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Israel, die Türkei und eine Region im Umbruch

Zu dieser Sendung begrüßt Sie Susanne El Khafif. Die blutige Eskalation im Mittelmeer und ihr Nachspiel – so das Thema des heutigen Hintergrunds, wir wollen auf den Scherbenhaufen blicken, der angerichtet wurde, die israelisch-türkische Freundschaft, die darüber in die Brüche ging, fragen, was das für die Region nach sich zieht, wenn zwei starke Bündnispartner auseinandergehen.

Von Ulrich Pick, Esther Saoub, Clemens Verenkotte, Moderation: Susanne El Khafif |
    Denn genau das macht den Amerikanern Sorgen: So fand der amerikanische Verteidigungsminister in London deutliche Worte: Er sei "besorgt", so Robert Gates, "über die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Türkei und Israel". Washington, das steht fest, braucht zwei starke Partner in der Region, die miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Zu viel steht für die Amerikaner im Nahen und Mittleren Osten auf dem Spiel.

    Doch wie ist die Wahrnehmung in Israel? Zwei Wochen später ... Wie blickt Israel heute auf die Türkei, den bewährten Partner in der Region? Aus Tel Aviv Clemens Verenkotte:


    Viel ist in Israels Öffentlichkeit derzeit nicht mehr zu spüren von dem engen, jahrzehntelangen Bündnis mit dem ersten, mehrheitlich muslimischen Land, das bereits 1949, kurz nach der Staatsgründung Israels, diplomatische Beziehungen zum jüdischen Staat aufnahm. Sehr rasch nach der blutigen Erstürmung der "Free-Gaza"-Flottille suchten und fanden Israels Regierung und weite Teile der heimischen Medien den Schuldigen für das außenpolitische Desaster im Mittelmeer: Türkische Extremisten, indirekt protegiert von Ministerpräsident Erdogan, hätten die Konfrontation mit den israelischen Eliteeinheiten an Bord der Schiffe gesucht. Als rund 1000 Israelis am Samstag vor einer Woche vor der türkischen Botschaft in Tel Aviv "Schimpf und Schande" skandierten, begründeten Teilnehmer der Protestdemo ihren Einsatz mit den Worten:

    "Wir hatten nicht die Absicht, irgendjemanden zu töten. Das war eine Provokation. Und ich bin sehr zornig auf das türkische Volk, das über mein Land Lügen verbreitet und dagegen möchte ich demonstrieren."

    Ein Großteil der israelischen Bevölkerung, wie Umfrageergebnisse der großen Tageszeitungen am vergangenen Wochenende zeigten, schenkt den Schuldzuweisungen, die führende Kabinettsmitglieder der Regierung Netanjahu an die Adresse Ankaras richteten, vollständig Glauben: Auf die Frage, ob die Türkei nach der Militäraktion gegen die "Free Gaza"-Flottille nunmehr ein Feind Israels sei, antworteten 76 Prozent der befragten jüdischen Israelis mit "Ja." Außenminister Avigdor Lieberman, der bereits die öffentliche Demütigung des türkischen Boschafters in Israel durch seinen Stellvertreter Ayalon im Januar dieses Jahres als ein probates Mittel zur politischen Abstrafung einer anti-israelischen TV-Serie im türkischen Fernsehen befürwortet hatte, hielt sich auch dieses Mal nicht mit diplomatischen Feinheiten auf:

    "Wir haben mit dieser Provokation nicht begonnen, wir haben keine Krawallmacher mit Messern und Eisenstangen in die Türkei geschickt. In diesem Fall liegt die ganze Schuld, von Anfang bis Ende, ausschließlich bei den Türken. Wir müssen uns für nichts entschuldigen - im Gegenteil."

    Den strategischen Wert der Beziehungen zur Regionalmacht Türkei hat die Regierung Netanjahu seit ihrem Amtsantritt im April 2009 weit in den Hintergrund gerückt: Die langjährige militärische und rüstungstechnologische Kooperation zwischen beiden Ländern, von der unter anderem Israels Luftwaffe und Auslandsaufklärung profitieren, erfährt keine öffentliche Hervorhebung durch Ministerpräsident Netanjahu und seine Minister. Im Gegenteil: Eine Woche nach der Marineaktion im Mittelmeer stoppte Israel die Auslieferung der restlichen vier von insgesamt zehn bestellten Aufklärungsdrohnen an die Türkei; das Waffengeschäft im Wert von 180 Millionen Dollar werde erst bei einer Verbesserung der Beziehungen zu Ankara vollständig abgewickelt werden, wie Industrieminister Benjamin Ben Eliezar betonte:

    "Wir müssen realistisch sein. Ich bin davon überzeugt, dass beide große Projekte im Augenblick nicht fortgesetzt werden können. Ich bin mir, wie gesagt, sehr sicher, dass, wenn der Tag kommen wird und die Beziehungen wieder da sein werden, dann werden wir die Träume und Vorhaben erneuern."

