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Island
Interesse an EU-Beitritt wächst

Bisher standen die Isländer einem EU-Beitritt skeptisch gegenüber, viele fürchteten um ihre Fischfangrechte und ihre Unabhängigkeit. Doch jetzt, wo die Regierung den Beitrittsantrag zurückziehen will, regt sich Widerstand.

Von Monika Eder | 30.05.2014
    Blick auf Isländische Vulkane und Berge an der Gjabakkavegur, einem Abschnitt der Landstraße 365
    Mittlerweile befürworten 37 Prozent der Isländer einen EU-Beitritt. (picture alliance / zb)
    Ein holzgetäfeltes Wohnhaus in der Altstadt von Reykjavík. Im Vorgarten weht die blau-gelbe Fahne der EU. Durch einen Seiteneingang betritt man das offizielle Informationszentrum der Europäischen Union in der isländischen Hauptstadt. Birna Thorarinsdottir und ihre vier Kollegen haben die Aufgabe, die Isländer über die EU zu informieren. Denn viele stehen einer Mitgliedschaft skeptisch gegenüber. Sie fürchten unter anderem um ihre Fischfangrechte und ihre Unabhängigkeit. Doch als nun plötzlich das Ende der Beitrittsverhandlungen drohte, hat sich etwas in der Gesellschaft verändert, sagt Birna Thorarinsdottir:
    "Ich denke, man kann von einem Erwachen sprechen. Ich meine, vielen ist klar geworden, dass ihnen das Thema wichtig ist und sich in eine Richtung bewegen könnte, die ihnen nicht gefällt. Uns allen, die wir ein Interesse an der EU wecken und Wissen vermitteln wollen, hat das sehr geholfen. Plötzlich stellten die Leute Fragen, und sie fragten auch sich selbst, was sie über die EU denken und darüber wissen."
    Die Zustimmung zur EU ist in Island seit Beginn der Diskussion stark gestiegen, auf den höchsten Wert seit Jahren. Rund 37 Prozent der Isländer würden jetzt gerne der EU beitreten – vor wenigen Wochen waren es nur gut 30 Prozent. Die EU-Gegner haben leicht verloren, allerdings ist immer noch fast die Hälfte der Bevölkerung gegen einen Beitritt. Trotzdem will laut Umfragen eine große Mehrheit der Isländer mit der EU zu Ende verhandeln, um zumindest die Bedingungen einer möglichen Mitgliedschaft zu kennen. Das ist auch nötig, findet die Politikwissenschaftlerin Pia Hansson von der Universität von Island.
    "Wenn man bedenkt, wo in der Welt wir liegen, welche Möglichkeiten und Herausforderungen wir haben als kleiner Inselstaat, dann müssen wir sehr offen sein. Und traditionell hat Island bei so ziemlich jeder internationalen Zusammenarbeit mitgemacht, die uns angeboten wurde. Ich denke also, abzulehnen, ohne überhaupt die Verhandlungen zu beenden, wäre keine gute Sache."
    Ein spezieller Beitrittskandidat
    Island ist schon seit 20 Jahren Teil des Europäischen Wirtschaftsraums und seit mehr als zehn Jahren Schengen-Mitglied. Experten schätzen, dass Island dadurch schon rund zwei Drittel der EU-Gesetzgebung übernommen hat – also quasi schon zu zwei Dritteln Mitglied der EU ist.
    "Im Moment nehmen wir teil, aber wir sind nicht Teil der Entscheidungsfindung und können nichts dagegen tun. Und ich denke, das ist problematisch aus Sicht eines kleinen Staates, dass man keinen Einfluss auf Entscheidungen hat",
    sagt Politikwissenschaftlerin Pia Hansson.
    Das EU-skeptische Verhalten der Regierung könnte auch politische Folgen haben. Denn schon bald soll es in Island eine neue Partei geben, die sich ausdrücklich für einen EU-Beitritt ausspricht. Die Organisatoren sind unter anderem enttäuschte Anhänger der konservativen Unabhängigkeitspartei – der größten Partei Islands, die gemeinsam mit der Fortschrittspartei regiert. Treibende Kraft ist der Verleger Benedikt Johannesson.
    "Ich bin seit fast 30 Jahren Mitglied der Unabhängigkeitspartei. Aber als sie beschlossen hat, das Versprechen zu brechen, über weitere Verhandlungen abstimmen zu lassen, hat das das Fass für mich zum Überlaufen gebracht."
    Auf einer Internetseite können sich Isländer, die sich für die neue Partei interessieren, eintragen. Allein in den ersten zwei Tagen hätten das laut Johannesson rund 1.000 Isländer getan. Die Partei soll nächstes Jahr ihre Arbeit beginnen.
    "Wir müssen nicht unendlich viele Sitze im Parlament erringen, aber wir wollen, dass Island erfolgreich ist. Und wir denken, dass das eher gelingt, wenn die Verhandlungen weitergehen. Also das erhoffe und wünsche ich mir."
    Proteste, Petition, Parteigründungspläne: Der öffentliche Druck scheint gewirkt zu haben. Die isländische Regierung hat ihren Antrag zwar nicht zurückgenommen - aber sie hat ihn trotz einer Mehrheit im Parlament auch nicht bis zur Sommerpause durchgedrückt. Und damit ist er verfallen.