
"Es ist eine reflektierte religiöse Bildung der muslimischen Schülerinnen und Schüler. Dass sie ganz genau sagen können: Das ist der politische Islam. Das ist der Islam, den wir ausüben zuhause. Und das ist der Islam, den die Gesellschaft in verschiedenen Facetten, in verschiedenen Formen ausübt. Weil es gibt nicht den einen Islam."
Ähnlich äußert sich Musa Bagrac, der Vorsitzende des Verbandes der Islamlehrerinnen und -lehrer. Für ihn ist der Unterricht eine ebenso wichtige wie notwendige Ergänzung zum religiösen Leben in den Moscheen. Denn dort, so sagt er, lernten die Kinder zwar die rituelle Seite ihres Glaubens kennen. Das eigenständige religiöse Denken und Argumentieren aber würde in Moscheen so gut wie gar nicht gefördert. Und genau dies sei die zentrale Aufgabe des Islamunterrichts in der Schule.
"Darin sollen Schüler lernen, verantwortlich mit ihrem Glauben umzugehen und auch mit anderen Lebensweisen, Weltanschauungen und Religionen. So lernen Schüler nicht nur die Vielfältigkeit des eigenen Glaubens kennen, sondern auch mit dieser Vielfältigkeit umzugehen. Und wenn sie das einmal gelernt haben, sind sie dann auch eher bereit, mit der Vielfalt der anderen Religionen und Weltanschauungen klarer umzugehen."
"Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen (…) ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt."
Da der Staat weltanschaulich neutral ist, braucht er für die inhaltlichen Fragen des Religionsunterrichts Ansprech- und Kooperationspartner in Form der Religionsgemeinschaften. Auf christlicher Seite sind dies die evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümer. Sie erteilen den Religionslehrerinnen und -lehrern, die in ihrem Namen unterrichten, auch die jeweilige kirchliche Unterrichtserlaubnis. Wer diesen Part auf islamischer Seite übernehmen kann und soll, ist umstritten. Bislang nämlich gibt es dort kaum offiziell von den Bundesländern anerkannte Religionsgemeinschaften. Denn die Kriterien, die eine Religionsgemeinschaft ausmachen, griffen hier nur bedingt, sagt Georg Wenz, der Islambeauftragte und stellvertretende Akademiedirektor der evangelischen Kirche der Pfalz:
"Eine Religionsgemeinschaft muss eine gewisse Zeit schon existieren. Das tut der Islam. Es muss absehbar sein, dass durch die Mitgliederanzahl auch noch eine gewisse weitere Phase diese Religion existiert. Das dürfte beim Islam auch der Fall sein. Allerdings ist die Frage der Verfasstheit, also, wie kann eine Religion, die sehr den Einzelnen in den Mittelpunkt stellt, wie der Islam, eine Organisationsform kreieren, die dann dem deutschen Religionsrecht gerecht wird."
Auch wenn es in kaum einem Bundesland eine offiziell anerkannte islamische Religionsgemeinschaft gibt, haben sich in den vergangenen Jahren die großen islamischen Verbände – also Ditib, der Zentralrat der Muslime, der Islamrat und der Verband der islamischen Kulturzentren – stets selbst so bezeichnet. So betont Zekeriya Altug, der Außenbeauftragte der Ditib:
"Wenn eine Religionsgemeinschaft sich so tituliert, sich so aufstellt, und vom Selbstverständnis her eine Religionsgemeinschaft ist, dann ist sie auch als eine solche anzusehen. Der Staat bescheidet eigentlich nur in dem Bereich, wo er mit dieser Religionsgemeinschaft zusammenarbeiten soll, ob er diese auch als Partner für sich sieht."

"Das Familienoberhaupt kann nicht den ganzen Stamm einer Religionsgemeinschaft zugehörig erklären. Das geht mit unseren Rechtsprinzipien eben nicht. Und wir brauchen hinreichende Klarheit, dass für den Staat als Gegenüber klar ist, wer spricht für wen mit hinreichender Beglaubigung. Und darin sehen Staat und staatliche Gerichte bei einigen Verbänden Probleme."
