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Ist der Fall Karsli erledigt?

Breker: Die Chefsache wurde in Berlin und Düsseldorf offiziell für beendet erklärt. Nennen wir es mal, die Affäre um Karsli in und mit der FDP. Doch der Kompromiss: Kein Parteimitglied für Karsli, keine Parteimitgliedschaft für Karsli, aber Mitarbeit in der FDP-Landtagsfraktion. Diese Lösung erhielt Etikette wie Mogelpackung, Scheinlösung und FDP = Fortsetzung der Peinlichkeiten. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, hatte konkrete Forderungen an Westerwelle:

    Paul Spiegel: Ich erwarte von Herrn Westerwelle, dass er sich deutlich davon distanziert, Herrn Friedmann für in Deutschland existierenden Antisemitismus verantwortlich zu machen. Wissen Sie, das ist eine uralte Masche von Antisemiten, nämlich zu sagen, dass die Juden allein schon durch ihre Existenz oder ihre Aussagen zum Antisemitismus beitragen. Solche Äußerungen sind unerträglich, und ich muss Ihnen sagen, ich hätte nicht für möglich gehalten, dass das in Deutschland heute wieder öffentlich gesagt werden kann, wie es seit Jahrhunderten immer wieder gesagt wird. Niemand von uns hat gesagt, dass man an Israel keine Kritik äußern darf. Nur es ist ein Unterschied, ob ich einseitig verurteile oder ob ich konstruktiv kritisiere. Und am Beispiel Möllemann sage ich ganz klar: Herr Möllemann hat die israelische Regierung mit Worten behaftet, die ich gar nicht wiederholen kann. Aber von ihm haben wir nie etwas gehört, als monatelang in Israel täglich Selbstmordattentäter Menschen umgebracht haben. Deswegen ist er in dieser Hinsicht als Friedensapostel auch nicht glaubwürdig.

    Breker: Am Telefon begrüße ich nun den Ehrenvorsitzenden der FDP, Otto Graf Lambsdorff. Guten Tag, Herr Lambsdorff.

    Lambsdorff: Guten Tag.

    Breker: Haben Sie Verständnis, Herr Lambsdorff, für die Forderungen von Paul Spiegel?

    Lambsdorff: Nein, ich habe deswegen kein Verständnis, weil Guido Westerwelle sich längst und eindeutig von antisemitischen Äußerungen distanziert hat, ihn klar verurteilt hat und sich in gar keiner Weise mit ihm identifiziert hat. Das kann auch für die FDP überhaupt nicht in Frage kommen. Ich habe wohl Verständnis für die Bemerkung von Paul Spiegel, bin sogar dankbar dafür, dass er darauf hinweist, dass das Jahrhunderte lang schon geschehen ist, nämlich die Bemerkung, dass jemand etwas nicht sagen dürfte, nur weil er Jude sei, und weil ihm dann nämlich vorgeworfen wird, er schüre mit diesen Bemerkungen Antisemitismus. Das heißt dann nämlich ins klare Deutsch übersetzt: Der Jude muss zu diesem Thema schweigen, und das ist eine antisemitische Haltung. Da hat Paul Spiegel recht.

    Breker: Ist denn aus Ihrer Sicht, Herr Lambsdorff, das Problem Karsli für die FDP gelöst?

    Lambsdorff: Das kann ich nur hoffen. Jedenfalls ist die Forderung erfüllt, die ich zusammen mit anderen gestellt habe, dass Herr Karsli nicht Mitglied der Freien Demokratischen Partei sein kann. Wie das in der Landtagsfraktion gehandhabt und praktiziert wird, weiß ich nicht. Es darf jedenfalls nicht dabei herauskommen, dass Herr Karsli dann auf einem Umwege doch noch für die FDP spricht, im Namen der FDP etwa Erklärungen im Landtag abgibt. Das hielte ich für unzulässig.

    Breker: Das heißt, die Mitarbeit in der Landtagsfraktion würden Sie für eine eingeschränkte halten?

    Lambsdorff: Das ist bei jedem, der bei einer Fraktion hospitiert, deren Partei er nicht angehört, eine eingeschränkte Mitarbeit. Hospitantenverhältnisse von Abgeordneten, die ihre eigene Fraktion verlassen hatten und sich woanders angeschlossen hatten, hat es bei Fraktionen ja schon immer gegeben, aber sie sind nicht volle Mitglieder der Fraktion, weil sie eben der Partei, zu der diese Fraktion zählt, nicht angehören.

    Breker: Die FDP, Herr Lambsdorff, ist im Gespräch. Sie macht Schlagzeilen - das mag sogar gewollt sein -, aber ist diese Art, die nun auf dem Tisch ist und in den Zeitungen ist, nicht der Anbeginn eines Schadens für die Partei?

    Lambsdorff: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand in der FDP gewünscht hätte oder sich wünschte, dass diese Art von Diskussionen stattfindet, also, dass das gewollt sei, wie Sie es formuliert haben. Nein, sie schadet der Partei. Bedenken Sie bitte, dass der hervorragende Eindruck, den der Mannheimer Parteitag geschaffen hat, innerhalb von einer Woche überlagert war von dieser völlig unglückseligen, falschen und in falschen Tönen ausgetragenen Auseinandersetzung.

    Breker: Warum läuft diese Diskussion eigentlich so undifferenziert ab, Herr Lambsdorff?

