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Islamische Theologie
Das Fach nach vorne bringen

Seit acht Jahren gibt es islamische Theologie an deutschen Hochschulen. Doch die Vernetzung der Standorte kann noch verbessert werden, und ebenso die Außenwirkung des Fachs. Diese Ziele hat sich die neu gegründete "Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft" gesetzt.

Von Abdul-Ahmad Rashid | 17.04.2019
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Außenaufnahme der "Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft" (ZDF)
"Wir sehen es als eine Möglichkeit, ein junges akademisches Feld, was in Deutschland erst im Entstehen ist, nach vorne zu bringen und zu professionalisieren. Das ist eigentlich das, was wir spannend finden an der ganzen Geschichte", erklärt Achim Rohde.
Der Islamwissenschaftler arbeitet an der "Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft", die Ende des vergangenen Jahres ihren Betrieb in Frankfurt aufgenommen hat. Im Erdgeschoß eines Fünfziger-Jahre-Gebäudes in der Nähe der Universität im Stadtteil Bockenheim möchte die Akademie eine Lücke schließen – zwischen den Standorten des Studienfachs "Islamische Theologie" auf der einen Seite sowie zwischen der islamischen Theologie und der deutschen Gesellschaft auf der anderen Seite.
Dafür haben Achim Rohde und seine fast 20 Kolleginnen und Kollegen verschiedene Instrumente entwickelt. Rohde koordiniert an der Akademie die sogenannten Wissenschaftsformate, bei denen die acht Standorte für islamische Theologie vernetzt werden sollen. Die Wissenschaftler der unterschiedlichen Standorte arbeiten dabei in Forschungsgruppen zusammen, die auf mehrere Jahre ausgerichtet sind. Wie beispielsweise im Projekt "Link Open Tafsir" - einem gemeinsamen Projekt der Universitäten Frankfurt, Gießen und Hamburg.
Rohde: "Das ist ein Forschungsvorhaben, das so in den Bereich digitale Geisteswissenschaften gehört. Die möchten die frühislamischen Überlieferungen, also die Hadith-Sammlungen, digitalisieren und auf dieser Basis zum Entstehungskontext des Korantextes forschen."
"Plastikfreies Fasten im Ramadan"
Von ihrem Charakter her ist Theologie aber auch immer eine anwendungsorientierte Wissenschaft, will Antworten auf Fragen des Alltags geben. Doch wie schafft man es, die in Deutschland in der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbekannte islamische Theologie in die Praxis umzusetzen? Dazu entwickelten die Mitarbeiter der Akademie sogenannte "Transferformate", die eine Brücke zwischen den islamisch-theologischen Studien an Hochschulen und der muslimischen Zivilgesellschaft bauen sollen.
"Wir suchen Leute aus der Praxis, die sich mit der Thematik Islam in Deutschland, gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft etcetera beschäftigen oder mit innovativen Themen, die einfach interessant sind und die vor allem, wichtig, an der Schnittstelle zwischen Praxis und Wissenschaft angesiedelt werden können, und Wissenschaft primär natürlich die islamisch-wissenschaftlichen Studien", sagt der Sozial- und Kommunikationswissenschaftler Ulrich Paffrath, der diese "Praxisfellowship" genannten Formate betreut.
Einer seiner Mitarbeiter befasst sich mit Umweltschutzfragen, erklärt Paffrath:
"Er möchte in Moscheen gehen und das Bewusstsein für Umweltschutz und die Ziele in diesem Kontext erst mal erfassen. Also: Wie sieht es überhaupt aus? Er hat auch Projekte initiiert wie das plastikfreie Fasten im Ramadan zum Beispiel. Denn da gibt es immer das Essen und dann gibt es immer 0,1-Liter Wasser in Plastikbechern. Und wir versuchen, auch hier den Link herzustellen zu islamisch-theologischen Studien. Da gibt es ja vieles aus der islamischen Geschichte, Ethik, viele, viele Teilbereiche, wo wir das ansiedeln können."
