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Islamunterricht
Es fehlt ein einheitliches Konzept

Der islamische Religionsunterricht an deutschen Schulen steckt noch in der Experimentier- und Entwicklungsphase. Erschwert wird ein einheitliches Konzept auch dadurch, dass die verschiedenen Richtungen des Islams in Deutschland nicht an einem Strang ziehen.

Von Ulrich Pick und Detlef Grumbach | 13.06.2014
    Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
    In Deutschland steckt der Islamunterricht an den Schulen noch in der Experimentierphase (dpa / Oliver Berg)
    "Wir haben in den Verträgen und auch in einem Beschluss mit der evangelischen Kirche ein Projekt vereinbart. Wir wollen innerhalb von fünf Jahren sehen, wie das aussehen kann, um es dann eventuell zu beschließen", sagt Jochen Bauer, Fachreferent für Religionsunterricht in der Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg. Hinter dem Hamburger Projekt steht ein Religionsunterricht für alle, der von der evangelischen Kirche, muslimischen Verbänden sowie der alevitischen und der jüdischen Gemeinde gemeinsam verantwortet wird. Vor einem Jahr hat Hamburg unter anderem die Neuregelung des Religionsunterrichtes in Staatsverträgen mit muslimischen Verbänden verankert. Als erstes Bundesland überhaupt. In einer fünfjährigen Entwicklungsphase wird seitdem der Religionsunterricht an staatlichen Schulen an islamische und alevitische und jüdische Religionsgemeinschaften angepasst.
    Die katholische Kirche hatte in Hamburg auf einen eigenen Religionsunterricht verzichtet. So hat Jochen Bauer bisher alle das Fach betreffende Fragen allein in einer Gemischten Kommission mit der Evangelischen Kirche geregelt: "Zukünftig wird es gemischte Kommissionen für alle Religionsgemeinschaften geben, die diesen Religionsunterricht für alle verantworten, also neben einer gemischten Kommission mit der evangelischen Kirche eine gemischte Kommission mit den muslimischen Gemeinschaften, eine gemischte Kommission mit der alevitischen Gemeinde und eben auch mit der jüdischen Gemeinde, die nämlich die vierte Religionsgemeinschaft ist, die diesen Religionsunterricht mit verantworten will."
    Staatsvertrag Ergebnis eines langen Prozesses
    Der Staatsvertrag ist das Ergebnis eines langen Prozesses: Erst 2006 und 2007 hat der Hamburger Stadtstaat Verträge mit der evangelischen und katholischen Kirche und mit der jüdischen Gemeinde unterzeichnet. Bis November 2012 handelte er dann - initiiert noch von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) - auch Staatsverträge mit muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde aus. Am 13. Juni 2013 wurden sie von der Bürgerschaft beschlossen. Zu Vertragspartnern wurden der Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, Schura, der Landesverband der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion, besser bekannt unter ihrem Kürzel "Ditib", sowie der Verband Islamischer Kulturzentren VIKZ und die alevitische Gemeinde.
    Doch vorher war eine wesentliche Voraussetzung zu klären, nämlich die, ob es sich bei den Dachverbänden der Ditib, der Schura und dem VIKZ wirklich um Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes handelte, also um Gemeinschaften, die sich dauerhaft zusammenschließen, um ihre Religion zu pflegen. Zwei Gutachten gaben grünes Licht. Die Verträge mit Muslimen und Aleviten regeln dabei folgende Punkte: Die muslimischen Dachverbände bekennen sich zu den Wertegrundlagen der Bundesrepublik, also auch zur Gleichberechtigung von Frau und Mann und zur Schulpflicht. Außerdem können sie eigene Bildungseinrichtungen betreiben, sich an der Seelsorge in Krankenhäusern und Haftanstalten beteiligen. Auch das Bestattungswesen und der Umgang mit dem Kopftuch im öffentlichen Raum wurden geregelt, das Opferfest, Ramadan und Aschura als offizielle "kirchliche Feiertage" anerkannt. Außerdem wurden die Gestaltung des Religionsunterrichts mit der evangelischen Kirche und der jüdischen Gemeinde gleichgestellt.
