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Israel hat sich nach Oslo nur sehr begrenzt an die Vereinbarungen gehalten

    Wagener: Sieben Jahre Nahost-Friedensprozess sind offensichtlich vorbei. Derzeit werden politische Ziele, die noch vor kurzem unmittelbar vor ihrer Umsetzung standen, ganz tief gehängt. Das einzige was im Moment gefragt ist sind Rezepte zur weiteren Konflikteindämmung. Wer kann da helfen? Wer könnte hier ehrlicher Makler spielen? - Am Telefon begrüße ich Christian Sterzing von den Bündnis-Grünen und Mitglied im auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestages. Schönen guten Morgen Herr Sterzing!

    Sterzing: Schönen guten Morgen Herr Wagener.

    Wagener: Sie haben Vor-Ort-Erfahrung. Sie sind Autor einiger Publikationen über diese Region. Wer hat den Status Quo zu verantworten?

    Sterzing: Ich glaube, wir haben es hier vor dem Hintergrund eines siebenjährigen Friedensprozesses mit einer Situation zu tun, die zunächst einmal ein einfaches Weitermachen ausschließt. Ich glaube nicht, dass der Oslo-Prozess tot ist, wenn man den Oslo-Prozess als einen Verhandlungsprozess versteht, denn Frieden kann meiner Meinung nach in dieser Region ganz sicher nur mit einer Verhandlungslösung herbeigeführt werden. Es gab bei diesem Oslo-Prozess jedoch eine gewisse Schieflage. Insofern glaube ich, dass es notwendig ist, dass die Ungleichheiten, die Ungewichtigkeiten in diesem Friedensprozess beseitigt werden.

    Wagener: Was meinen Sie mit Ungleichheiten?

    Sterzing: Man muss deutlich sehen: Oslo war angelegt als ein ungleicher Prozess. Es stand die Anerkennung Israels durch die Palästinenser am Anfang. Der palästinensische Staat sollte möglicherweise irgendwie am Ende anerkannt werden. Das war aber niemals sicher vereinbart. Beide Partner sind sich hier praktisch nicht gleichberechtigt gegenübergesessen, sondern es gab einseitige Vorteile für Israel. Israel hat sich in den ganzen Jahren nur sehr begrenzt, um es vorsichtig auszudrücken, an die Vereinbarungen, an die Verpflichtungen gehalten. Es hat sich nicht zurückgezogen. Es müßte längst aus den besetzten Gebieten ja jetzt schon zurückgezogen sein. Es gibt bis heute, wie vereinbart, keine Transitwege. Vier sollte es geben; es gibt nur einen. Die Termine sind nicht eingehalten. All dies war ein Friedensprozess, der sicherlich stark auf Vorteile für Israel angelegt war. Man hat sich eben nicht auf gleicher Augenhöhe begegnen können. Ich glaube insofern ist ein erheblicher Vertrauensverlust in den letzten Jahren eingetreten. Es war, wie ich immer gerne sage, ein Elitenprojekt geworden. Man hat verhandelt, aber es ist an der Basis wenig passiert. Insbesondere die Palästinenser in den besetzten, aber auch in den autonomen Gebieten haben keine Friedensdividende erhalten. Sie haben nicht gesehen, dass sich dieser Friedensprozess für sie auszahlt. Ihre Situation hat sich in vielen Bereichen erheblich verschlechtert.

    Wagener: Dass Israel bestimmte Dinge, die vertraglich vereinbart waren, nicht umgesetzt hat, lag das vor allem an innerisraelischen Problemen, dass der Widerstand seitens des Likud beispielsweise zu groß war, oder war man prinzipiell eigentlich gar nicht bereit, dieses auch faktisch einzugehen?

    Sterzing: Natürlich hat diese Regierungsperiode von Netanjahu den Prozess enorm zurückgeworfen. Ich glaube jedoch, man kann es nicht alleine an der Likud-Regierung festmachen. Man muss auch deutlich sehen, dass Barak in den letzten etwa zwei Jahren seiner Regierungszeit Prozesse vorangetrieben hat, die dem Frieden nicht besonders förderlich waren. Er hat weiter die Siedlungen ausgebaut, er hat weiter Straßen für die Siedler gebaut, er hat kein weiteres Land wie vereinbart zurückgegeben. Insofern fehlt es glaube ich bei vielen Vertretern der israelischen Regierungsparteien auch jetzt an der Bereitschaft, eben wirklich gleichberechtigt über eine dauerhafte Friedenslösung nachzudenken. Man hat glaube ich in Israel immer noch sehr stark im Kopf, dass dieses Land, diese Palästinenser quasi kontrolliert werden müssen. Man ist nicht bereit, ihnen wirklich die Selbstbestimmung zu geben, die es meines Erachtens als Voraussetzung für eine dauerhafte Friedensregelung nötig macht.

