Franghi: Guten Morgen Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Franghi, Israel hat schon angekündigt, dass es dem Drängen, sich wieder aus den besetzten Städten zurückzuziehen, so schnell nicht nachkommen wird, und Powell hat klargestellt, Sanktionen gegen Israel sind für ihn kein Thema. Was erwarten Sie sich denn unter diesen Umständen von diesem Besuch?
Franghi: Wir sehen demonstrativ noch einmal, dass Israel heute im Grunde genommen das Sagen im Nahen Osten hat und dass sie das Sagen vor den Gremien der USA und wahrscheinlich auch den meisten oder vielen europäischen Staaten haben, denn sie machen was sie wollen in dieser Region - ohne Rücksicht zu nehmen auf Weltsicherheitsbeschlüsse und ohne Rücksicht zu nehmen auf die Aufforderungen an die Israelis, dass sie die Armee zurückziehen müssen.
Zagatta: Sie zitieren jetzt aber nur eine Seite. Die Europäer fordern ja auch, Arafat müsse endlich ernsthaft gegen den Terror vorgehen. Und der amerikanische Präsident sagt klipp und klar, Arafat hat versagt und lässt sein Volk im Stich. Also, da wird Ihnen doch mehr Schuld gegeben an der verfahrenen Situation als den Israelis.
Franghi: Das ist die unehrlichste Haltung, die ich bis jetzt in meinem Leben gesehen habe. Ich habe auch überall so viele Kriege gesehen. Man verlangt nicht von den Opfern das gleiche wie vom Peiniger. Und Arafat ist ein Opfer, und sein ganzes Volk ist wieder noch einmal vertrieben. Hunderte von Verletzten sind zu beklagen, Hunderte von Toten, die wir nicht begraben dürfen. Die Kinder können nicht in die Schulen, die Kinder können nicht mehr ihre Nahrung bekommen. Und soll Arafat all das ignorieren und dann sagen: Ich muss jetzt Ordnung schaffen in den palästinensischen Gebieten? Also, ich glaube, das ist ein Hohn, wie man mit Arafat umgeht. Und dies ist auch die falsche Meinung in den meisten Staaten, die das verlangen von Arafat, weil sie nicht den Mut haben, gegen den israelischen Ministerpräsidenten zu treten. Das ist eben das Problem.
Zagatta: Aber die Israelis sind doch erst jetzt in die palästinensischen Städte einmarschiert - nach Selbstmordanschlägen wie am jüdischen Passahfest. 50 Israelis wurden da ja allein in der Osterwoche von Bomben zerrissen. Herr Franghi, können Sie sich da wundern, dass Israel da so reagiert?
Franghi: Wissen Sie, die Israelis sind verantwortlich für all das, was geschieht. Wir haben seit 18 Monaten, da ist die israelische Armee in den palästinensischen Gebieten, und wir haben seit diesen Monaten mehr als 2.000 Tote, und wir haben mehr als 40.000 Verletzte. Und die Infrastruktur der palästinensischen Regierung und ganz allgemein ist zerstört - in der Wirtschaft, in den Sicherheitsorganen, in jeder Hinsicht. Der Flughafen, die Straßen sind kaputt gemacht. Das heißt, man kann nicht systematisch am Aufbau des palästinensischen Staates arbeiten und auf der anderen Seite alles zerstören - und dann wiederum von den Palästinensern Verständnis verlangen, wenn die Aktionen einiger Palästinenser auftauchen und gegen die Israelis vorgehen.
Zagatta: Aber ist das nicht auch eine Folge davon, dass eben Arafat Terroraktionen unterstützt?
