Rivka zieht ihr Gebetsbuch, den sogenannten Siddur, aus dem Regal, setzt sich an den Tisch in ihrer Tel Aviver Wohnung und erzählt ihre traurige Geschichte. Sie ist 34, stammt aus Frankreich und lebt seit vier Jahren in Israel.
"Ich fühlte seit jungen Jahren eine starke Verbindung zum Judentum. Ich hatte jüdische Freundinnen in der Schule und schon beim ersten Israel-Besuch hatte ich das Gefühl, dass ich zu Hause war."
Rivka kam als Touristin nach Israel und begann dort einen Konversionskurs beim orthodoxen israelischen Rabbiner Israel Rosen. Schließlich trat sie in seinem Gericht zum Judentum über. Doch Israel erkennt nur die Übertritte des Oberrabbinats an, aber keine privaten Konversionen, auch die eines orthodoxen Rabbiners wie Rosen nicht. Dass Rosen 1995 die Konversionsgerichte des staatlichen Rabbinats gründete und leitete und dass seine Anforderungen an eine Konversion strenger sind als die des Rabbinats, ändert daran nichts. Rosen lehnt zum Beispiel Konversionen einzelner Rabbiner im Ausland ab und akzeptiert nur die durch dreiköpfige rabbinische Gerichte. Er besteht darauf, dass der Konvertit ein orthodoxes jüdisches Leben tatsächlich führt und nicht nur, wie so oft, das bei der entsprechenden Prüfung verspricht.
So wie Rivka geht es vielen Konvertiten, die in Israel bei einem der beiden privaten orthodoxen Konversionsinstitute zum Judentum übertreten. Einige finden sich nicht mit der Ablehnung durch das Oberrabbinat ab. Drei Betroffene, die auch als Touristen nach Israel kamen und jüdisch wurden, haben gegen die Nicht-Anerkennung der orthodoxen Konversionen geklagt. Im März 2016 gab ihnen das zivile Oberste Gericht Recht und zwang das Innenministerium sie einzubürgern. Aber die orthodoxen Parteien drängten die Regierung dazu, die Zuständigkeit für alle Übertritte zum Judentum in Israel allein dem Oberrabbinat zu übertragen. Bald soll auch das Parlament die Gesetzesänderung vom Juni 2016 ratifizieren. Rivka ist vom Eingriff der Politiker in ihr Privatleben sehr enttäuscht.
"Ich lebe in Israel nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Ich stamme aus einer gutsituierten Familie aus Paris, arbeite als Architektin und hätte kein Problem, woanders zu leben. Aber ich will in Israel leben."
Schwarze Liste mit abgelehnten Rabbinern
Liberale jüdische Konversionen im Ausland werden vom Staat Israel zwecks Einbürgerung anerkannt, nicht aber vom israelischen Oberrabbinat. Zudem akzeptiert diese Institution nicht einmal alle orthodoxen Konvertiten aus der Diaspora. Hätte Rivka zum Beispiel in ihrer Heimat Frankreich konvertiert, hätte das Oberrabbinat womöglich die entsprechende Bestätigung ihres Gemeinderabbiners nicht anerkannt. Denn am Sonntag zwang der modern Orthodoxe Rabbiner Shaul Farber das Oberrabbinat eine Art "Schwarze Liste" von Rabbinern auszuhändigen. Darauf stehen die Namen der Rabbis, deren Genehmigungen abgelehnt wurden. Der gebürtige Amerikaner Farber leitet die Organisation ITIM in Jerusalem, die die Interessen jüdischen Israelis gegenüber den orthodoxen staatlichen Institutionen vertritt - auch vor Gericht. Shaul Farber erzählt.
"Zu uns kommen täglich fünf, sechs Menschen, die nach Israel eingewandert sind oder die einwandern und hier heiraten wollen. Sie alle wissen aber nicht, wie sie dem Rabbinat beweisen sollen, dass sie jüdisch sind. Das Beste für Einwanderer ist, einen Brief von ihrem Rabbiner aus der Heimat vorzulegen. Nur kennt das Oberrabbinat nicht alle Rabbiner weltweit. Leider hat sich diese Behörde auch geweigert mitzuteilen, welche Rabbiner sie erkennt und welche nicht."
Daraufhin klagte Farbers Organisation 2014 und gewann. Das Oberste Gericht zwang das Rabbinat 2016, zum ersten Mal eine Liste von Rabbinern im Ausland zu veröffentlichen, deren Konversionen es anerkennt. Aufgelistet wurden jedoch nur 150 Rabbiner weltweit, lediglich zwei von ihnen aus Deutschland, beide in Jerusalem geboren: Avichai Apel aus Frankfurt und Yitzhak Ehrenberg aus Berlin. Ehrenberg ist seit 2016 Rentner.
Nur ein Rabbiner in Deutschland anerkannt
Ist kein anderer Rabbiner in Deutschland gut genug für das Oberrabbinat? Darüber entscheidet Rabbiner Itamar Tubul, der übrigens kein Englisch spricht. Dreimal scheiterte ein Gespräch mit ihm aus terminlichen Gründen. Erst nach meiner Intervention beim Geschäftsführer des Rabbinats, Moshe Dagan, beantwortete dessen Pressesprecher meine Fragen schriftlich.
