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Israelischer Friedensaktivist verurteilt Dämonisierung Arafats

Remme: In Israel wird die Nachricht vom Tode Jassir Arafats sicherlich mit gemischten Gefühlen entgegengenommen. Er galt in den letzten Jahren als Haupthindernis für einen Neubeginn in den Friedensverhandlungen. Mit ihm als Gesprächspartner, darauf wollte sich Jerusalem schon seit Jahren nicht mehr einlassen. Einer derjenigen, die diesen Tod betrauern ist der Friedensaktivist Uri Avnery, den wir vor wenigen Minuten erreicht haben und ich habe ihn zunächst nach seinen Gefühlen angesichts der Nachricht gefragt.

    Avnery: Ich bin sehr traurig, weil ich mit Jassir Arafat persönlich seit 20 Jahren befreundet bin, aber noch trauriger, weil ich glaube, dass Israel in den letzten vier Jahren eine historische Gelegenheit verpasst hat, mit Jassir Arafat Frieden zu machen, weil Jassir Arafat der einzige palästinensische Führer war, der die monumentale, persönliche, moralische Autorität besaß, nicht nur um einen Frieden zu machen, sondern auch sein Volk dazu zu bringen, den Frieden anzunehmen.

    Remme: Als was werden Sie und als wen werden Sie Arafat in Erinnerung halten?

    Avnery: Er wird in meiner Erinnerung bleiben als ein großer palästinensischer Patriot, der Vater der modernen palästinensischen Nation, der palästinensische George Washington, der Mann, mit dem wir Frieden machen konnten, wenn wir bereit gewesen wären, den Preis des Friedens zu bezahlen, nämlich ein unabhängiger Staat Palästinas im Westjordanland und im Gazastreifen mit der Hauptstadt in Ostjerusalem. Darum ging es ja. Und da keine israelische Regierung bis jetzt wirklich dazu bereit war, ist dieser Frieden nicht zustande gekommen und diese schreckliche Dämonisierung, die in Israel und auch in der Welt gegen Arafat seit vielen Jahren gemacht wurde, wird sich an uns rächen.

    Remme: Was Sie sagen, ist sicherlich die Meinung einer Minderheit in Israel und vielleicht ist es sogar so, dass für manchen in Israel diese Nachricht eine gute ist. Wie erklären Sie sich das?

    Avnery: Weil wie gesagt seit Jahrzehnten auf die Person von Jassir Arafat eine Dämonisierungskampagne tagtäglich, jede Stunde, jede Minute geführt wurde. Der israelische Bürger hat nie ein einziges Wort, ein einziges gutes Wort über ihn gehört oder gelesen. Das gab es einfach nicht in den hunderten von Millionen Worten, die in den letzten Jahren über ihn gesprochen und geschrieben wurden, waren keine hundert Worte, die irgendetwas Positives über ihn aussagten.

    Remme: Es werden jetzt neue Männer an Arafats Stelle treten müssen und auch wenn ein Vakuum entsteht oder sich diese Männer erst einen Ruf erwerben müssen, sind die Chancen für einen Neuanfang da?

    Avnery: Jassir Arafat hinterlässt ein riesiges Loch, kein einzelner Mensch wird imstande sein, es auszufüllen, aber das palästinensische Volk wird weiterleben und eine neue Führung wird entstehen. Im Laufe der Zeit, es wird sicher Zeit dauern, bis sich eine wirkliche Führung mit Wurzeln im Volke kristallisiert, aber bis jetzt benimmt sich die zeitweilige Führung sehr gut, sehr verantwortungsvoll und sehr geschickt und ich hoffe, dass das so weitergeht. Ob die israelische Regierung die Zugeständnisse machen wird, die dazu nötig sind, um so eine neue Führung Autorität im eigenen Volke zu geben, bezweifle ich.

    Remme: Was erwarten Sie denn von Ihrer israelischen Regierung?

    Avnery: Wenn die Scharon-Regierung Frieden will, ist jetzt der Augenblick, eine Reihe von großen Gesten den Palästinensern gegenüber zu machen. Die Angriffe und Attentate auf die Palästinenser sofort einzustellen, die politischen Gefangenen freizulassen, besonders Marwan Barghuti, der im israelischen Gefängnis ist, sofort Wahlen in Palästina zu ermöglichen, indem die israelischen Truppen aus den palästinensischen Städten und Dörfern zurückgezogen werden und alle Maßnahmen, die getroffen worden sind, um Palästinenser zu hindern, sich frei zu bewegen, sofort aufzuheben, damit innerhalb von zwei Monaten die Wahlen stattfinden können, wie in der palästinensischen Verfassung vorgesehen ist.

    Remme: Sie waren mit Arafat befreundet. Wird es Ihnen möglich sein, an der Trauerfeier teilzunehmen?

    Avnery: Ich will an dem Begräbnis morgen teilnehmen. Ich hoffe, dass die israelische Regierung uns israelischen Friedensaktivisten es möglich machen, dorthin zu kommen. Es geht ja nicht ohne eine Bestätigung des israelischen Militärs, weil die Gebiete im Augenblick vollkommen abgeriegelt sind.