Franghi: Nein, die Wahrheit ist das mit Sicherheit nicht. Die Wahrheit ist, dass Arafat zu lange einen Partner hatte in Israel, der ihn gleichberechtigt behandelt hatte - wie zum Beispiel Rabin. Da hatten wir den Frieden zwei, drei Jahre. Nur, nachdem Rabin umgebracht worden ist - von einem Israeli - und nachdem alle Stellen in Israel geschwiegen haben - man redet über diesen Tod nicht -, haben wir keinen Partner, der mit uns Frieden schließen will. Und das ist das Problem. Jeder israelische Ministerpräsident, der nach Rabin gekommen ist, hat immer den Palästinensern Forderungen gestellt, die nicht erfüllbar waren, hat nicht die Abmachungen, die wir mit Rabin gemacht haben, umgesetzt. Und das ist eben das Problem, mit dem wir und mit dem Arafat die ganze Zeit gekämpft hat. Deswegen sind wir mit dem Osloer Abkommen gescheitert, weil wir keinen Partner auf der anderen Seite gesehen haben. Die Israelis haben den Ausbau der Siedlungen so ausgeweitet, dass wir - wenn wir heute einen palästinensischen Staat bekämen - einen so zerstückelten Staat hätten, der nicht lebensfähig ist. Und das ist einfach ein Betrug an den Gefühlen und Hoffnungen der Palästinenser.
Zagatta: Aber Herr Franghi, die Palästinenser haben doch mit Scharons Vorgänger Barak vor zwei Jahren noch einen Partner gehabt. Der hat Ihnen in Camp David noch weitgehende Zugeständnisse gemacht. Arafat hat damals abgelehnt und damit nicht nur zum Sturz von Barak, sondern auch zum Aufstieg von Scharon geradezu beigetragen. War das, wenn man heute zurückblickt, nicht eine Riesendummheit?
Franghi: Es ist zwar eine Dummheit, wenn das so war, wie Sie sagen. Das ist aber nicht wahr. Es ist eine Dummheit, das weiterhin zu behaupten, weil Barak im Grunde genommen nicht das angeboten hatte, was in der Presse erwähnt war. Barak hat uns auch einen Staat angeboten mit 96 Prozent minus, 12 Prozent in den Siedlungen minus und so weiter. Die Kontrolle und die Hoheit über die Grenzen zu Jordanien und Ägypten sollten in den Händen der Israelis bleiben, und die Kontrolle über das Meer und Flughafen sollten die Israelis ausüben. Das heißt, er hat scheinbar uns ein Angebot gemacht, aber die Einzelheiten, die wir bekommen hätten durch den amerikanischen Präsidenten, waren alles andere als ein palästinensischer Staat. Und dann begann die Gewalt, und sie begann nicht durch die Palästinenser. Die Gewalt begann, als Scharon im September 2000 die Al-Aqusa-Moschee besuchte und da sehr provokativ auftrat. Da begannen die ersten Konflikte mit den palästinensischen Demonstranten und nicht bewaffneten Palästinensern, wo die israelischen Polizisten reingeschossen haben und wo wir die ersten Toten hatten. Das ist das Problem, und das versucht man hier systematisch zu vertuschen, um die Palästinenser für die Eskalation verantwortlich zu machen.
Zagatta: Wenn Sie das so sehen: Ist Scharon im Moment für Sie da überhaupt noch ein Verhandlungspartner? Ist es denkbar jetzt, wo Powell wieder vermitteln will, dass Sie sich mit Scharon an einen Tisch setzen?
Franghi: Ich glaube, der will es nicht, und er sagt es auch. Und wissen Sie: Es tut mir wirklich leid für den amerikanischen Außenminister und für die europäischen Außenminister, die einfach reinkommen, sich eine Ohrfeige abholen und wieder rausgehen und nichts tun können. Das ist, was wir bisher erlebt haben. Wir erleben jetzt eine neue Supermacht - eine kleine im Nahen Osten -, die wirklich das Sagen in den USA hat, und das ist eben das Problem des gesamten Nahen Ostens und nicht nur das der Palästinenser.
Zagatta: Sie sagen, Scharon sei nicht fähig für einen Frieden. Ist Arafat denn überhaupt noch dazu fähig? Wenn die Palästinenserbehörde, wie Sie gesagt haben, vor dem israelischen Einmarsch jetzt schon kaum eine Chance hat, dem Terror ein Ende zu machen, wie wollen Sie denn das jetzt schaffen, wo Ihre Einrichtungen zerstört sind? Ist Arafat, ist die Palästinenserbehörde überhaupt noch handlungsfähig?