Das Rabbinat behauptet, dass die vor Gericht vorgelegte Liste der anerkannten Rabbiner rein zufällig zustande gekommen sei.
Zitat: "Die veröffentlichte Liste beruht lediglich auf Akten, die unsere Abteilung im letzten Jahr bearbeitet hat. Die namentlich genannten Rabbiner waren diejenigen, mit deren Arbeit sich das Rabbinat auseinandergesetzt hatte. Wenn ein Rabbiner nicht namentlich genannt wurde, heißt das keinesfalls, dass man ihn nicht anerkennt."
Seit 2004 kooperiert die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland oder ORD mit dem Oberrabbinat in Israel, vor allem bezüglich Konversionen. Drei bis viermal im Jahr reisen zwei orthodoxe israelische Rabbiner nach Deutschland, ein aschkenasischer und ein sephardischer. Gemeinsam mit einem Rabbiner der ORD bilden sie das Zentrale Rabbinatsgericht oder "Beit Din", das jährlich rund 50 Deutsche überprüft, die Juden werden wollen. Außerdem ist es für religiöse Scheidungen zuständig. Die Reisekosten der frommen Israelis werden durch die Gebühren für Konversionen und Scheidungen gedeckt, sie liegen jeweils bei rund 1.000 Euro. Rabbiner Shaul Farbers Organisation wird regelmäßig mit den Folgen dieser Kooperation konfrontiert.
"Die Lage in Deutschland ist sehr komplex, weil die orthodoxen Gemeinden ihre Autorität weitgehend aufgaben, selbst Konversionen durchzuführen. Sie schlossen dafür eine Partnerschaft mit dem Oberrabbinat. Das hat den Vorteil, dass ihre Konversionen nicht angezweifelt werden. Den großen Nachteil sehe ich jedoch bei Deutschen, die sich im Konversionsprozess befinden und sich an uns wenden: Oft kennen die israelischen Rabbiner die Kandidaten nicht und würdigen ihr großes Engagement beim Konversionsprozess nicht. Sie sind daher nicht in der Lage zu bestimmen, ob sie zum Übertritt bereit sind. Diese Rabbiner sprechen nicht einmal Deutsch."
Ivanka Trump ist koscher
Reichlich Aufsehen erregen allerdings derzeit nicht Fälle aus Deutschland, sondern aus den USA. Ein rabbinisches Gerichts in Israel erkannte die Konversion der 31-jährigen Amerikanerin Nicole beim renommierten orthodoxen New Yorker Rabbiner Haskel Lookstein nicht an.
Die besondere Pointe: Auch Donald Trumps Tochter Ivanka konvertierte bei Lookstein. Die prominente Amerikanerin, die mit einem Juden verheiratet ist, plant aktuell wohl nicht nach Israel auszuwandern. Aber der Beschluss gegen "ihren" Rabbiner löste in Israel im vergangenen Juli eine ungewöhnliche Demonstration vor dem großen rabbinischen Gericht in Jerusalem aus. Einer der Demonstranten war Natan Sharansky, der Vorsitzende der israelischen Einwanderungsbehörde, Jewish Agency:
"Es ist meine Aufgabe, die Beziehungen zwischen den Juden in der Welt und Israel zu stärken, indem man den Juden das Gefühl vermittelt, dass Israel ihr Zuhause ist", so Sharansky. "Der Gerichtsbeschluss diskreditiert Israel, weil er besagt: 'Eure Rabbiner, sogar die profiliertesten und die größten Zionisten, lehnen wir ab'. Wir erkennen sie nicht an. Das spielt in die Hände unserer Feinde."
Auch Rabbiner Farber kritisierte das Urteil. Sein Verein, ITIM, half Nicole Berufung gegen ihre Ablehnung als Jüdin einzulegen. Aber es bestätigte die Entscheidung der rabbinischen Vorinstanz. Nicole musste eine erneute Konversion unter verschärften Bedingungen akzeptieren und sich öffentlich erneut zum Judentum sowie zu einem orthodoxen Lebensstil bekennen, damit ihre geplante Hochzeit mit dem jüdischen Israeli Zohar in Israel stattfinden kann.
Müsste nun demzufolge auch Ivanka Trump, die beim selben Rabbi jüdisch wurde, erneut konvertieren?
Weil sie berühmt ist, das Oberrabbinat eine staatliche Institution und die Amerikanerin die Tochter des US-Präsidenten, beeilten sich beide israelischen Oberrabbiner zu verkünden: Ivanka Trump ist koscher.
Der engagierte Jerusalemer Rabbiner-Aktivist Farber will demnächst beim Oberrabbinat die Frage erörtern, wie ein Rabbi von der neuen "Schwarzen Liste" gestrichen werden kann, so dass seine Bestätigung, dass ein Gemeindemitglied jüdisch ist, akzeptiert wird. Das Oberrabinat lehnt den Begriff "Schwarze Listen" ab. Man habe nur bestimmte Genehmigungen dieser Rabbis abgelehnt, aber nicht die Rabbiner per se, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme. Bei der deutschen Orthodoxen Rabbinerkonferenz ORD will man die gute Zusammenarbeit mit dem Oberrabbinat in Jerusalem jedenfalls fortsetzen.