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Israelischer Historiker: "Ich bin eher für die deutsche Mannschaft"

Es sei untypisch, in seinem Land für Deutschland zu sein, sagte der Geschichtsprofessor Moshe Zimmermann. In Israel sei man vor allem für Brasilien, Holland, Argentinien oder England. Neben dem Fußball gebe es derzeit aber auch das "politische Spiel" in Gaza, für das sich eher weniger Leute interessierten.

Moderation: Chrisitane Kaess |
    Kaess: Der Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft versetzte am Freitagabend Deutschland in Feierlaune. Ohnehin scheint das Land seit dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft in einer Dauerpartystimmung zu schwelgen. Sogar die Bedenken über ein neues Nationalgefühl angesichts der überall geschwenkten schwarz-rot-goldenen Fahnen gingen weitgehend unter in der neuen Leichtigkeit des Seins. Einer, der extra aus Israel nach Deutschland gekommen ist und das Spiel live im Stadion verfolgen konnte, ist Moshe Zimmermann, Professor für deutsche Geschichte in Jerusalem. Herr Zimmermann, das war ja ein Fußballkrimi, da beneiden Sie sicher viele, dass Sie das im Stadion miterlebt haben. Wie war das für Sie?

    Zimmermann: Also ich bin ein begeisterter Fußballspieler und Fußballbeobachter, und die Stimmung war für mich auch etwas Imposantes. Ich verfolgte das Spiel, wie man ein Spiel verfolgt. Die deutsche Mannschaft spielte am Anfang eher schwach, der Trainer der Argentinier machte nachher zwei große Fehler und am Ende beim Elfmeterschießen - wie immer - sind die Deutschen überlegen.

    Kaess: Hat die deutsche Mannschaft verdient gewonnen?

    Zimmermann: Kann man im Großen und Ganzen schon sagen, aber wenn die Argentinier gewonnen hätten, wäre es auch verdient.

    Kaess: Zu wem haben Sie denn gehalten oder waren Sie neutral?

    Zimmermann: Also, ich bin nicht neutral, ich bin eher für die deutsche Mannschaft. Ich bin sowieso HSV-Fan, also damit ist die Sache ziemlich klar bei mir, das ist nicht typisch für einen israelischen Fußballfan. In Israel ist man meistens für entweder Brasilien, Holland, Argentinien oder England.

    Kaess: Bundestrainer Jürgen Klinsmann wurde vor der WM ja viel kritisiert. Jetzt ist er zum Nationalheld geworden. Wird er Fußballgeschichte schreiben?

    Zimmermann: Es kommt darauf an, ob man weiterkommt. Wenn man nur auf dem vierten oder dritten Platz landet, dann ist man 20 Jahre später nicht mehr so stark in Erinnerung. Wenn man es schafft, ins Finale zu kommen oder sogar zu gewinnen, dann erinnert man sich an Herrn Klinsmann auch 20 oder 30 Jahre später. So war es ja auch im Jahr '54 oder '74 oder '90.

    Kaess: Es werden ja nicht nur im Stadion deutsche Fahnen geschwenkt. Man sieht sie überall auf den Straßen und an Autos. In den letzten Wochen ist hier viel über das neue Nationalgefühl diskutiert worden. Finden Sie diesen neuen deutschen Patriotismus bedenklich?

    Zimmermann: Also solange es um Fußball geht, ist das nicht bedenklich. Bedenklich ist es, wenn Nationalgefühl in Militarismus umgeleitet wird. Das ist jetzt nicht der Fall. Wenn man sich für eine Nationalmannschaft begeistert und man weiß auch, zwei Wochen, drei Wochen nach der Weltmeisterschaft sind die Fahnen weg, dann muss man sich nicht sonderlich aufregen.

    Kaess: Wie wird denn die WM in Israel verfolgt? Die israelische Mannschaft hat sich ja nicht qualifiziert. Ist man trotzdem an den Spielen interessiert?

    Zimmermann: Also die israelische Mannschaft ist seit 1970 nicht mehr präsent, aber die Israelis begeistern sich für andere Mannschaften, wie gesagt, es ist die holländische Mannschaft, die argentinische, die brasilianische und die englische sehr beliebt, und man interessiert sich enorm für den Fußball. Man verfolgt das alles mit vollem Herzen, und man spürt, auch bei uns sind die Straßen leergefegt, wenn ein wichtiges Spiel stattfindet.

    Kaess: Wird das Interesse gedämpft durch die neuesten politischen Entwicklungen, den Militäreinsatz im Gazastreifen?

    Zimmermann: Das macht die Sache so absurd. Das haben wir schon mehrmals erlebt. Die meisten Leute interessieren sich für den Fußball und am Rande spielt sich ein anderes Spiel ab, das politische und das militärische Spiel. Das war schon so im Jahr 82 mit dem Feldzug im Libanon. Das wiederholt sich auch jetzt. Für diejenigen, die unmittelbar betroffen sind, ist selbstverständlich das, was um Gaza herum passiert, wichtiger, aber für die meisten Leute, die in der israelischen Spaßgesellschaft leben, steht Fußball oben auf.

