etwas ganz Fatales, weil diese Leute eben genauso wenig Balance halten können wie viele im terroristischen Bereich."
    Eine Balance, um die es beiden evangelischen Theologen geht. Darin ist sich der SPD-Mann und Theologe Steffen Reiche einig mit dem Theologen Andreas Goetze, dem Pfarrer für den interreligiösen Dialog. Nur: Wie der Weg hin zu dieser Balance aussehen soll - darüber gilt es noch reichlich Debatten zu führen innerhalb und außerhalb der evangelischen Kirche.