    Lambsdorff: Was meinen Sie jetzt mit undifferenziert? Da müssen wir uns drüber unterhalten.

    Breker: Guido Westerwelle sagt zum Beispiel: Meine Generation lässt sich nicht verbieten, Israel zu kritisieren. Das tut ja auch keiner.

    Lambsdorff: Das ist nicht nur seine Generation. Das ist meine Generation ganz genauso.

    Breker: Aber es tut ja keiner.

    Lambsdorff: Westerwelle hat auf dem Bundesparteitag in Mannheim gesagt: Selbstverständlich darf man die Entscheidungen einer demokratisch gewählten Regierung, wie der israelischen Regierung, kritisieren. Jeder Israeli tut das. Natürlich darf das auch jeder Ausländer. Ebenso kann und muss man kritisieren, was auf der palästinensischen Seite vor sich geht. Das sollte, nach meiner Überzeugung, einigermaßen ausgewogen sein. Aber selbst einseitige Kritik ist erlaubt und gibt es überall, in allen Fragen. Dass man sie nicht teilt, ist eine andere Frage.

    Breker: Kann es sein, Herr Lambsdorff, dass zwischen Westerwelle und Möllemann am Fall Karsli so etwas ähnliches wie ein parteiinterner Machtkampf abläuft?

    Lambsdorff: Das hat ja schon immer eine gewisse Rolle gespielt. Das weiß ja jeder seit dem Düsseldorfer Parteitag im vorigen Jahr, als Guido Westerwelle ganz klar entschieden hat, wer die Nummer eins in der Partei ist. Das hat sich auch in Mannheim gezeigt, als man dort einen Kanzlerkandidaten nominiert hat. Man kann darüber streiten, ob das glücklich ist oder nicht, aber es ist mit eindeutiger Mehrheit geschehen. Es ist ja niemand mehr auf die Idee gekommen, einen anderen Namen als den Guido Westerwelles für diesen Kanzlerkandidaten vorzuschlagen.

    Breker: Irgendwie ist es nun geschehen, Herr Lambsdorff, dass sich die Partei der Außenminister dem Vorwurf ausgesetzt sieht, sie fische im Trüben?

    Lambsdorff: Ich glaube nicht, dass die Partei im Trüben fischt, aber ich sage auch - und das habe ich auch schon vorher gesagt, und deswegen habe ich auch daraufhingewirkt, dass Herr Karsli nicht in die FDP aufgenommen wird -, dass jemand, der mit antisemitischen Äußerungen hantiert, nicht in die Partei kommen darf, unter anderem, weil damit das außenpolitische Ansehen, das Außenminister wie Scheel, Genscher und Kinkel erarbeitet haben und das der FDP in der ganzen Welt zugute kommt, dadurch beschädigt wird.

    Breker: Sie haben auf dem Mannheimer Parteitag, Herr Lambsdorff, davor gewarnt, die Seriosität der Partei zu beschädigen. Kann es sein, dass das Projekt 18, das Begriffe wie Spaßpartei, Guido-Mobil, die Kanzlerkandidatur doch irgendwo die Seriosität der FDP, der Freien Demokraten in diesem Lande, beschädigt?

    Lambsdorff: Immer schön auseinanderhalten, Herr

    Breker: Spaßpartei - selbstverständlich. Ich habe das Wort Spaßpartei auch nicht benutzt. Es wäre auch schlimm, wenn der Eindruck entstehen würde. Das Projekt 18 habe ich von Anfang an unterstützt. Bei der Kanzlerkandidatur war ich skeptisch, aber sie ist mit großer Mehrheit beschlossen worden. Und wie sich in der öffentlichen Reaktion zeigt, ist die Kritik viel geringer ausgefallen als ich es erwartet hatte. Da habe ich mich wahrscheinlich getäuscht. Im übrigen ist es richtig - und das habe ich auf dem Parteitag gesagt -, dass in der Politik auch Spaß eine Rolle spielen soll. Politik muss Spaß machen, sonst geht kein Mensch mehr hin und interessiert sich dafür. Allerdings darf hinter dem gelungenen Auftritt - auch in den Medien - die Substanz und der Inhalt dessen, was eine politische Partei will, nicht verschwinden. Und die Aufgabe des Parteivorsitzenden der FDP und des Parteivorsitzenden, ist es, jetzt dafür zu sorgen, dass wir Wahlkampf mit Inhalten und Programmen führen, dass wir uns den Themen stellen, die weit über das hinausgehen, was jetzt in dieser unglücksseligen Diskussion um Herrn Karsli entbrannt ist. Es geht um die Frage der Wirtschaftspolitik, der Arbeitsmärkte, der Arbeitslosigkeit, der Steuerpolitik, der Bildungspolitik - das muss jetzt thematisiert werden. Darüber müssen wir uns in Deutschland streiten.

    Breker: Und der Fall Karsli ist damit beendet?

    Lambsdorff: Der Fall Karsli ist hoffentlich beendet. Ich kann allen nur dringend anraten, dass diese Lösung jetzt, über die vielleicht niemand jubiliert und glücklich ist, aber akzeptiert wird und dass wir uns mit den Themen beschäftigen, die ich eben angesprochen habe.

    Breker: Der Ehrenvorsitzende der Freien Demokraten, Otto Graf Lambsdorff, war das in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Graf Lambsdorff.