Freitag, 19. April 2024

Archiv

Israels Kulturschaffende
Zur Staatstreue verpflichtet

Israels Kulturschaffende geraten immer mehr unter Druck: Die Regierung will staatliche Kulturförderung an Staatstreue binden. Theater sind außerdem dazu verpflichtet, Vorstellungen in jüdischen Siedlungen zu geben. Wer sich dagegen wehrt, muss mit weniger Subventionen rechnen.

Von Ruth Kinet | 12.02.2017
    Habima Theater in Tel Aviv
    Das Theater "Habima" in Tel Aviv. Viele Häuser in Israel ringen mit der Kulturpolitik des Landes. (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
    Bring mir die "Haaretz" von heute, ruft Noam Semel, der Intendant des Cameri-Theaters in Tel Aviv, seiner Pressesprecherin zu. Semel will einen Bericht über den jüngsten Aufreger um die Kulturministerin Miri Regev zeigen. Die israelische Regierung hatte zugesagt, sich mit 1,3 Millionen Euro an dem Europäischen Kulturförderfonds "Creative Europe" zu beteiligen. Als dann aber in Israel bekannt wurde, dass Kultureinrichtungen aus jüdischen Siedlungen keine Anträge auf Förderung würden stellen können, ruderte Miri Regev schnell zurück und kündigte die Teilnahme Israels an "Creative Europe". Noam Semel ist aufgebracht.
    "Mit einem Schlag sind jetzt alle kulturellen Einrichtungen Israels aus dem Spiel raus. Zumindest im Augenblick. Ich hoffe, dass die Haltung der Regierung sich noch ändert. Dabei gibt es jenseits der Grünen Linie fast keine kulturellen Einrichtungen. Das ist also ein rein symbolischer Kampf."
    Kulturministerin Miri Regev versteht sich auf symbolische Kämpfe. Ausgestattet mit einem relativ übersichtlichen Budget für Theatersubventionen von insgesamt rund 25 Millionen Euro im Jahr muss die ambitionierte Ministerin für Kultur und Sport versuchen, möglichst ökonomisch mit ihren Mitteln zu haushalten und mit kleinen Akzenten maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das gelingt ihr bisher sehr erfolgreich. Im Oktober 2016 hat sie eine Bestimmung erlassen, nach der die Theater mehr Subventionen bekommen, wenn sie jenseits der so genannten Grünen Linie auftreten, der Linie also, die zwischen dem israelischen Kernland und den im Sechstagekrieg von 1967 von Israel besetzten Gebieten verläuft.
    "Hier stehen die Kriterien, nach denen die staatlichen Subventionen für Theater in Israel festgeschrieben sind. Ich habe das zufällig gerade hier. Eines der Kriterien ist, dass Du bereit bist, ein Formular zu unterzeichnen, mit dem Du Dich verpflichtest, auch jenseits der Grünen Linie aufzutreten. Inzwischen ist diese Sache beim Obersten Gerichtshof anhängig, weil eine Menschenrechtsorganisation dagegen geklagt hat."
    Vier Bühnen jenseits der "Grünen Linie"
    Noam Semel hat ein breites Rückgrat. Er ist der Prototyp eines Impresarios: kraftvoll, entschieden, mit beeindruckender stimmlicher und energetischer Präsenz ausgestattet. Seit 24 Jahren ist er Intendant des Cameri-Theaters. Unter seiner Führung wurde das Stadttheater von Tel Aviv-Yafo zu einem Theaterkonzern. Das Cameri bringt 2250 Vorstellungen im Jahr auf die Bühnen im ganzen Land, 2015 lag der Jahresumsatz bei 27 Millionen Euro.
    "Als Theater-Intendant finde ich es wichtig, dass wir an jedem Ort Israels auftreten, auch jenseits der Grünen Linie. Ich respektiere andererseits aber das moralische Recht eines Schauspielers, der sagt, dass es seinen politischen Überzeugungen widerspricht, jenseits der Grünen Linie aufzutreten. Genauso, wie ich keinen Schauspieler zwingen werde, einen NS-Offizier zu spielen, der sagt, dass er es nicht über sich bringt, Nazi-Kleider anzuziehen. Ich werde ihn nicht dazu zwingen."
    Vier Bühnen gibt es jenseits der so genannten Grünen Linie: in Maale Adumim bei Jerusalem, in Ariel, in der Region Bi’kat ha Jarden und in Kirjat Arba am Stadtrand von Hebron. Shimon Mimran ist Schauspieler und ist mit seiner aktuellen Satire "Angina Pectoris" schon in der Siedlung Ariel aufgetreten.
    "Mit dieser Produktion treten wir auch in Ariel auf und ich bin darüber richtig froh. Ich will nicht nur vor Leuten auftreten, die mit mir einer Meinung sind. Es waren schon Siedler in unserer Vorstellung und ich habe gesehen, wie sich ihre Perspektive plötzlich verändert, weitet."
    Für Igal Ezrati hingegen kommt ein Auftritt in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland nicht infrage. Gemeinsam mit Mohammed Bakri leitet Ezrati das Arabisch-Hebräische Theater in Yafo. Das kleine Haus mit seinen 100 Plätzen liegt in der Altstadt von Yafo an der Promenade, von der aus man einen herrlichen Mittelmeerblick hat. Das Theater hängt zu 50 Prozent an öffentlichen Subventionen. Kürzungen wären für dieses kleine Haus viel schmerzhafter als für einen Theatertanker wie das Cameri. Igal Ezrati will sich dem Druck dennoch nicht beugen.
    "Wir werden die Bewohner von Maalei Adumim oder Kiryat Arba nicht davon überzeugen können, ihre Siedlung zu verlassen. Es ist naiv, das zu denken. Ich finde, man sollte dort nicht auftreten. Nicht aus Furcht vor Miri Regev und auch nicht des Geldes wegen. Miri Regev kann die Subventionen für die Theater letztlich nicht einbehalten."
    "Letztlich liegt die Verantwortung bei den Künstlern selbst"
    Die Politik habe keinen wirklichen Zugriff auf die großen Theater des Landes, meint auch der Schauspieler Doron Tavori vom Gesher-Theater in Yafo. Tavori kann nicht nachvollziehen, warum sich das Habima-Theater in Tel Aviv von der Kulturministerin auf Vorstellungen in Kiryat Arba und Ariel hat verpflichten lassen. Insgesamt trage der Staat ohnehin nur 10 bis 12 Prozent zum Jahresbudget der großen Theater bei.
    "Es geht eher um die Schaffung einer bestimmte Atmosphäre. In dieser Atmosphäre gedeiht eine Art von Selbstzensur, die man bei den Künstlern am Theater beobachten kann. Letztlich liegt die Verantwortung bei den Künstlern selbst. Deshalb mache ich ihnen auch schwere Vorwürfe. Sie verhalten sich wie eine Schafherde."