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Israel
Aggressionen gegen Araber nehmen zu

Nach der Entführung und Ermordung von drei jungen Israelis nimmt der Hass auf Palästinenser und Araber in Israel zu. Die rechtsradikale Organisation Lehava belässt es bei ihrer antiarabischen Haltung nicht nur bei Parolen.

Von Torsten Teichmann | 15.11.2014
    Israelische Demonstranten auf dem Tempelberg am 30. Oktober 2014.
    Israelische Fundamentalisten demonstrieren in Jerusalem (afp / Gali Tibbon)
    Am Donnerstagabend ist das junge Jerusalem auf der Straße. So beginnen jetzt fast alle Geschichten über den Zionsplatz, im Westteil der Stadt: gefolgt vom Blick auf eine kleine Gruppe, die auf dem Platz einen Stand aufgebaut. Es sind Anhänger der rechts-radikalen Organisation Lehava. Sie tragen schwarze Kapuzenpullover und werben mit Flyern.
    Avraham Bloch ist einer ihrer Aktivisten. Der 19-Jährige erklärt ausführlich, warum Israel den Palästinensern, die er nur Araber nennt, jetzt einen ernsten Schlag verpassen muss.
    "Es muss eine Kollektivstrafe geben, eine Strafe, die schmerzhaft ist. Wenn man zum Beispiel in Hebron, als die drei Jugendlichen vor Kurzem entführt wurden, mit Panzern und Hubschraubern reingegangen wäre, Häuser einfach zerstört hätte sowie ab und an eine Granate geworfen hätte, dann gebe es jetzt keine Attentate mehr."
    Aggressionen entladen sich auf dem Zionsplatz
    Die Stimmung am Zionsplatz ist gereizt. Auch das steht in allen Berichten. Aber viel interessanter ist in diesem Moment, kurz nach 23 Uhr, dass neben Avraham Bloch ein Mann steht - Mitte 50, politisch links - und der hört dem 19-Jährigen trotzdem zu. Hagai Agmon-Snir würde nicht einen Satz von Avraham unterschreiben. Aber er sagt, es sei nicht sehr pädagogisch, sich Avraham nur entgegen zu stellen. Deshalb sind beide seit Wochen jeden Donnerstag im Gespräch:
    "Seit eineinhalb Monaten rede ich mit ihm, ich kann bereits eine Veränderung beobachten. Wir reden über Araber und Juden. Und nun haben wir Konsens gefunden, dass Linke keine Verräter sind und nicht ermordet werden müssen. Er sieht ein, dass Linke okay sind. Es war richtig, mit ihm ins Gespräch zu kommen."
    Der Jerusalemer Hagai ist nicht bereit, Extremisten und Radikalen den Zionsplatz zu überlassen. Aber dafür muss einer jeden Donnerstag dort sein, diskutieren, gelassen bleiben und unendlich viel Kraft aufbringen.
    Übergriffe von Israelis auf arabische Taxifahrer
    Denn am Zionsplatz in Jerusalem entlädt sich seit Wochen die Aggression junger jüdischer Israelis. Auf dem Platz hatten im Juni nach der Beisetzung der ermordeten Teenager Naftalie Fraenkel, Gilad Shaer und Eyal Yirfah Demonstranten "Tod den Arabern" skandiert. Es waren Bilder, die viele Israelis schockierten, als Rechtsradikale Hatz machten auf Palästinenser.
    In den vergangenen Wochen sorgten Übergriffe von jungen Israelis auf arabische Taxifahrer am Zionsplatz für Schlagzeilen. In einer Reportage des israelischen Fernsehens berichten die Fahrer Sayib Mahab und Khaleb Abu Humus:
    "Es sind 15 bis 17 Jugendliche, die zum Taxi kommen wenn Passagiere einsteigen wollen. Sie ziehen die Passagiere mit Gewalt aus dem Taxi heraus und beschimpfen sie als Verräter. Sie fordern sie auf, nicht mit Arabern zu fahren."
    "Wir arbeiten seit 20 Jahren hier und haben noch nie so etwas erlebt. Erst seit dem Sommer haben sie uns die Jungen und Mädchen geschickt, die uns belästigen sollen. Sie wollen dafür sorgen, dass keine jüdischen Israelis in unseren Taxen mitfahren. Tun sie es doch, werden sie mit Gewalt herausgezogen."
    Israelis demonstrieren inm Juni in Tel Aviv für die Freilassung von drei entführten Jugendlichen.
    Israelis demonstrieren inm Juni in Tel Aviv für die Freilassung von drei entführten Jugendlichen. (afp/Buimovitch)
    Präsident Rivlin verlangt Kurswechsel von Radikalen
    Der alltägliche Rassismus junger Israelis sei zu einem gewaltigen Problem geworden, ist derzeit viel zu lesen. Der israelische Präsident Reuven Rivlin gehört zu den wenigen Politikern des Landes, die darüber öffentlich sprechen. Er verlangt einen Kurswechsel.
    Dabei könnte der Präsident auf Menschen wie Ofek setzen. Auch der Physik-Doktorand der Hebräischen Universität in Jerusalem kommt seit Beginn des Sommers wöchentlich auf den Zionsplatz. Auch er wolle den Raum nicht den Radikalen überlassen, sagt Ofek. Gleichgesinnte hat er im Internet gefunden:
    "Es ist eine Facebook-Gruppe. Wir haben sie im Sommer gegründet. Der hebräische Name der Gruppe ist sehr lang: Nein zur Gewalt und zum Rassismus, Garanten für Trost, Frieden und Gedenken am Zionsplatz.
    Ein langer Name, aber das passiert, wenn mehrere Leute Administratoren-Rechte bei einer Facebook-Gruppe besitzen.
    Je jünger, desto gewalttätiger
    Die Brille haben sie ihm schon einmal zerschlagen. Manche Passanten nehmen seine Flyer auch nur, um das Papier zu zerrreißen und Ofek vor die Füße zu werfen. Der Jerusalemer macht weiter. Im Gespräch mit Ofeks Mitstreiterin Osnat wird klar, wie gut sich alle mittlerweile kennen. Osnat zeigt auf Jungs, die vorbeilaufen:
    "Die hier sind gewalttätig, die kennen wir schon. Diese Kids sind immer hier. Je jünger sie sind, desto gewalttätiger. Viele dieser Kinder sind Straßenkinder. Viele von ihnen sind erst 15 Jahre alt und arbeiten auf dem Markt."
    Hintergrund der Auseinandersetzungen, der Hetze und der Gewalt auf dem Platz sind womöglich viel stärker soziale Probleme, Unsicherheit und Angst als wirklich Ideologie oder gar Politik. Aber Parolen, wie die von Lehava, wonach jüdische Mädchen sich nie mit arabischen Jungs einlassen sollen, versprechen Halt. Sie geben eine Richtung vor für eine orientierungslose und offenbar radikalisierte Generation.
    Der 19-jährige Avraham fragt nach seinen ausführlichen Erklärungen bei Hagai, dem linken Jerusalemer nach: Hast Du gehört, was ich erzählt habe, fragt er. Ja, sagt Hagai, darüber haben wir gesprochen, Du stellst die Dinge jetzt geduldiger dar.
    "Ich erzähle dir mal was. Die Gruppe "La Famillia", das ist der zornige Teil von uns von Lehava. "La Famillia", das sind wirklich Rassisten. Man muss unterscheiden, zwischen der persönlichen Meinung eines Menschen und zwischen dieser Sache hier. Das ein Mensch rassistisch ist, ist ein Problem. Darin stimme ich mit dir überein. Denn letztendlich, in 30, 40 Jahren, wenn wir kein Problem mehr mit den Arabern haben werden, werden die Rassisten Probleme mit Äthiopiern machen. Und das ist ein Problem. Ich habe äthiopische Freunde."