    Wagener: Die Bundesregierung verteilt seit geraumer Zeit viel Geld an beide Seiten und schweigt ansonsten. Warum die Angst vor einer Parteinahme?

    Sterzing: Es ist in den letzten Jahren quasi eine Arbeitsteilung gewesen zwischen den USA auf der einen Seite und der EU auf der anderen Seite. Die Amerikaner haben praktisch die hohe Diplomatie gemacht. Sie haben sehr stark den Vermittlungsprozess gesteuert, auch ganz gewiss unter einem hohen persönlichen politischen Risiko des amerikanischen Präsidenten. Die EU hat im wesentlichen mit erheblichen finanziellen Mitteln versucht, dem Friedensprozess eine stabilere ökonomische Basis zu geben. Man hat in den letzten Jahren Milliarden in den Ausbau der palästinensischen Infrastruktur gesteckt, in Müllabfuhr, in Abwasser. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass sich tatsächlich eben eine Friedensdividende für die palästinensische Bevölkerung herauskristallisiert hat. Insofern glaube ich, dass die EU schon in der Lage ist, eine größere politische Rolle zu spielen. Sie haben das zeitweise auch gemacht. Sie haben im letzten Jahr mit der Berliner Erklärung - das war die Erklärung des EU-Gipfels, der damals in Berlin getagt hat - zum Recht der Palästinenser auf einen eigenen palästinensischen Staat ein sehr deutliches Zeichen zur Entspannung der damaligen Situation gesetzt, als nämlich eine palästinensische Staatsgründung bevorstand. Ich glaube, es wäre jetzt an der Zeit, in der EU darüber nachzudenken, inwieweit die Rolle, die die USA gespielt haben und wie ich glaube jetzt nicht mehr in dem Maße spielen können, möglicherweise in anderer Form flankiert werden kann.

    Wagener: Das hat ja auch Putin in Moskau an diesem Wochenende gesagt, dass die USA jetzt als Vermittler in diesem Konflikt eigentlich ausscheiden. Da tut sich jetzt ein Vakuum auf. Da muss ja eigentlich die EU nun hinein oder?

    Sterzing: Ich glaube, man muss die EU in dem Zusammenhang nennen. Man muss sicherlich auch die UN in dem Zusammenhang nennen. Ein gemeinsames Vorgehen, wie man sozusagen ein neues Verhandlungsdesign schafft, würde sich sicherlich lohnen, wobei ich schon davor warnen muss, dass man sagt, nun fallen die USA aufgrund vielerlei Veränderungen der Situation als Vermittler aus und es geht jetzt nur darum, die USA durch jemanden anderes, durch eine andere internationale Organisation oder einen anderen Vermittler zu ersetzen. Ich glaube, der Prozess muss etwas neu organisiert werden.

    Wagener: Was kann konkret die Bundesregierung jetzt in dieser schwierigen Phase tun?

    Sterzing: Ich glaube, dass die Bundesrepublik und die Bundesregierung hier wirksam nur im EU-Zusammenhang handeln kann. Es gibt ja seit Jahren keine eigenständige Nahostpolitik der Bundesregierung in diesem Sinne mehr, weil gerade Nahostpolitik im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik das Feld ist, wo die EU in besonderer Weise in den letzten Jahren, ja fast Jahrzehnten zusammengearbeitet hat. Insofern glaube ich, die EU muss mit ihrem Gewicht hier versuchen, eine neue Rolle zu spielen. Hier könnte die Bundesregierung anregend wirken. Sie könnte Vorschläge machen, aber nicht als deutsche Bundesregierung in diesem Konflikt vermitteln.

    Wagener: Was ist Ihre Prognose? Der Friedensprozess ist jetzt erst einmal auf Eis gelegt. Wirkt das deeskalierend oder das Gegenteil?

    Sterzing: Ich glaube, mit der Aussetzung des Friedensprozesses wird im Grunde nur der aktuelle Stand praktisch neu beschrieben. Es tritt keine wesentliche Änderung ein. Ich glaube, ein Nachdenken auf beiden Seiten ist wichtig. Wir müssen deutlich sehen, dass in Israel Barak ja nun seit Wochen und Monaten nur noch einer Minderheitsregierung vorsteht. Hier müssen sich also die innenpolitischen Verhältnisse erst einmal neu sortieren. Ich hoffe sehr, dass nicht das eintritt, was natürlich alle befürchten, dass jetzt eine nationale Regierung mit Beteiligung des Herrn Sharon ins Amt gesetzt wird, weil dies die Aussichten für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen meiner Meinung nach erheblich schmälern würde.

    Wagener: Christian Sterzing war das von den Bündnis-Grünen, Mitglied im auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestages. - Danke für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio