Durak: Was erwarten Sie zunächst von dem Blix-Bericht?
Poos: Voraussichtlich werden die beiden Waffenkontrolleure eine Verlängerung ihrer Mission vorschlagen. Dabei sind sie zu unterstützen. Das Europaparlament hat schon im Vorfeld klar gemacht, dass es deren Arbeit uneingeschränkt unterstützt und dass diese weitergehen soll. Es meint auch, dass es mit den jetzt festgestellten Verstößen gegen die Resolution keine militärischen Aktionen geben darf.
Durak: Denken Sie denn, dass sich das Europaparlament, wie Sie es schildern, aber auch die Staaten, die gegen ein sofortiges Eingreifen sind, durchsetzen können werden? Oder schlagen die USA, wie angekündigt, im Zweifel ohne Mandat los und beziehen sich auf die Resolution 1441?
Poos: In der Presse wird die Aufrechnung gemacht. Es gibt jetzt keine Mehrheit im Sicherheitsrat für einen einseitigen amerikanischen Militärschlag. Das Veto wird also gar nicht gebraucht. Die Amerikaner sind nämlich nicht imstande, neun Stimmen für einen Militärschlag zu bekommen. Das sieht also für diejenigen, die keinen Präventivschlag wollen, relativ gut aus. In diesem Falle werden sich die Engländer und Amerikaner doppelt überlegen müssen, ob sie gegen das Völkerrecht verstoßen und die UNO verletzen.
Durak: Was ist, wenn die USA es dennoch tun? Sie scheinen ja entschlossen. Sie haben auch schon eine Nachkriegsordnung entworfen. Das wurde ja gestern von Powell noch mal deutlich gemacht. Europa schaut dann zu und bezahlt im Zweifel?
Poos: Europa wird sicherlich nicht zahlen, wie das im ersten Golfkrieg berechtigterweise der Fall war. Dieser Plan, der gestern von Außenminister Powell enthüllt wurde, ist eigentlich eine Substitution des Projektes Food-for-Oil in War-for-Oil. Das heißt, die Amerikaner holen sich die ungeheuren Kosten zurück, die durch den Krieg entstehen. Das sind bis jetzt 200 Millionen Dollar, und für jeden weiteren Monat kommen noch 100 Millionen Dollar hinzu. Indem sie das Öl der Iraker beschlagnahmen und verkaufen, dazu wird ja ein amerikanischer Militärgouverneur eingesetzt, holen sie sich das Geld zurück.
Durak: Wir kommen zur Eingangsfrage zurück. Der Traum von Europa ist möglicherweise ausgeträumt. Jedenfalls stehen wir vor einer großen Krise in der EU, in der NATO. Wie die NATO überlebt, werden wir sehen? Unter welchen Umständen ist dies reparabel? Werden wir zu einem mehr oder weniger einheitlichen Europa zurückfinden? Was muss da getan werden?
Durak: Vielleicht ein Wort zur NATO. Die NATO hat im Irak nichts zu suchen. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Es gibt überhaupt keine Annahme, dass der Irak vorhat, die Türkei anzugreifen, ganz im Gegenteil. Die Amerikaner wollen von der Türkei aus den Irak angreifen. Wir sind also nicht in einem Bündnisfall, wo ein Partner verteidigt werden muss. Die NATO hat eigentlich nichts mit dem Irak zu tun.
Durak: Schauen wir auf die europäische Union. Verbinden wir Europaparlament und europäische Union. Da haben wir ja den Konvent. Ziel des Konvents ist die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung. Hat das überhaupt noch Sinn oder sollten wir dies lassen, angesichts der desolaten Lage? Denn wir haben ja keine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik, sondern ein Spaltung Europas.
Poos: Also wenn man die europäische Geschichte der letzten 20 bis 30 Jahre betrachtet, stellt man fest, dass Europa ganz oft aus den Krisen und Katastrophen, die es durchgemacht hat, gelernt hat. Das könnte auch dieses Mal der Fall sein. Der Präsident des Konvents, Giscard d'Estaing, hat schon gesagt, dass ein starkes und einiges Europa ein wichtiger und würdiger Partner der Vereinigten Staaten sein könnte. Heute ist das nicht der Fall. Wenn wir also die richtigen Lehren aus dieser Spaltung Europas ziehen und die Texte über das Zustandekommen einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik neu formulieren, dann kommen wir voran. Das könnte zum Beispiel mit Mehrheitsentscheidungen passieren, so dass das Veto eines Landes die gemeinsame Haltung nicht aufhalten kann. Da bin ich sehr optimistisch, dass wir das nach der Irakkrise, denn es wird ja auch eine Nachkriegsordnung geben, schaffen.
Durak: In der Nachkriegsordnung wird es auch sicherlich Belohnungen in dieser oder anderen Art für europäische Staaten geben. Europäische Staaten suchen sich neue Verbündete, wie wir sehen. Wie soll Europa also repariert werden?
Poos: Ich glaube, dass die EU ihren Kurs weiterführen wird. Die beschlossene Erweiterung auf 12 Staaten wird weitergehen. Der Konvent braucht vielleicht ein paar Monate zusätzlich, um seine Arbeiten abzuschließen. Dann werden wir irgendwann im Jahre 2004 entweder durch Referenden oder durch Ratifizierungen in den nationalen Parlamenten das ganze Vertragswerk neu ordnen. Da bin ich optimistisch, dass wir über diese Schwierigkeiten hinwegkommen. Es ist ja auch sehr interessant, dass wir dieses Mal, hauptsächlich durch die Aktion von Schröder gestützt durch Chirac, eine Art Emanzipierung Europas von der amerikanischen Vorherrschaft erlebt haben. Das ist etwas Neues. Da muss jetzt auch auf dem Terrain etwas folgen. Wenn die NATO an Boden verliert, dann müssen die Europäer selbst versuchen, sich eine Verteidigungskapazität aufzubauen. Da gab es Differenzen. Die werden vielleicht verschwinden, wenn die Amerikaner sagen, dass für sie die NATO langsam irrelevant werde.
Durak: Ist das aber nicht die Emanzipation nur eines Teils von Europa? Die Briten zum Beispiel machen ja nicht mit.
Poos: Es sieht so aus, als ob verschiedene Regierungen vor George W. Bush stramm stehen und von vorne herein gewillt sind, alles mitzumachen, was im Pentagon beschlossen wird. Auf der anderen Seite war sich das europäische Volk auf Bürgerebene noch nie so einig. Sie wollen einheitlich keinen Krieg. Es wird also zu Auseinandersetzungen kommen zwischen den Völkern und ihren Regierungen. In Deutschland wird das nicht der Fall sein, denn hier ist das Volk mit Schröder einer Meinung. In Spanien und England und in Dänemark, wo 70 bis 90 Prozent der Bürger gegen den Krieg sind, da muss es doch zu Auseinandersetzungen kommen. Da müssen die Regierungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Durak: Vielen Dank, Herr Poos.
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