    Alltag in den Unterricht holen
    "Das Tolle am Religionsunterricht für alle finde ich, dass er die Normalsituation auf dem Schulhof, wo sich alle Kulturen und Religionen begegnen und miteinander klarkommen müssen, in den Unterrichtsraum holt", sagt Hans-Ulrich Keßler vom Pädagogisch-Theologischen Institut der evangelischen Nordkirche - kurz PTI. Die evangelische Kirche hat ihren konfessionellen Religionsunterricht schon seit 20 Jahren entsprechend gestaltet und sich in einem Gesprächskreis interreligiöser Religionsunterricht beraten lassen. Denn nur 33 Prozent der Hamburger Bevölkerung sind evangelisch. Etwa 130.000 Muslime und 50.000 Aleviten leben in der Stadt. So hat das Konzept - allein unter evangelischer Regie - schon Vertrauen gewonnen. Ziel des Unterrichts ist, "die Kinder in der Entwicklung ihrer eigenen Religiosität, ihrer je eigenen Religiosität zu stärken und zwar so, dass sich diese Religiosität dialogfähig entwickelt", sagt Keßler.
    Zu diesem Ziel bekennen sich jetzt alle Vertragspartner, auch die Schura, ein Zusammenschluss von rund 50 verschiedenen Moscheegemeinden und Vereinen - sunnitischen wie schiitischen. Mustafa Yoldas ist Arzt, Vorsitzender der Schura und zudem exponierter Vertreter der in Deutschland umstrittenen Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Für ihn ist die Neuregelung des Religionsunterrichts ein Gewinn: "Kein anderes Fach bietet eine bessere Chance des Miteinanders, sich Austauschens, die Glaubenswelten des anderen kennenzulernen als der Religionsunterricht. Für mich ist das eine große Chance, in einer multiethnischen, multireligiösen, multikulturellen Gesellschaft wie in Hamburg, dass unsere jungen Menschen zu einer Dialogfähigkeit erzogen werden, die sie in die Lage versetzt, mit ihrem nicht-muslimischen Umfeld zurechtzukommen."
    Zwei Pilotschulen
    Yoldas genießt bei Behörden, der Kirche und den anderen Glaubensgemeinschaften in Hamburg großes Vertrauen. Hamburg ist auch das einzige Bundesland, das Milli Görüs nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachten lässt. Das ist auch in Hamburg teilweise noch umstritten, doch sehen die politischen Akteure die Chancen der Staatsverträge. Für den Religionsunterricht, so Jochen Bauer von der Schulbehörde, bedeutet das: An zwei Pilotschulen entwickeln Lehrkräfte aller Glaubensrichtungen Unterrichtsbausteine zu den Themen Glück, Angst oder Freiheit, zu den Propheten oder den heiligen Büchern.
    Bauer: "Es wird diskutiert, wie ist das Verhältnis zwischen einerseits was man Schülerorientierung nennt, also Fragen der Schülervorstellungswelt, Lebenswelt der Schüler und andererseits den Quellen der Religionen. Wie ist das Verhältnis, wie wird das arrangiert, wie geht man mit heiligen Büchern um, das sind Fragen, die an den einzelnen Unterrichtseinheiten exemplarisch mal durchbuchstabiert werden."
    Erste Unterrichtsexperimente laufen
    Während in den Hamburger Schulen die ersten Unterrichtsexperimente laufen, muss innerhalb der vereinbarten fünf Jahre auch die Lehramtsausbildung neu organisiert werden, denn egal ob evangelisch, muslimisch oder jüdisch: Alle Lehrkräfte müssen das Fach gleichermaßen vertreten können. Beteiligt daran sind die Fachbereiche Erziehungswissenschaften, evangelische Theologie und die Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg. Einmischungen in die Freiheit der Wissenschaft schließt Wolfram Weiße, Leiter der Akademie der Weltreligionen, aufgrund aller Erfahrungen in Hamburg aus. Wie der Unterricht tatsächlich aber einmal aussehen wird und wie die Lehrer unterschiedlichen Glaubens zusammenarbeiten werden, ist heute noch offen, erklärt Wolfgang Weiße: "Was für mich nicht vorstellbar ist, ist, dass eine Klasse dann einen muslimischen Religionslehrer von Klasse 5 bis Klasse 10 hat und der andere Kurs stabil von einem christlichen Religionslehrer geleitet wird."