    Ob es eine Rückkehr zu den vormals stets belastbar stabilen Beziehungen zur Türkei geben kann, scheint mehr als fraglich zu sein. Denn die Türkei bewege sich, so die Analyse der israelischen Regierung, seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Ergodan im März 2003 strategisch auf die muslimische und arabische Welt zu: Als Belege für diese Achsenverschiebung gelten, dem Kabinett Netanjahu vor allem, die Wiederannäherung der Türkei an den ehemals gemeinsamen Feind Syrien, die beständigen Kontakte zum iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad sowie die scharfe öffentliche Rhetorik gegen die israelische Besatzungspolitik. Kurzum: Der türkische Ministerpräsident suche sich auf Kosten Israels in der arabischen und islamischen Welt beliebt zu machen, deshalb auch dessen scharfe verbale Attacken auf Israel, so etwa die israelische Militäraktion gegen die Schiffe sei – Zitat – "Staatsterrorismus" gewesen. Eyal Peretz, der in Yehud bei Tel Aviv ein Begegnungszentrum für türkischstämmige Israelis aufgebaut hat, bringt diese Stimmung in Politik, Medien und Bevölkerung auf den Nenner:

    "Die Reaktion Erdogans war zu erwarten. In den letzten drei Jahren erleben wir von Ministerpräsident Erdogan sehr harte Reaktionen zu allem und jedem, egal ob nötig oder nicht. Er hat das gewählt, was man die Achse des Bösen nennt, zu der der Iran, Syrien, Hizbollah und Hamas gehören. Insofern - als türkische Zivilisten durch die israelische Armee umgekommen sind, hat uns seine Reaktion nicht überrascht."

    Im Garten seines israelisch-türkischen Begegnungszentrums in Yehud steht eine blumengeschmückte Büste des Staatsgründers der modernen Türkei, Kemal Atakürk, hinter der – bis in die vergangene Woche noch – neben der israelischen auch eine türkische Fahne hing. Nach den letzten Ereignissen, so sagt Eyal Peretz abschließend, sei beschlossen worden, auch die Fahne am Atatürk-Denkmal zu entfernen.

    Wir wollen in die Türkei blicken. US-Verteidigungsminister Gates zeigte sich in London nicht nur besorgt über die schlechten Beziehungen zwischen Israel und der Türkei. Er warnte auch davor, dass die Türkei abdriften könne, um sich dem Osten zuzuwenden. Ein Szenario, das für die USA womöglich noch problematischer ist, spielt doch die Türkei im Mittleren Osten bei den Bemühungen Obamas eine wichtige Rolle.

    Doch stimmt, was Gates und auch Israel da heraufbeschwören, wendet sich die Türkei tatsächlich vom Westen ab und positioniert sich deshalb gegen den alten Bündnispartner Israel? Was motiviert die türkische Regierung unter Tayyib Erdogan, so deutlich für Gaza Partei zu ergreifen? Und das nicht erst seit der israelischen Militäraktion vor zwei Wochen ...
    Aus Istanbul Ulrich Pick:



    Als Ministerpräsident Tayyip Erdogan im Januar letzten Jahres frühzeitig das Weltwirtschaftsforum in Davos verließ, wurde er mit Jubel am Flughafen in Istanbul empfangen. "Die Türkei ist stolz auf Dich" skandierten seine Anhänger und ließen den Regierungschef hochleben. Denn dieser hatte eine Diskussionsrunde mit dem israelischen Präsidenten Shimon Perez verlassen – und zwar aus Wut, weil er kaum zu Wort kam, aber auch aus Enttäuschung, weil er sich von Israel, das zu diesem Zeitpunkt regelmäßige Angriffe auf Gaza flog, betrogen sah. Kurz bevor nämlich Israel damit begann, Gaza zu attackieren, war Jerusalems Regierungschef Ehud Olmert in Ankara gewesen. Dort fragte ihn Erdogan, ob das Gerücht stimme, dass seine Armee plane, den palästinensischen Küstenstreifen anzugreifen. Olmert sagte "Nein", dennoch aber schlug das israelische Militär zu. Entsprechend verkündete der türkische Ministerpräsident:

    "Diese Operationen sind ein Schlag gegen den Weltfrieden. Sie sind zugleich auch eine Respektlosigkeit gegenüber der Türkei. Israel hat leider mit seiner Anwendung unmäßiger Waffengewalt ein humanitäres Drama verursacht. Das Wehklagen der Kinder, die unter den Bomben Israels gestorben sind, wird nicht aufhören - auch nicht das der unschuldigen Mütter."

    Die tiefe Emotionalität, mit der Erdogan auftrat und auch heute noch auftritt, hat ihre Wurzeln unter anderem in einer Religiosität, die sowohl den Ministerpräsidenten selbst, aber auch einen großer Teil der türkischen Gesellschaft kennzeichnet. So werden Angriffe gegen die Palästinenser vielfach als Angriffe gegen muslimische Glaubensgeschwister interpretiert, denen man dann solidarisch zur Seite stehen will. Entsprechend organisierten bereits in den 90er-Jahren islamische Gruppierungen in der Türkei Hilfsaktionen für Muslime in Bosnien. Auch der erste Einsatz der Organisation IHH, die das von israelischen Soldaten angegriffene Hilfsschiff "Mavi Marmara" nach Gaza schickte, galt bedrängten Muslimen auf dem Balkan. Diese Hilfe hat für viele Türken in erster Linie keine politische Bedeutung. Dennoch ist die Rolle der Organisation IHH sehr umstritten, denn es gibt Dokumente, die zeigen, dass ihr Vorsitzender Bülent Yilderim schwer gegen Israel und den Westen gehetzt hat. Ministerpräsident Erdogan allerdings, der seit dem Angriff auf die "Mavi Marmara" im Nahen Osten deutlich an Popularität gewonnen hat, versucht sich von solchen Tönen fernzuhalten und betont:

    "Wir haben uns immer gegen Antisemitismus eingesetzt. Wir haben uns stets gegen jede Art von Ungerechtigkeit, die Juden angetan wird, gewehrt und haben unsere Stimme erhoben. Die Türkei hat ihren Beitrag dafür geleistet, dass das jüdische Volk im Nahen Osten in Frieden und in Sicherheit leben kann. Jetzt erwarten wir dieselbe Sensibilität, die gleiche menschenwürdige Haltung angesichts dieser Gewalttat gegen die Hilfsschiffe von dem israelischen Volk. Jetzt seid ihr dran!"

    Trotz dieser Beteuerungen hat Erdogan aus Sicht des Westens ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn dort werfen ihm gewisse Stimmen vor, den Europa-orientierten Kurs seines Landes aufzugeben und eine neue Führungsrolle im islamisch dominierten Nahen Osten anzustreben. Als Beweis für diese Behauptungen dient das Verhalten Ankaras vergangene Woche im UNO-Sicherheitsrat. Dort stimmte nämlich die Türkei zusammen mit Brasilien gegen neue Iran-Sanktionen. Das Argument einer Kehrtwende der Ankaraner Außenpolitik wird allerdings in der türkischen Presse als schwach bewertet: Da es der Türkei und Brasilien gelungen sei, mit ihrem Atomkompromiss von Mitte Mai Iran wieder an den Verhandlungstisch bekommen, heißt es da, hätte ein "Ja" zu neuen Sanktionen den eigenen Verhandlungserfolg untergraben. Zudem wäre die Reaktion des Westens sicher ganz anders ausgefallen, wenn nicht die Türkei und Brasilien, sondern zwei europäische Länder den Kompromiss ausgehandelt hätten. Entsprechend betont der EU-Unterhändler der türkischen Regierung Egemen Bagis:

    "Die Behauptung, die Türkei rücke ins Lager des Fanatismus' oder Radikalismus' ab, ist erlogen und erfunden. Zudem finde ich es nicht aufrichtig, wenn die Europäische Union einerseits ein Vorankommen der Beitrittsverhandlungen praktisch zu einem Akt der Unmöglichkeit macht; sich dann aber hinstellt und behauptet, die Türkei distanziere sich von ihrem Weg nach Europa. Ich teile nicht die Meinung, die Türkei orientiere sich gen Osten. Im Gegenteil: Die Türkei ist eine Brücke zwischen West und Ost und was die Türkei unternimmt, ist nichts weiter als die Bemühung, beide Brückenpfeiler zu stabilisieren."

    Zeigt Ankara also ein neues politisches Selbstbewusstsein, mit dem man sich zudem auch noch – wie behauptet – von Europa abwendet und eine neue Heimat im Nahen Osten sucht? Die Frage ist nur durch langfristiges und, vor allem: genaues Hinschauen zu beantworten. So fällt demjenigen, der die türkische Außenpolitik der vergangenen Jahre beobachtet, vor allem eines auf: Unter Regierungschef Erdogan hat Ankara sein Verhältnis zu allen Nachbarn verbessert. Das bezieht sich auf Syrien, Irak und Iran, das gilt aber auch für Armenien, wohin es früher gar keine Kontakte gab. Und für die Beziehung zum ehemaligen Erzfeind Griechenland. So hielten im vergangenen Monat das griechische und türkische Kabinett in Athen zusammen eine gemeinsame Sitzung ab. Bedenkt man dazu, dass im Sommer 2008 die Türkei noch zwischen Israel und Syrien bezüglich der Golanhöhen vermittelte, so dürften nach den jetzigen Irritationen in Folge der erstürmten "Mavi Marmara" eher aufmerksames Abwarten angebracht sein als voreilige Verurteilungen.

    Eine Öffnung der Türkei demnach, nach allen Seiten – Robert Gates hingegen warnt vor einem Abdriften.

    Um die türkisch-israelischen Beziehungen steht es also schlecht. Weil Ankara den ehemaligen Bündnispartner Israel kritisiert. Das wiederum hat dem türkischen Regierungs-Chef große Sympathien eingebracht, in Gaza und in der arabischen Welt – Sympathien der Menschen. Und noch eines schwang dabei mit: die Kritik an den eigenen, den arabischen, Regimen, die, wie so oft - tatenlos - zuschauen, wenn den "palästinensischen Brüdern" etwas widerfährt. Aus Kairo Esther Saoub:



    "Diese Blockade muss ein Ende haben. Der Beschluss der Arabischen Liga ist absolut klar."

    Amr Moussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, vergangenen Sonntag in Gaza. Wichtig an diesem Besuch war weniger, was gesagt wurde, als vielmehr wo. Kein Repräsentant der Liga hat seinen Fuß nach Gaza gesetzt, seit dort die Hamas regiert. Auch Moussa besuchte nicht deren Regierungssitz, denn den erkennt er ja offiziell gar nicht an, sondern Premierminister Ismail Hania zuhause. Dort saßen sie, vor einem wandfüllenden Bild des Felsendoms in Jerusalem. Hamas Symbole waren nicht zu sehen, stattdessen ein Strauß Rosen mit Schleierkraut.
    "Moussa war unterwegs in arabischer Mission", sagt der Politologe Emad Gad vom Ahram Zentrum für strategische Studien in Kairo:

    "Ich glaube, der Angriff auf die Freiheits-Flotte hat eine Krise der arabischen Liga deutlich gemacht: Er hat gezeigt, dass es Kräfte gibt, die von außen eine Rolle in der Region anstreben. Und das wiederum weist auf einen Führungsmangel unter den arabischen Staaten hin.
    Die unmittelbare Reaktion auf den Angriff war die Öffnung des Übergangs von Rafah. Eine kluge Entscheidung. Denn ohne sie hätten alle nur eine Frage gestellt: Wann öffnet Ägypten die Grenze? Dabei ist Rafah ja nur ein Durchgang für Personen, nicht für Waren. Aber die Arabische Liga musste einen Schritt tun, um das Gazaproblem wieder zu arabisieren."

    Arabisieren, das ist das passende Stichwort. Denn plötzlich tauchte auf den Straßen Gazas die rote Fahne der Türkei auf. Erdogans Konterfei prangte auf Demonstrationsplakaten – die Diskussionssendungen des Satellitensenders al-Jazeera sprachen vom neuen Helden der arabischen Straße. Endlich mal ein Staatschef, der den Willen seines Volkes respektiere, hieß es. Gefährliche Töne in Richtung der arabischen Regime, die das "Palästinenserproblem" seit bald 20 Jahren vor allem dann auf den Tisch bringen, wenn sie interne Missstände kleinreden wollen. Dennoch: Wer dieser Tage in Kairo durch die Gassen geht und nach dem Gaza Hilfsschiff und der Türkei fragt, erhält eher ein Schulterzucken als Antwort. Heldenverehrung hört sich anders an:

    "Jeder kann diese Rolle spielen. Wir Menschen unterstützten einander. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ich auf der Straße jemanden finde, egal welcher Nationalität oder Religion, der meine Hilfe braucht, dann unterstützte ich ihn, das hätte jeder gemacht."
    "Ich wünschte, dass alle Leute die Haltung der Türkei gegenüber Israel einnähmen. Aber die Türkei ist kein Beispiel für die arabischen Länder. Sie ist ein laizistischer Staat, ihr System passt nicht zu uns."

    Wer im Nahen Osten etwas gelten will, muss Stellung beziehen gegenüber Israel. Das hat der Iran vorgemacht, jetzt zieht die Türkei nach. Allerdings könnten die beiden Ansätze unterschiedlicher kaum sein: Der Iran liefert Waffen und Geld, die Türken schiffen Hilfsgüter ein. Iran habe in den vergangenen Jahren versucht, Israel "mit einem Gürtel aus Raketen einzuschüchtern", kommentierte die Tageszeitung al-Hayat, Erdogans Waffen seien andere. Er greife Israel mit der Sprache an, mit den Worten des internationalen Rechts.
    Hier schließt sich der Kreis zu den sogenannten moderaten arabischen Staaten: Trotz scharfer Rhetorik hat Erdogan ein Register bisher nicht gezogen: den Abbruch der Beziehungen zu Israel. Ebenso wenig wie Ägypten während des Gazakrieges. Ahmadinedschads Konfrontationskurs ist den Türken so fremd wie den arabischen Nachbarn. Und moderate Redner taugen nicht zum Helden der arabischen Straße. Zum Vorreiter in der Region allerdings schon, und da ist eine Stelle frei, Emad Gad:

    "Keiner sucht momentan nach der starken Position in unserer Region; wenn Du nach Jordanien gehst, siehst Du schon am Flughafen ein Schild: "Jordanien zuerst!" Keiner kümmert sich mehr um die Führung der arabischen Welt, das ist keine arabische Angelegenheit mehr. Nehmen wir zum Beispiel Ägypten. Wir streben ein gutes Verhältnis mit den Amerikanern und Europäern an, also sagen wir: Wir können die palästinensischen Angelegenheiten sortieren, wir können den Frieden mit Israel vermitteln. Aber die Führung der Region ist zu teuer, das haben wir schon ausprobiert: In den Kriegen gegen Israel sind 100.000 junge Männer gefallen, unsere Wirtschaft wurde ruiniert, der Suezkanal geschlossen ... Nein, die Führung der arabischen Welt ist für die arabischen Regierungen nicht mehr wichtig."

    Wichtig ist ein anderer: der große Bruder in Washington. Alle arabischen Regime schauen derzeit in die USA, um ihre eigene Macht zu sichern, für sich und ihre Söhne, sagt Emad Gad. Unter George Bush war dieser Kurs leicht zu halten: sei nett zu Israel, dann mögen dich die Amerikaner, hieß damals das Rezept. Seit Obama regiert, ist die Angelegenheit weniger statisch. So erklärt es sich, dass der türkische Vorstoß Richtung Gaza eine Fortsetzung fand in der Öffnung des Übergangs von Rafah und der Lockerung der Blockade durch Israel. Und wenn die EU dranbleibt, werden die Bewohner Gazas vielleicht irgendwann ihre Rosen wieder ins Ausland exportieren, statt sie Herrn Hania ins Wohnzimmer zu stellen.

    "Wenn die Europäische Union dranbleibt, dann, ja dann werden die Bewohner Gazas auch wieder Rosen exportieren. Die EU-Außenminister haben diese Absicht gestern in Luxemburg schriftlich bekräftigt. Die Blockade soll vollständig aufgehoben werden, alle Waren sollen nach Gaza gehen können, mit Ausnahme von Waffen."