Franghi: Arafat hat eine gute Infrastruktur aufgebaut, er hat alles in Zusammenarbeit mit den Geldgeberländern und mit den Israelis, die bereit waren, mit uns zusammenzuarbeiten, geschaffen. Er hat am meisten für die Zusammenarbeit Israel-Palästina gemacht. Arafat war ein Widerstandskämpfer, der sich dann entschlossen hatte für diesen friedlichen Weg. Und er hat seit der Zeit nur für den Frieden gearbeitet, und solange er ehrliche Partner auf der anderen Seite in Israel gehabt hatte, hat er super gearbeitet und bewiesen, dass er ein Mensch ist, der sich für den Frieden entschieden hat.
Zagatta: Aber jetzt ist ja alles kaputt. Angenommen, Israel zieht sich zurück: Ist denn die Palästinenserbehörde, ist Arafat im Moment überhaupt noch handlungsfähig oder bricht dann das große Chaos aus?
Franghi: Es wird kein Chaos bei uns ausbrechen. Wir waren noch nie so fest aneinander - alle palästinensischen Organisationen - wie heute. Wir werden mit Sicherheit alles noch einmal zur Debatte stellen, wie wir verfahren werden mit der Zukunft. Es gibt jetzt viele Vorschläge von manchen Staaten. Es gibt einen Plan von Außenminister Fischer, es gibt einen Plan von der Schweiz, es gibt einen Plan von den Franzosen. Es gibt so viele Pläne jetzt, die den Konflikt befrieden wollen. Wir versuchen jetzt den Kontakt mit all diesen Stellen, um dann wissen zu können, was für die Palästinenser in diesen Plänen vorgesehen, damit werden wir in der Lage sein werden, mitmachen zu können.
Zagatta: Aber hat Arafat noch Kontrolle über sein Volk?
Franghi: Arafat hat die Kontrolle über sein Volk, und Arafat war noch nie so beliebt bei den Palästinensern wie heute. Arafat ist nicht nur in Palästina, Arafat ist heute ein Held geworden - was Scharon unter keinen Umständen erreichen wollte - für die gesamte arabische und islamische Welt und die dritte Welt.
Zagatta: Aber wenn es irgendwie jetzt noch eine Friedenslösung geben könnte, angenommen mit einer Beobachtertruppe, wie auch immer: Hätte Arafat die Autorität, den Terroranschlägen ein Ende zu machen? Kann er das?
Franghi: Das Problem ist, dass wir einen Ministerpräsidenten in Israel haben, der mit dem Militär weiterhin seine Politik durchsetzen will. Und das ist das Problem und nicht umgekehrt. Wenn Scharon zum Beispiel gezwungen wird, seine Armee aus den palästinensischen Gebieten zurückzuziehen und wenn er noch mal zu Verhandlungen mit Arafat - er ist derjenige, der das ablehnt bis jetzt -, dann glaube ich, Arafat ist dazu in der Lage und er hat es bewiesen und er hat die Verantwortung - er hat auch den Nobelpreis dafür bekommen, nicht weil er ein Chaot ist, sondern weil er für den Frieden gearbeitet.
Zagatta: Warum hat er dann dem Terror kein Ende gemacht - jetzt in den zurückliegenden Wochen und Monaten?
Franghi: Der Terror ist in den Köpfen von den israelischen Militärs, und sie verbreiten das überall. Und natürlich arbeiten die palästinensischen Radikalen in die gleiche Richtung mit. Das ist das Problem.
Zagatta: Aber Sie sagen, Arafat könnte das verhindern.
Franghi: Und wenn ich Ihnen sage, dass wir über 2.000 Tote innerhalb eineinhalb Jahren haben und über 40.000 verletzte Menschen - das ist ein Ergebnis dieses Terrors, das von einem Staat durchgeführt wird. Und das ist das Problem. Und darüber können wir nicht reden, und die meisten wollen hier nicht reden.
Zagatta: Wir wollten schon, Herr Franghi, aber die Zeit drängt. Unsere Nachrichten warten. Ich bedanke mich für das Gespräch. Das war Abdallah Franghi, der Generalbevollmächtigte der Palästinenser in Deutschland.