    Kaess: Die israelische Nationalmannschaft musste ihre Heimspiele in der Vorausscheidung zur Euro 2004 wegen der unsicheren Situation damals in anderen Ländern austragen. Die politische Lage wirkt sich also auch auf den Fußball aus?

    Zimmermann: Das ist klar. Es gibt einen Zusammenhang. Die Mannschaften von außen haben Angst, ein Land zu besuchen, wo Terror zu erwarten ist. Das hat sich nach 2004 auch geändert. Heimspiele fanden zu Hause statt, aber man weiß immer Bescheid, wie prekär die Situation ist. Das kann sich ändern, und gerade aus diesem Blickwinkel ist es einfacher zu erklären, wie wichtig der Frieden ist, wie praktisch das alles sein wird, wenn wir Frieden haben.

    Kaess: Obwohl sich Israel nicht qualifiziert hat, hat die Mannschaft davor nicht schlecht gespielt und sich eigentlich bis zuletzt die Teilnahme an der WM offen halten können. Gibt es Aussichten, dass Israel bei der nächsten WM mitspielt?

    Zimmermann: Also gerade nach dem gestrigen Tag ist man umso mehr beeindruckt. Israel hat ja zwei Mal unentschieden gegen Frankreich gespielt. Das bedeutet, eigentlich hätten wir auch das Halbfinale erreichen können. Die Fußballmannschaft spielt nicht schlecht, aber da fehlt immer noch ein kleines Bisschen, um den Schritt nach oben zu machen. Und man hofft immer, dass es beim nächsten Mal doch klappt.

    Kaess: Und würde sich Israel für eine Weltmeisterschaft qualifizieren, dann könnte es auch sein, dass die Mannschaft gegen eine arabische antreten müsste – Iran war dieses Mal dabei –, ein Spiel Iran – Israel, würde das etwas zur Völkerverständigung beitragen oder ist das zu hoch gegriffen?

    Zimmermann: Also erstens muss man betonen, in der israelischen Mannschaft gibt es eine starke Repräsentation der arabischen Bevölkerung von Israel. Zwei Nationalspieler sind Araber, und die haben für Israel auch die Tore geschossen gegen Frankreich und gegen die Schweiz. Also das Problem ist schon im Nationalteam selbst zu finden. Aber wenn wir gegen eine arabische Mannschaft spielen, gegen Saudi-Arabien oder gegen Tunesien oder gegen den Iran, hängt es eher von den anderen ab. Israel boykottiert nicht die anderen Mannschaften, es geht andersrum. Zur Völkerverständigung kann ein Fußballspiel alleine nicht sorgen. Das Fundament muss die Politik sein, und wenn die Politik stimmt, dann kann auch ein Fußballspiel etwas zur Verständigung beitragen. Aber umgekehrt geht es nicht. Über den Fußball alleine zu einer Völkerverständigung zu kommen, das ist eine Illusion.

    Kaess: Aber wäre die Teilnahme Israels an einer WM eine Atempause für die Menschen in dem politischen Konflikt des Landes?

    Zimmermann: Eine Atempause ist es schon sowieso, wie ich bereits betont habe, weil die Leute sich darauf konzentrieren, aber man sieht, diese Atempause hält das Militär nicht davon ab und hält die anderen, die Palästinenser, nicht davon ab, den Krieg gegeneinander fortzusetzen.

    Kaess: Noch zu den anderen Spielen vom Freitag und gestern: Hätten Sie gedacht, dass Brasilien und England ausscheiden?

    Zimmermann: Also England hat es verdient auszuscheiden, aber für Brasilien weiß man, das ist ja eigentlich die stärkste Mannschaft, die man überhaupt hat, eine Weltmeisterschaft muss immer am Ende mit Brasilien als Weltmeister enden, und das ist eben eine Überraschung. Diese Überraschung wiederholt sich ab und zu und diesmal auch, aber man kann nicht sagen, dass man nicht überrascht sei.

    Kaess: Wie fanden Sie denn diesen Klassiker gestern Abend Brasilien gegen Frankreich?

    Zimmermann: Man konnte sehen, dass man trotz der technischen Überlegenheit ein Spiel verlieren kann. Wie man hier in Deutschland immer betont, die Mannschaft steht im Vordergrund und nicht das Individuum, also dass da elf Leute spielen, die alle die besten in der Welt sind, bedeutet noch nicht, dass man das Spiel gewinnt. Also, das habe ich selbst auch erfahren als Fußballspieler, wo die Mannschaft am Ende entschieden hat. Dieser Vergleich ist selbstverständlich hoch gegriffen, aber die Lektüre ist immer dieselbe, man muss eine Mannschaft haben, man muss gut koordiniert sein, gut vorbereitet sein, mental vorbereitet sein, bei den Brasilianern hat es nicht geklappt.

    Kaess: Ihr Tipp für den Dienstag, wenn Deutschland gegen Italien antreten muss?

    Zimmermann: Also ich tippe nicht! Italien ist besser als Deutschland, aber das bedeutet nicht, dass Deutschland nicht gewinnen kann!

    Kaess: Vielen Dank für das Gespräch!