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Israel: Kadima-Partei wählt Livni ab

Für viele galt die israelische Politikerin Zippi Livni als Hoffnungsträgerin für einen Politikwechsel in ihrem Land. Jetzt haben ihre Parteikollegen von der Kadima einen anderen an die Spitze gewählt.

Von Torsten Teichmann | 31.03.2012
    Das Leben in Jeans – titelt die israelische Tageszeitung Yedioth Aharonot zum Ende der Woche. Auf dem Bild darüber ist die abgewählte Chefin der Kadima-Partei Livni zu sehen – im Cowboy-Look – mit Jeans, Bluse und einem braunen breiten Gürtel mit Doppelschnalle. Die Garderobe für den ersten kurzen Auftritt nach der Niederlage ist sorgfältig gewählt. Schaut her, ich lebe noch – auch ohne Hosenanzüge, will sie demonstrieren. Und dann sagt sie das auch noch:

    "Mir wurde immer gesagt, was einen nicht umbringt, macht einen stark. Wie sie sehen, befinde ich mich unter den Lebenden. Und ich bin stärker geworden. Ich erhalte viele Anrufe aus der ganzen Welt. Die Anrufe, die mich aber am meisten stärken, sind die von guten Israelis, die sich unseren Sieg so sehr gewünscht hatten. Sie stärken mich und ich hoffe, ich stärke sie auch."

    Die bisherige Anführerin der Opposition hat sich drei Tage nach ihrer Niederlage noch nicht wieder erholt. Die Macht wurde ihr über Nacht genommen, in einer partei-internen Abstimmung. Weniger als 40 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen auf Livni. In Europa versteht das kaum jemand. Der früheren Außenministerin war es gelungen, sich im Ausland als Alternative zu Netanjahu und dessen Rechts-Koalition zu präsentieren. Irgendwie entstand der Glaube – vor allem auch bei deutschen Politikern – mit Livni werde einmal alles anders. Obwohl sie sich in den vergangenen drei-einhalb Jahren inhaltlich kaum von Netanjahu absetzt hatte.

    In Israel warfen ihr Parteimitglieder und Kritiker vor, sie fülle ihre Rolle nicht aus – als Oppositionschefin und Vorsitzende der größten Fraktion im Parlament. Sie nannten sie die Königin von Tel Aviv und das war nicht als Lob gemeint. Nun soll alles anders werden. Gewinner der Kadima-Vorwahlen mit über 60 Prozent der Stimmen ist der frühere Verteidigungsminister Shaul Mofaz. Er ist der neue Parteichef:


    "Ich habe vor, allen Schichten zu helfen. Ich plane, eine Realität und eine Politik für ein einheitliches Israel aufzubauen, das eine starke Gesellschaft hat. Das mag sich bombastisch anhören, aber, glauben sie mir, es ist möglich, es ist umsetzbar."

    Mofaz setzt zur ganz großen Umarmung an. Dazu hat er die Moderatoren der Hauptnachrichten zu sich nach Hause eingeladen. Immer wieder sind die Fotos seiner Enkel auf der Anrichte im Wohnzimmer zu sehen. Diese Homestory an sich ist ein Bruch mit der Parteiführung seiner Vorgängerin. Livni hatte nur selten Einblick in ihr privates Leben gegeben. Mofaz hielt das offenbar immer für einen Fehler.

    Sein erklärtes Ziel ist es, Ministerpräsident Netanjahu bei einer nächsten Parlamentswahl abzulösen. Und deshalb versucht sich Mofaz im Interview bei prominenten Themen abzusetzen:

    "Netanjahu ist nicht glaubwürdig, Ich vertraue ihm nicht. Er hat sich der Sozialproteste angenommen und das Thema in die Länge gezogen, es verschoben. Und am Ende setzte er das Thema Iran auf die Tagesordnung. Alle Analysten der Welt sagen, Iran habe die nukleare Stufe noch nicht erreicht. Es ist ein Schwellenstaat. Die USA führen die Konfrontation mit Iran an und so muss es auch bleiben."

    Kann die Wende gelingen? Nach aktuellen Umfragen würde Kadima bei einer Parlamentswahl womöglich mehr als die Hälfte der bisherigen Abgeordneten Sitze verlieren. Für einen Machtwechsel reicht das nicht. Mofaz könnte deshalb eine weitere Entscheidung seiner Vorgängerin rückgängig machen: Wieder raus aus der Opposition und ran an den ohnehin schon langen Kabinettstisch von Ministerpräsident Netanjahu. Der Kommentator des Radiosenders Reshet Bet, Chanan Christal, hält das für möglich.

    "Die Frage ist, ob die Partei etwas blockieren kann, ob sie fähig ist, dem Likud Stimmen wegzunehmen. Ob sie eine echte Alternative sein kann. Oder reden wir von einem Partner, einem Korrektiv? Wer muss sich vor Shaul fürchten? Benjamin als Ministerpräsident und Ehud als Verteidigungsminister in der nächsten Knesset."

    Kadima als Mehrheitsbeschaffer - ein trauriges Ende für die relativ junge Partei. Ministerpräsident Sharon hatte sie Ende 2005 gegründet, als ihm der Likud in der Frage des Abzugs der jüdischen Siedler aus Gaza nicht folgen wollte. Streng genommen spaltete Scharon den Likud. Livni, Olmert und Mofas gingen mit ihm. Netanjahu blieb zurück. Vielleicht ist so auch die Häme zu verstehen, mit der Likud-Mitglieder, wie Kultusministerin Limor Livnat auf die Veränderung bei der politischen Konkurrenz reagieren.

    "Das Ergebnis der Wahlen bei Kadima und die Umfragen weisen ganz klar darauf hin, dass Kadima nicht mehr relevant ist, was die Regierung angeht. Auch die niedrige Wahlbeteiligung in den eigenen Reihen zeigt, dass die Bevölkerung Kadima nicht mehr als Alternative zum Likud und zur Regierung wahrnimmt. Deshalb spielt es keine Rolle, wer an der Spitze von Kadima steht."

    Bei Kadima dagegen haben vor allem die verbliebenen Livni-Anhänger Sorge, Mofaz könnte allein an der Spitze zurückbleiben. Zwar hatte er nach seiner Wahl die abgewählte Parteivorsitzende aufgefordert zu bleiben. Doch Livnis Niederlage war so eindeutig, dass es schwer werden könnte, für die "Königin von Tel Aviv" in der Partei noch einen geeigneten Platz zu finden. Auch Spekulationen, sie könnte mit Abgeordneten ein eigenes Wahlbündnis gründen oder zu einer anderen Partei wechseln, scheinen derzeit unwahrscheinlich. Es ist schlicht das vorläufige Ende einer politischen Karriere. Niemand hat das besser erkannt als Livni selbst, als sie nach der Wahl, kurz nach Mitternacht, noch einmal im Hosenanzug vor die Presse getreten war:

    ".... das ist das Ergebnis. Ich habe wirklich nicht vor Fragen zu beantworten. Das waren zwei lange Monate, das war ein langer Tag. Und ich hielt es für angemessen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass ich Shaul Mofas gratuliert habe. Ich gehe jetzt schlafen. Und ich möchte noch einmal jedem einzelnen danken, der heute gekommen ist und seine Stimme für Zippi Livni abgegeben hat. Denn ich weiß, dass sie alle einen Staat Israel wollen, der einen eigenen Weg geht, ihren Kindern zuliebe: Jetzt ist es Nacht, man geht schlafen. Danke!"