Kontroversen am "Runden Tisch"
Doch der Transfer soll sich nicht alleine auf die muslimische Zivilgesellschaft beschränken. Etwa bei den "Round-Table"-Gesprächen:
"Hier möchten wir verschiedene Akteure der Gesellschaft aus Politik, Wissenschaft, muslimischer Zivilgesellschaft, Medien, an einen Tisch zusammenbringen, wo wir zu bestimmten Leitfragen, die aktuell sind, zusammenkommen und dann wirklich sehr eng geführt an der Leitfrage diskutieren möchten, auch durchaus kontrovers. Mit dem Ziel, zur Versachlichung der Debatte beizutragen."
Paffrath hat jüngst eine Veranstaltung organisiert, bei der es um die sogenannte "Neuköllner Begegnungsstätte" ging. Dieser Verein in Berlin ist umstritten: Einerseits wird er vom Verfassungsschutz in Berlin beobachtet und soll der Muslimbruderschaft nahestehen. Andererseits ist die Begegnungsstätte ein geschätzter Partner für Kirchen und Nichtregierungsorganisationen in der Hauptstadt. Gerade deshalb sieht der Wissenschaftler Paffrath hier Bedarf für einen sachlichen Austausch:
"Es ging eigentlich dann auch darum: Wie ist die Entwicklung in der Berichterstattung verlaufen und warum, und wie waren dann die Querverbindungen und die Wechselwirkungen. Denn: Erst war es so, die 'Neuköllner Begegnungsstätte' als Leuchtturmprojekt, und auf einmal war es sehr problematisch. Was ist da passiert? Und wie kann man nachvollziehen, was da passiert ist - sowohl in der Wahrnehmung der 'Neuköllner Begegnungsstätte', aber auch in der medialen Darstellung und auch in der Debattendarstellung und was das dann für eine Bedeutung für den interreligiösen Dialog hatte?"
"Kein Mufti-Amt"
Ulrich Paffrath und Achim Rohde sind als Nichtmuslime keine Exoten unter den Mitarbeitern der Akademie: Die Zahl der Muslime und Nichtmuslime dort hält sich die Waage. Die Mischung spiegelt auch den Anspruch der Akademie wider: Sie ist weder eine muslimische Akademie noch eine religiöse Institution. Und erst recht kein Mufti-Amt, wie Politikwissenschaftlerin und Geschäftsführerin Raida Chbib betont:
"Wir sind aus zwei Gründen kein Mufti-Amt. Der eine Grund wäre der, dass ein Mufti-Amt wenn dann aus einer glaubensgemeinschaftlichen Institution heraus entstehen müsste, und da wir eine universitäre Institution sind, ist es im Prinzip gar nicht gegeben. Und das andere ist, dass wir uns gewissermaßen als ein Gegenstück zu der Idee eines Mufti-Amts verstehen können, weil wir eben die Diversität anerkennen und versuchen mit aufzunehmen."
Die Akademie möchte vernetzen und vermitteln, sieht sich aber nicht als den ultimativen Ansprechpartner für Islamfragen in Deutschland, betont der Direktor der Akademie, der Islamwissenschaftler Bekim Agai:
"Weil wir ja nicht ein religiöser Akteur sind und das auch für uns nicht beanspruchen, aber der Islam in Deutschland eben sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er vielstimmig ist. Unsere Aufgabe ist es eher, diese vielen Stimmen miteinander in Kommunikation zu setzen und nicht als eine weitere Stimme hinzuzukommen, die sagt, wir sind die Stimme."
"Kompetent Auskunft geben"
Die Akademie will für mehr Sachverstand in den diversen Islam-Debatten sorgen, fügt Islamwissenschaftler und Geschäftsführer Jan Felix Engelhardt hinzu:
"Beispiel: Es gibt Bedarf an einer Expertin oder an einem Experten zum Thema Islam und Grundgesetz, dann wissen wir natürlich, wen können wir da ansprechen im Feld, also in der islamischen Theologie bundesweit, wer hat sich damit auseinandergesetzt, wer kann dazu kompetent Auskunft geben und fragen dann an."
Finanziert wird die "Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft" mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Mercator-Stiftung. Bis 2022 stehen bis zu elfeinhalb Millionen Euro für die wissenschaftliche Tätigkeit zur Verfügung. Das Besondere: Die Akademie ist an die Goethe-Universität Frankfurt angeschlossen und somit eine universitäre, neutrale Einrichtung.
* Das Foto haben wir aus redaktionellen Gründen ausgetauscht.