    Ein Jahr nach Inkrafttreten der Staatsverträge lauern noch viele Probleme im Detail. Konflikte wird es geben - doch Jochen Bauer von der Schulbehörde ist optimistisch: "Vom Staat aus achten wir natürlich sehr darauf, dass er die Voraussetzungen erfüllt, die an jeden Lehrer gestellt werden. Das heißt, Fragen wie Verfassungstreue oder so, das ist natürlich selbstverständlich. Von daher haben wir seitens der Behörde durch das Referendariat alle Möglichkeiten zu schauen, ob eine Lehrkraft auch den Erfordernissen des öffentlichen Dienstes entspricht."
    Bekenntnisorientierter Islamunterricht
    Bundesweit gibt es Schätzungen zufolge etwa 700.000 muslimische Schüler. Während in Hamburg der interreligiöse Religionsunterricht noch im Pilotprojekt geprobt wird, hat man sich in Hessen für ein anderes Modell entschieden: Den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht. Seit diesem Schuljahr ist der fester Bestandteil des Lehrplans.
    Es ist 14 Uhr 30 am Donnerstagnachmittag. In der ersten Etage der Brüder-Grimm-Grundschule in Mainz-Kostheim, einem Stadtteil der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, 18 Erstklässler schauen erwartungsvoll zu Lehrerin Suzan Demir. Sie alle stammen aus muslimischen Elternhäusern. Der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht in Hessen gilt als erstes wirkliches Pendant zum klassischen Religionsunterricht der beiden großen Kirchen in Deutschland. Denn nach Angaben von Christian Henkes, dem Pressesprecher des Kultusministeriums in Wiesbaden, erfüllt er alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen: "Der islamische Religionsunterricht ist auf Basis Artikel 7 Grundgesetz geregelt und da eben wie der Religionsunterricht der evangelischen oder der katholischen Kirche. Es sind 27 Schulen, und die sind im Grunde eigentlich im ganzen Land auch verstreut. Laut Grundgesetz Artikel 7, Absatz 3 ist der Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach. Die Aufsicht über ihn haben die jeweiligen Kultus- oder Schulministerien. Die Lehrinhalte werden - wie es heißt - "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt".
    Zwei Verbände als Religionsgemeinschaft anerkannt
    In Hessen sind inzwischen zwei Verbände als Religionsgemeinschaft - und damit als staatliche Ansprechpartner - anerkannt: Als erstes ist es - wie auch in Hamburg - die "Ditib". Sie ist der deutsche Arm des Amtes für religiöse Angelegenheiten in Ankara, vertritt also den staatsoffiziellen sunnitischen Mehrheitsislam türkischer Prägung. Die zweite islamische Religionsgemeinschaft ist die "Ahmadiyya Muslim Jamaat". Sie ist eine sufisch geprägte islamische Reformbewegung, die aus Pakistan stammt, in ihrem Ursprungsland aber vor allem durch radikale Sunniten verfolgt wird.
    Da sich beide Gruppierungen in einem wichtigen Punkt unterscheiden, gibt es in Hessen zwar einheitliche Schulbücher, aber zwei Lehrpläne, sagt Nurgül Altuntas, die Koordinatorin für den islamischen Religionsunterricht im Wiesbadener Kultusministerium: "Beide Kern-Curricula sind identisch. Nur auf zwei Seiten wurde ein Wort hinzugefügt. Da heißt es: "Der letzte gesetzbringende Prophet" bei der Ahmadiyya-Gemeinde. Und bei Ditib-Hessen-sunnitisch heißt es: "Der letzte Prophet Mohammed". Da konnten sich die beiden Religionsgemeinschaften nicht einigen. Dann haben beide Religionsgemeinschaften gesagt, wir möchten dann lieber getrennte Kern-Curricula haben, auch getrennte Unterrichte." Doch die Rahmenbedingungen sind dieselben. Altuntas: "Der Religionsunterricht muss in deutscher Sprache geführt werden. Es müssen hier staatlich anerkannte und hier staatlich geprüfte Lehrkräfte auch den Religionsunterricht erteilen. Und was ganz wichtig ist, dass diese Lehrkräfte nach dem Kern-Curriculum auch unterrichten."