Es herrscht also eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Eigeneinschätzung der islamischen Verbände und ihrem offiziellen rechtspolitischen Status. Hinzu kommt, dass die meisten Verbände den Großteil ihres Geldes sowie ihre Imame aus dem Ausland beziehen. Das nährt den Zweifel, ob sie sich wirklich mit Deutschland und dem Grundgesetz identifizieren. Deshalb betont Musa Bagrac, der Versitzende des Verbandes der Islamlehrerinnen und -lehrer:
"Bei keinem dieser Verbände - egal, ob konservativ oder liberal - handelt es sich um eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes. Das ist das jetzige Problem, wovor wir stehen. Wenn islamische Verbände Geld und Personal aus dem Ausland bekommen, dann sind sie auch offen für ausländische Einflüsse. Und wenn wir als hiesige Gesellschaft einen islamischen Religionsunterricht für junge Muslime in Deutschland haben wollen, der auch noch ihre Beheimatung hier in Deutschland stärken soll, dann wird man auch verständlicherweise von islamischen Verbänden erwarten dürfen, dass sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes aufhalten und deutschlandorientiert handeln. Und nicht im Auftrag eines ausländischen Landes."
Dass sie in den meisten Bundesländern bislang nicht als offizielle Religionsgemeinschaft anerkannt sind, ärgert die islamischen Verbände. Deshalb erheben sie – mit Blick auf den Religionsunterricht und seine rechtlichen Rahmenbedingungen – immer wieder den Vorwurf, die Politik fordere vom Islam in Deutschland eine Art Verkirchlichung. Das sei aber nicht möglich, da man ganz andere Strukturen habe als die christlichen Religionsgemeinschaften. Bekim Agai, Professor für islamische Theologie an der Uni Frankfurt, kann diese Argumentation durchaus nachempfinden.
"Die Frage ist: Geben Muslime bestimmte Formen ihrer Selbstorganisation auf und gehen in organisatorische Strukturen, die viel eindeutiger, aber damit auch viel hierarchischer sind. Und das Andere ist natürlich ein bisschen die Frage: Müssen wir uns dann auch gesellschaftlich so aufstellen wie Kirchen, und entspricht das unserem Selbstverständnis. Und das ist eine offene Frage."

"Die Ditib hat sich unter Erdogan ganz stark zu einem Instrument, einem politischen Instrument, der türkischen Regierung entwickelt. Wenn Sie in die Satzung schauen, dann sehen Sie, dass Diyanet-Funktionäre in allen wichtigen Gremien eine erschlagende Präsenz haben, so dass keinerlei Entscheidung getroffen werden kann, die Diyanet nicht gefällt. Dazu kommt die bekannte finanzielle Abhängigkeit. Und wir sehen es auch ideologisch: Wichtige Themen, die der türkischen Regierung jetzt am Herzen liegen, die finden Sie auch immer wieder als Themen der Freitagspredigten."
Zudem habe der Verband noch Anfang des Jahres bei einer internationalen Islamkonferenz, die er zusammen mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet ausrichtete, zu verstehen gegeben, wie er zu Kooperationen mit anderen stehe – erklärt Georg Wenz von der Evangelischen Akademie der Pfalz:
"Es wurde ein Dokument verabschiedet, das ganz eindeutig formuliert, dass man sich allgemeinen Integrationsprojekten nicht mehr anschließen möchte, sondern einen eigenen islamischen Beitrag in die Gesellschaft hineintragen möchte. Da muss man jetzt mit Ditib ins Gespräch kommen, was sie darunter versteht."