Link: Interview als RealAudio
Zagatta: Herr Franghi, Israel hat schon angekündigt, dass es dem Drängen, sich wieder aus den besetzten Städten zurückzuziehen, so schnell nicht nachkommen wird, und Powell hat klargestellt, Sanktionen gegen Israel sind für ihn kein Thema. Was erwarten Sie sich denn unter diesen Umständen von diesem Besuch?
Franghi: Wir sehen demonstrativ noch einmal, dass Israel heute im Grunde genommen das Sagen im Nahen Osten hat und dass sie das Sagen vor den Gremien der USA und wahrscheinlich auch den meisten oder vielen europäischen Staaten haben, denn sie machen was sie wollen in dieser Region - ohne Rücksicht zu nehmen auf Weltsicherheitsbeschlüsse und ohne Rücksicht zu nehmen auf die Aufforderungen an die Israelis, dass sie die Armee zurückziehen müssen.
Zagatta: Sie zitieren jetzt aber nur eine Seite. Die Europäer fordern ja auch, Arafat müsse endlich ernsthaft gegen den Terror vorgehen. Und der amerikanische Präsident sagt klipp und klar, Arafat hat versagt und lässt sein Volk im Stich. Also, da wird Ihnen doch mehr Schuld gegeben an der verfahrenen Situation als den Israelis.
Franghi: Das ist die unehrlichste Haltung, die ich bis jetzt in meinem Leben gesehen habe. Ich habe auch überall so viele Kriege gesehen. Man verlangt nicht von den Opfern das gleiche wie vom Peiniger. Und Arafat ist ein Opfer, und sein ganzes Volk ist wieder noch einmal vertrieben. Hunderte von Verletzten sind zu beklagen, Hunderte von Toten, die wir nicht begraben dürfen. Die Kinder können nicht in die Schulen, die Kinder können nicht mehr ihre Nahrung bekommen. Und soll Arafat all das ignorieren und dann sagen: Ich muss jetzt Ordnung schaffen in den palästinensischen Gebieten? Also, ich glaube, das ist ein Hohn, wie man mit Arafat umgeht. Und dies ist auch die falsche Meinung in den meisten Staaten, die das verlangen von Arafat, weil sie nicht den Mut haben, gegen den israelischen Ministerpräsidenten zu treten. Das ist eben das Problem.
Zagatta: Aber die Israelis sind doch erst jetzt in die palästinensischen Städte einmarschiert - nach Selbstmordanschlägen wie am jüdischen Passahfest. 50 Israelis wurden da ja allein in der Osterwoche von Bomben zerrissen. Herr Franghi, können Sie sich da wundern, dass Israel da so reagiert?
Franghi: Wissen Sie, die Israelis sind verantwortlich für all das, was geschieht. Wir haben seit 18 Monaten, da ist die israelische Armee in den palästinensischen Gebieten, und wir haben seit diesen Monaten mehr als 2.000 Tote, und wir haben mehr als 40.000 Verletzte. Und die Infrastruktur der palästinensischen Regierung und ganz allgemein ist zerstört - in der Wirtschaft, in den Sicherheitsorganen, in jeder Hinsicht. Der Flughafen, die Straßen sind kaputt gemacht. Das heißt, man kann nicht systematisch am Aufbau des palästinensischen Staates arbeiten und auf der anderen Seite alles zerstören - und dann wiederum von den Palästinensern Verständnis verlangen, wenn die Aktionen einiger Palästinenser auftauchen und gegen die Israelis vorgehen.
Zagatta: Aber ist das nicht auch eine Folge davon, dass eben Arafat Terroraktionen unterstützt?