    Lehrkräfte gleichen Glaubens
    Suzan Demir, die türkischstämmige Mathematiklehrerin an der Brüder-Grimm-Grundschule in Mainz-Kostheim, hat im vergangenen Jahr an der Universität in Gießen eine Zusatzausbildung gemacht und ist vom islamischen Verband Ditib beauftragt worden. "Es ist ja bekenntnisorientierter Unterricht, das heißt: Wir Lehrkräfte müssen auch islamischen Glauben haben. Und diese Erteilung der Lehrerlaubnis haben wir von Ditib im Rahmen eines Zertifikats bekommen. Wir müssen uns zu unserer Religion bekennen, das heißt, wir müssen die Shahada ausprechen, die Shahada, dass wir uns zum Islam bekennen. Und das haben wir in schriftlicher Form gemacht und haben unterschrieben, und daraufhin haben wir die Lehrerlaubnis bekommen."
    Der Fachbereich Islamische Theologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, wo Suzan Demir ihre Zusatzqualifikation als Religionslehrerin erworben hat, kooperiert mit dem "Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam" an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Beide zusammen bilden eines von bundesweit vier Zentren für islamische Theologie, an denen die künftigen Islam-Lehrer ausgebildet werden. Die übrigen sind an der Universität Erlangen-Nürnberg, der Universität Tübingen sowie gemeinsam an den Universitäten Münster und Osnabrück. Die vier Zentren entspringen einer Vorgabe des Wissenschaftsrates aus dem Jahr 2010. Ihre finanziellen Mittel beziehen sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Auch wenn sich die meisten islamischen Zentren erst noch etablieren müssen, zieht der Religionswissenschaftler Stefan Schreiner, der den Aufbau an der Universität Tübingen koordinierte, ein erstes positives Fazit: "Es gibt natürlich viele, die ihre Vorbehalte haben, ihre Kritik anmelden, bis dahin, dass sie es als reine Geldverschwendung betrachten. Es gibt aber auch das hundertprozentige Gegenteil: außerordentliche Zustimmung. Jedenfalls für Tübingen, soweit ich das beobachten kann, würde ich immer sagen, dass die Zustimmung überwiegt. Jedenfalls nach dem öffentlichen Echo. Als das Zentrum eröffnet worden ist, war eine solche gesellschaftliche Beteiligung zu erleben wie bei keiner universitären Veranstaltung sonst."
    Zahl der Studenten liegt zwischen 100 und 500

    Die Zahl der Studierenden an den vier Standorten liegt zwischen etwa 100 in Tübingen und rund 500 in Frankfurt. Auffällig ist vor allem, dass etwa zwei Drittel von ihnen Frauen sind. Die Frage nach dem Arbeitsmarkt für islamische Theologinnen in Deutschland ist keine einfache. Denn auch wenn es gut vorstellbar, ja, angesichts des großen Andrangs geboten zu sein scheint, dass akademisch qualifizierte Musliminnen Gemeinden leiten und in der Seelsorge arbeiten, konkrete Stellen sind hier bislang Mangelware. Kein Wunder, dass Begim Agai, Professor für Kultur und Gesellschaft des Islam am islamischen Zentrum Frankfurt/Gießen, sagt: "Was wir nicht liefern können, ist zu sagen: Wer das studiert, ist am Ende das. Dazu ist die Theologie letztlich zu frei und ein zu weites Feld und lässt auch den individuellen Interessen zu viel Raum, was natürlich sozusagen auf der einen Seite ein Vorteil ist, aber vor dem Hintergrund einer ganz klaren Berufsperspektive auch ein Nachteil."
    Angesichts solcher Aussagen gilt wohl als die einzig sichere Berufsperspektive das Lehramtsstudium. Denn die Zahl der muslimischen Kinder an deutschen Schulen wächst kontinuierlich, und der Ruf nach einem islamischen Religionsunterricht wird immer lauter. Was sich allerdings für die Studierenden als eine erfolgversprechende Berufsaussicht darstellt, ist aus Sicht der diversen Kultus- und Schulministerien mitunter problematisch. Der Aufbau tragfähiger Strukturen für einen islamischen Religionsunterricht stockt nämlich, da es in den meisten Bundesländern von Seiten der Muslime angemessene Ansprechpartner fehlen. Auch hier wirkt wieder der Status der Religionsgemeinschaft entscheidend. Denn kaum ein Landesverband der vier im "Koordinierungsrat der Muslime" vertretenen Dachverbände - das sind der Zentralrat der Muslime, der Islamrat, der Verband der islamischen Kulturzentren sowie Ditib - besitzt für alle Bundesländer einheitlich den nötigen Status.
    Fehlender Ansprechpartner
    Dieses Problem eines fehlenden Ansprechpartners zeigte sich auch bei der Gründung der vier islamischen Zentren an den Universitäten. Denn auch für die Besetzung theologischer Lehrstühle - egal ob christlich oder islamisch - bedarf es der Zustimmung der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Über das Manko auf Seiten der Muslime half man sich allerdings mit einem Provisorium hinweg, erklärt Schreiner: "Um dieses Problem wenigstens auf einer pragmatischen Ebene zunächst einmal zu lösen, haben einige Juristen - allen voran Christian Walter, der in München an der Universität lehrt - eine Idee ins Spiel gebracht, dass man eine Institution schafft, die für diesen besonderen Zweck die Rechte und Pflichten der Religionsgemeinschaften übernimmt. Das ist das sogenannte "Beiratsmodell". Dies ist nicht eine Antizipation der Anerkennung als Religionsgemeinschaft, wohl aber ermöglicht es der Religionsgemeinschaft - jetzt noch in Anführungszeichen gesetzt - ihre Rechte und Pflichten gegenüber einer Universität oder dann auch einer Schule wahrzunehmen."
    Problematisch wird es allerdings, wenn sich dieser als Provisorium arbeitende "konfessionelle Beirat", als Religionswächter geriert und zu Restriktionen greift. Dies geschah im vergangenen Dezember an der Universität Münster. Denn die vier im Koordinierungsrat vertretenen Verbände, aus deren Reihen die Mitglieder des Beirats kamen, erklärten in einem Gutachten, dass der Leiter des Münsteraner Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik, Mouhanad Khorchide aufgrund unhaltbarer theologischer Ansichten nicht mehr lehren dürfe. Konkret wird Khorchide vorgeworfen, in seinem 2012 erschienenen Buch "Islam ist Barmherzigkeit" methodische Fehler begangen zu haben, weil er angeblich eine, Zitat: "dem Zeitgeist entgegenkommende Lesart der Heiligen Schriften" vertrete - und damit den Rahmen der sunnitischen Theologie verlasse. Zu den strengsten Kritikern Khorchides deutschlandweit gehörte übrigens auch der Hamburger Schura-Vorsitzende Mustafa Yoldas, selbst Milli-Görüs-Mitglied. Er verlangte von ihm, nicht nur sein Werk zurückzuziehen, sondern sich für das Buch auch öffentlich zu entschuldigen. Der Konflikt erinnert an den Fall des katholischen Theologen Hans Küng aus Tübingen, der 1979 die Lehrbefugnis entzogen bekam, weil er sich gegen lehramtliche Verlautbarungen seiner Kirche stellte.
    Kein offizielles theologisches Lehramt im Islam
    Ein offizielles theologisches Lehramt aber wie bei den Katholiken gibt es im Islam nicht. Zudem ist es problematisch, Khorchide vorzuwerfen, er verlasse den Rahmen sunnitischer Theologie. Denn obgleich die große Mehrheit der Muslime in Deutschland durchaus Sunniten sind, unterrichtet der Münsteraner Professor islamische Religionspädagogik - was auch die Sicht anderer Strömungen des Islams mit einschließt. Er selbst sagt lediglich: "Wir haben eine Vereinbarung, dass wir uns nicht in der Öffentlichkeit äußern. Aber, was ich ansprechen möchte dennoch, ist die Notwendigkeit, dass die innerislamische Vielfalt, die es immer innerhalb der islamischen Ideengeschichte seit dem siebten, achten Jahrhundert gegeben hat bis heute. Dass wir diese Vielfalt auch zulassen und fördern sogar."
    Der islamische Religionsunterricht und der Fall des Münsteraner Theologen Khorchide sind Spiegel für die momentane Situation des Islams in Deutschland. Denn sie zeigen, dass die hiesigen Muslime - allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz - keine wirkliche Einheit bilden. Dies sollte die Politik bei der Zusammenarbeit berücksichtigen.