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Von Saudi-Arabien nach Deutschland
Die Flucht einer Atheistin

Rana Ahmad verließ vor zwei Jahren ihre Heimat. Sie flüchtete über Istanbul nach Köln. Vorher musste sie die Scharia und die saudische Religionspolizei ertragen. Im Exil in Deutschland ist nun ihr Buch erschienen über ihren "Ausbruch aus Saudi Arabien" und den "Weg in die Freiheit".

Von Marie Wildermann | 24.01.2018
    Ein Porträtfoto von Rana Ahmad, eine junge Frau mit langem schwarzem Haar blickt lächelnd über ihre Schulter in die Kamera
    Rana Ahmad lebt als Atheistin im deutschen Exil (Christian Faustus)
    Rana Ahmad heißt nicht Rana Ahmad. Sie nutzt ein Pseudonym, um sich zu schützen. Sich und die Familie in Saudi-Arabien, vor Hass und Morddrohungen. Aber seitdem sie öffentlich erklärt hat, dass sie sich vom Islam abgewandt hat, ist das Pseudonym eigentlich überflüssig. Denn Rana Ahmad ist gegenwärtig das weibliche Gesicht der Apostasie, des Abfalls vom Islam. Sie wird beschimpft und bedroht von Muslimen aus der ganzen Welt.
    "In muslimischen Gesellschaften ist es nicht üblich, dass Frauen sich zum Atheismus bekennen. Nach meinem Interview habe ich viele Drohungen bekommen. Ich glaube, ich bin die erste Frau, die öffentlich in den Medien gesagt hat: Ich habe den Islam verlassen, ich bin Atheistin, weil ich frei sein wollte. Und das schlug ein wie eine Bombe. Drei Millionen Menschen haben den Film auf Deutsche Welle-TV gesehen."
    "Sie hätten mich getötet"
    Erst nach ihrer Flucht hat sich die 33-Jährige als Atheistin geoutet. In Deutschland. In Saudi-Arabien kann ein öffentliches Bekenntnis zum Atheismus mit der Todesstrafe enden.
    "Wenn ich gesagt hätte, ich bin Atheistin, hätten sie mich getötet. Zuerst stecken sie dich ins Gefängnis. Nach drei Tagen fragen sie dich, ob du zum Islam zurückkehrst. Wenn du das nicht machst, schneiden sie dir den Kopf ab."
    Dabei war Rana Ahmad in Saudi-Arabien zunächst gar nicht besonders rebellisch - im Gegenteil: Sie wollte eine gute Muslimin sein. Aber die Unterdrückung von Frauen und Mädchen im Namen der Religion ist in Saudi-Arabien allgegenwärtig.
    Der Niqab, bei dem nur Sehschlitze für die Augen freibleiben, ist Pflicht. Bei allen Entscheidungen muss ein männlicher Vormund seine Zustimmung geben, egal ob Frauen eine Ausbildung machen, arbeiten oder verreisen wollen. In Restaurants gibt es abgetrennte Räume für Frauen. Selbst Hochzeiten feiern Männer und Frauen getrennt, das Brautpaar inklusive.
    "Ich hatte die Hoffnung, dass meine Religion recht hat"
    Dann verhaftet die Religionspolizei Ranas Freundin - und zwar wegen einer unehelichen Beziehung. Die Strafe: Drei Monate Gefängnis und 100 Peitschenhiebe. Auch Ranas Ehe scheitert, sie zieht zurück zu ihren Eltern nach Riad. Sie arbeitet in verschiedenen Verwaltungsjobs. Zum Vater hat sie ein gutes Verhältnis, aber Mutter und Bruder kontrollieren jeden ihrer Schritte. Rana flüchtet sich ins Internet, sucht nach Antworten auf ihre Fragen an das Leben, an die Religion, an die Widersprüche im Alltag. Sie stößt auf Gedanken und Ideen, die in Saudi-Arabien verboten sind.
    "Ich habe mir philosophische Schriften aus dem Internet heruntergeladen, in denen es um Gott ging, um Religion. Ich habe alles gelesen, was ich dazu finden konnte, auch über Atheismus. Trotzdem habe ich weiterhin jeden Tag den Koran gelesen. Ich wollte, dass Gott mir hilft zu erkennen, was richtig und was falsch ist. Ich hatte die Hoffnung, dass meine Religion recht hat."