Franghi: Nein, die Wahrheit ist das mit Sicherheit nicht. Die Wahrheit ist, dass Arafat zu lange einen Partner hatte in Israel, der ihn gleichberechtigt behandelt hatte - wie zum Beispiel Rabin. Da hatten wir den Frieden zwei, drei Jahre. Nur, nachdem Rabin umgebracht worden ist - von einem Israeli - und nachdem alle Stellen in Israel geschwiegen haben - man redet über diesen Tod nicht -, haben wir keinen Partner, der mit uns Frieden schließen will. Und das ist das Problem. Jeder israelische Ministerpräsident, der nach Rabin gekommen ist, hat immer den Palästinensern Forderungen gestellt, die nicht erfüllbar waren, hat nicht die Abmachungen, die wir mit Rabin gemacht haben, umgesetzt. Und das ist eben das Problem, mit dem wir und mit dem Arafat die ganze Zeit gekämpft hat. Deswegen sind wir mit dem Osloer Abkommen gescheitert, weil wir keinen Partner auf der anderen Seite gesehen haben. Die Israelis haben den Ausbau der Siedlungen so ausgeweitet, dass wir - wenn wir heute einen palästinensischen Staat bekämen - einen so zerstückelten Staat hätten, der nicht lebensfähig ist. Und das ist einfach ein Betrug an den Gefühlen und Hoffnungen der Palästinenser.
Zagatta: Aber Herr Franghi, die Palästinenser haben doch mit Scharons Vorgänger Barak vor zwei Jahren noch einen Partner gehabt. Der hat Ihnen in Camp David noch weitgehende Zugeständnisse gemacht. Arafat hat damals abgelehnt und damit nicht nur zum Sturz von Barak, sondern auch zum Aufstieg von Scharon geradezu beigetragen. War das, wenn man heute zurückblickt, nicht eine Riesendummheit?
Franghi: Es ist zwar eine Dummheit, wenn das so war, wie Sie sagen. Das ist aber nicht wahr. Es ist eine Dummheit, das weiterhin zu behaupten, weil Barak im Grunde genommen nicht das angeboten hatte, was in der Presse erwähnt war. Barak hat uns auch einen Staat angeboten mit 96 Prozent minus, 12 Prozent in den Siedlungen minus und so weiter. Die Kontrolle und die Hoheit über die Grenzen zu Jordanien und Ägypten sollten in den Händen der Israelis bleiben, und die Kontrolle über das Meer und Flughafen sollten die Israelis ausüben. Das heißt, er hat scheinbar uns ein Angebot gemacht, aber die Einzelheiten, die wir bekommen hätten durch den amerikanischen Präsidenten, waren alles andere als ein palästinensischer Staat. Und dann begann die Gewalt, und sie begann nicht durch die Palästinenser. Die Gewalt begann, als Scharon im September 2000 die Al-Aqusa-Moschee besuchte und da sehr provokativ auftrat. Da begannen die ersten Konflikte mit den palästinensischen Demonstranten und nicht bewaffneten Palästinensern, wo die israelischen Polizisten reingeschossen haben und wo wir die ersten Toten hatten. Das ist das Problem, und das versucht man hier systematisch zu vertuschen, um die Palästinenser für die Eskalation verantwortlich zu machen.
Zagatta: Wenn Sie das so sehen: Ist Scharon im Moment für Sie da überhaupt noch ein Verhandlungspartner? Ist es denkbar jetzt, wo Powell wieder vermitteln will, dass Sie sich mit Scharon an einen Tisch setzen?
Franghi: Ich glaube, der will es nicht, und er sagt es auch. Und wissen Sie: Es tut mir wirklich leid für den amerikanischen Außenminister und für die europäischen Außenminister, die einfach reinkommen, sich eine Ohrfeige abholen und wieder rausgehen und nichts tun können. Das ist, was wir bisher erlebt haben. Wir erleben jetzt eine neue Supermacht - eine kleine im Nahen Osten -, die wirklich das Sagen in den USA hat, und das ist eben das Problem des gesamten Nahen Ostens und nicht nur das der Palästinenser.
Zagatta: Sie sagen, Scharon sei nicht fähig für einen Frieden. Ist Arafat denn überhaupt noch dazu fähig? Wenn die Palästinenserbehörde, wie Sie gesagt haben, vor dem israelischen Einmarsch jetzt schon kaum eine Chance hat, dem Terror ein Ende zu machen, wie wollen Sie denn das jetzt schaffen, wo Ihre Einrichtungen zerstört sind? Ist Arafat, ist die Palästinenserbehörde überhaupt noch handlungsfähig?
Franghi: Arafat hat eine gute Infrastruktur aufgebaut, er hat alles in Zusammenarbeit mit den Geldgeberländern und mit den Israelis, die bereit waren, mit uns zusammenzuarbeiten, geschaffen. Er hat am meisten für die Zusammenarbeit Israel-Palästina gemacht. Arafat war ein Widerstandskämpfer, der sich dann entschlossen hatte für diesen friedlichen Weg. Und er hat seit der Zeit nur für den Frieden gearbeitet, und solange er ehrliche Partner auf der anderen Seite in Israel gehabt hatte, hat er super gearbeitet und bewiesen, dass er ein Mensch ist, der sich für den Frieden entschieden hat.
Zagatta: Aber jetzt ist ja alles kaputt. Angenommen, Israel zieht sich zurück: Ist denn die Palästinenserbehörde, ist Arafat im Moment überhaupt noch handlungsfähig oder bricht dann das große Chaos aus?
Franghi: Es wird kein Chaos bei uns ausbrechen. Wir waren noch nie so fest aneinander - alle palästinensischen Organisationen - wie heute. Wir werden mit Sicherheit alles noch einmal zur Debatte stellen, wie wir verfahren werden mit der Zukunft. Es gibt jetzt viele Vorschläge von manchen Staaten. Es gibt einen Plan von Außenminister Fischer, es gibt einen Plan von der Schweiz, es gibt einen Plan von den Franzosen. Es gibt so viele Pläne jetzt, die den Konflikt befrieden wollen. Wir versuchen jetzt den Kontakt mit all diesen Stellen, um dann wissen zu können, was für die Palästinenser in diesen Plänen vorgesehen, damit werden wir in der Lage sein werden, mitmachen zu können.
Zagatta: Aber hat Arafat noch Kontrolle über sein Volk?
Franghi: Arafat hat die Kontrolle über sein Volk, und Arafat war noch nie so beliebt bei den Palästinensern wie heute. Arafat ist nicht nur in Palästina, Arafat ist heute ein Held geworden - was Scharon unter keinen Umständen erreichen wollte - für die gesamte arabische und islamische Welt und die dritte Welt.
Zagatta: Aber wenn es irgendwie jetzt noch eine Friedenslösung geben könnte, angenommen mit einer Beobachtertruppe, wie auch immer: Hätte Arafat die Autorität, den Terroranschlägen ein Ende zu machen? Kann er das?
Franghi: Das Problem ist, dass wir einen Ministerpräsidenten in Israel haben, der mit dem Militär weiterhin seine Politik durchsetzen will. Und das ist das Problem und nicht umgekehrt. Wenn Scharon zum Beispiel gezwungen wird, seine Armee aus den palästinensischen Gebieten zurückzuziehen und wenn er noch mal zu Verhandlungen mit Arafat - er ist derjenige, der das ablehnt bis jetzt -, dann glaube ich, Arafat ist dazu in der Lage und er hat es bewiesen und er hat die Verantwortung - er hat auch den Nobelpreis dafür bekommen, nicht weil er ein Chaot ist, sondern weil er für den Frieden gearbeitet.
Zagatta: Warum hat er dann dem Terror kein Ende gemacht - jetzt in den zurückliegenden Wochen und Monaten?
Franghi: Der Terror ist in den Köpfen von den israelischen Militärs, und sie verbreiten das überall. Und natürlich arbeiten die palästinensischen Radikalen in die gleiche Richtung mit. Das ist das Problem.
Zagatta: Aber Sie sagen, Arafat könnte das verhindern.
Franghi: Und wenn ich Ihnen sage, dass wir über 2.000 Tote innerhalb eineinhalb Jahren haben und über 40.000 verletzte Menschen - das ist ein Ergebnis dieses Terrors, das von einem Staat durchgeführt wird. Und das ist das Problem. Und darüber können wir nicht reden, und die meisten wollen hier nicht reden.
Zagatta: Wir wollten schon, Herr Franghi, aber die Zeit drängt. Unsere Nachrichten warten. Ich bedanke mich für das Gespräch. Das war Abdallah Franghi, der Generalbevollmächtigte der Palästinenser in Deutschland.
Link: Interview als RealAudio