Dennoch ist die hessische Landesregierung skeptisch. Denn sie möchte nicht, dass der umstrittene türkische Präsident Erdogan quasi in ihre Klassenzimmer hineinregiert. Daher hat sie die Ditib aufgefordert, sich neu auszurichten. Falls der hessische Landesverband künftig nicht autonom handle – also ohne politische und finanzielle Abhängigkeit von der Türkei – könne der Islamunterricht in seiner jetzigen Form nicht weiterexistieren, unterstreicht Nurgül Altuntas, die Koordinatorin für den islamischen Religionsunterricht.

"In dieser Stiftung gibt es zwei Organe: einen Vorstand und eine Schiedskommission. Der Vorstand ist durch fünf muslimische Expertinnen und Experten besetzt, die durch die Verbände im Zusammenwirken mit dem Land benannt werden. Dieser Vorstand ist für alle Fragen der fachlichen Schulaufsicht zuständig. Die von den Entscheidungen Betroffenen haben die Möglichkeit eine innere, interne Gerichtsbarkeit anzurufen. Das ist die Schiedskommission, die aus drei besonders ausgewiesenen muslimischen Experten bestehen wird."
Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Nordrhein-Westfalen gibt es ebenfalls Schwierigkeiten mit der Ditib. Hintergrund ist – wie in Hessen – die Abhängigkeit des Verbandes vom türkischen Religionsamt Diyanet und der Politik in Ankara. Ob sich diese Spannungen in absehbarer Zeit aus der Welt schaffen lassen, ist ungewiss. Denn die Forderungen der zuständigen Ministerien auf der einen sowie des Islamverbandes auf der anderen Seite klaffen erheblich auseinander. Dies wird deutlich, wenn Zekeriya Altug, der Außenbeauftragte der Ditib, sagt:
"Unstrittig ist bei allen, dass die Ditib mittlerweile eine deutsche Religionsgemeinschaft, also eine Organisation in, aus und für Deutschland ist. Unstrittig ist auch, dass Ditib auf absehbare Zeit - und zwar noch eine sehr lange Zeit - auf die Zusammenarbeit mit der Diyanet angewiesen sein wird, weil wir die Strukturen und die Expertisen, die dort bestehen, in Deutschland noch aufbauen müssen. Und das wird noch Jahre und in einigen Bereichen Jahrzehnte brauchen. Und das schaffen wir bisher sehr gut."
Mittelfristig dürfte es deshalb für die großen islamischen Verbände – also für Ditib, den Islamrat, den Zentralrat der Muslime oder den Verband der islamischen Kulturzentren – von Vorteil sein, wenn sie sich bei der Organisation des islamischen Religionsunterrichtes zusammenschließen würden. Denn dadurch könnten sie ihrer Rolle als Ansprechpartner der Landesregierungen deutlich mehr Gewicht verleihen. Zudem dürfte es wenig Sinn machen, wenn künftig Islamunterricht von mehreren Verbänden parallel angeboten würde - zumal den Organisationen hierfür das nötige Personal fehlen dürfte. Deshalb sagt Georg Wenz von der Evangelischen Akademie der Pfalz:
"Ich glaube, dass es notwendig ist, dass der innerislamische Diskurs endlich gefördert wird. Es gibt viel zu wenig Räume, in denen die unterschiedlichen Interessenslagen auf islamischer Seite in einen Austausch oder auch in einen Diskurs treten können. Und es wäre, glaube ich, politisch zu überlegen, ob man ein innerislamisches Gespräch auch fördern kann."
"Also an zwei Enden muss sich das aufeinander zu bewegen. Man kann Muslime nicht in zu starre Formen pressen, aber Muslime können eben auch nicht auf immer sagen: Ja, wir sind eben so ganz anders. Wir wissen aber auch nicht, wie wir damit umgehen, wenn wir sagen, wir wollen einen mehrheitsfähigen Islamunterricht haben."
Es heißt also: Geduld und einen langen Atem haben bei der Installation eines ordentlichen islamischen Religionsunterrichtes in den Kanon der Schulfächer. Entsprechend resümiert der Göttinger Staatsrechtler Hans Michael Heinig:
