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Israel
Ein Blick mit Sympathie und Besorgnis

Die französische Historikerin Diana Pinto zeigt in ihrem Buch "Israel ist umgezogen" in welchem Umbruch sich das Land befindet. Herausgekommen ist eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme, die Perspektiven für Veränderungen aber nur bedingt beschreibt.

Von Thomas Kleinspehn |
    Israelis kaufen Obst auf einem Markt.
    Diana Pinto wirft einen kritischen Blick auf Israel. (dpa/picture alliance/Debbie Hill )
    "Es geht hier nicht darum, die realen Bedrohungen zu leugnen, denen Israel ausgesetzt ist, sondern lediglich darum, diese Unfähigkeit zur Änderung der Syntax zu analysieren. Wenn man ein so starkes und auf globalem Niveau so intensiv eingebundenes Land wie Israel ist, zeigt diese Paranoia einer ständigen Schwäche und Anfälligkeit eine wirkliche begriffliche Anomalie. Und wer so lückenhaft denkt, kann nur auf problematische Weise handeln."
    Zwischen großer Sympathie und ebenso großer Besorgnis versucht die französische Historikerin Diana Pinto einen Weg zu finden, Politik und Mentalität in Israel kritisch zu betrachten. Pinto ist in den letzten Jahrzehnten häufig in den Nahen Osten gereist, hat in Israel Freunde und Kollegen besucht und mit ihnen diskutiert. Im Sommer 2011 schließlich war sie wieder eingeladen zu Symposien in Jerusalem und Tel Aviv. Aus ihren Reiseeindrücken, den Gesprächen mit Kollegen und ihren früheren Erfahrungen ist ein ganz besonderes Buch entstanden, das aus dem Inneren eines Landes berichtet, dem die Autorin nahe steht, das aber gerade wegen dieser Nähe gelegentlich blind ist für alternative Tendenzen. Dennoch könnte es Israel-Besuchern ein kritischer Begleiter sein, um das Land und dessen Probleme besser zu verstehen. Zwischen den ersten und den letzten Eindrücken am Flughafen Ben Gurion von Tel Aviv beschreibt Diana Pinto Eindrücke und Alltagsszenen, die sie sieht, fragt nach den Hintergründen, deren Geschichte und deren Ambivalenz. Vor allem die Widersprüche und Brüche nimmt sie in den Blick. Und es sind immer wieder die Orte, die sie offenbaren. Etwa wenn sie in Jerusalem an der Klagemauer auf die Kopie jener Menora schaut, die im Zweiten Tempel stand: für die einen Erinnerung, für die anderen mit der Hoffnung auf Wiederaufbau verbunden.
    "Wir befinden uns mitten in der Kollektivpsychose, denn der Wiederaufbau des Tempels impliziert selbstverständlich die Zerstörung des Felsendoms, auf dem Berg eines Islam gebaut, der sich die heilige Stätte aneignen wollte. Ein Grundstückskompromiss ist hier nicht möglich."
    Offenbaren sich hier die Sackgassen der Jüdischen Orthodoxie und des orthodoxen Nationalismus, so bringt sie im Gegensatz dazu die Aussicht von Ost-Talpiot auf die Altstadt von Jerusalem mit ihrer Vielfalt und ihren Chancen zur Koexistenz zu einem optimistischeren Blick auf die Zukunft.
    "Ich habe bekannt, dass der Zionismus für mich nie eine Lebensentscheidung war, dass ich die politischen Entscheidungen seiner Regierungen kritisiere, aber dass ich mir keine Welt ohne Israel vorstellen kann. Und vor allem dass die durch Israel bewirkte Sammlung der Juden aus der ganzen Welt um eine Sprache und eine religiöse, intellektuelle und kulturelle Erneuerung diesem Volk, unabhängig davon, was in der Zukunft geschehen wird, eine Lebensenergie zurückgegeben hat, die Jahrhunderte wirken wird. "
    Diese Lebensenergie speist sich aus u sich nd entwickelt sich in einem ganzen Geflecht von Gegensätzen, die antagonistischer gar nicht sein könnten. Damit meint die französische Historikerin zwar auch den Konflikt mit den Palästinensern oder mit den arabischen Israelis, die räumliche Konstruktion des Landes, die grüne Linie oder die Mauer. Vor allem schaut sie aber auf die Entwicklungen in der jüdischen Kultur selbst. Hat bis in die 70er und 80er Jahre die Shoa das Land noch weitgehend geprägt, so trete jetzt nach Ansicht der Autorin etwas ganz anderes in den Vordergrund: die Dominanz der Technologie und der Naturwissenschaften. Und das ist der "Umzug" des Landes, den der Titel des Buches vorgibt. Ein Bild, das die Autorin absoluter meint, als es tatsächlich ist. Denn sie übersieht, dass man bei einem "Umzug" stets auch seine Vergangenheit im Gepäck hat, ob man will oder nicht. Für Diana Pinto jedoch rücken jetzt vor allem die Agrar-, Technologie- oder Biologische Forschungen in den Vordergrund. In ihnen nimmt Israel tatsächlich inzwischen Spitzenstellungen ein, die den "Fortschritt" des Landes im naturwissenschaftlichen Sinne bestimmen. Israel sei längst insgeheim bei den Schwellenländern angekommen. Hier gehen religiöse, selbst noch so orthodoxe Vertreter eine Allianz mit der Moderne ein, die von außen seltsam erscheint und sich auch nur zum ganz geringen Teil auf Alltag und Kultur ausweiten. So gibt es zum Beispiel in Israel kaum Debatten über die Gentechnologie. Und die Dominanz der Naturwissenschaften ist noch massiver als in Europa oder den USA. Sie werden kaum in Frage gestellt. Diana Pinto ist zwar von der Liste wissenschaftlicher Spitzenleistungen durchaus beeindruckt. Dennoch liegt hier genau der Kern der Widersprüche, um die es ihr geht. Denn der technologische Fortschritt suggeriere, so Puinnto so Pinto, Israel könne seine Probleme alle selber lösen. Dieser Glauben und trage allerdings zur weiteren Isolierung des Landes bei – mit fatalen Folgen.
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    Cover: Diana Pinto "Israel ist umgezogen" (Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag)
    "Die Probleme, die der Staat lösen muss, sind politischer und sozialer Natur. Kein wissenschaftlicher Wille kann sie regeln, denn sie gehören zu anderen Bereichen, in denen der Fortschritt von einem humanistischen und nicht von einem technischen Willen abhängt. So wäre man versucht zu sagen, dass ein land, das elektronische Miniblindenstöcke zum "Sehen" der Größe und des Volumens von Gegenständen erfinden kann, auch solche zum "Sehen" der geopolitischen Hindernisse entwickeln könnte, die es bislang ignoriert, als wenn die Palästinenser sich noch auf unbestimmte Zeit mit dem Status quo arrangieren könnten."
    Wahrscheinlich, so legt das Buch nahe, gehört beides zusammen. Israels Sprung in die von globaler Technologie bestimmten Welt ist deshalb so erfolgreich, weil sie einhergeht mit einer radikalen politischen und geografischen Absonderung, die irreale Züge hat. Oder anders gesagt, die feindseligen Nachbarn befördern paradoxerweise die Spitzentechnologie. Deshalb richtet Diana Pinto auch hauptsächlich ihren Blick auf die Abgrenzungsbemühungen Israels, die sie "autistischen Ultramodernismus" nennt. Für diese Tendenz findet sie drei unterschiedliche Metaphern: Sie beschreibt Israel als "Aquarium", als "Blase" oder als "Zelt". Alle drei weisen in die gleiche Richtung von Abgrenzung und Ambivalenz. So sei Jerusalem zwar voller interkultureller Vielfalt, aber zugleich auf sich reduziert und wie ein Aquarium vom übrigen Land abgegrenzt. Auch eine Blase oder ein Zelt haben ihre variablen Ausdehnungen, stoßen schließlich aber doch an Grenzen.
    "Israels existenzieller Seinsgrund hat nicht mehr viel mit dem neuen Seinsgrund eines Israel zu tun, das nicht mehr versucht, eine Nation wie die anderen zu werden, sondern es vorzieht, sich auf seine eigenen Besonderheiten zu beschränken, ohne Verbindung zum Rest der Welt."
    Doch bei dieser Diagnose bleibt das Buch stehen. Diana Pinto interessiert sich nur verbal für kulturelle oder humanistische Tendenzen in Israel, die gegen den "nationalistischen Autismus" angehen und versuchen könnten, eine wirkliche Alternative zu der neuen Form der Diaspora zu entwickeln. Sie findet man jedoch überwiegend außerhalb der "Scientific Comunity", die Pinto hauptsächlich besucht hat, zum Beispiel in den Protestbewegungen von Tel Aviv oder bei unabhängigen Intellektuellen. So ist ihr Buch "Israel ist umgezogen" zwar eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme, aber Perspektiven für Veränderungen beschreibt die Autorin nur bedingt.
    Diana Pinto: Israel ist umgezogen. Aus dem Französischen von Jürgen Schröder, Berlin, Jüdischer Verlag, 2013, Preis: € 21,95