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Iso Camartin: Opernliebe
Verliebt in die Oper, verliebt in die Liebe

Der Schweizer Philosoph Iso Camartin hat einen ausgeprägten Hang zu den schönen Dingen des Lebens. Eines davon ist die Oper. Er liebt die Oper so sehr, dass er ihr einen Opernführer gewidmet hat. Ein mit sehr viel Enthusiasmus und Verliebtheit geschriebenes Buch über die Wunder der Musik und der Liebe.

Von Martin Ebel | 24.02.2015
    Bühnenorchesterprobe zur Oper "Il Trovatore" von Giuseppe Verdi an der Staatsoper im Schillertheater, Berlin
    Die Wunder der Musik und der Liebe stehen im Mittelpunkt von Iso Camartins Opernführer "Opernliebe". (Deutschlandradio / Bettina Straub)
    Iso Camartin gehört zu den profiliertesten Gestalten des Schweizer Geisteslebens. Und zu den vielseitigsten. Der geborene Bündner hat über Kant promoviert, als Professor in Zürich rätoromanische Literatur gelehrt, er war Juror in Klagenfurt und drei Jahre Kulturchef des Schweizer Fernsehens. Dort wollte er die Verhältnisse zum Tanzen bringen, aber die Verhältnisse wollten das nicht.
    Man kann ihn den romanischen Adolf Muschg nennen, bloß ohne Romane, dafür mit einem ausgeprägteren Hang zu den schönen Dingen des Lebens. Zu diesen gehört auch die Oper, eine Kunstform, die Camartin seit seiner Jugend hingebungsvoll verehrt und der er jetzt sein jüngstes Buch gewidmet hat.
    "Ein Buch für Enthusiasten" nennt er es im Untertitel, und den Enthusiasmus definiert er selbst als "so etwas wie ein zusätzlicher Schwung, den die Seele manchmal braucht, um die Welt unter dem Blickwinkel des Schönen und Guten sehen zu können." Der allergrößte Enthusiast ist natürlich Camartin selbst, und das ist einerseits sympathisch – Miesepeter gibt es genug, auch in der Kulturwelt –, aber auf die Dauer auch etwas anstrengend. Jedenfalls, wenn es über 350 verzückte Seiten geht.
    Liebe zur Oper - Liebe in der Oper
    Opernführer gibt es nicht wenige, Operngeschichten auch; was also macht Camartin anders? Das zeigt der Titel des Buches in seiner Doppelsinnigkeit: "Opernliebe" meint Liebe zur Oper, aber auch Liebe in der Oper. Die Form der Oper, ihre besondere Künstlichkeit und durch die Musik gesteigerte Intensität, bringt eigene Erscheinungsformen der Liebe hervor; und indem man sich als Hörer diesen hingibt, steigert man auch seine eigene Liebesempfindungsfähigkeit. Das wäre in etwa das, was man als These aus Camartins Buch herausdestillieren könnte.
    Solche Thesen, zumal wenn sie mit dem wirklichen Leben zu tun haben, sind nicht beweisbar, sondern höchstens durch Anschauung plausibel zu machen, was der Autor durch 50 Einzeldarstellungen versucht. Sein "Vademekum musikalischer Opernseligkeit", wie er selbst sein Buch charakterisiert, geht durch die Operngeschichte von Monteverdi über Mozart, Verdi und Wagner bis zu Richard Strauss. Das ist ein klassisches, eigentlich recht konservativ-begrenztes Verständnis des Repertoires, ohne eine "Lulu", ohne "Porgy and Bess", von "West Side Story" ganz zu schweigen. Es ist geprägt durch persönlichen Geschmack, zweifellos aber auch durch Camartins achtjährige Aktivität als Leiter der Zürcher Opernwerkstatt, für die er Einführungsvorträge gehalten hat.
    Die Wunder der Musik und der Liebe
    So ist es doch ein Opernführer geworden, der sich zwar auf die Liebesverwicklungen konzentriert, aber meist doch die Handlung nacherzählt und nur gelegentlich eine Bemerkung über die Musik fallen lässt. Ohnehin ist die Schwärmerei Camartins hauptsächliches Anliegen, und schwärmen tut er am liebsten im Superlativ. Kaum ein Kapitel, in dem nicht von der "größten" oder "erschütterndsten dramatischen Szene", dem "ergreifensten Moment", dem "berühmtesten Klagegesang", der "schönsten Liebeserklärung der Operngeschichte" oder, man höre und staune, "aller Zeiten" die Rede ist. "Hätte Wagner nur diesen einen Akt komponiert" – lesen wir, gemeint ist der zweite des "Tristan", – "wir müssten ihn auch schon zu den größten Komponisten aller Zeiten zählen." Bei Wagner ist Camartin kategorisch: "Wer in Wagners Opern vor allem Getöse und Geschrei hört", der sollte, so fordert er, "zum Ohrenarzt oder in eine Hörschule gehen." Aber schnell hat die Begeisterung über die Wunder der Musik und der Liebe den Autor wieder überwältigt, sind Kritiker und Ignoranten vergessen.
    Der sechste Sinn für die Beschaffenheit des Liebeslebens
    Was ist nun die Liebe, um die es in all diesen Opern geht? Schwer zu packen die Sache, jedenfalls, wenn einem statt des Lassos der Analyse nur das Schmetterlingsnetz des Enthusiasmus zur Verfügung steht. "Der Morgentau des Lebens", metaphert er an einer Stelle. Etwas Absolutes jedenfalls, fast eine Allegorie wie auf alten Gemälden. Ja, Mozart und Da Ponte, die waren ihr auf der Spur, hatten sie doch "einen sechsten Sinn für die Beschaffenheit des Liebeslebens", wie Camartin weiß. Er selbst ist eher gefährdet, seine fünf Sinne zu verlieren, wenn er beim Hören einer besonders schönen Stelle "sein eigenes Herz wohl hüten muss, um es nicht vor Seligkeit einer zufällig anwesenden Person zu schenken". Oh là là, kann man da nur hinzufügen, offenbar eine gefährliche Gegend, so ein Opernhaus.
    Zur Beruhigung überreizter Gemüter wählt der Autor einen auch für Nonnenklöster zumutbaren Ton, nicht ohne ihm gelegentlich halbfrivole Spitzentöne aufzusetzen. Wie war das etwa mit Donna Anna? "Wir dürfen annehmen, Don Giovanni ist kein Mann der halben Sachen", deutet Camartin augenzwinkernd an. Die hat er also auch flachgelegt, um es mal weniger damenkränzchenhaft auszudrücken.
    Ein gemischtes Vergnügen also, dieser Opernführer für Enthusiasten, dem der Autor noch eine ausführliche Diskografie mit seinen Lieblingsaufnahmen angefügt hat.
    Iso Camartin: "Opernliebe. Ein Buch für Enthusiasten"
    384 Seiten, 22,95 Euro, C.H. Beck 2014.