    Der Wissenschaftler und Kirchenkritiker Richard Dawkins
    Der Wissenschaftler und Religionskritiker Richard Dawkins ist eine wichtige Leitfigur für Rana Ahmad (picture alliance / dpa / Cristobal Garcia)
    Sie studiert Darwins Evolutionstheorie, stößt auf Schriften des Atheisten Richard Dawkins und chattet im Internet mit Menschen, die nicht an Gott glauben. Eine Welt stürzt ein. Einen Weg zurück gibt es nicht.
    "Es ist keine Entscheidung. Es ist eine Idee, die sich im Kopf festsetzt. Man kann nicht sagen, ich versuche mal ein bisschen Atheismus und gehe dann wieder zurück zum Islam. Das geht nicht."
    Todesangst und Flucht
    "Ich habe viel geweint, ich war sehr allein. Ich wusste, wenn es jemand herausfindet, wird man mich töten, vielleicht schon morgen, vielleicht nächsten Monat. Ich hatte immer Angst. Jeden Tag."
    Die Mutter spürt, dass die Tochter entgleitet, will sie auf den rechten Weg zurückbringen, durch eine Pilgerreise nach Mekka. Dort macht sie ein Handy-Foto: im Vordergrund ein Zettel mit den Wörtern "atheist republic" - "atheistische Republik", eine weltweit aktive Internetplattform heißt so -, im Hintergrund die Kaaba in Mekka, das zentrale Heiligtum des Islams. Dieses Foto postet sie auf der atheistischen Webseite. Jetzt ist ihr klar: Sie muss das Land verlassen.
    Ein Visum für Europa bekommt sie nicht. Freunde unterstützen sie, in die Türkei zu reisen. Weil sie einen syrischen Pass hat - ihre Eltern kamen vor Jahrzehnten als Arbeitsmigranten nach Saudi-Arabien - kann sie tatsächlich allein nach Istanbul fliegen. Bis zuletzt kann sie nicht glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hat.
    "Die atheistische Internetgemeinde hat mir geholfen, sie haben eine Crowdfunding-Aktion im Internet gestartet: Atheisten überall auf der Welt haben für mich gespendet, insgesamt 5000 Dollar. Sogar Richard Dawkins hat mich unterstützt, er hat die Crowdfunding-Kampagne retweetet."
    "Jetzt habe ich keine Angst mehr"
    Wie so viele Flüchtlinge kommt Rana Ahmad im Herbst 2015 über die Balkanroute nach Deutschland, landet in Köln. Sie lernt eifrig Deutsch, will Physik studieren. Sie genießt es, ihre langen schwarzen Haare offen tragen zu können, kurze Kleider. Und dass sie sagen kann, was sie wirklich denkt.
    "In Deutschland zu sein, keine Angst haben zu müssen, dass man getötet wird, weil man die Religion verlassen hat, das ist so unfassbar für mich. Ich kann wieder schlafen, ich fühle mich sicher. Und ich schätze dieses Land und dass es hier Religionsfreiheit gibt!"
    Mit der Giordano-Bruno-Stiftung und dem Zentralrat der Ex-Muslime hat sie die "Säkulare Flüchtlingshilfe" gegründet, einen Verein, der religionslosen Flüchtlingen hilft. Denn auch in den Flüchtlingsheimen in Deutschland würden Religionslose von Muslimen diskriminiert, sagt sie.
    Ihren Auftritt im Film der Deutschen Welle hatte sie gemeinsam mit Nora Illi, einer Schweizer Konvertitin, die Niqab trägt und in den Medien für die Verschleierung wirbt. Für Rana Ahmad völlig unverständlich.
    "Ich habe sie gefragt, warum wirfst Du deine Freiheit und Rechte weg und verhüllst Dich? Ich habe alles verloren, um frei zu sein, um selbst zu entscheiden, was ich anziehe und Du wirfst alle deine Rechte auf den Müll!?"
    Wenn Rana Ahmad gefragt wird, woher sie ihre Kraft und ihren Mut nimmt, sagt sie:
    "Ich hatte so lange so viel Angst, bis alles in mir zerbrochen ist. Jetzt habe ich keine Angst mehr. Vor nichts."
    Rana Ahmad / Sarah Borufka: "Frauen dürfen hier nicht träumen. Mein Ausbruch aus Saudi-Arabien, mein Weg in die Freiheit"
    btb Verlag, München 2017, 317 Seiten, 16 Euro.